Parteien zur Europawahl

Mehr Staat gleich mehr Familie?

Die Familien-Partei Deutschlands hat gute Ansätze in ihrem Programm. Aber am Ende entpuppt es sich als widersprüchlich – und enthält auch noch eine Menge Manuela Schwesig.

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Es gibt in der öffentlichen Debatte einige Begriffe, die kleben wir Pattex. Oder wie ein anderes hochwertiges Bindemittel aus der Produktpalette namhafter Hersteller. Zu diesen Ungetümen, die man einfach nicht mehr los wird, gehört auch die »Politikverdrossenheit«. Bereits im Jahre 1992 wurde sie zum »Wort des Jahres« gekürt. Seither hat sie sich in Berichten und Kommentaren dermaßen festgesetzt, dass es eine wahre Plage ist. Würde man doch zumindest einmal dazu übergehen, von »Verdruss« zu sprechen … Aber nein, es muss die »Verdrossenheit« sein, die an sich schon wieder zur Verdrießlichkeit beiträgt. Ebenso wie im Übrigen auch die Vorschläge von Politikern, wie man ihr denn begegnen könnte: »Näher bei den Menschen« müsse man sein, wird da empfohlen. Die „Menschen stärker mitnehmen«. Oder auch »die Lebensrealitäten der Menschen anerkennen«.

Jenseits von solchem Geschwafel wären es vielleicht die ganz einfachen Dinge, mit denen der Politikverdrossenheit tatsächlich beizukommen wäre. Zum Beispiel: Man stelle sich vor, es ist Plenarsitzung und jeder geht hin! Wie stark könnte das die Stimmung im Parlament verändern, wenn sich niemand mehr darauf herausreden würde, dass die »eigentliche Arbeit ja in den Ausschüssen stattfindet«. Oder wie wäre es, wenn sich Abgeordnete einfach mal für einen Rhetorikkurs anmelden? Niemand braucht sich schämen, etwas nicht von vornherein zu können. Aber offenkundig von Dritten verfasste Texte holprig vom Blatt abzulesen – das will echt keiner hören!

Doch bloß »Schwesig XXL«

Insofern wäre Arne Gericke ein echter Gewinn fürs Parlament – auch wenn es nur das in Straßburg und Brüssel ist. Der Berufsredner aus Mecklenburg-Vorpommern, der am 25. Mai als Spitzenkandidat für die Familien-Partei antritt, ist nämlich wirklich gut. Leute, die ihn schon auf Trauerfeiern gehört haben, hoffen danach nicht selten auf eine erneute Gelegenheit. Und so vermag Gericke vielleicht tatsächlich die erforderlichen Stimmen zusammenzureden, die ihm den Einzug in die Völkervertretung ermöglichen. Schon 2009 stand der Politiker auf Platz 1 der Familienliste. Eine halbe Million Voten kamen damals zusammen, was ein volles Prozent ergab. Bei einem vergleichbaren Ergebnis bei dieser Wahl würde Arne Gericke zum MdEP.

Damit wäre der bisher größte Erfolg einer Partei perfekt, die schon seit 1981 das politische Geschehen aufzumischen sucht. Ihr Grundgedanke ist damals wie heute die Idee, Familienarbeit und Berufstätigkeit gleichzustellen. Und dafür soll der Staat tief in die Tasche greifen: Eltern bekämen demnach in Zukunft ein Erziehungsgehalt – gestaffelt nach Zahl und Alter der Kinder. Wie bei jedem anderen Lohneinkommen müssten darauf Steuern und Sozialabgaben entrichtet werden. Entsprechend würden dann auch bei der Ermittlung von Altersbezügen Betreuungs- und Berufsleistungen gleichbehandelt. Neben dem Erziehungsgeld würde Müttern und Vätern nach dem Willen der Familien-Partei ein existenzsicherndes Kinderkostengeld gezahlt. Beides soll nach dem Vorbild der Rentenversicherung aus einer umlagefinanzierten Familienkasse bestritten werden. Doch damit ist noch lange nicht Schluss: Flächendeckende Ganztagsbetreuung in Schulen, flexible Arbeitszeitmodelle für junge Eltern, Kultursubventionen fürs Kinderprogramm, familienfreundliche Strukturen in Stadt und Land … der Staat bekommt einiges zu tun, um Paaren mit Kindern das Leben leichter zu machen. Und man könnte meinen, Eltern bekämen dann endlich jene gesellschaftliche Anerkennung, die sie bisher oft so schmerzlich vermissen.

