Volker Becks strategische Überlegungen zur Entkriminalisierung pädosexueller Handlungen

In seinem Text von 1988 setzt sich Volker Beck für die Pädophilen ein. Er sieht in ihnen Bündnispartner für den Kampf um die Gleichstellung der Homosexuellen und die sexuelle Emanzipation.

Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen / flickr.com / CC BY-SA 2.0 (Ausschnitt)
Veröffentlicht:
von

Nachdem die katholische Kirche wegen des durch Priester verübten sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in einer beispiellosen Kampagne quasi besiegt war, kehrte in den Medien eine gewisse Ruhe ein. Allerdings war man offensichtlich darauf aufmerksam geworden, dass auch außerhalb katholischer Einrichtungen nicht alles zum Besten stand und steht, was sich in hier und da veröffentlichten Meldungen über Missbrauchsfälle äußert. Insbesondere die grüne und alternative Bewegung ist dabei verstärkt in den Blick gekommen.

Einer genaueren Würdigung sind die Äußerungen eines prominenten Grünen wert: Volker Beck veröffentlichte 1988 einen Aufsatz, der in dem Band »Der pädosexuelle Komplex« erschienen ist. Hier zeigt er sich als Fürsprecher der Pädophilenbewegung, hat sich inzwischen jedoch eine Rechtfertigung für seinen Einsatz zugelegt: Der Text sei gegen seine Zustimmung veröffentlicht und darüber hinaus verfälscht worden. Außerdem sei er damals zeitbedingten Irrtümern erlegen, denen er aber schon lange abgeschworen habe. Inzwischen sei ihm der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch aber ein Herzensanliegen.

Becks Verteidigungsstrategie kann nicht überzeugen. Es ist zwar möglich, dass er den Text nicht verfasst hat beziehungsweise dass sein Manuskript vom inzwischen verstorbenen Herausgeber verfälscht worden ist. Doch dann ist es schon verwunderlich, dass er vor kurzem gegen die JU Bayerns eine Verfügung erwirkt hat – mit Verweis auf sein Urheberrecht, das durch die nicht genehmigte Veröffentlichung im Internet verletzt worden sei. Ja, was denn nun? Ist er der Urheber oder ist er es nicht? Dass er rechtlich gegen den Herausgeber oder den Verlag vorgegangen sei, wie er selbst behauptet, kann oder will er nicht belegen; es gibt sogar Hinweise, dass das nicht geschehen ist. Es darf also gefolgert werden: Da Beck darüber hinaus nicht erklären kann oder will, welche Partien aus seiner Feder stammen, liegt es nahe, ihm den ganzen Text zuschreiben.

Der Schwulenbewegung auf die Sprünge helfen

Mit seinem Text will Beck der Schwulenbewegung gleichsam auf die Sprünge helfen. Er kritisiert an ihr ihre Selbstbezogenheit, die sich in internen Debatten ohne jedwede Ausstrahlung über die Grenzen der Szene hinaus äußere. Er kritisiert »die zunehmende gesellschaftliche Irrelevanz dieser Diskussion und die daraus folgende Randstellung der Schwulenbewegung innerhalb der neuen sozialen Bewegungen.« Einer Diskussion mit allenfalls symbolischer Wirkung, vor allem nach innen, wo sie von »den meisten Bewegungsfunktionären« zum Vorwand genommen werde, nicht aktiv zu werden und gestaltend in die Politik einzugreifen. Die Folge: »Eine inhaltliche Umsetzung der schwulenpolitischen Programmatik blieb die Schwulenpolitik schuldig, eine Ausweitung der gesellschaftlichen Debatte über (Homo-)Sexualität unterblieb, eine Bündnispolitik wurde nahezu unmöglich.«

Indes hätten zwei Umstände zu einer neuen Lage geführt, die es notwendig erscheinen lasse, sich ernsthaft nach Bündnispartnern umzuschauen: die »politische Wende in Bonn« – gemeint ist wohl der Wechsel von der sozial- zur konservativ-liberalen Bundesregierung unter Helmut Kohl – und das »hysterische AIDS-politische Klima in der Bundesrepublik«. Diese beiden Entwicklungen drohten die bisher erreichten Erfolge wieder rückgängig zu machen. Vor diesem Hintergrund sei es »vielmehr die Frage, wie wir es schaffen, mit der Formulierung einer sachgerechten aktuellen und bündnisfähigen Politik die Schwulenbewegung – angesichts der Neuaufrüstung der Rechten – zu einer relevanten politischen Kraft zu machen.«

Da die Forderung nach Streichung des Strafrechts obsolet, inkonsistent, widersprüchlich und nicht bündnisfähig sei, müsse die Schwulenbewegung einen neuen Weg einschlagen. Er appelliert an sie, »ihrer historischen Aufgabe gerecht [zu] werden, die Angriffe gegen einen Prozess der sexuellen Emanzipation zurückzuweisen«. Auf der Tagesordnung stehe eine »reformistische Formulierung der Politik …, die auch für Teilziele politischen Druck zu entfalten bereit ist und die das sexualpolitische Klima über eine breite Diskussion verändert. Eine solche Diskussion kann aber nur erreicht werden, wenn man zum einen Bündnisse mit anderen Bewegungen sucht, und zum anderen die programmatischen Forderungen in umsetzbaren Forderungskatalogen konkretisiert und sich der inhaltlichen Kleinarbeit am Diskriminierungsalltag widmet.«

Als Konsequenz aus dieser Überlegung sollte die Schwulenbewegung nicht mehr die Abschaffung des Sexualstrafrechts fordern, meint Beck, sondern seine Reform. Dabei sei es am vielversprechendsten, sich auf sexualwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu berufen, also »eine rationale Erörterung der Problematik« anzustreben. Mit Bezug auf die Arbeit eines Sonderausschusses des Bundestages im Jahr 1973 schreibt Beck: »Obwohl dieser Ansatz einer rationalen Auseinandersetzung mit dem Problem des §176 nicht gleich zum Erfolg führte, scheint er mir der einzige Ausgangspunkt für eine tatsächliche Verbesserung der rechtlichen Situation der Pädophilen.«

Anschlussfähige Forderungen formulieren

Eine rationale Debatte führen, die auf empirische Erkenntnisse aufbaut, das ist für Beck die Forderung der Stunde. Diese Aufgabe  ist zwar »sicher diffiziler« als eine pauschale Ablehnung des Sexualstrafrechts, denn es sei »Aufgabe der sexual-emanzipatorischen Bewegungen nachzuweisen, daß es bei gewaltlosen sexuellen Kontakten zwischen Personen über 18 und unter 14 Jahren, sogenannte Erwachsene mit Kindern, zu keinen Schädigungen der sexuellen Entwicklung des Kindes kommt oder kommen muß bzw. das Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, um einen eventuellen Schaden von dem Kind abzuwehren.« Doch sei das unumgänglich, denn die bislang gepflegten Autosuggestionen vom »angeblich essentialistisch beim Kind vorhandenen Bedürfnis nach Sexualität im Sinne des postpubertären Menschen« verfange nicht mehr. Mithin gebe es ja ein »problematische[s] Gefälle zwischen Erwachsenen und Kindern in der pädosexuellen Beziehung«, wie er zugibt.

Doch zu »Aufklärung und Entmythologisierung« gebe es keine Alternative, meint Beck, wenn man »für die Lebens- und Rechtssituation der pädophilen Menschen etwas erreichen will«. Nicht ganz oder gar nicht darf also das Motto lauten, sondern die Schwulenbewegung muss sich auch Zwischenziele setzen. »Als strafrechtliche Perspektive wäre z.B. eine Novellierung ins Auge zu fassen, die einerseits das jetzige ›Schutzalter‹ von 14 Jahren zur Disposition stellt [...] oder auch eine Strafabsehensklausel.« Wäre die ins StGB eingefügt, würde der Kampf um weitere Verbesserungen für Pädophile leichter werden, da die Diskussion in der Gesellschaft in »einem entkrampfteren und weniger angstbesetzten Klima« stattfinden könne. »Eine Strafabsehensklausel [...] würde eine tatsächliche Auseinandersetzung vor Gericht und [...] in der Öffentlichkeit um die Frage einer eventuellen Schädigung eines Kindes durch sexuelle Kontakte mit einem Erwachsenen ermöglichen.«

Doch mit wem könnte dieses Ziel – »die Entkriminalisierung von unproblematischen sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern« – erreicht werden? Es ist die Frauenbewegung und die Prostituierten, mit denen »der solidarische Dialog« gesucht werden müsse. Die Partei der Grünen hält Beck indes für keinen geeigneten Bündnispartner. »Seit dem Lüdenscheider Papier [...] führen die GRÜNEN flügelübergreifend einen ängstlichen Abwehrkampf gegen die Behauptung der Union, sie wollten ›Kinderschänder‹ frei herumlaufen lassen.« Deshalb erwartet Beck in Sachen Entkriminalisierung pädosexueller Handlungen von ihnen auch keine Hilfe. Zwar hätten sie sich für die Rechte der Homosexuellen stark gemacht, doch das »Lüdenscheider Debakel« habe »eine nüchterne Betrachtung der Pädosexualität auf Jahre hinein unmöglich gemacht. ›Lüdenscheider Zustände‹ ist das Mahnwort zur Disziplin auf manchem GRÜNEN Parteitag.«

Unter diesen Umständen ist die Lage der Homo- und Pädosexuellen in Becks Augen schwierig, aber, wie er zu erkennen gibt, nicht hoffnungslos. In Homosexuellen, Frauen und Pädophilen sieht er Gruppen mit demselben Interesse. Wenn man gemeinsam § 175 StGB bekämpfe und seine Abschaffung erreiche, werde man »das Zementieren eines sexualrepressiven Klimas verhindern können – eine Voraussetzung, um eines Tages den Kampf für die zumindest teilweise Entkriminalisierung der Pädosexualität aufnehmen zu können.«

Zusammenfassung und Bewertung

Becks strategischen Überlegungen zur Entkriminalisierung der Pädosexualität nehmen ihren Ausgang bei der Stagnation oder gar dem Rückschritt bei der rechtlichen Gleichstellung von Homosexuellen. Das ist nach Beck zwei Ursachen geschuldet: zum einen dem zunehmend repressiven sexualpolitischen Klima, das unter der konservativ-liberalen Bundesregierung Einzug gehalten hat, und der Unfähigkeit der Homosexuellen, anschlussfähige Forderungen zu entwickeln. Deshalb empfiehlt Beck den Homosexuellen, den Schulterschluss mit den Pädophilen und den Frauen zu suchen, weil die, so seine Unterstellung, dasselbe Ziel verfolgen. Was die Frauen angeht, sieht er noch gewisse Schwierigkeiten, doch bei den Pädophilen ist er optimistischer, weil er hier größere Überschneidungen sieht. Gemeinsam gilt es, das Klima weniger repressiv zu machen und die bestehenden Diskriminierungen zu beseitigen.

Was die Frauen angeht, so hat sich Beck – rückblickend – geirrt. Die wollen nicht so recht, vor allem nicht mit den Pädophilen. Alice Schwarzer, die Ikone der Frauenbewegung, schreibt seit vielen Jahren gegen die pädophilen Argumente an. Doch was die anderen Ideen angeht, gibt Beck die Geschichte recht. Es ist den Homosexuellen gelungen, ihre Interessen anschlussfähig zu formulieren und eine weitgehende Gleichstellung zu erreichen. Diskriminierung ist geächtet, das Institut der Ehe entkernt – fehlt nur noch das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Auch die Strategie, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu berufen, hat funktioniert. Das sieht man an den immer neuen erfolgreichen Versuchen, Kinder bereits im Grundschulalter und früher zum Entdecken ihrer Sexualität zu animieren. Gisela Bleibtreu-Ehrenberg schrieb 1985 in ihrem Aufsatz »Der pädophile Impuls. Wie lernt ein junger Mensch Sexualität?«: »Kinder müssen Sexualität vor ihrer eigentlichen Geschlechtsreife lernen, um sie im Erwachsenenalter konfliktfrei ausüben zu können.«

Fragt sich bloß, was das für die Entkriminalisierung pädosexueller Handlungen bedeutet. Wann wird »es« soweit sein?

Die Bedeutung von Becks Text liegt darin, anschaulich gemacht zu haben, dass die Forderung nach Befreiung der Sexualität (oder wie immer man das formuliert) immer auch eine Unterstützung der Pädophilen bedeutet – die wollen ja dasselbe. Inzwischen zieht man allerdings die Pädophilen nicht mehr ausdrücklich in das Konzept der Befreiung ein, denn das würde in der Öffentlichkeit vermutlich auf ein gewisses Unverständnis stoßen. Heute weht der Wind ein bisschen anders. Doch er weht anscheinend noch nicht stark genug, um die Verfechter der sexuellen Befreiung zu einer ausdrücklichen Verurteilung pädophiler Handlungen zu bewegen. Die stellen immer nur eine ultimative Forderung – z.B. die nach »selbstbestimmter Sexualität« – auf und ergänzen allenfalls auf Nachfrage, dass sie natürlich nicht für Pädophile gelte. Dieses ständige Augenzwinkern haben die Pädophilen sehr gut verstanden.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Black Swan

Die, genauso wie die Piraten, schrecken auch vor Sodomie keinen Augenblick zurück!

Gravatar: adlerauge

Kann man denn dem Burschen nicht strafrechtlich am Zeug flicken?

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang