Großbritannien hadert mit der EU

Wie wahrscheinlich ist der „Brexit“?

Bis 2017 werden die Briten über ihren Verbleib in der EU abstimmen. Ja, die Briten haben das Recht auf Volksabstimmung zu wichtigen Fragen. Wir Deutschen nicht.

Foto: Frankie Roberto / flickr.com / CC BY 2.0 (Ausschnitt)
Veröffentlicht:
von

Großbritannien, Dänemark und die Schweiz haben mehr Demokratie als Deutschland. Denn dort gibt es zu wichtigen Themen Volksabstimmungen. Die Dänen sind nicht im Euro? Das stimmt, weil die Dänen sich in einer Volksabstimmung im Jahre 2000 dagegen entschieden hatten. Und die Schotten durften sogar über ihre Unabhängigkeit entscheiden.

So viel Demokratie würde man sich in Deutschland wünschen. Doch die Deutschen durften nicht einmal über die Rechtschreibreform abstimmen. In Deutschland wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Wie schön wäre es gewesen, wenn die Deutschen über den Beitritt zur Europäischen Union, über die Einführung des Euro, über den Abzug der Atomwaffen oder zu den Bankenrettungsschirmen hätten abstimmen dürfen. Aber immerhin: Beim Rauchverbot in Deutschlands Gastronomie durfte das Volk mitreden. Mehr Mitentscheidung dürfen wir nicht erwarten.

Die Briten haben es besser. Denn dort wendet man sich bei wichtigen Fragen an das Volk. Demnächst soll es über den Verbleib Großbritanniens in der EU abstimmen. Das ist ein mutiger Schritt. Denn die Elite wünscht sich den Verbleib in der EU, große Teile der Bevölkerung jedoch nicht. Die Partei UKIP schart schon seit längerem EU-Kritiker hinter sich. Wenn man bedenkt, welch immensen Einfluss die Londoner City auf die britische Politik hat, und wenn man sich vor Augen führt, dass sogar US-Ratingagenturen Druck auf die Regierung ausüben, in der EU zu bleiben, weil das Königreich sonst seine Spitzenbonität verlieren könnte, dann wird einem klar, wie wichtig den Briten die Zustimmung der Bürger und die eigene Souveränität sind – wichtiger sogar als die Wunschliste der City.

In der EU sieht man dem britischen Referendum mit Unbehagen entgegen. Der EU-Ratspräsident Donald Tusk befürchtet sogar eine Art Destabilisierung der EU, sollte es zu einem „Brexit“ kommen. Auch die deutsche Bundesregierung sähe ein „Brexit“ nicht gern. Daher bemüht sich Berlin um einen Verbleib der Briten. Angela Merkel hat dabei klar Stellung bezogen und sich gegen einen „Brexit“ geäußert. Aber sie kann auch nicht mehr tun, als die britischen Forderungen zu diskutieren und Gegenvorschläge zu machen. Gegenüber Athen kann Berlin sich wichtig tun, gegenüber London nicht.

Cameron stellt Forderungen

Die Konservativen des Premiers David Cameron sind in der Frage gespalten. Einerseits möchte man einen Verbleib des Vereinten Königreiches in der Europäischen Union, insbesondere Cameron will das, andererseits ist man mit der EU-Politik im höchsten Maße unzufrieden. Daher stellt David Cameron Forderungen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Damit will er bei seinen Landleuten punkten und ihnen die Vorbehalte für einen Verbleib in der EU nehmen. Er will den Briten zeigen, dass sie immer noch die Hosen anhaben und sich nicht vor Brüssel fürchten müssen. Dies sind nun seine Forderungen:

Zum einen möchte Cameron die Zuwanderung in die britischen Sozialsysteme verhindern. Das gilt auch für EU-Bürger. Wer nicht mindestens vier Jahre in Großbritannien gelebt und gearbeitet hat, soll von Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Grund ist die Erkenntnis, dass Sozialstaat und internationale Mobilität nicht vereinbar seien – eine Erkenntnis übrigens, die einst schon Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman geäußert hatte. Allerdings soll diese zentrale Forderung wohl abgeschwächt werden, um der EU entgegen zu kommen, denn Brüssel hatte bereits kritische Bedenken angemeldet. Wird sich Cameron hier durchsetzen oder als zahnloser Tiger landen?

Ein anderer Punkt betrifft die permanente Themenvorrangigkeit der Euro-Politik. Großbritannien ist zwar Mitglied der EU, nicht aber Mitglied der Euro-Zone. Doch die Briten haben den Eindruck, dass die EU-Politik stark von den Fragen zum Wert und Erhalt des Euros geprägt ist und andere Probleme außen vor lässt, als ob jene EU-Länder, die nicht in der Euro-Zone sind, Staaten zweiter Klasse wären. Diesen Umstand will Cameron geändert wissen.

