Terrorismus

Warum der »Islamische Staat« so gefährlich ist

Im Gegensatz zu anderen fundamentalistischen Terrorgruppen organisiert der IS einen funktionierenden Gottesstaat mit Infrastruktur, Steuern, Gesundheitswesen, Schulen und Scharia-Justiz.

Foto: Karl-Ludwig Poggemann/flickr.com/CC BY SA 2.0
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Es gibt verschiedene Terrororganisationen aus dem Umfeld des islamistischen Fundamentalismus. Gefährlich sind sie alle. Mit Demokratie und Menschenrechten im westlichen Sinne haben sie nichts gemein. Doch im Gegensatz zu Al-Qaida, zu Boko Haram, zu den El-Shabab-Milizen und sonstigen Gruppen hat der „Islamische Staat“ (IS) Eigenschaften, die ihn von den anderen Terrororganisationen unterscheiden.

Eines der wichtigsten Merkmale ist die Tatsache, dass der Name „Islamischer Staat“ (IS) Programm ist. Es handelt sich in jeder Hinsicht um ein Projekt zum Aufbau eines radikalislamischen Gottesstaates mit funktionierender Infrastruktur und klaren Regeln. Das Gebiet des IS, welches sich nun über große Teile Ostsyriens und Nordiraks erstreckt, wird wie ein Staat organisiert. Es gibt ein Schulsystem (mit religiöser Indoktrination der Jugend), ein mehr oder weniger funktionierendes Gesundheitssystem, eine (oftmals grausame) Justiz und ein einigermaßen „geordnetes“ Wirtschaftssystem.

Deutliches Kennzeichen des IS ist seine unbedingte Gesetzesstrenge im Sinne der Scharia, dem islamischen Recht. Dabei übertrifft die konsequente Umsetzung der Scharia bei weitem die ohnehin für westliche Verhältnisse harte Rechtsprechung, wie sie im Iran oder in Saudi-Arabien praktiziert wird.

Die wichtigste Verbindungsroute des IS auf syrischem Territorium ist der Euphrat, an dessen Ufern auch die wichtigen Straßen entlangführen. Hier liegt die Hauptstadt des IS, Al-Rakka. Weiterhin sind bedeutende Oasen im Wüsten- und Steppengebiet im südlichen Syrien unter der Kontrolle des IS. Der gebirgige Westen Syriens ist vom IS noch nicht betroffen. Hier bekämpfen sich die „moderaten“ syrischen Rebellen in Konkurrenz mit der radikalen Al-Nusra-Front mit den Regierungstruppen des Assad-Regimes und den schiitischen Hisbollah-Milizen, die insbesondere in den Bergregionen an der Grenze zum Libanon aktiv sind.

Die wichtigsten Fronten gegen den IS erstrecken sich nordöstlich von Damaskus und nordöstlich von Homs, wo sich die Assad-Truppen dem IS entgegenstellen. Die zweite wichtige Front befindet sich im Nordosten Syriens und Norden des Irak. Hier bieten die Kurden dem IS die Stirn. Die dritte Front gegen den IS befindet sich im Mittelirak. Hier kämpfen die irakischen Regierungstruppen der schiitisch dominierten Regierung gegen den IS. Unterstützt werden sie von den Quds-Brigaden aus dem Iran.

Aktuelle Aussagen bestätigen Bild vom IS

Wie aktuell die „Welt“ und der „Stern“ unter Berufung auf eine dpa-Meldung berichten, gibt es neue Zeugenaussagen vor deutschen Gerichten, die die grausige Welt des IS belegen. Demnach sagte ein IS-Rückkehrer bei einem Prozess vor dem Oberlandesgericht in Celle aus, wie es um die Verhältnisse dort bestellt sei. Er selbst sei Angehöriger einer Spezialeinheit gewesen, deren Aufgabe es sei, Deserteure einzufangen, heißt es im Stern. Dabei habe er auch Folterungen und Hinrichtungen miterlebt.

Für Abtrünnige vom IS würde generell die Todesstrafe gelten. Die im Sinne der Scharia verurteilten würden enthauptet, gekreuzigt und deren Leichname öffentlich zur Schau gestellt. Selbst Angehörige des IS, die nach Meinung Höhergestellter nicht streng genug die Befehle oder Gesetze umsetzten, würden Gefahr laufen, hingerichtet zu werden.

Christen im Territorium des IS könnten sich mittels einer Schutzsteuer von rund 300 Dollar pro Jahr freikaufen. Wer nicht zahlt, wird hingerichtet. Jesiden und Schiiten hätten nach Aussagen des IS-Rückkehrers keine Chance, sich freizukaufen. Sie würden dort nicht leben können.

