Nahostkrise

Syrien und Irak im Tal der Tränen

Millionen Flüchtlinge, hunderttausende Tote, verfolgte Minderheiten, verseuchte Umwelt, Kulturgüter aus 6.000 Jahren Geschichte zerstört. Irak und Syrien sind Schatten ihrer selbst geworden.

Veröffentlicht:
von

Das Zweitromland und die Levante sind die Wiege der Menschheit. Hier entstanden die ersten Hochkulturen, die ersten Städte, hier wurden die Schrift und das Rad erfunden. Der Vordere Orient ist das Mutterland der morgenländischen und abendländischen Zivilisation. Sowohl die Bibel und als auch die klassische Antike fußen auf altorientalischem Erbe.

Heute sind Syrien und der Irak zum Vorhof der Hölle geworden. Während der Irak bereits seit Jahrzehnten ausblutet, holt Syrien in großen Schritten auf. Der Terror ist allgegenwärtig. Ein normales Leben ist für die Menschen nicht möglich. Ihre Zukunft ist ungewiss.

In Syrien sind seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 mehr als 200.000 Menschen ums Leben gekommen. Rund 3 Millionen haben das Land verlassen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Syriens hat ihr Hab und Gut verloren und musste die Heimat aufgeben. Sie sind zu Verwandten in andere Städte geflüchtet oder ziehen obdachlos durchs Land. Allein während des vergangenen Wochenendes sind fast 100.000 syrische Kurden über die Grenze in die Türkei geflohen – aus Furcht, von der radikalen Terrormiliz des IS massakriert zu werden.

Krieg, Krieg, Krieg und kein Ende in Sicht

Die Kriegsparteien in Syrien sind die Regierungstruppen des Staatspräsidenten Baschar Al-Assad, die Freie Syrische Armee (FSA), die Al-Nusra-Front, die Islamische Front und die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS, vormals ISIS, ehemals Ableger von Al-Qaida). Hinzu kommen noch die Kämpfer der kurdischen YPG, die von der PKK unterstützt wird, sowie örtliche Freischärler und Bürgerwehren der Minderheiten. Die syrischen Regierungstruppen werden von Hisbollahmilizen aus dem Libanon unterstützt. Mittendrin in den Bürgerkriegswirren tummeln sich freiwillige Kämpfer aus aller Welt und Undercoveragenten aus verschiedenen Staaten.

Russland und der Iran unterstützen offen die Regierung von Baschar Al-Assad. Die traditionell guten Beziehungen zwischen Damaskus und Moskau bestanden bereits zur Zeit der Sowjetunion. Auch die Beziehungen zwischen Damaskus und Teheran sind seit Jahrzehnten eng geknüpft. Die syrische Minderheit der Alewiten, zu welcher auch der Regierungsclan der Assads gehört, steht der schiitischen Glaubensauslegung des Islam nahe. Sowohl Syrien als auch der Iran unterstützen die schiitische Hisbollahbewegung im Libanon, die auch gegen Israel gerichtet ist.

Die USA und Israel befürworten ein schnelles Ende des Assad-Regimes. Doch nun befinden sich beide Staaten in der Zwickmühle. Denn niemand möchte radikalfundamentalistischen Terrorarmeen wie IS zur Macht verhelfen. So bleibt vorerst nur die Fortsetzung des Konfliktes, bei der man weder der einen noch der anderen Seite zum Sieg verhelfen möchte.

Mehr als 30 Jahre Krieg und Elend im Irak

Das heutige Bild des Irak dagegen ist das Ergebnis der Folgen des Ersten Golfkrieges gegen den Iran (1980-1988), des Zweiten Golfkrieges gegen eine westliche Allianz unter der Führung der USA (1990-1991), der jahrelangen UN-Sanktionen gegen den Irak während der 1990er Jahre, dem Irakkrieg (2003), der jahrelangen Besetzung durch die USA (2003-2011) und der seit 2003 andauernden Anschläge durch Terrornetzwerke, die dort nach dem Chaos des Irakkrieges und dem daraus entstandenen Machtvakuum ein neues Betätigungsfeld gefunden haben.

Zusammenfassend kann man feststellen: Krieg und Terror im Irak dauern mittlerweile länger an als der Dreißigjährige Krieg im Heiligen Römischen Reich (1618-1648), nur dass im Irak nach 34 Jahren noch kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen ist. Damit sind mindestens zwei Generationen hoffnungslos verloren.

Die Spaltung des Irak verfestigt sich

Der Irak ist ein Kunstgebilde aus britischer Mandatszeit. Die ehemaligen osmanischen Provinzen von Mossul, Bagdad und Basra wurden zu einem künstlichen Nationalstaat zusammengeführt und Kuwait von der Provinz Basra abgetrennt. Die Grenzen waren zunächst durch das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zwischen Frankreich und Großbritannien, dann durch Verwaltungsakte des britischen Kolonialministeriums gezogen worden.

Damit wurden die sunnitischen Araber des Nordwestens, die sunnitischen Kurden des gebirgigen Nordostens und die schiitischen Araber der südmesopotamischen Ebene einer zentralen Regierung unterstellt, die von Anfang an Probleme mit der gleichberechtigten Berücksichtigung der Glaubensrichtungen, Ethnien und Stämme hatte.

Systematische Ausrottung der Minderheiten

Nicht alle Gebiete sind den radikal-sunnitischen Salafisten des IS und ihren Bündnisgenossen ausgeliefert. Die Kurden im Nordosten des Irak sind gut gerüstet. Ihre Peschmerga sind bis an die Zähne bewaffnet. Weitere Waffenlieferungen aus dem Westen sollen folgen. Auch der schiitische Süden des Irak steht noch wehrhaft beisammen. Er wird unter anderem vom Iran unterstützt.

Doch im sunnitisch-arabischen Nordwesten des Irak und beinahe in ganz Syrien sind alle religiösen und ethnischen Minderheiten der Verfolgung ausgesetzt. Dies sind vor allem die muslimischen Schiiten, Drusen und Alewiten sowie die Jesiden, Juden und christlichen Minderheiten, wie beispielsweise die Anhänger der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Melkitisch-Katholischen Kirche, Maronitischen Kirche, Assyrischen und Chaldäischen Kirche sowie der Armenisch-Apostolischen Kirche.

Die Grausamkeit der Fundamentalisten bei ihrer Verfolgung der Minderheiten erinnert an dunkle Zeiten des Mittelalters. Ihre Opfer werden nicht nur erschossen, sondern oftmals gefoltert, lebendig begraben, mit Benzin übergossen und angezündet oder enthauptet. Junge Mädchen und Frauen werden gefangen genommen und als Bräute verkauft. Mit den Erlösen des Frauenhandels wird weiterer Terror finanziert.

6.000 Jahre Kulturgeschichte zu Staub zerfallen

Neben Ägypten gehören Syrien und der Irak zu den archäologischen Schatzkammern des Vorderen Orients. Zwischen Euphrat und Tigris und in der Levante blühten vor Jahrtausenden einst die Zivilisationen der Sumerer, Akkader, Babylonier, Assyrer, Chaldäer und Aramäer.

Berühmte Ausgrabungsstätten sind Babylon, Ur, Uruk und Assur – allesamt Namen, die aus dem Alten Testament geläufig sind. Millionen Museumsbesucher kennen das berühmte blaue Ischtar-Tor aus Babylon, das heute im Berliner Pergamonmuseum steht.

Hunderte alte Siedlungshügel (Tells genannt) hatten die Archäologen in Syrien und im Irak ausgegraben und erforscht. Einzigartige Kunstwerke kamen zum Vorschein, die heute im Britischen Museum zu London, im Pariser Louvre und in Berlin zu besichtigen sind. Ein großer Teil der Funde verblieb im Irak und in Syrien. Dort wurden sie entweder in Magazinen gelagert oder beispielsweise in den Museen von Bagdad und Damaskus aufbewahrt.

Mit dem Golfkrieg, der Sanktionszeit und dem Irakkrieg wurden die Kunstschätze zu Raubgütern. Museen wurde geplündert, Ausgrabungsstätten von Raubgräbern durchwühlt, teils mit Bulldozern umgegraben, die Funde auf dem Schwarzmarkt verkauft, oft einfach zerstört. Während der US-amerikanischen Besatzung kam es vor, dass die Amerikaner dem Treiben zusahen und nicht eingriffen.

