Wenn das Handy zweimal klingelt - Wird die ganze Welt belauscht?

Die kolossale Datenhortung der NSA geht weiter. Der geschätzt 40.000 Mitarbeiter umfassende amerikanische Geheimdienst nimmt offenbar auch auf Spitzenpolitiker keine Rücksicht. Dabei stellt sich wie so oft die Frage, ob erst Regierungen betroffen sein müssen, damit der Bürger geschützt wird.

Veröffentlicht:
von

Erinnert man sich zurück an den August diesen Jahres, erinnert man sich vielleicht auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Worte, die NSA-Affäre sei beendet. Dieser Satz dürfte spätestens seit Mittwoch einen leichtgläubigen Beiklang haben, denn die NSA-Affäre bekommt ein weiteres Kapitel.

Unter der Berufung auf geheime Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden wird der US-amerikanische Geheimdienst NSA verdächtigt, dass Mobiltelefon der Bundeskanzlerin überwacht zu haben. Regierungssprecher Steffen Seibert nahm Stellung. Die war überraschend direkt und in einem für die Bundesregierung ungewöhnlich zornigen Tonfall. Er sprach von einem „gravierenden Vertrauensbruch“ und einem Tabu „unter Freunden“.

Mittlerweile hat sich Merkel auch persönlich zu dem mutmaßlichen Spähangriff der US-Geheimdienste geäußert und das Vorgehen scharf verurteilt. „Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht“, sagte sie unmittelbar vor dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Das habe sie auch US-Präsident Barack Obama in einem Telefongespräch am Mittwoch deutlich gemacht. „Nun muss Vertrauen wieder hergestellt werden“, sagte die Kanzlerin.

Weiter sei das Ausspähen unter Freunden gegenüber niemandem legitim. „Das gilt für jeden Bürger und jede Bürgerin in Deutschland. Dafür bin ich als Bundeskanzlerin auch verantwortlich, das durchzusetzen“, sagte Merkel. Diese Aussage hat aber einen eigenartigen Beigeschmack.

"Naivität und Anti-Amerikanismus"

So könnte man einerseits interpretieren, dass Merkel dies zurecht persönlich nimmt, denn sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, handelt es sich schlussendlich um ihr Mobiltelefon. Und dabei tut sie es jedem gleich, der sich um die eigene Privatsphäre sorgt. Doch andererseits hätte sie es als wiedergewählte „Mutti“ der Bundesrepublik Deutschland besser wissen müssen.

Doch stattdessen spricht Merkel von einem „gravierenden Vertrauensbruch“, ihr Verteidigungsminister und Parteifreund Thomas de Maizière raunzt, das sei nicht hinzunehmen. Noch-Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bestellt den amerikanischen Botschafter ein, und CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich erklärt: „Eine Entschuldigung der USA ist überfällig.“

Es ist ein unglaublicher Verdacht und der Ärger bei Merkel natürlich groß. Ebenso ist es aber unglaublich, dass die neuen Enthüllungen aus dem Fundus Edward Snowden gerade dann zu einem allgemeinen Erbosen und Erzürnen führen, wenn unmittelbar die regierenden Politiker betroffen sind. Nicht nur dass die Kanzlerin die NSA-Affäre für beendet erklärte, sie hatte auch „keinen Grund, an den Angaben der USA zur Einhaltung deutschen Rechts zu zweifeln”.

Solche Aussagen klangen im Kanon quer durch das Kabinett. Ebenso hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Juni seine Ansichten zum Besten gegeben und getönt: „Noch bevor man überhaupt weiß, was die Amerikaner da genau machen, regen sich alle auf, beschimpfen die Amerikaner. Und diese Mischung aus Anti-Amerikanismus und Naivität geht mir gewaltig auf den Senkel.“

Naivität und Anti-Amerikanismus“, mit diesen Worten reagierte die damalige Bundesregierung auf die Enthüllungen und dem vergleichsweise flüsternden Aufschrei der gesamten Bundesrepublik. Nun aber sei eine Grenze überschritten, und dass noch „unter engen Freunden und Partnern“. Inwiefern sich Merkel und ihr Kabinett deshalb echauffieren, und inwiefern sie damals auf die ersten Enthüllungen reagiert hatten, kann bloß als eines beschrieben werden, nämlich als das Messen mit zweierlei Maß.