Wie bereits vor einigen Wochen via dpa-Meldungen berichtet wurde, scheint der IS nach Berichten von Rückkehrern über einen eigenen Geheimdienst zu verfügen, dessen Netzwerk bis nach Deutschland reicht und deutsche beziehungsweise deutschstämmige IS-Kämpfer in den eigenen Reihen hat.

Das Verhältnis des IS zu anderen Terrororganisationen

Der IS hat sich bisher nicht klar von den anderen Terrororganisationen distanziert, umgekehrt genauso. Es besteht vielmehr ein wechselhaftes Verhältnis, das zwischen Konkurrenz und Kooperation schwankt.

Klar ist, dass der professionelle Kern des IS sich aus ehemaligen Terroristen der Al-Qaida und zahlreichen einstigen Funktionären und Militärs des Regimes von Saddam Hussein zusammensetzt. Unter Saddam Hussein war der Irak ein Staatswesen, bei dem insbesondere die sunnitischen Araber aus dem mittleren Irak bevorzugt wurden, während die arabischen Schiiten im Süden und die Kurden im Norden benachteiligt waren. Viele dieser ehemaligen sunnitisch-arabischen Funktionäre wurde nach dem Sturz Saddam Husseins ihrer Ämter entzogen. Daraufhin gingen einige von ihnen in den Untergrund.

Warum wird der IS aktuell nicht nachhaltiger bekämpft?

Das Kampfgeschehen in Syrien konzentriert sich momentan hauptsächlich im Westen, weshalb der IS weniger Druck ausgesetzt ist, als es angesichts der Lage angebracht wäre. Das liegt daran, dass im Westen Syriens die wichtigsten Rückzugsgebiete des Assad-Regimes liegen. Die Russen und Amerikaner, die hier verdeckt oder offen operieren, legen ihre Prioritäten deutlich auf die Bekämpfung oder Unterstützung des Assad-Regimes. Die USA unterstützen die „moderaten“ Rebellen, Russland hilft dem Assad-Regime mit Luftschlägen. Dadurch ist ein großer Anteil der Aufmerksamkeit vom IS weggelenkt. Hieraus ergibt sich ein zeitliches und räumliches Fenster, in dem der IS sich entfalten und stabilisieren kann.

Konkurrenz zwischen IS und Al-Qaida

Eigentlich gibt es Ableger sowohl des IS als auch von Al-Qaida in fast allen islamischen Ländern, außer dem Iran und Turkmenistan. Doch es gibt Schwerpunkte. Während der IS außerhalb des Iraks und Syriens vor allem auf der Halbinsel Sinai in Ägypten und in Libyen seine Nachahmer und Verbündeten findet, ist Al-Qaida, die mit ihrem Ableger Al-Nusra in Syrien wütet, besonders im Jemen aktiv. Hier steht die sunnitische Al-Qaida unversöhnlich den schiitischen Huthi-Milizen gegenüber.

Doch noch etwas anderes unterscheidet den IS von Al-Qaida. Während der IS verstärkt versucht, wie ein Staat aufzutreten, wird von Al-Qaida weiterhin der versteckte Terrorismus als Hauptkampfform angewendet. Eine neue Strategie ist der Aufruf zum sogenannten „Open Source Jihad“ – zum Dschihad der Einzeltäter. Diese Methode ist besonders effektiv, da hierfür keine größere Organisation benötigt wird. Vielmehr kann jeder radikale Fundamentalist aus seiner Anonymität heraus zum Einzeltäter werden und völlig überraschend zum Angriff übergehen, sei es als Selbstmordattentäter mit Bombe oder in Form einer Messerattacke.

Diese Methode greift zurzeit in Israel um sich, wo Einzelpersonen zumeist palästinensischen Hintergrunds plötzlich ihr Messer zücken und israelische Sicherheitskräfte oder normale Bürger attackieren. Die israelische Regierung ist alarmiert, weil durch diese neue Terrorstrategie theoretisch jeder Palästinenser ein potentieller Attentäter sein könnte.

IS in Konkurrenz zu den Taliban in Afghanistan

Man mag es kaum glauben, doch für einige Extremisten in Afghanistan sind Al-Qaida und die Taliban nicht extrem genug. Zusammen mit eingeschleusten Kämpfern und ehemaligen Taliban und Al-Qaida-Kämpfern baut der IS eine neue Basis in Afghanistan auf. Wie in Syrien, so macht der IS auch in Afghanistan durch besondere Grausamkeit, Kompromisslosigkeit und Härte auf sich aufmerksam. Dabei werden ganze Familien ausgelöscht und Stammesführer umgebracht.

Wie im Irak, in Syrien und Libyen nutzt der IS auch in Afghanistan die Schwäche der Regierung und das Machtvakuum in den Provinzen für sich aus. Ein Bündnis zwischen Taliban und IS scheint es auf absehbare Zeit nicht zu geben, auch wenn die Taliban anfangs Sympathie für den IS in Syrien gezeigt hatten.

Warum geht dem IS scheinbar nie das Geld aus?

Abgesehen von heimlichen privaten Geldquellen vor allem aus den reichen Golfstaaten, hat der IS über die Art und Weise, wie er seine Gebiete „bewirtschaftet“, viele Möglichkeiten entwickelt, Geld zu beschaffen. Daher war die Einführung eines Steuersystems eine der ersten Handlungen in den vom IS besetzten Gebieten. Hinzu kommen die Schutzgelder und Sondersteuern, die den Minderheiten abgepresst werden. Durch die Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile ergeben sich immer wieder Möglichkeiten von Beutezügen und Besitzaneignungen. Auch der Verkauf von historischen und archäologischen Artefakten auf dem Kunstschwarzmarkt ist geradezu mafiaartig organisiert. Schließlich nutzt der IS die Ölquellen im Nordirak. Das Öl wird auf dem Energieschwarzmarkt verkauft. Auch hier scheint der IS über beste Kontakte zu verfügen.

Tatsache ist, dass der IS weltweit vernetzt ist und über ein breites Spektrum an heimlichen Sympathisanten verfügen muss. Hier ist es besonders schwierig einzugreifen, weil die kriminellen Strukturen und Netzwerke erst aufgedeckt werden müssen. In vielen islamischen Ländern ist wegen der Korruption eine Aufklärung schwierig.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Song Mali

"Warum der »Islamische Staat« so gefährlich ist"

Nein, er ist nur deshalb (und scheinbar) so gefährlich, weil die "westliche Wertegemeinschaft" so inkompetent-dilettantisch wie gewollt realitaets- und vernunftsfern handelt, duldet und unterlaesst.
Die FRAGE warum das so ist, kann ich bisher nur nicht beantworten. Auch warum nun gerade diese Politik- und Parteienvertreter in D, wie Europa, stets mehrheitlich gewaehlt werden.

Gravatar: ela

Lieber Alfred,
wann wird denn in deinen Augen das Christentum Vergebung erlangen?
Wie lange muss eine schlimme Sache her sein, wie lange muss man sich beweisen, um endlich Vergebung und Anerkennung in der Bevölkerung zu erlangen?
Die Welt wird mit Sicherheit nicht besser, wenn es das Christentum nicht mehr gibt. Im Gegenteil!
Da muss man sich mal die Mühe machen hinzuschauen.

Gravatar: Hans von Atzigen

Sehr guter Artikel.
Der die genze Problematik in seiner ganzen
Breite und Tiefe vermittelt.
Offenbar können wollen das insbesondere in Europa
Breitere Kreise und Verantwortliche erst schnallen.
Wenn die gaze Sache auch in Europa ganz konkret
und real Auswirkungen auslöst.
Wenig erfreulich, fatal sehr fatal.

Gravatar: Alfred

Jede religiöse Einrichtung ist für einen Staat gefährlich. Das galt auch für das Christentum im Mittelalter und auch heute noch. Deshalb muss endlich die Kirche grundsätzlich vom Staat getrennt werden.
Erstaunlich, wie viele Christen heute noch an Gott und den Teufel glauben. Was wurde in der Schule versäumt.. oder wagt dort keiner den Teufel beim Namen zu nennen?
Ich glaube nur an den Teufel in Menschengestalt.

Gravatar: John Sheridan

"Warum geht dem IS scheinbar nie das Geld aus?" - Weil die Amerikaner immer Geld nachpumpen, man möchte nicht wissen, wieviel Steuergelder von deutschen Arbeitnehmern für so einen Mist verbraten werden, nur damit immer weiter irgendwo 'Krieg' herrscht und der Ami mit seinem Rüstungszeugs weiterhin noch etwas in die Welt verkaufen und Weltpolizei spielen kann.

Gravatar: Michael

Hier wird die ganze Gefahr des Islamismus deutlich!
Islam ist Mittelalter und ich kenne keine islamische Gruppierung, die sich deutlich davon distanziert.
Sie reden immer über friedliche Absichten, aber ändern wollen sie sich nicht und haben sich immer und überall als Parallelgesellschaft etabliert.
Es finden im Islam keine Reformen statt.
Deshalb möchte ich eine Islamisierung in Deutschland nicht haben und kann die Osteuropäer mit der selben Ablehnung verstehen.

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