Der Irak wurde zum Albtraumland der Archäologen, die mit ansehen mussten, wie die Hinterlassenschaften der Wiege der Menschheit der Plünderung anheim fielen. Syrien blieb zunächst davon verschont. Doch mit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges sind auch dort die Kulturgüter der Plünderung und Zerstörung freigegeben. Terroristen rauben die Museen und Ausgrabungsstätten aus, um mit den schwarz gehandelten Kunstgegenständen ihrer Terrorkrieg zu finanzieren.

Neben den unermesslichen Schätzen der altorientalischen Kulturen sind in Syrien und im Irak auch die Bauten und Kunstschätze der klassisch-griechisch-römischen Antike, des byzantinischen Christentums, der Perser und Parther und des islamischen Mittelalters betroffen. Arabische Medinas wie jene berühmte von Aleppo wurden in einen Trümmerhaufen verwandelt. Die älteste Kulturregion der Welt verliert einzigartige Zeugnisse. Dies ist ein Verlust für die ganze Menschheit.

Umweltzerstörungen wirken lange nach

Die zahlreichen Kriege im Irak haben schwere Schäden hinterlassen. Phosphorbomben und uranangereicherte Munition haben zur Kontamination ganzer Städte und Gebiete geführt. Im irakischen Falludscha sind bereits mehr Fehlgeburten, Todgeburten, genetisch bedingte Behinderungen und schwere Krebserkrankungen zu verzeichnen als nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Die Missbildungen bei totgeborenen Babys sind teilweise so bizarr, dass es hierfür keine aufgezeichneten medizinischen Präzedenzfälle gibt. Hinzu kommt, dass ganze Landstriche mit Minen und Blindgängern durchsiebt sind. Immer wieder werden Menschen durch Explosionen zerfetzt.

Auch der Bürgerkrieg in Syrien hinterlässt nachhaltige Spuren der Verwüstung und Verseuchung. Die Giftstoffe zerstörter Industrieanlagen dringen ungefiltert in die Böden. Nicht gezündete Bomben geben Giftstoffe und Schwermetalle frei. Durch den Zusammenbruch der sanitären Infrastruktur breiten sich Seuchen aus, Trinkwasser kann nicht gereinigt werden, Abfälle verteilen sich auf den Straßen und verseuchte Flüssigkeiten sickern ins Grundwasser.

Verlorenes Land?

Die Menschen in Syrien und im Irak wurden ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft beraubt – ein genozidartiges Elend, an dem der Westen mit seinen kolonialen Grenzziehungen, Erdölkriegen und Undercoveraktionen eine schwere Mitschuld trägt.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: harald44

Entscheidenden Anteil daran tragen mal wieder die ewigen Kriegshetzer aus den USA und GB! Es genügt nämlich nicht unliebsam gewordene, aber stabile Regierungen in Lybien, dem Irak (auf Wunsch Israels!) und Syrien (geplant) mit Marschflugkörpern und Flugzeugen von sicheren Flugzeugträgern auf dem Mittelmeer abgefeuert, zu zerstören, um sich danach wieder zurückzuziehen, denn wenn man eine vorhandene funktionierende Ordnung zerstört, dann machen sich Räuberbanden und Mordbuben breit, weil eben niemand mehr da ist, der sie unten hält.
Wen das BRD-Regime weiterhin mit den Killermächten USA und GB paktiert, dann wird sie selbst zu einer Killermacht werden. denn man kann nicht zu einer Räuberbande gehören, ohne selbst zum Räuber zu werden.
Seit diesen Geschehnissen der letzten fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahren verstehe ich unseren letzten freien deutschen Kanzler immer besser und wie recht er doch hatte.

Gravatar: Ben Goldberg

Was gern vergessen wird, ist der Fakt, dass es in diesem Gebiet nie eine 'Aufklärung' im Sinne der Europäischen Renaissance gegeben hat. Insofern ist die stabilste Regierungsform in diesen Breiten eine klassische Diktatur mit für uns mittelalterlich anmutenden Zügen.
Eventuell hat der ein oder andere 'Geo -Stratege' in den letzten 10 Jahren verstanden, dass sich ein in Europa über Jahrhunderte gewachsenes System des Miteinander nicht in jede beliebige Region dieser Welt transportieren lässt.
In diesem Sinne gebe ich Frau Weber vollkommen Recht. Saddam Hussein und sein Regime waren abscheuliche Konstruktionen. Aber wo stehen wir heute?