Wird Deutschland über Nacht zum Familienparadies? Ja, denn es werden »wieder mehr Kinder geboren«, glaubt die Gericke-Gruppe – und folgt damit der Vorstellung, dass die geschrumpfte Geburtenzahl letztlich materielle Ursachen hat und eben nicht solche, die in veränderten Wertvorstellungen liegen. »Abtreibungen aus sozialen Gründen entfallen«, schreibt sie in ihre Wahlplattform – und geht dabei davon aus, dass es tatsächlich vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen sind, die zu derartigen Entscheidungen führen. Alleinerziehende sind »nicht mehr auf Unterhaltszahlungen angewiesen«, frohlocken die Programmautoren – und setzen implizit voraus, dass es Familien stärkt, wenn elterliche Verantwortung auf die Gesellschaft übergeht.

Doch man kann es auch anders sehen. Und argumentieren, dass letztlich auch die Familien-Partei der Idee auf den Leim geht, Kindererziehung sei nicht natürliches Recht und natürliche Pflicht von Eltern, sondern eine klassische Gemeinschaftsaufgabe. Für dieses Urteil finden sich im Wahlmanifest des ›Teams Gericke‹ starke Indizien. Allen Ernstes wird dort die Familie als »Grundzelle des Staates« bezeichnet – so als seien Mutter, Vater und Kinder im Kleinen, was Bauordnungsamt und Bezirksregierung im Großen sind. Und spätestens dann, wenn »die Erziehung und die Versorgung der Kinder« zur Aufgabe der »späteren Nutznießer« erklärt und damit bei »der gesamten Gesellschaft« verortet wird, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine große Portion Manuela Schwesig auch in der Familien-Partei steckt.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Und auch in anderen Fragen positioniert sich die Formation mit dem sympathischen Namen längst nicht so unverwechselbar, wie sie sich dem Stimmvolk gern verkaufen möchte: Natürlich wählt man auch dann den Atomausstieg, wenn man für die „Familie« stimmt, und in der Konsequenz den »kontrollierten Wettbewerb« der Ökoenergieträger. Natürlich ist ein Kreuzchen für Arne Gericke ebenso ein Votum für den »existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohn« und für die »Demokratisierung des Arbeitslebens«. Und natürlich bekommt man auch noch mehr »Gleichstellung zwischen Männern und Frauen« im Erwerbsleben und die Zwangsabgabe für Ausbildung serviert, wenn man sich für die Familienliste entscheidet.

In der Europapolitik, um die es am 25. Mai ja eigentlich geht, hält die Partei für jeden etwas bereit. Und so verwickelt sie sich in heillose Widersprüche: Sie sagt »Ja zu Europa und zur Europäischen Union« und konstatiert zugleich, dass ihre »Institutionen an einem demokratischen Defizit« leiden. Sie tritt »für einen Europäischen Staatenbund« ein und verlangt im selben Atemzug, »die Rechte des Europäischen Parlaments zu erweitern und zu stärken«. Sie setzt »auf die Vielfalt der Länder und Regionen« und fordert dennoch, »dass europaweit die gleichen Sozialabgaben eingeführt werden«. Dass Arne Gericke gut reden kann, steht außer Frage. Aber lässt sich wirklich einschätzen, was er als Parlamentarier sagen wird?

