Die neue EU-Kommission

Mehr Subsidiarität oder Business as usual?

In Kürze nimmt die neue EU-Kommission ihre Arbeit auf. Doch wie sie zustandegekommen ist und wer ihr angehört, verheißt wenig Gutes. Business as usual ist angesagt, obwohl mutige Reformen benötigt werden.

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In dieser Woche tritt das Europäische Parlament zu seiner Plenartagung in Strasbourg zusammen. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Bestätigung der EU-Kommission. Damit geht der Machtkampf um die Nachfolge von Kommissions-Chef Manuel Barroso zu Ende. Dieser Prozess begann im Frühjahr 2014 mit der Erfindung des Prinzips der »Spitzenkandidaten« durch den Präsidenten des EU-Parlaments Martin Schulz (SPD), wobei einer der Spitzenkandidaten und heutige Kommissions-Präsident Jean Claude Juncker nicht einmal in seinem eigenen Land für ein Abgeordnetenmandat im Europa-Parlament kandidierte.

Erster Höhepunkt war die EU-Wahl am 25. Mai 2014, bei der die großen Parteifamilien zugunsten euro-realistischer und -kritscher Formationen verloren. Der Prozess ging weiter mit Hinterzimmergesprächen der Rats- und Regierungschefs über die Zusammenstellung der neuen EU-Kommission. Es folgten die Anhörungen der Kandidaten für die Kommission vor den parlamentarischen Ausschüssen des EU-Parlaments, meist mit dem Glaubensbekenntnis »Mehr Brüssel ist die Lösung«. Jetzt steht die Frage im Raum, wie der Spagat zwischen der Zusage nach größerer nationaler Verantwortung und mehr Subsidiarität einerseits und dem Brüsseler Loyalitäts-Schwur der EU-Kommissare andererseits geschafft werden soll.

Neue fachliche Erkenntnisse zu erhalten war weder möglich noch beabsichtigt. Unmöglich, weil die meisten Kommissars-Kandidaten aus fremden Fachbereichen aus ihren Hauptstädten nach Brüssel wechseln. Sie verfügten über etwa drei Wochen Vorbereitungszeit auf ihr neues fachliches Kompetenzgebiet.

Ausnahmen sind der Engländer Sir Jonathan Hill, der Franzose Pierre Moscovici und der Deutsche Günther Oettinger. Jonathan Hill arbeitete als Lobbyist der Londoner City für den internationalen Bankensektor, er weiß also, wovon er als zukünftiger Kommissar für Finanzmarktregulierung spricht. Der Sozialist Pierre Moscovici gilt als einer der schlechtesten Finanzminister Frankreichs seit 1945, er ist mitverantwortlich für das besorgniserregende Wachstum des Schuldenbergs in Europas zweitgrößter Wirtschaftsnation. Als französischer Finanzminister verweigerte er die Einhaltung der EU-Haushaltsregeln. Jetzt wird er Kommissar für Wirtschaft und Währung. Der deutsche Kandidat Günther Oettinger überzeugte eher durch sein Auftreten als durch sein Fachwissen (Internet-Gesellschaft): Nach 5 Jahren im Amt weiß er, wie man mit Europa-Abgeordneten reden muss, vor allem wenn fast die Hälfte von ihnen selbst zum ersten Mal ins EP gewählt wurde und Brüssel genauso entdeckt wie viele Kommissars-Kandidaten.

Ein vertiefter Austausch über politische Prioritäten war auch deswegen nicht möglich, weil nur eine stark begrenzte Anzahl von Abgeordneten ausgewählt wurde, um den designierten Kommissionsmitgliedern eine Frage in einer Minute Redezeit zu stellen. Der Kandidat hatte daraufhin zwei Minuten Zeit für eine Antwort. Nachfragen waren nicht erlaubt.

Wie auch bei den vorangehenden EU-Kommissionen Barroso I und Barroso II ist die Bestätigung des Ratsvorschlags für die Juncker-Kommission durch das EU-Parlament nur eine Formfrage. Denn es sind die Staats- und Regierungschefs, die über die Zusammensetzung der EU-Kommission entscheiden und später die EU-Kommission ernennen. Das Straßburger Parlament wird lediglich angehört, es hat nur ein Veto-Recht und gibt seine Zustimmung zum Vorschlag des Rats, wählt die EU-Kommission jedoch nicht. Vergleiche mit nationalen Abläufen beispielsweise nach Parlamentswahlen führen in die Irre und können auf die EU keineswegs angewandt werden. Deswegen fühlten sich nicht wenige Kommissars-Kandidaten in Sicherheit: Das EU-Parlament erteilt seine Zustimmung oder Ablehnung des Ratsvorschlags nicht einzelnen Kandidaten aufgrund ihrer Leistung, sondern dem Kommissars-Kollegium in seiner Gesamtheit aufgrund parteipolitischer Erwägungen.

Business as usual – »alles wie gewohnt«: Es ist zu befürchten, dass der Reform-Appell der Mehrheit der Bevölkerung bei den Europa-Wahlen von den großen Parteienformationen ungehört verhallen wird. Und das in einer Situation, in der die Konjunktur abschwächt, die Euro-Krise sich wieder verschärft und die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen gerade in Europa an Intensität zunehmen.

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