Chaos in Syrien geht unvermindert weiter: Waffenruhe gescheitert

USA beschuldigen syrische Regierungstruppen, UN-Konvoi beschossen zu haben

Nachdem US-Streitkräfte syrische Truppen mit IS-Terroristen „verwechselt“ hatten, wird den syrischen Truppen vorgeworfen, einen UN-Hilfskonvoi beschossen zu haben. Waffenruhe ist nun auch offiziell beendet.

Foto: watchsmart/flickr.com/CC BY 2.0
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Es war große Hoffnung verbreitet worden. Doch diese Hoffnung war naiv. Letzte Woche war eine Waffenruhe in Kraft getreten. Die USA und ihre westlichen Verbündeten, Russland, die Assad-Regierung in Damaskus und verschiedene Rebellengruppen hatten erklärt, die Waffen vorerst ruhen lassen zu wollen. Lediglich die radikalen Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) und der Al-Nusra-Front (jetzt auch Dschabhat Fatah ash-Sham genannt) waren davon ausgenommen. Noch am Freitag hatte der UN-Sicherheitsrat auf die Bedeutung der Waffenruhe hingewiesen: Es sei die letzte Chance, den Krieg in Syrien zeitnah zu beenden. Die ganze Welt schaue nach Syrien, hieß es.


Doch nun sind alle Hoffnungen zertrümmert worden. Letzte Woche fing es mit israelischen Luftangriffen auf syrische Stellungen in der Nähe der Golanhöhen an. Dies war ein Vergeltungsakt auf einen Granatangriff, den syrische Truppen auf israelisches Territorium abgefeuert haben sollen. Dann kam es immer wieder zu kleinen Zwischenfällen seitens der angeblich „moderaten“ Rebellengruppen. Moskau hatte Washington vorgeworfen, die moderaten Rebellen nicht im Zaume zu halten. Wladimir Putin und sein Außenminister Sergei Lawrow verdächtigten die USA, auch radikale Islamisten zu unterstützen, um die syrischen Regierungstruppen in Schach zu halten. Die Amerikaner würden zu wenig zwischen moderaten Rebellen und Islamisten unterscheiden. Für die radikalen Islamisten galt die Waffenruhe nicht.


Die Spannung wurde zum Wochenende unerträglich, weil jedes der kleinen Scharmützel die Waffenruhe insgesamt gefährden könnte. Gleichzeit warteten mehrere Regionen in Syrien auf UN-Hilfs-Konvois, um die dringend benötigte humanitäre Hilfe zu den geschundenen Orten zu bringen und den Zivilisten zu helfen. Besonders die östlichen Bezirke von Aleppo sollten Hilfslieferungen bekommen.


Dann kam der schreckliche Vorfall am Samstag. Die US-Luftwaffe soll bei einem Luftangriff mindestens 60 syrische Soldaten getötet und über hundert verletzt haben. Grund des Vorfalls sei angeblich eine Verwechslung gewesen. Die Amerikaner behaupteten, die Truppen für Terroristen des IS gehalten zu haben. In der Region hatten sich syrische Regierungstruppen und Dschihadisten bekämpft. Moskau warf Washington vor, der Vorfall sei eine Konsequenz der Weigerung der USA, sich mit den russischen Truppen über die militärischen Operationen in Syrien genauer abzusprechen.


Nun kam ein neuerlicher Schock hinzu. Fahrzeuge der UN-Hilfs-Konvois wurden angegriffen. Dutzende Menschen kamen ums Leben. Mehrere Lastwagen wurden zerstört. Es ist noch unklar, ob der Konvoi vom Boden oder von der Luft aus beschossen wurde. Sowohl die syrische Armee als auch die russischen Truppen wurden beschuldigt. Russland hat jede Mitverantwortung für diesen Vorfall von sich gewiesen. Doch die USA fordern, dass Russland auch dann Mitverantwortung tragen müsse, wenn dessen Verbündeter, die Truppen des Regimes von Bashar al-Assad, das Verbrechen begangen haben. Allerdings bestreiten auch diese eine Beteiligung. Moskau ließ die Vermutung verbreiten, dass es sich auch um Ausbruch eines Feuers gehandelt haben könnte.


Auf jeden Fall ist die Waffenruhe nun offiziell beendet. Die syrische Regierung hatte bereits nach dem Angriff durch US-Flugzeuge die Waffenruhe für beendet erklärt. Damit geht der Krieg wieder seinen blutigen Weg.


Lage in Syrien bleibt brandgefährlich


Bei den Verhandlungen und Gesprächen der Vereinten Nationen in New York ist Syrien ein Top-Thema. Jeder weiß, dass davon der Weltfrieden abhängen kann. Vor der UN betonte US-Präsident Barack Obama, dass der Krieg in Syrien auf keiner Seite mehr militärisch gewonnen werden könne. Nur die Diplomatie könnte dem grausamen Krieg ein Ende bereiten.


Unterdessen hatten sich die Außenminister der Großmächte getroffen. In New York berieten Sergei Lawrow und sein amerikanischer Kollege John Kerry die Lage in Syrien. Außerdem trafen sich die beiden Politiker mit weiteren rund zwanzig Außenministern von Staaten, die am Syrien-Konflikt direkt oder indirekt beteiligt sind, wie beispielsweise die Türkei, Iran, Saudi-Arabien.


Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, rief alle beteiligten und einflussreichen Staaten und Kriegsparteien dazu auf, diesen Krieg endgültig zu beenden. In den sechs Kriegsjahren seien bereits mehr als 300.000 Menschen ums Leben gekommen. Wann immer man glaube, es könne nicht schlimmer kommen, würde es noch schlimmer werden. Das Töten müsse ein Ende haben.


Ende eines chaotischen Krieges durch Erschöpfung aller Beteiligten?


Der Krieg in Syrien erinnert immer mehr an den Dreißigjährigen Krieg in Europa. Die Zahl der Kriegsparteien ist zu groß, die Fronten zu unübersichtlich, die Lage so verworren, die Ziele so unterschiedlich, dass für keinen der beteiligten Staaten und Milizen-Gruppen noch eine realistische Chance auf einen Sieg gegeben ist.


Der Krieg in Syrien ist ein multipler Proxykrieg auf mehreren Ebenen. Auf lokaler und regionaler Ebene bekämpfen sich nicht nur die syrische Regierung und die Opposition, sondern zahlreiche unterschiedliche Rebellengruppen, Dschihadisten und Revolutionäre mit unterschiedlichen Zielen. Hinzu kommt der konfessionelle Glaubenskrieg des radikal-sunnitischen „Islamischen Staates“ (IS) gegen Schiiten, Alawiten und Drusen.


Auf überregionaler Ebene ist der Syrien-Krieg ein Stellvertreterkrieg, bei dem Saudi-Arabien, die Türkei, Israel und der Iran ihre Hände mit im Spiel haben. Hier ist das Schlachtfeld zwischen zwei Machtblöcken: Dem schiitschen Bogen vom Iran, über den schiitischen Südirak und dem alawitischen Assad-Clan bis hin zu den schiitischen Hisbollah im Libanon, die immer wieder im Syrien-Krieg eingreifen. Dem schiitischen Bogen gegenüber stehen die die Gegner des Iran, allen voran Saudi-Arabien und Israel.


Ebenfalls auf überregionaler Ebene spielt der Konflikt der Kurden gegen den IS und zwischen den Kurden und der Türkei eine wichtige Rolle. Die Türkei verfolgt ganz eigene Interessen, die den Krieg in Syrien eher anheizen statt einzudämmen. Denn vor allem geht um Einfluss unter den Sunniten der Region und um Eindämmung der kurdischen Autonomiebestrebungen im Nordsyrischen Rojava, das als Rückzugsgebiet der PKK dient.


Auf globaler Eben ist der Krieg in Syrien ein Machtkonflikt zwischen den USA und Russland. Das Regime von Baschar al-Assad ist der einzige treuer Verbündete Moskaus in der Region. Diese Verbindung hat jahrzehntelange Tradition. Als die Golfstaaten ihre Pläne zum Bau von Erdgas-Pipelines von Katar über Saudi-Arabien und Syrien in die Türkei und von dort nach Europa erwogen, handelte die syrische Regierung ganz im Sinne Moskaus. Denn die Pläne gefährdeten Russlands wichtige Erdgas-Exporte nach Europa. Wegen der engen Verbindungen zu Moskau war die Assad-Regierung in Damaskus den USA schon lange ein Dorn im Auge.


Hinzu kommt der unglückliche Umstand, dass alle radikal-islamistischen Ableger von Al-Qaida (IS und Al-Nusra) Syrien zum Schauplatz eines heiligen Krieges gegen den Rest der Welt gemacht haben. Ohne die obig beschriebenen Verquickungen wäre niemals das Machtvakuum entstanden, das den Dschihadisten diesen Machtzuwachs und Erfolg beschert hat. Doch eine erfolgreiche Bekämpfung der Terrormilizen ist nur möglich, wenn die syrische Regierung, die USA und Russland sich einigen und an einem Strang ziehen. Dann würden auch Saudi-Arabien und der Iran ihren Einfluss nicht mehr geltend machen können.


Vielleicht führt die Erschöpfung und Aussichtslosigkeit dazu, dass man zur „Reduktion von Komplexität“ übergeht und sich gemeinsam auf den Kampf gegen des IS konzentriert. Dies wäre auch die einzige Möglichkeit, die humanitäre Katastrophe zu beenden und die Flüchtlingsströme aus der Region zu stoppen.



 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Na ist denn das...
Sobald alle aus Syrien raus sind und das Öl unter den Weltgeiern aufgeteilt ist kümmert keinen mehr was aus den Flüchtlingen wird.Alle die dabei draufgehen werden...Christen oder Islam gehören dann zum Kollateralschaden.

Gravatar: Karin Weber

Kennen wir alles schon. Stichwort "MH17". Schon vor Jahren, als die USA mit den angezettelten "Studentenprotesten" den Bürgerkrieg in Syrien lostrat, soll Assad "Giftgas" gegen seine Bürger eingesetzt haben. Eine Menge Geschrei der US-Claqueure, aber einen Tatsachenbeweis hat man nie erbracht. Auch in diesem aktuellen Fall halte ich das wieder für eine US-Finte, um dort im eigenen Interesse Stimmung zu machen und gegen Russland/Syrien zu polarisieren. Man will ja die eigenen Verbrechen unter diesem Deckmantel legitimieren.

Die USA ist Kriegstreiber Nr. 1 auf dieser Welt. Wenn Merkel von Obama vor der UN gelobt wird, dann spricht das Bände.

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