Zwei versöhnliche Anmerkungen zum Schluss: Die Familien-Partei befürwortet in ihrem Wahlprogramm eine »Bildungspflicht, ist aber gegen Schulzwang«. Denn der Begriff der »Wahlfreiheit« schließt nach ihrem Verständnis – zu Recht – »auch familiäre Schulmodelle« mit ein. Dies in einem Land offen zu vertreten, dessen politische Klasse sich inzwischen gar für einen obligatorischen Kitabesuch begeistern kann, erfordert Mut und Rückgrat. Zudem macht sich die Partei für die Rechte von Kindern bei allgemeinen Wahlen stark, wenn auch nur in Form des umstrittenen Stellvertreterwahlrechts, das durch die Eltern ausgeübt werden soll. Aber immerhin hat man das Grundproblem erkannt: Dass nämlich auch Kinder Teil des Staatsvolks sind und man sie deshalb nicht einfach vom Wählen ausschließen darf. Doch für fünf Jahre EU-Parlament sind zwei gute Ideen einfach zu wenig.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Angelika Hagedorn

nett, dass Sie der Familien-Partei bei der Europawahl 2009 eine halbe Millionen Stimmen andichten, leider waren es nur gut eine viertel Million.

Gravatar: Jörg Fanrenhorst

Zwei Punkte : wer den Staat in die Familie läßt und sei es auch nur mit Geld, der erlaubt einen Levithian sich einzumischen. Zweitens ein Staatenbund bedeutet die Rückverlagerung von Rechten auf die Mitgliedsstaate und deren Parlamenten. Eine Stärkung des EU-Parlaments wäre hierbei völlig kontraproduktiv.

Gravatar: Thilo Tiede

Hallo,
ich bin sehr begeistert, dass sich ein Online-Magazin so ausführlich und so scharfsichtig mit einem Wahlprogramm einer kleinen Partei auseinandersetzt. Dafür danke ich dem Autor.

Ich bin 25 Jahre alt und seit sehr kurzer Zeit auch in der Familien-Partei, weil ich mich auch nicht wirklich gut aufgehoben fühlte bei anderen Parteien.

Leider kann ich Ihre Analyse nicht in allen Punkten teilen. Das fängt bei der Überschrift an: Denn die Familien-Partei fordert mitnichten mehr Staat.

"..., dass letztlich auch die Familien-Partei der Idee auf den Leim geht, Kindererziehung sei nicht natürliches Recht und natürliche Pflicht von Eltern, sondern eine klassische Gemeinschaftsaufgabe."

Leider ist es so, dass es für Eltern immer schwieriger wird für ihre Kinder da zu sein und sie zu erziehen. Dies ist der Fall, wenn beide Elternteile aus finanziellen Gründen arbeiten MÜSSEN . Durch Erziehungsgehalt und Kinderkostengeld wäre dieses Problem gelöst.

Dies hat mit "mehr Staat" aber wenig zu tun. Denn es sind Pauschalleistungen. Das heißt, wir brauchen keine riesigen Verwaltungen, die pro Person Tonnen von Formularen verschwenden, um zu überprüfen, ob die Transferleistungen gerechtfertigt sind. Der Staat muss nicht wie bei Hartz IV, Wohnungen inspizieren und in sich in den Alltag der Menschen einmischen. Alleinerziehende sparen sich umständliche Behördengänge oder gar Gerichtstermine.

Das stellt für mich erheblich weniger Staat dar. Aber natürlich kämpft die Familien-Partei auch dafür, dass die Förderung von Kindern auch gesellschaftlich (also staatlich) gestärkt wird. Das sollten wir auch tun... schon aus sehr egoistischen Gründen: Wenn Kinder die Lust am Lernen verlieren, wenn Jugendliche keine Anerkennung erfahren und sich als Erwachsene nicht als Teil der Gesellschaft verstehen und ihr dann auch nichts zurückgeben (auf dem Arbeitsmarkt, als Eltern, als Ehrenamtliche...), dann sind das langfristige Kosten, die natürlich wieder der Staat bezahlen muss.