Außerdem will Cameron den Abbau der EU-Bürokratie vorangetrieben wissen und keine weiteren Einschränkungen der Handlungsoptionen für die Parlamente der einzelnen Staaten zugunsten der EU hinnehmen. Vielmehr sollen wieder die nationalen Parlamente in ihrer Bedeutung gestärkt werden. Das ist eine Forderung, der sich sicherlich auch die Polen, Tschechen und Ungarn gerne anschließen würden.

Was denken die Briten über den „Brexit“?

Die Briten sind sich uneins. Viele wünschen sich mehr von der Souveränität ihres Landes zurück. Außerdem wollen sie nicht Zahlmeister für die ärmeren EU-Staaten im Süden sein. Allerdings ist man sich unsicher, ob man nicht den Anschluss an weitere Entwicklungen verpasst, wenn man vorzeitig aus dem EU-Geschehen aussteigt.

Die Umfragen hatten in den letzten Monaten ein geteiltes Bild ergeben. Nach den Anschlägen in Paris gab es erstmals eine Mehrheit für den Ausstieg aus der EU. Die Briten sind aktuell ganz und gar nicht von der Migrations- und Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel begeistert. Tatsächlich hat sich Großbritannien lediglich zur Aufnahme von wenigen Zehntausend Flüchtlingen bereit erklärt. Dem deutschen Treiben sieht man eher verwundert und verstört zu. Ein weiteres Anwachsen der muslimischen Bevölkerung in London oder Birmingham ist vielen Briten ein Dorn im Auge.

In der EU wächst derweil die Sorge wegen der Britischen Tendenz, eventuell Tschüss Europa zu sagen. Während man sich in Brüssel bis vor kurzem noch phlegmatisch in Bezug auf Reformen zeigte, wirkt man plötzlich beweglich. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker will bei den Reformen deshalb aufs Tempo drücken und radikaler werden. Die EU soll weniger debattieren und handlungsfähiger werden. Einen Ausstieg Großbritanniens – so hofft er – dürfe es nicht geben. Doch das hat er allein wohl nicht zu entscheiden.

Die glücklichen Schweizer

Die Schweiz hat all diese Probleme nicht. Die Schweiz ist nicht in der EU. Aber sie hat viele Abkommen mit der EU geschlossen. Sie Schweizer sind somit halbintegriert, und zwar im Sinne der Schweizer. Nicht mehr, nicht weniger. Die emotionale Distanz der Schweizer zur EU wächst inzwischen wieder, nicht nur, aber auch wegen der Flüchtlingskrise, wegen des Scheiterns des Schengener Abkommens und überhaupt wegen der Bevormundung mancher Staaten durch andere. Aktuell will die Schweiz die Zuwanderung aus E-Staaten reduzieren.

Es spielt eigentlich keine Rolle, ob man als Deutscher oder Brite die Schweizer Politik nachvollziehbar findet oder nicht. Klar ist, dass die Schweizer ihren eigenen Weg gehen und dieser immer wieder durch Abstimmungen mit dem Volk eine besondere Legitimation erfährt. Da können sich Briten und Schweizer stolz die Hände schütteln und die Deutschen bemitleiden, die immer das tun müssen, was die Regierungsberater im Kanzleramt so wollen.

Es wäre an der Zeit, dass die Deutschen von den Briten und Schweizern lernen und mutiger werden, notfalls auch eigene Wege zu gehen. Die EU sollte kein lähmender Koloss sein, der die einzelnen Mitglieder an ihrer freien Entfaltung hindert. Jedes Land braucht sein eigenes Tempo, um die hauseigenen Probleme bedarfsorientiert zu lösen. Das merken jetzt auch die Briten.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Hans von Atzigen

Was hat das Konstrukt EU dem Europäischen Kontinent an echtem Fortschritt gebracht?
Der Abgleich des Zustandes vor 20-25 und dem aktuellen Zustand ist schlicht niederschmetternd.
Ausser einem ein paar Jahre dauernden hurra Zustand, unter dem Strich rein gar nix.
Der Europäische Kontinent ist in eine verheerende Sackgasse geritten vorwärz geht,ein zurück auch nicht.
Da ist zunehmend nur noch schlicht Chaos.
Ganze Staaten die in Richtung 3-4 Welt abdriften.
Das ist doch schlicht der nackte Wahnsinn,einfach Irre.

Gravatar: Hui-Buh

Nicht ganz richtig mit dem Rauchverbot. Nur in Bayern durfte das Volk mitreden. In den anderen Bundesländern hat die Tabakindustrie die Richtlinien vorgelegt was dann fast überall so umgesetzt wurde.

Gravatar: egon samu

>>Angela Merkel hat dabei klar Stellung bezogen und sich gegen einen „Brexit“ geäußert.<<
Wäre Angela Merkel jemand, der die Souveränität eines anderen Staates und das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung dort respektiert, hätte sie gesagt:
Das ist allein die Sache der Briten, wie sie leben, in welchem Verein sie spielen und mit wem sie ihr Land teilen wollen.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang