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Sind Sie ein Verschwörungstheoretiker?

Sie interessieren sich für Politik? Sie wollen Zusammenhänge verstehen? Sie hinterfragen die Berichterstattung in den Leitmedien? Vorsicht! Man könnte Sie für einen Verschwörungstheoretiker halten.

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Das Jahr 2014 hat es in sich. Es ist nicht nur das Jahr der Erinnerung an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und dem Fall der Mauer vor 25 Jahren. Es ist auch das Jahr, in dem sich, wie selten zuvor, eine Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung auftut.

In den Leitmedien sind dieses Jahr Schubladenbegriffe inflationär gebraucht worden, die große Chancen haben, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden. Die Top-Kandidaten sind »Putinversteher«, »Populist«, »NATO-Versteher« oder »Verschwörungstheoretiker«.

Dieser Prozess ist mehr als bedenklich. Er wirft grelles Licht auf eine zunehmende Polemisierung der öffentlichen Politikdebatte. Statt sich intellektuell scharfe Duelle mit Sachargumenten und Fakten zu liefern, wird mit Assoziationen, Verleumdungen und Etikettierungen um sich geworden. Schublade auf, Kontrahent rein, Schublade zu. Das ist die neue Form der unsachlichen Auseinandersetzung.

Egal ob Kritik am Euro, an der EU, an der Ukrainepolitik, an den Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen: Wer auch immer vom vorgegeben Meinungskurs abweicht, muss sich heftige Vorwürfe anhören. Wie kann es sein, dass jemand eine eigene Meinung vertritt? Besonders problematisch wird es dann, wenn es sich bei den Abweichlern um einen großen Teil der Bevölkerung handelt, vielleicht sogar um die Bevölkerungsmehrheit, die nur nicht gefragt wird.

Wenn dann über diese Meinungen hinweggegangen wird, die vorgegebenen Entscheidungen getroffen werden und die neue Politik auf den Weg gebracht wird, stellen sich schon viele Menschen die Fragen: Wer steckt dahinter? Cui bono? Warum sind diese und jene Verhandlungen so geheim? Warum dürfen die Bürger nicht darüber abstimmen? Warum wird in den Leitmedien über dieses oder jedes Thema auffällig wenig oder nur einseitig berichtet?

Doch hinterfragen ist nicht erlaubt. Man könnte in den Verdacht geraten, ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Das wirft eine interessante Frage auf: Ab wann ist man ein Verschwörungstheoretiker?

Was sind eigentlich Verschwörungstheorien?

Verschwörungstheorien hat es schon immer gegeben. Die Vorstellung, dass einem Ereignis oder einer Kette von Ereignissen eine Konspiration zugrunde liegt, muss nicht immer abwegig sein. Manchmal können sie ein Anfangsverdacht sein, der sich durch Indizien erhärten lässt.

Doch oft enden sie in einer monokausalen Kette von irrationalen Erklärungsversuchen. Schließlich entsteht ein Verschwörungsmythos, der sich allein aufgrund seiner Verbreitung und Anhängerzahl kaum noch rational eindämmen lässt.

Bekannte Verschwörungstheorien ranken um den Mord an John F. Kennedy, um die erste Mondlandung oder um mögliche Konspirationen rund um die Anschläge des 11. Septembers 2001. Manche Verschwörungstheorien können sich in Verschwörungsideologien manifestieren. Das kann schwerwiegende Folgen haben, wie sich im Falle der antisemitischen Wahnvorstellung von einer angeblichen jüdisch-zionistischen Weltverschwörung gezeigt hat.

Komplexitätsreduktion als Erklärungshilfe

Der Soziologe Niklas Luhmann hatte einst den Terminus »Reduktion von Komplexität« geprägt. Er meinte damit, dass Menschen dazu neigen, komplexe Zusammenhänge auf einfachere Begriffssysteme, Denk- und Erzählmuster zu reduzieren. Denn je einfacher das Weltbild, desto leichter lassen sich die Dinge (scheinbar) erklären.

Nun ist die Gesellschaft komplex. Machtstrukturen sind schwer zu durchschauen. Transparenz gibt es nur in bestimmten Institutionen. Wichtige Entscheidungen in der Politik und Wirtschaft werden nach wie vor in Hinterzimmern getroffen. Der Einfluss von Interessengruppen auf Entscheidungsprozesse ist nicht immer erkennbar.

Eigentlich wäre es Aufgabe des Journalismus, diese Strukturen transparent zu machen und die Bürger an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Aufklärungsarbeit statt Verschleierung.

Am Beispiel der aktuellen TTIP-Verhandlungen hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung der Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse nicht erwünscht ist. Sonst wären die Verhandlungen nicht geheim gelaufen, sonst hätte es eine umfassendere öffentliche Aufklärung und Debatte gegeben.

Doch die PR-Industrie der beteiligten Regierungen, Institutionen und Konzerne hat sich nicht um Aufklärung und Debatte bemüht, sondern eine Image-Kampagne gestartet. TTIP sei gut. Die Gegner des TTIP seien verschwörungstheoretische Spinner.

Apropos Image-Kampagne: Was ist der Unterschied zwischen Propaganda und Public Relations? Richtig: Es gibt keinen. Beides ist Werbung. Es wird nicht nur für Produkte, sondern auch für Ideen, Gedanken und Weltbilder geworben. In einer freien Gesellschaft darf jeder um Aufmerksamkeit für seine Ansichten werben.

Emotionen statt Aufklärung

Der US-amerikanische Linguist und politische Aktivist Noam Chomsky hat es auf den Punkt gebracht, als er sinngemäß sagte, das Bemühen von Werbung und Propaganda sei, eine nicht informierte Öffentlichkeit zu schaffen, die irrationale Entscheidungen trifft. Wirkliche Aufklärung sei aber, eine informierte Öffentlichkeit zu schaffen, die rationale Entscheidungen trifft.

Werbung und Propaganda kreieren Emotionen. Es geht es nicht um Fakten, sondern um ein Image, um ein Gefühl. Und diese Gefühle lassen sich steuern. Um diese Gefühle zu steuern, werden multimedial alle Sinne angesprochen. Die moderne Werbeindustrie hat dies perfektioniert, staatliche Propaganda hat dies kopiert. Es in geht der Propaganda nicht darum, eine aufgeklärte Öffentlichkeit am Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen, sondern um ein positives Gefühl der Zustimmung zu erzeugen.

Wenn dann in der Öffentlichkeit nach den Ursprüngen einer politischen Entscheidung gefragt wird, bleibt allzu viel im Dunkeln. Dies schafft Raum für wilde Spekulationen. Und diese Spekulationen sind der Nährboden für Verschwörungstheorien.

Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung und Aufklärung

Die Bürger in diesem Lande würden sich weniger die Köpfe darüber zerbrechen, ob sich eine elitäre Clique bestimmter Interessen gegen sie verschworen hat, wenn sie an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt würden.

Aufklärung und Information, um ergebnisoffene Debatten zu führen und anschließend rationale Entscheidungen zu treffen – das ist wahre Demokratie. Stattdessen wird an höherer Stelle entschieden und dann per Imagekampagne um Zustimmung geworden.

Wenn beispielsweise die Regierung ihr Militär aufrüsten will, dann wird nicht die Bevölkerung gefragt. Stattdessen werden irrationale Ängste und Feindbilder geschürt, um die Bereitschaft zur Aufrüstung hervorzurufen.

Es geht auch anders: In der Schweiz dürfen die Bürger darüber abstimmen, ob ihre Armee aufgerüstet wird oder nicht. Sie haben beispielsweise 1963 über die Aufrüstung mit Nuklearwaffen abstimmen dürfen. 1989 und 2001 durften sie über die Frage abstimmen, ob die Armee abgeschafft werden soll oder nicht.

Die Schweizer brauchen nicht über Verschwörungen zu munkeln. Denn sie können selbst entscheiden. Und wenn es ihre eigene Entscheidung war, dann müssen sie auch keine Schuldigen suchen und sich in Verschwörungstheorien ergehen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Florian Hohenwarter

Warum wird im Artikel nicht erwähnt, dass der Begriff "Verschwörungstheoretiker" nach der Ermordung Kennedys von der CIA in Umlauf gebracht wurde, um die Kritiker des offiziellen Untersuchungsberichtes mundtot zu machen???