Der Skandal wird zum Flächenbrand

Nie hatte man in den vergangenen Monaten das Gefühl, dass die immer neuen Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Snowden Merkel wirklich beschäftigten. Ein kurzer, vehementer Ruf nach Aufklärung ganz zu Beginn, das war's. Und genau deshalb muss die CDU-Chefin sich fragen lassen, ob sie die lange schwelende Affäre um die weltweiten Ausspähaktivitäten der USA nicht gnadenlos verharmlost hat.

Eigentlich spielt das am Ende aber fast keine Rolle, ob Merkel es einfach nicht für möglich gehalten hat, dass der US-Geheimdienstapparat in seiner süchtigen Datenhortung vor nichts und niemandem zurückschreckt. Oder ob sie genau das längst ahnte. So oder so, und das ist das eigentlich paradoxe an der Sache, möchte man jetzt Mitleid mit ihr haben, und ihr mitfühlend auf die Schulter klopfen, denn der deutsche Bürger hat diese Gefahr schon längst erkannt.

Bei einer rein bundesrepublikanischen Empathie wird es aber nicht bleiben. Denn Sorge um die Privatsphäre trieb jüngst auch unsere französischen Nachbarn um. Dort wurden angeblich die Telefonate von 70 Millionen Menschen gesammelt und gespeichert. Die französische Zeitung „Le Monde“ hatte unter Berufung auf Snowden`s Dokumente berichtet, die NSA spähe massiv die Telefonate französischer Bürger aus.

Weiter hatte Le Monde berichtet, die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und heutige Sicherheitsberaterin, Susan Rice, habe die Arbeit der NSA gelobt. Durch die von der NSA gesammelten Informationen seien die USA etwa bei Verhandlungen im Vorteil gewesen. Die französische Regierung hatte empört auf die Enthüllungen reagiert und US-Botschafter Charles Rivkin einbestellt. Staatschef François Hollande äußerte in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama „tiefe Missbilligung“ über das angebliche Vorgehen.

Damit reagieren die beiden größten europäischen Volkswirtschaften simultan. Das könnte das Selbstbewusstsein gegenüber den USA stärken. So zeigten sich im Zuge des EU-Gipfels in Brüssel am Donnerstag sowohl Merkel, als auch Hollande vereint im Zorn auf Obama. Doch damit nicht genug. Ebenfalls am Donnerstag erschien ein weiteres Geheimdokument.

Dieses zeigt, wie die Abhörspezialisten der NSA nach Telefonnummern von politischem Spitzenpersonal fahndeten. Allein von einem Mitarbeiter der US-Regierung bekamen sie 200 Telefonnummern zur Überwachung. Dem neuen Bericht zufolge hat die NSA die Telefon-Kommunikation von 35 internationalen Spitzenpolitikern überwacht.

Die Namen der ausgespähten Politiker tauchten in dem Papier laut „Guardian“ nicht auf. Bereits im Juni hatte der Spiegel enthüllt, dass die EU-Niederlassung in Washington als auch diverse Botschaften von EU-Staaten in den USA gezielt verwanzt und abgehört wurden, einschließlich der Computersysteme und spezieller Faxgeräte zum Versenden verschlüsselter Nachrichten.

Auch der britische Geheimdienst GCHQ, der eng mit der NSA zusammenarbeitet, steckt hinter einem Hackerangriff, welcher auf den Telefonanbieter Belgacom gerichtet war, den viele EU-Institutionen nutzen. Weitere NSA-Ziele, die anhand der Snowden-Papiere identifiziert werden konnten, waren die Präsidenten befreundeter Staaten wie Mexiko und Brasilien.

So kam es dazu

Die bisherigen Fakten sind, dass US-Geheimdienste womöglich das Handy der Kanzlerin abgehört haben. In einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama forderte Angela Merkel am Mittwoch deshalb eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe. Auslöser der ungewöhnlich scharfen Reaktion der Bundesregierung ist eine aktuelle Spiegel-Anfrage im Zuge einer Recherche. Darauf überschlug sich die Bundesregierung plötzlich vor Empörung und das Szenario nahm seinen Lauf.

Die USA hingegen weisen die Berichte über die Bespitzelung noch zurück. Doch trotz des Aufklärungsbedarfs gibt es eine Sache die gewiss ist: die NSA-Affäre ist noch nicht beendet.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang