Unabhängigkeitsbewegungen

Regionalismus: Freiheit fängt an der Basis an

Ob in Schottland, Katalonien oder im Baskenland: Viele Menschen wünschen sich mehr regionale Autonomie. Staatszentralismus und überstaatliche Gebilde werden als Bevormundung empfunden.

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Wer in Süddeutschland lebt, kennt das Phänomen: Dort gibt es viele Menschen, die sich in erster Linie als Bayern, Franken, Schwaben, Alemannen, Badener, Kurpfälzer oder Pfälzer empfinden – erst in zweiter Linie als Deutscher und in dritter als Europäer. Das hat nichts mit provinzieller Spießigkeit zu tun. Gleich und gleich gesellt sich gern. Man hat ähnliche Werte, pflegt die gleichen Traditionen und spricht dieselbe Mundart. Kurz: Man kennt sich.

Der Regionalismus war in Europa immer stark. Die zentralistischen Nationalstaaten Europas mussten durch das Schwert erobert und mühsam zusammengeschmiedet werden. Grenzen wurden oftmals gewaltsam gezogen. Doch die leiseste Bevormundung aus der Hauptstadt weckt alte Ressentiments. Der beste Beweis ist der bayrische Kulturtraditionalismus. Seit Bismarcks Zeiten pfeift man dort auf die Saupreußen und ihr Hochdeutsch.

Schottland auf dem Weg in die Unabhängigkeit?

Großbritannien hatte einst das größte Weltreich der Geschichte erobert. Und Schottland ist Teil dieser Erfolgsgeschichte – wenn man die Eroberung und Unterdrückung anderer Völker überhaupt als Erfolg bezeichnen kann. Immerhin trug Schottland erheblich zum Aufstieg Großbritanniens bei und war ebenso Mutterland der Industriellen Revolution.

Nun hat sich nicht nur das Weltreich in seine Bestandteile aufgelöst. Es kommt noch schlimmer: Jetzt löst sich womöglich das britische Mutterland auf. Heißt es bald: „Bye, bye, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland”?

Noam Chomsky: Regionalismus als Reaktion auf die Zentralisierung durch die EU

In einem auf  YouTube veröffentlichtem Interview erklärte der weltbekannte Linguist und politische Aktivist Professor Noam Chomsky sein Verständnis für die schottische Unabhängigkeitsbewegung. Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sei sowieso ein seltsames Gebilde. Überhaupt: „Der Nationalstaat insgesamt ist ein ziemlich künstliches Konstrukt. Nationalstaaten wurden fast immer durch Gewalt geschaffen.“

Chomsky sieht die Bewegung als Teil eines größeren Prozesses: „Es könnte ein weiterer Schritt in Richtung gradueller Fragmentierung des Nationalstaatssystems in Europa sein.“ Ähnliche Tendenzen könnten sich für Katalonien und das Baskenland abzeichnen.

Zum Teil erkennt Chomsky darin eine Gegenreaktion auf die Zentralisierungsentwicklung der EU. Wörtlich sagte er: „Teil der Reaktion auf die Zentralisierung durch die Europäische Union ist das erneute Erstarken des Regionalismus und lokaler Kulturen, lokaler Mundarten, Bewegungen in Richtung lokaler Autonomie. […] Die Politik der Europäischen Union ist sehr stark zentralisiert, so sehr, dass die nationalen Regierungen sichtlich ihre unabhängigen   . sozioökonomischen Politikrichtlinien aufgegeben haben, indem sie diese den Brüsseler Bürokraten überlassen haben. Daher ist dies eine natürliche Reaktion hierauf.“

Bereits im April hatte Noam Chomsky ähnliche Ansichten gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti geäußert. Dies wurde sofort in Großbritannien registriert und feuerte die Debatte an. Die Zeitung The Scotsman griff Chomskys Statement dankbar auf, The Guardian stieg in die Diskussion ein. Die Kommentare Chomskys machten klar: Es geht um mehr als um schottischen Lokalpatriotismus.

Heimatverbundenheit ist natürlich – Nationalismus anerzogen – Zentralismus aufgezwungen

Heimatverbundenheit wird von den meisten Menschen vor allem als Verbundenheit mit dem Ort der Kindheit erlebt. Friesen fühlen sich am Meer heimisch, Bayern in den Bergen. Wer an der Nordsee aufgewachsen ist, dem fehlt in den Alpentälern der weite Horizont. Die Mundart der Heimat ist die Sprache der Eltern, die „Muttersprache“. Sie hat unser Denken und unsere persönliche Entwicklung geprägt. Der Begriff „Vaterland“ bezog sich ursprünglich auf das landwirtschaftliche Gut der Eltern. Hier war man verwurzelt.

Nationalismus ist hingegen ein künstliches Konstrukt. Er entsteht etwa durch einen gemeinsamen Feind – wie es für die Deutschen in den napoleonischen Kriegen die Franzosen waren. Oder er wird durch die Erziehung vermittelt, durch die Pflege von Identität stiftenden Symbolen wie Flaggen, Wappen, Hymnen, gemeinsamen Identifikationsfiguren und national aufbereiteter Geschichtsschreibung als bindende kollektive Erinnerung.

Ein Paradebeispiel künstlicher nationaler Identitätsstiftung sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Millionen Einwanderer aus aller Welt, die den neuen Staat schufen, hatten wenig gemein. Das hat sich bis heute nicht geändert. In Texas gehört es zum guten Ton, auf die Regierung in Washington und die besserwisserischen Neuengländer zu schimpfen. Selbst die Spaltung während des amerikanischen Bürgerkrieges in Union und Konföderation, in Nordstaaten und Südstaaten, ist bis heute in den Köpfen und Mentalitäten lebendig geblieben.

Doch die Amerikaner haben immerhin den Vorteil der gemeinsamen Sprache. Die Europäer nicht. Dennoch kommt nun die Europäische Union daher, setzt den Europäern eine blaue Flagge mit gelben Sternen vor die Nase, missbraucht Beethovens Ode an die Freude als politische Hymne und verlangt von den Menschen, ein europäische Identität, ein kontinentales Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, außerdem Brüssel als Nonplusultra der Gesetzgebung zu akzeptieren und die Europäische Verfassung höher zu schätzen als die des eigenen Landes.

Ob Griechen, Polen, Franzosen und Schweden auf europäischer Ebene eher ein gemeinsames Identitätsgefühl entwickeln können als auf nationaler Ebene die Schotten, Engländer, Waliser und Nordiren es konnten? Oder die Katalanen, Andalusier, Galicier, Basken und Kastilianer? Oder einst die Serben, Kroaten, Slowenen, Bosnier, Mazedonier, Montenegriner und Kosovoalbaner?

Sprache als Identitätsanzeiger?

In der Geschichte konnte überregionale Identität vor allem durch eine gemeinsame Sprache entstehen. In der Antike war es die griechische Sprache, die eine Milchstraße von Staatstaaten rund um das Mittelmeer verband. Alle anderen galten als Barbaren, Fremdsprachige, die nur „barbar“-Laute von sich gaben.

Wie die Griechen, so später die Germanen. Alle nichtgermanischen Sprachen klangen in den Ohren der Germanen „welsch“. Für die germanischen Angelsachsen klangen die Kelten welsch – daher Wales. Für die niederdeutschen Flamen hörten sich ihre frankophonen Nachbarn welsch an – daher die Wallonen. Für deutschsprachigen Schweizer waren die Französisch und Rätoromanisch sprechenden Menschen in den südlichen Nachbartälern welsch – daher der Kanton Wallis.

Das Zustandekommen des deutschen Nationalstaates war vor allem der gemeinsamen Sprache geschuldet. Doch in vielen künstlich geschaffenen Nationalstaaten wurde den sprachlichen Minderheiten die Sprache des dominierenden Volkes aufgezwungen. Eine gemeinsame Identität hat das nur kurzfristig geschaffen, langfristig die Ressentiments geschürt.

Manchmal ist es eher die Religion als die Sprache, die trennt oder bindet. Im Kunststaat Belgien war es einst der Katholizismus, der sie von den Niederlanden trennte. Nun ärgern sich viele Flamen, dass man sich damals nicht an der Sprache orientiert hat. Im katholischen Irland dagegen ist man heute noch froh, vom anglikanischen Großbritannien losgelöst zu sein.

Die Schweiz hat eine gemeinsame Identität geschaffen, ohne dass die Menschen dort eine gemeinsame Sprache oder Konfession haben. Wie haben die Schweizer es geschafft? Regionalismus und Förderation sind die Zauberworte. Weil die Schweizerische Eidgenossenschaft den Menschen in ihren Kantonen ihre regionalen Eigenarten, Sprachen, Kulturen, auch ihre gesellschaftliche Autonomie beließ, hat sie als eine der ältesten bestehenden Demokratien der Welt bis heute ihre Eigenart bewahrt.

Fazit: Regionalität ist besser für die Demokratie

Wird ein Bogen überspannt, schnellt er zurück. Wird den Bürgern ihre regionale Identität genommen, bleibt es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich diese wieder zurückholen. Menschen wollen selbst entscheiden, wie sie leben wollen. Je kleiner die Gemeinschaft, desto einfacher ist der basisdemokratische Entscheid. Schon die alten Griechen wussten: Eine Demokratie kann nur auf der Ebene der Polis funktionieren. Überregionale Herrschaft endete immer in der Tyrannei.

Die regionalen Volksbewegungen in Europa sind eine natürliche Reaktion auf den von Eilten erzwungenen kontinentalen Supranationalstaat, der zwar ideal für Finanzherrschaft und Bürokratie, jedoch suboptimal für die Menschen ist.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Koloss Kopie

Nennen Sie's statt Regionalismus doch einfach Subsidiarität. Dann können Ihnen all die kranken Eurofaschistinnen und Eurofaschisten nicht so schnell die Ohren vollnölen, wie zurückgeblieben und beschränkt Sie doch seien und so weiter blabla.

Gravatar: E.R. Forderlich

Ja, Chomsky ist schon immer gut. Aber Farage hat das ja auch schon so oder so ähnlich erklärt. Halt, nein, er hat versucht, es Mutti zu erklären. Die hat so lange <a href="https://www.youtube.com/watch?v=yq_6e1A7gzA" rel="nofollow">Gänseblümchen gemalt ...</a>

Gut ist auch <a href="https://www.youtube.com/watch?v=9zb6iMvvV4g" rel="nofollow">Chomsky's Initiative zusammen mit Hedges und Ellsberg gegen den NDAA</a>. Und wenn wir schon bei Hedges sind, dann noch schnell <a href="http://www.radioproject.org/sound/2011/MakingCon_110608_Ax.mp3" rel="nofollow">das hier.</a> Die reinste Musik.

Und, aus den besseren Zeiten der TIME, hier <a href="http://content.time.com/time/specials/packages/article/0,28804,2080345_2080344_2080374,00.html" rel="nofollow">das 4th amendment</a> einmal so, wie es gemeint ist. Hätten die Letztinterpretinnen und Letztinterpreten
des Grundgesetzes in Karlsruhe doch nur irgendetwas Vergleichbares zu vermelden, aber nein... die schlafen den Schlaf der Gerechten. Mit Ewigkeitsgarantie.

Gravatar: keinUntertan

Ob vielleicht auch Wales und Nordirland oder gar Südtirol unabhängig werden? Grönland wird demnächst von Dänemark unabhängig werden.

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