Charlie Hebdo und Pegida

Reaktionen in den islamischen Medien

Wie berichten die Medien in der islamischen Welt über das Charlie-Hebdo-Attentat und über Pegida? Wie werden der radikale Fundamentalismus und seine terroristischen Auswüchse beurteilt?

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Die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus ist eine westliche Unterscheidung. Es soll eine klare Trennlinie zwischen friedlichen muslimischen Mitbürgern und radikalen Fundamentalisten gezogen werden. Auf diese Weise möchte man Pauschalurteilen und rassistischen Vorurteilen begegnen.

In den meisten islamischen Ländern steht jedoch eine andere Differenzierung im Vordergrund. Da sind zum einen die modern-säkularen Muslime, die tendenziell einen westlichen Lebensstil und eine weltlich-soziale oder liberale Gesellschaftspolitik bevorzugen. Demgegenüber stehen die religiös motivierten Gesellschaftskräfte, die eine Renaissance der islamischen Werte propagieren.

Diese Spaltung lässt sich in den meisten islamischen Ländern vorfinden. In der Türkei zeigt sich dies im Gegensatz zwischen dem Kemalismus, der eine säkulare Ordnung bevorzugt, und der an religiösen Werten orientierten Partei AKP des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

In Ägypten wurde diese Spaltung während der Revolution und Gegenrevolution deutlich. Während ein Teil der Bevölkerung sich für Mohammed Mursi und die Muslimbrüder eingesetzt hatte, demonstrierten auf der anderen Seite die Menschen für den moderaten und säkularen Kurs – und bekamen Abdel Fattah El-Sisi.

Die Frage, was ein fundamentalistischer Terrorist ist, hängt von den jeweiligen Machtkonstellationen im Lande ab. Im Iran gelten die strengislamischen Vorstellungen der Regierung nicht als fundamentalistisch, sondern als religiös und politisch korrekt. Als inkorrekt gilt hingegen jeweils die andere Konfession. Im schiitischen Iran sind die Sunniten an der afghanisch-pakistanischen Grenze im Visier der Regierung. Im sunnitischen Saudi-Arabien wird dagegen gegen die Schiiten an der Ostküste vorgegangen.

Antisemitismus verboten – Prophetenbeleidigung erlaubt?

Der arabische Journalist Sharif Nashashibi kritisiert auf „Al Jazeera“ die westliche Berichterstattung über Muslime. Es werde ein simpler und naiver Diskurs provoziert, der die Meinungs- und Pressefreiheit in vereinfachender Weise dem Islam gegenüberstelle. Dabei werde oftmals verschwiegen, wie Muslime in Frankreich hinsichtlich der Freiheit, ihrer Religion freien Ausdruck zu verleihen, eingeschränkt werden. Ein Beispiel sei das Burka-Verbot. Kleidung und Symbole zu tragen, die die Religion zum Ausdruck bringen, sei verboten, ebenso islamische Gebete auf der Straße.

Sharif Nashabishi konstatiert, dass einerseits antisemitische Äußerungen verboten seien, ja selbst ein Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ wegen solcher Inhalte entlassen wurde, andererseits Diffamierungen des Propheten publiziert werden dürfen.

Bei der Schießerei im jüdischen Supermarkt in Paris sei in der Presse zwar darauf hingewiesen worden, dass der Täter ein Muslim war, aber es sei nicht ausreichend erwähnt worden, dass unter den Opfern auch zwei muslimische Polizisten waren. Und bei der Solidaritätsdemonstration in Paris seien unter den an vorderster Reihe marschierenden Politikern etliche dabei gewesen, in deren Ländern es mit der Pressefreiheit nicht so genau genommen werde.

Tiefe Ressentiments auf beiden Seiten haben historische Ursprünge im Kolonialismus

Mark LeVine, Professor für Geschichte des Vorderen Orients an der University of California, konstatiert in einem Kommentar auf „Al Jazeera“, dass es bei dem Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ nicht primär um den Islam gehe. Mit Blick auf den algerischen Hintergrund der Attentäter verweist er auf die französische Kolonialgeschichte in Nordafrika, besonders in Ländern wie Marokko und Algerien, wo die Ausbeutung durch die Europäer eine Widerstandsbewegung hervorgerufen hatte, die den Islam als Gegenideologie zum westlichen Kapitalismus und Kolonialismus ausnutzte. Dieser Gegensatz setzt sich bis heute fort. Je stärker neoliberale Formen des Kapitalismus, die mit dem Westen verbunden werden, zu sozialen Verwerfungen führen, desto stärker formiert sich die Gegenbewegung des radikalen Islamismus. Dieser Gegensatz würde sich auch in den französischen Vororten von Paris und Marseille bemerkbar machen. Die Muslime mit Einwanderungshintergrund aus Algerien, Marokko, Tunesien oder dem Senegal fühlen sich sozial benachteiligt und identifizieren sich mit den Bewegungen ihrer Herkunftsländer.

„Islamische Zivilisation ist Teil der europäischen DNA“

Der Journalist Khaleb Diab verweist in einem Kommentar auf „Al Jazeera“ darauf, dass der Islam, die islamische Kultur, längst ein integraler Bestandteil der europäischen Zivilisation geworden sei. Dabei beruft er sich auf den islamischen Einfluss schon während des Mittelalters oder auch der Renaissance.

In Bezug auf Pegida und mit Hinweis auf den Jahrhunderte langen Austausch zwischen Abendland und Morgenland kommentiert er: „Ebenso, wie jene Muslime, die über ein unhistorisches Kalifat fantasieren, verlieren jene Europäer, die von einem vergangenen, utopischen Europa träumen, das unbefleckt vom Islam und von Einwanderung gewesen sei, die Realität aus den Augen, da die „Islamisierung des Westens“ sich schon vor Jahrhunderten ereignet habe. Die islamische Zivilisation ist so eingebettet in Europas kulturelle, gesellschaftliche und intellektuelle DNA, dass es unmöglich sei, seinen Einfluss herauszufiltern. Das Gleiche gilt für die andere Richtung hinsichtlich des Christentums und des starken westlichen Einflusses auf die arabische und islamische Gesellschaft.“

Was den Anschlag im Kontext der Mohammed-Karikaturen angeht, so erkennt Khaleb Diab als Moslem keinen Sinn darin, dass man den Propheten rächen müsse. Der Prophet habe zu Lebzeiten mit so vielen Demütigungen und Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, dass er es nicht nötig gehabt hätte, einen Attentäter auf Karikaturisten loszulassen – so Khaleb Diab.

Konferenz in Alexandria: „Araber gegen Extremismus“

Die Journalistin Ameera Fouad berichtete für die ägyptische Zeitung „Al Ahram“ von einer aktuellen Konferenz in Alexandria. In der Bibliotheca Alexandrina diskutierten etwa 250 Politiker und Intellektuelle aus der ganzen arabischsprachigen Welt über das Problem des religiösen Fundamentalismus und Extremismus. Es ist der neuen ägyptischen Regierung natürlich wichtig, Stimmen gegen religiösen Fundamentalismus zu sammeln, da man im eigenen Lande die Bewegung der Muslimbrüder in Grenzen halten möchte.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Araby, sagte anlässlich der Rede zum Konferenzauftakt: „Den religiösen Extremismus zu konfrontieren, ist eines der größten Probleme, denen wir Araber uns stellen müssen. Extremismus hat schon seit langem in unseren Gesellschaften Wurzeln geschlagen“. Als Strategie gegen Extremismus nannte er unter anderem: „Um dem Terrorismus und Extremismus zu begegnen, braucht man eine umfassende Strategie, die die Erneuerung des religiösen Diskurses einschließt und zurück zur Ethik und moralischen Werten führt.“

Weltweit Muslime über neues Cover empört

Wie unter anderem „Al-Ahmram-Online“ erst gestern berichtete, breitet sich in der islamischen Welt aktuell Unmut über das neue Titelbild von „Charlie Hebdo“ aus. Es zeigt den weinenden Propheten Mohammed vor grünem Hintergrund unter der Überschrift: „Alles ist vergeben.“ Der Karikaturprophet hält in der Hand ein Schild, auf dem „Je suis Charlie“ geschrieben steht. Das Titelbild wurde international in verschiedenen Zeitungen und Medien reproduziert. In Frankreich zeigten unter anderem die bekannten Zeitungen „Le Monde“, „Liberation“ und „Le Figaro“ Bilder dieses neuen Covers von „Charlie Hebdo“. Aber auch wichtige Zeitungen in Russland, Großbritannien, Italien und in den USA zeigten ein Bild vom Charlie-Hebdo-Cover.

In der islamischen Welt löst die Karikatur Unverständnis aus. Vom Nachdruck der Karikatur hält man Abstand. Auch die wichtigsten arabischsprachigen Nachrichtensender „Al Jazeera“ und „Al Arabiya“ zeigen in ihren Berichten darüber das Cover nicht bildlich. Der ägyptische Geistliche Dar Al-Ifta bezeichnete die Karikatur als „eine ungerechtfertigte Provokation gegen die Gefühle von 1,5 Milliarden Muslimen“. Die iranische Zeitung „Tabnak“ kommentierte: „Charlie Hebdo“ hat erneut den Propheten beleidigt“.

Pegida erzeugte kein großes Medienaufsehen in der islamischen Welt

Viele arabische, türkische und iranische Zeitungen berichteten in den letzten Wochen immer wieder über Pegida. Die „Spaziergänge“ der Islamkritiker in Dresden und anderen deutschen Städten führten allerdings – im Gegensatz zu den Charlie-Hebdo-Anschlägen – zu keinem großen Medienecho. Allerdings wurde ausführlich darüber berichtet, dass es auch zu Gegendemonstrationen kam.

Sehr wohl wurde allerdings zur Kenntnis genommen, dass auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Pariser Solidaritätskundgebungen geflogen war und dort am Marsch gegen Intoleranz teilgenommen hat.

In Bezug auf Pegida kommentierte die türkische Zeitung „Today’s Zaman“, die Türkei müsse aktiv werden und gegen die sich ausbreitende Islamophobia in Europa vorgehen. In Deutschland, so die Zeitung, können anti-islamische Bewegungen wie Pegida anti-türkische und anti-islamische Ressentiments schüren. Dies berge die Gefahr von Anschlägen wie in den 1990er Jahren in Solingen, Mölln und Ludwigshafen. Außerdem sei zu beobachten, dass die deutsche Stimmung gegen den Islam sich auch auf Nachbarländer wie die Niederlande, Schweden, Österreich und Frankreich ausbreite.

Deutlich zu erkennen ist, dass die meisten englischsprachigen Ausgaben arabischer oder iranischer Zeitungen mit Blick auf die Pegida-Bewegung in Deutschland auf Material internationaler Nachrichtenagenturen wie Reuters oder AFP zurückgreifen. Daher unterscheidet sich die diesbezügliche Berichterstattung kaum von der in den deutschen Medien. Dass die Mehrheit der westlichen Medien und Politiker sich Pegida gegenüber kritisch geäußert haben und Angela Merkel mit ihren Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, vor die Muslime in Deutschland gestellt hat, wird mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Aber in den Schlagzeilen sind andere Themen dominierend: Krieg in Syrien, Terror im Irak, Besatzung in Gaza – und die Mohammed-Karikaturen von „Charlie Hebdo“.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Peter Kraa

Es sollte uns Europäer - im Gegensatz zu den Amerikanern - nicht kümmern, wie die islamischen Länder ihre Gesellschaften organisieren und was sie unter Sekularisation in ihren politischen Gemeinschaften verstehen. Wir sollten aber sehr genau darauf achten, was die Menschen hier zu uns an Vorstellungen rüber bringen und in Europa ausleben wollen. Ich höre immer, beschwichtigend: Es gibt hier Millionen friedlicher Muslime. Das mag sein. Wenn ich aber auf unsere Straßen sehe, wie sich Muslime im Verein mit linken und rechten Chaoten benehmen, bekomme ich ein ganz anderes Bild. Und ich glaube nicht, daß das ohne Steuerung erfolgt. In einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger sagt der Islamwissenschaftler Tilmann Nagel: Gerade die muslimischen Verbände seien noch nicht in dieser Gesellschaft angekommen. Wenn das so ist, sind für mich auch Millionen friedlicher Muslime ein Sprengsatz. Und die französischen Karikaturisten haben ja erfahren, daß die Muslime nicht mit geistigen Waffen hantieren.

Gravatar: Crono

@a riesener sagt:
..... falschen Propheten. ...
~~~~~~~+
Meinen wir den gleichen Propheten? ?!?!!?

Gravatar: a riesener

Matthäus 7,15: “Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reißende Wölfe.”

Gravatar: keinUntertan

Soweit ich mich erinnere, waren die Anschläge von Solingen, Mölln und Ludwigshafen Anschläge von Nazis und Rechtsradikalen gegen Ausländer. Daran erinnern sich die türkischen Medien noch sehr gut. Es waren keine Anschläge von Muslimen auf Deutsche. Insofern ist das keine Drohung, sondern eine Befürchtung.

Gravatar: Peter

Der Islam gehört zur Merkel und der Türkei gehört Deutschland - könnte man meinen, wenn man türkische Medien und insbesondere türkische politische Repräsentanten bei Anwesenheit in Deutschland drohen hört. Fatal, denn die Türken stehen nicht mehr vor Wien, sondern haben in Wien und anderen europäischen Großstädten bereits ganze Stadtviertel im Griff. Die Stadttore sind auch nicht mehr abschließbar und die Polen lassen momentan auch nicht erkennen, daß sie Europa erneut vor der Türkengefahr retten wollen. Was also tun ?
Vielleicht sollten wir der türkischen Regierung zwei Zierden bundesdeutscher Weiblichkeit und profunden politischen Sachverstandes zum Geschenk machen, nämlich A. Merkel und C. Roth.
Der Effekt wäre entweder Abschreckung oder tiefe Gerührtheit. Wenn das auch nicht hilft, bleibt
nur noch Konvertierung und Einordnung ins türkische Großreich.

Gravatar: Courfeyrac

Wenn bei Al Jazeera gesagt wird, die „Islamische Zivilisation ist Teil der europäischen DNA“ und auf die Geschichte verweist, so ist das richtig.
Die osmanischer Besatzung von 1453 bis zur Schlacht am Kahlenberg 1683 und darüber hinaus, hat Südosteuropa in eine Wüste verwandelt, die neu besiedelt werden mußte. Man sollte tatsächlich aus der Geschichte lernen.

Gravatar: Jochen Reimar

Die Einschätzungen aus der islamischen Welt zeigen dann doch ein recht schräges Weltverständnis: Wenn die Anschläge ein Ergebnis der französischen Kolonialgeschichte sein sollen - dann müssen die mir erklären, warum diese unbedeutende Satirezeitschrift ein so herausragendes Symbol dieses Kolonialismus' ist, daß man darauf diesen blutigen Anschlag verübt. Ansonsten verstehe ich das tatsächlich nicht.

Gravatar: Klartexter

Im Artikel steht geschrieben: „In Bezug auf Pegida kommentierte die türkische Zeitung „Today’s Zaman“, die Türkei müsse aktiv werden und gegen die sich ausbreitende Islamophobia in Europa vorgehen. In Deutschland, so die Zeitung, können anti-islamische Bewegungen wie Pegida anti-türkische und anti-islamische Ressentiments schüren. Dies berge die Gefahr von Anschlägen wie in den 1990er Jahren in Solingen, Mölln und Ludwigshafen.“ Das ist doch ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl, eine klare unverhohlene Drohung und die klare Forderung, lasst uns machen was wir Muslime wollen. Das konnten sie auch mit Duldung der herrschenden Politikerkaste, bis endlich ein Teil der Bürgerinnen und Bürger aufgewacht ist und seit 12 Wochen gegen die Islamisierung demonstriert. Die Zukunft in Europas und den islamisch geprägten Ländern wird keine Ruhige und friedliche Entwicklung kennzeichnen, sondern ein Jahrzehnte oder noch länger hinziehendes Blutvergießen sein. Dabei sollte wie in jedem Kampf klar sein, dass es nur einen Sieger bei einem Kampf der Kulturen und Religionen geben wird.

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