"Interessanterweise kam der Begriff Verschwörungstheorie erstmals in den Medien nach Bekanntwerden des Warren Reports zur Ermordung John F. Kennedys auf, als man seitens der CIA Kritik(er) am Report und an der Kommission, die ihn erstellt hat, mit nachfolgendem Dokument mundtot machen wollte und sie erstmals in die Ecke der Verschwörungstheoretiker stellte, in dem man regelrechte Tipps zum Umgang mit “unangenehmen Kritikern” und wie man diesen begegnen kann gab:

CIA Dokument #1035-960


http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=4&cad=rja&uact=8&ved=0CD8QFjAD&url=http%3A%2F%2Fkonjunktion.info%2F2014%2F10%2Fdas-argument-verschwoerungstheorie-und-sein-cia-ursprung%2F&ei=OT52VKnXKM7karfNgkA&usg=AFQjCNEHDUnXlrXRyk7RkoljQQQBL7C9TQ&bvm=bv.80642063,d.d2s

Gravatar: frankhard61

Toller Artikel, danke dafür!

Gravatar: Kirsten P.

Gerd Müller, Sie sprechen mir aus der Seele! Ich lasse mir meinen Mund auch nicht mehr verbieten, sollen sie denken, was sie wollen. Es hat Jahre gebraucht, bis ich angfangen habe, selbständig zu denken.
Jetzt bin ich Verschwörungstheoretiker und AfD-Mitglied.

Gravatar: Bolko Sena

"...und wählen trotzdem AfD !"

Einverstanden, aber erst muß es Frauke Petry und ihren Mitstreitern gelingen, Lucke wieder einzufangen. Der gefällt mir momentan überhaupt nicht!

Gravatar: keinUntertan

Das gilt für alle politischen Richtungen... rechts...links...mitte... Wer sich sozial engagiert und in der politischen Debatte ruft: "Halt! Bedenkt die Situation der Armen!" gilt schnell als Sozialist oder Kommunist. Und wer sich über das kapitalistische System beschwehrt, weil bestimmte Interessensgruppen sich durchsetzen, und dies anprangert, gilt auch als Verschwörungstheoretiker.

Gravatar: Freigeist

Wer ein HinterfragerIn ist, sollte mal die religiösen Inhalte hinterfragen. Da hapert es noch ziemlich. Es gibt Leute, die von allen möglichen Schandtaten der USA überzeugt sind, jedoch an die Auferstehung von einem Jesus glauben oder glauben, dass ein arabischer Prophet eines Nachts nach Jerusalem flog, auf einem weißen Reittier, dann zu Gott in den Himmel aufstieg und mit ihm verhandelt hat. Welch ein erfolgreicher arabischer Händler. Derartiges wird leichtfertig geglaubt habe gleichzeitig Verschwörerisches hinter Chemtrails vermutet. Besteht die Menschheit in der Mehrzahl aus Psychopathen? Wenn nicht endlich wissenschaftliches Denken in breiten Kreisen der Bevölkerungen Einzug halten wird, ist der Bestand der Menschheit nicht erst in 1000 Jahren gefährdet.

Gravatar: Gerd Müller

Dem Artikel ist nichts zu zufügen, er stimmt in allen Punkten !

Ob bestimmte Leute mich für einen Verschwörungstheoretiker halten oder nicht, geht mir glatt am A.. vorbei.
Mit diesem Begriff verhält es sich genauso wie mit dem vollständig sinnentleerten Wort Nazi.
Beides sind gern gebrauchte Worthülsen bestimmter Linker und grüner, aber auch zunehmend schwarzer Kreise, wenn es keine Gegenargumente mehr gibt und man seine Fehler nicht zugeben möchte.

Also, was soll`s, sind wir eben Verschwörungstheoretiker, zeigen es denen wessen Kind wir sind und wählen trotzdem AfD !

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