Gravatar: HARTWIG GERDES

22 9 14

Die Kontrollsysteme aller Staatsgemeinschaften und Gesellschaftsschichten sind wie festgefroren, weil die alten Glaubensvorschriften von Befehl und Gehorsam nicht mehr zu dem Zeitgeist passen, der das nun erscheinende Zeitalter des Wassermanns, das für Grenzüberschreitung und Auflösung alter Ideologien steht, prägen wird.

Anstatt von fremdbestimmenden und menschenverachtenden Mächten aufgezwungenen Glaubensritualen verführt und manipuliert zu werden, haben die Menschen nun weltweit mit Methoden der Selbstheilung wie Reflexion, Meditation, Kontemplation und Yoga vor allem über das Tor des Internet die Möglichkeit, sich als selbsbestimmende Individuen zu erkennen und ihre Geschicke und die ihrer Mitmenschen in die eigene Hand zu nehmen.

Der einzelne Mensch wird durch mitfühlende Anteilnahme und solidarisches Verhalten überall auf der Welt mehr und mehr zu sich selbst erwachen und mit Gleichgesinnten die bisher praktizierten Zwänge der Selbstaufgabe und Sklaverei durch Erlernen eines sich selbst bewussten Daseins sprengen, um für sich und andere Lebewesen eine lebenswerte und gerechte Welt in Selbstverantwortung und Mitverantwortung zu errichten.

Was wir in Krisengebieten des Islam und weltweit in anderen Katastophenregionen der
Welt tagtäglich vorgeführt bekommen, sind verzweifelte letzte Machtkämpfe zwischen obsoleten verbrauchten Systemen um unzeitgemäße ideologische Vorherrschaft mit Ausbeutungscharakter. Sie wird in dieser Zeit des Übergangs leider noch viele Opfer fordern, ehe humane Vernunft und spirituelle Kräfte der Aufklärung die Oberhand gewonnen haben.

Aktionen wie der Marsch für das Leben in Berlin mit 5000 Teilnehmern legen ein Zeugnis dafür ab, dass immer mehr Menschen die Zeichen der Zeit erkannt haben und sich dem Zeitgeist für eine gerechte und friedliche Welt öffnen.

Gravatar: Karin Weber

Also Saddam Hussein mag zweifelsfrei ein Diktator gewesen sein, aber manchmal bin ich mir nicht mehr so sicher, ob´s den Leuten damals nicht besser ging als heute. Nicht das ich solche System u. Diktatoren gutheiße, aber wer dieses Leid, Elend und Zerstörung sieht, der gibt mir sicher recht, dass auch diese "Friedensmission" der Amerikaner ein Schuss in den Ofen war.

Gravatar: klartexter

Der völkerrechtswidrige von den USA geführte Krieg gegen den Irak sowie die Unterstützung der syrischen Opposition gegen Assad, sind die Geburtshelfer von ISIS bzw. dem IS und anderer radikaler Islam und Scharia Anhänger. Der Sprung nach Europa wurde vom IS angekündigt. Es geht schon lange nicht mehr um die Frage, wie man mit den Flüchtlingsströmen fertig wird, sondern darum, ob und wie man mit dem IS in den vom IS terrorisierten Staaten und den unzähligen Kämpfern und Sypatisanten in Europa jemals fertig werden soll. Mit Fliegern und Bomben? Es wurde versämt in Europa einen Riegel bei der Zuwanderrung von Muslimen vorzuschieben. Stattdessen nimmt man weitere muslimische Bürgerkriegsflüchtlinge aus Arabien und Afrika auf und was und wie weiter. Es gibt keine Konzepte, nur die Aussicht auf die Kollision mit der Gastgesellschaft, was so sicher ist, wie das Amen in der Kirche. Wäre es nicht besser und kostengünstiger, würde man in der Türkei Flüchtlingslager einrichten und die Menschen dort mit den notwendigen Dingen zum Leben versorgen. Warum fordert niemand von den USA eine Kostenbeteiligung, als Zeuger der Terrorgruppen.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang