Nahostkrise

Rache für Pilotenverbrennung: Jordanien am Scheideweg

Das Königreich Jordanien gilt als Schweiz Arabiens: friedlich, diplomatisch, liberal und stabil. Doch nun steht es auf der Kippe, in den Sog des mittelöstlichen Kriegshorrors hineingezogen zu werden.

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Welch ein Gegensatz zu Syrien und zum Irak! In einer Region voller Kriege und Konflikte, Zerstörungen und Barbareien, Menschenrechtsverletzungen und ultrakonservativen Autokratien, wirkt Jordanien fast wie ein heiles Land.

Die Wirtschaft ist relativ stabil. Die Hauptstadt Amman ist zur boomenden Metropole geworden. Sogar der Tourismus funktioniert. Jordanien wirbt mit orientalischer Kultur, grandiosen Wüstenlandschaften wie dem Wadi Rum, beduinischer Tradition und sehenswerten antiken Stätten wie der sagenhaften nabatäischen Felsenstadt Petra.

Bisher manövrierte der jordanische Haschemiten-König Abdullah II. sein Land geschickt an den Krisen der Region vorbei. Was die Beteiligung an militärischen Einsätzen anging, handelte man nach dem Motto: so wenig wie möglich, so viel wie unbedingt nötig. Jordanien bewegte sich flexibel im Spannungsfeld zwischen westlichen, US-amerikanischen und israelischen Interessen einerseits sowie islamischen-arabischen Interessen andererseits.

Der Preis war die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge. Sie kamen in den 1940er bis 1980ern zuerst aus Palästina und dem Libanon, dann seit den 1990ern aus dem Irak und nun vor allem aus Syrien. Rund die Hälfte aller Einwohner Jordaniens stammt aus den arabischen Nachbarländern und hat einen mehr oder weniger unfreiwilligen Migrationshintergrund.

Diese Neu-Jordanier fühlen sich zu einem großen Teil immer noch mit ihren Herkunftsländern verbunden. Es sind die Länder ihrer Familien oder ihrer Kindheit. In Jordanien werden die Entwicklungen in Syrien, dem Irak und in Palästina sehr genau verfolgt und diskutiert. Kaum jemand ist hier neutral. Fast alle sind emotional involviert.

Brutale Verbrennung des Piloten: Annlass für Kehrtwende?

Die Sorge darüber, die Terrorbewegung des so genannten Islamischen Staates (IS) könnte sich auch in Richtung Jordanien ausbreiten, beunruhigt den jordanischen König schon lange. Jordanien ist – wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und zahlreiche weitere Staaten unter der Führung der USA – Teil der Anti-IS-Koalition und fliegt Luftattacken über Syrien.

Dann kam die Gefangennahme des 26-jährigen jordanischen Piloten Muaz al-Kasasbeh, dessen Flugzeug am Heiligen Abend 2014 abgeschossen wurde. Er konnte sich mit dem Schleudersitz retten, wurde dann am Boden von den Terrormilizen gefangen genommen und nun bei lebendigem Leibe verbrannt. Die grausame Verbrennung des Piloten wurde auf Video festgehalten und anschließend medial verbreitet, um potenzielle Dschihadisten und Islamisten als neue Rekruten für den IS anzuwerben. Im Herrschaftsbereich des IS zeigte man den Menschen die Hinrichtung auf Großleinwänden.

Das traf die jordanische Öffentlichkeit tief. Verbrennen gilt im Islam als schandvolle Hinrichtungsmethode. Außerdem fühlt sich der König Abdullah II. persönlich getroffen. Er ist selber ausgebildeter Kampfpilot und ist durch den Korpsgeist mit der Luftwaffe besonders verbunden. Als junger Mann war er Kadett an der britischen Militärakademie Sandhurst. Abdullah II. ist – wie schon sein Vater Hussein – dem Westen sehr zuneigt. Seine Mutter ist Engländerin aus einer britischen Offiziersfamilie. Seine Frau Rania, die hübsche Königin von Jordanien, gilt im Westen als prominente Figur der Boulevardpresse.

Rache als Motiv für Verschärfung des Krieges?

Die Reaktion der jordanischen Führung ist emotional. Der König, seine Entourage, das jordanische Militär und Teile der Bevölkerung fühlen sich in ihrer Ehre getroffen. Abdullah II. hat sich zu zornigen Wutreden hinreißen lassen. Dann folgte die Hinrichtung zweier in Jordanien gefangener IS-Terroristen. Beide waren sowieso bereits zum Tode verurteilt worden: die irakische Dschihadistin Sajida al-Rishawi, die vor zehn Jahren an einem Bombenanschlag mitgewirkt haben soll, bei dem in Amman rund 60 Menschen ums Leben kamen, und Siad al-Karbuli, der als ranghohes Mitglied von Al-Qaida galt. Ach wenn ihre Hinrichtung bereits beschlossene Sache war, der Zeitpunkt der Hinrichtung ist als Reaktion und Rache zu werten, um dem IS die rote Linie aufzuzeigen.

Dann gibt es noch den Familienclan und insbesondere den Vater des abgeschossenen Piloten, die öffentlich zur Rache aufgerufen haben. In der arabischen Kultur ist es insbesondere für Familienangehörige schwer erträglich, wenn eine solche brutale Ermordung ungesühnt bleibt. Es ist auch eine Frage Ehre.

In der jordanischen Bevölkerung selbst ist die Stimmung gespalten. Auf der einen Seite ist der Zorn und Schmerz über die Demütigung durch den IS groß. Viele Jordanier fürchten den IS, weil er ihre liberale Lebensweise bedroht. Außerdem wollen sie den Horror des Nachbarlandes nicht in ihr eigenes Land importieren. Auf der anderen Seite gibt es gerade in den ärmeren Gegenden der Großstädte viele Anhänger sowohl der Salafisten als auch der Muslimbrüder, die zum Teil heimlich, zum Teil offen den IS unterstützen oder zumindest gutheißen. Mehr als tausend junge Männer aus Jordanien sollen nach Syrien und in den Irak gegangen sein, um als „Glaubenskämpfer“ in den Terrormilizen des IS zu dienen.

Wie wird es nun weitergehen?

Die Weichen sind gestellt. Der jordanische König will die Luftangriffe auf Stellungen des IS ausweiten. Erste neue Angriffe auf Rakka, dem Hauptquartier des IS in Syrien, sind bereits geflogen worden. Damit wird sich Jordanien immer klarer auf der Seite der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition positionieren. Nach innen muss Abdullah II. die radikalen Islamisten im eigenen Lande im Zaum halten. Der Polizeischutz und Sicherheitsmaßnahmen sind bereits verschärft worden, um terroristische Übergriffe zu verhindern.

Ein offener militärischer Angriff des IS auf Jordanien dürfte wohl kaum Erfolg haben. Denn die jordanische Armee wird von US-Truppen am Boden unterstützt. Auch Saudi-Arabien würde ein weiteres Vorrücken des IS nach Süden mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Aber die Wüstengrenze ist nicht hundertprozentig zu überwachen. Undercover ist dem IS alles zuzutrauen – und das nicht nur Jordanien, sondern überall.

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