Deswegen sehe ich es wie die Familienpartei, wenn sie schreibt: "Familien sind die Grundzellen des Staates«

Der Autor des Artikels hat ja Recht, wenn er schreibt, der Staat kann nicht alle Aufgaben der Familien übernehmen. Gerade deswegen sind gesunde Familien auch die Voraussetzung für einen gesunden Staat. Je mehr Erziehung (GANZ WICHTIG: Persönlichkeitsentwicklung) in den Elternhäusern stattfindet, je besser dort die Talente der Kinder gefördert werden, je besser sich die Familie um ihre älteren Mitglieder kümmern kann, desto weniger Staat brauchen wir letzendlich.

Aber man muss den Familien die Freiheit dazugeben. Sie finanziell entlasten und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Dies ist das Anliegen der Partei.

Zum Thema Abtreibung:
Sie schreiben weiter: »Abtreibungen aus sozialen Gründen entfallen«, schreibt [die Familien-Partei] in ihre Wahlplattform – und geht dabei davon aus, dass es tatsächlich vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen sind, die zu derartigen Entscheidungen führen. "

Da haben sie uns tatsächlich - so denke ich es zumindest persönlich- ertappt. Zwar geht in der Partei kaum Jemand davon aus, dass vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen der Hauptgrund sind. Das unterstellen sie der Partei ein bisschen... aber ich denke, man hat sich mit dem Punkt natürlich schon vor einer Entscheidung gedrückt ;)

Aber warum ist das so? Es liegt daran, dass es eine kleine Partei ist. Hier sind Parteiprogramme nicht in Stein gemeißelt. Es gibt keine Angela Merkel mit einer absoluten Basta-Politik. Es kommen verschiedene Menschen mit verschiedenen Ansichten zusammen aber mit einem großen gemeinsamen Anliegen: Familien und nachfolgenden Generationen zu stärken. Über solche konkreten Fragen findet man vielleicht nicht immer einen Konsens und dann einigt man sich auf diesen Satz, der natürlich ein Kompromiss darstellt.

Dies macht es aber erst so richtig spannend: Denn es zeugt davon, dass es darüber Debatten gibt, dass hier nach gemeinsamen Lösungen in der Partei gesucht wird, mit basisdemokratischen Streitigkeiten. Das ist dynamisch, lebendig, manchmal anstrengend (:D), aber etwas, wovon die etablierten Parteien nur noch träumen können.

Deswegen empfehle ich jedem Bürger (vor allem jungen Leuten, bin ja selber erst 25 Jahre alt):
Bringt euch ein, gestaltet mit, hier ist es noch möglich. Das muss nicht unbedingt die Familien-Partei sein. Es gibt genug andere kleine Parteien. Ich hab es nur bei der Familien-Partei gesehen: Sie sind offen für neue Impulse, andere Meinungen, hier kann aktiv mitgestaltet werden. Die Basis ist nicht einfach nur Stimmvieh wie bei vielen anderen Parteien.

Ein letzter Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist. Sie schreiben: "[Die Familien-Partei setzt sich] für einen Europäischen Staatenbund« ein und verlangt im selben Atemzug, »die Rechte des Europäischen Parlaments zu erweitern und zu stärken«"

Ich persönlich bin auch nicht der größte Fan von einem europäischen Staatenbund. Aber wie gesagt in der Familien-Partei ist man offen für andere Meinungen.

Aber Sie stellen das als Widerspruch dar. Nein, ist es ganz und gar nicht. Denn erst, wenn das Parlament gestärkt wird, d.h. das Volk anständig repräsentiert wird in der EU, erst dann kann ein Staatenbund von den Völkern Europas akzeptiert werden. Weil dann endlich die nötige Legimation gegeben ist.

Eine Stärkung des Parlaments ist also Voraussetzung für einen Staatenbund, kein Widerspruch.

Ich danke Ihnen auf jeden Fall nochmal für den geistreichen Artikel. Auch wenn mir nicht alle Ansichten gefallen, so ist es erfreulich, dass Sie Wahlrpogramme so genau unter die Lupe nehmen und so ausfürhrlich darüber berichten. In der heutigen Schnell-Schnell-Internetzeit eine Wohltat.

Sonnige Grüße,
Thilo Tiede

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