Porträt Barbara Hendricks

Langer Atem trotz Zigarette

Die neue Bundesumweltministerin wurde jahrelang sträflich unterschätzt. Als SPD-Schatzmeisterin war sie Herrin über zahlreiche Beteiligungen ihrer Partei an Immobilien und Zeitungen.

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Vorbemerkung: Seit 1994 sitzt Barbara Hendricks im Deutschen Bundestag. Seit zwölf Jahren gehört sie dem SPD-Bundesvorstand an. Seit 2007 ist sie Schatzmeisterin der Sozialdemokraten. Gleichwohl gilt sie vielen bei ihrer Berufung zur Bundesumweltministerin im dritten Merkel-Kabinett als »Große Unbekannte«.

Entsprechend zahlreich sind die Porträts der neuen Ressortchefin, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Zwei mehr oder minder heitere Anekdoten dürfen darin offenbar nicht fehlen: Zum einen die von der Doktorarbeit mit dem Titel »Die Entwicklung der Margarineindustrie am unteren Niederrhein«. Gerne wird dabei der Zusatz »im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert« unterschlagen, der die Fragestellung allerdings auch nicht reizvoller macht. Die Promovendin mag einen Vorteil darin gesehen haben, dass sich mit diesem Thema zuvor gewiss noch niemand wissenschaftlich befasst hat.

Aber ansonsten ist das Ganze mit Blick auf die neue Ministerin ohne Belang. Ebenso nichtssagend ist die Geschichte von »Burning Barbara«. Im Verlauf einer hitzigen Diskussion, so die Legende, habe Hendricks ihre Zigarette auf dem Handrücken eines CDU-Kollegen ausgedrückt. In der Tat: Hier bekommt das Wort »wutentbrannt« eine ganz neue Bedeutung. Doch auch diese Story führt mit ihrem folkloristischen Einschlag in die Irre, wenn man sich Barbara Hendricks wirklich nähern will. Deshalb ist dieses Porträt auch das erste, das ohne Margarine und Brandwunden auskommt. Und es beginnt ab hier.

Sie weiß, was sie tut, und sie weiß, wie es geht

»Unerwartet« sei die Berufung von Barbara Hendricks zur Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gekommen, befanden viele Hauptstadtjournalisten, als nach Abschluss der SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag endlich die Kabinettsliste durchsickerte. Doch die Haus- und Hofzeitung ihrer Heimatregion, die Rheinische Post, konterte kühl: Die Personalie  Hendricks sei »für SPD-Beobachter keine Überraschung«. Und damit liegt sie wohl richtig.

Denn Barbara Hendricks gehört seit Jahrzehnten zu den starken Frauen der Sozialdemokratie – und beeindruckt insofern vor allem durch die Ausdauer, mit der sie ihre Karriere betrieben hat: Diese beginnt im Jahre 1978, als die studierte Historikerin als Referentin in der Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion anfängt. Nur kurze Zeit später folgt der Wechsel nach Düsseldorf, wo sie NRW-Finanzminister Diether Posser als Sprecherin zur Seite steht. Posser gehört zu den starken Gestalten der Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr zu einer Zeit, als man dort noch Wahl für Wahl satte Mehrheiten einfährt. Anfang der neunziger Jahre wechselt Hendricks als Ministerialrätin ins Landesumweltministerium. Dort heißt ihr Chef Klaus Matthiesen, den sein konzernfreundliches Agieren längst zur Lieblingszielscheibe aller Ökobewegten hat werden lassen. Hendricks identifiziert sich mit ihm und seiner Überzeugung, dass man Umweltschutz und Industriepolitik nicht gegeneinander ausspielen darf.

So lernt sie ihr heutiges Ressort quasi »von der Pieke auf«, doch Barbara Hendricks ist nicht nur Fach-, sondern vor allem auch Machtpolitikerin. Gut vierzig Jahre ist sie jetzt eingeschriebene Sozialdemokratin, im heimischen Kleve feiert sie 2014 das Silberjubiläum als Unterbezirkschefin. Ihre guten Kontakte lassen sie schon ein Jahr nach der erstmaligen Wahl in den Bundestag in den Fraktionsvorstand aufsteigen. Und als sie nach dem Schröder-Triumph Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium wird, vermag sie sich dort ein ganzes Jahrzehnt lang zu halten und »überlebt« die Minister Lafontaine und Eichel ebenso bruchlos wie den Wechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Rot. Die »Nummer Zwei« im Haus ist sie auch unter Peer Steinbrück, ebenso wie auf der Landesliste der SPD zur letzten Bundestagswahl: Bei ihrer Nominierung durch die NRW-Genossen kassiert sie eine Gegenstimme und eine Enthaltung – bei 389 Ja-Stimmen.

Kämpferin für einen lebendigen Mittelstand

Zu diesem Zeitpunkt ist Barbara Hendricks bereits seit sechs Jahren Bundesschatzmeisterin der Sozialdemokraten. Von diesem Amt nimmt die Öffentlichkeit nur wenig Notiz – und vielleicht ist es gerade deshalb so machtvoll. »Seit dem Jahr 1990 haben wir nahezu die Hälfte der Mitglieder verloren«, beklagt Hendricks in ihrem jüngsten Finanzbericht als oberste Kassenwartin. Deshalb verbleiben der Partei auch nur noch fünfzig Millionen Euro Jahreseinnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und zusätzlich noch einmal rund die Hälfte aus Mandatsträgerabgaben. Rückläufig sind auch die Einkünfte aus der staatlichen Parteienfinanzierung, und beim Wettbewerb um Spenden aus der Wirtschaft fühlt sich die selbsterklärte »Partei des kleinen Mannes« ohnehin seit ehedem benachteiligt.

Doch die Schatzmeisterin hat zwei Goldesel im Stall, und auch deshalb besitzt ihr Amt so großen Einfluss: Da ist zum einen jene Gesellschaft, die unter dem merkwürdigen Namen »Konzentration GmbH« firmiert. »Mehr als 110 Immobilien-Objekte umfasst der Grundbesitz der SPD. Darunter befinden sich traditionsreiche Häuser ebenso wie moderne Büroetagen und Ladenflächen für die politische Arbeit vor Ort«, heißt es im Finanzbericht lapidar. Im Klartext: Wer glaubt, dass sich das Parteiunternehmen auf den sozialen Wohnungsbau konzentriert, liegt definitiv falsch.

Doch noch viel interessanter als diese Holding innerstädtischer Filetstücke ist ein weiterer Betrieb, den Barbara Hendricks seit 2007 im Auftrag der Partei beherrscht: die auf den ersten Blick ebenso unscheinbare »Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft« (DDVG). In ihren Rechenschaftsberichten weist die SPD seit Jahren nur ihr gezeichnetes Eigenkapital an dieser Firma aus. Doch deren wahrer Wert wurde bereits im Jahr 2000 auf »eine Milliarde Mark« geschätzt. Wie hoch er heute liegt, ist unbekannt.

Die DDVG zeichne sich durch »Engagement im Segment der regionalen Tageszeitungen« aus, formuliert Hendricks. Insofern trage sie »zum Erhalt einer lebendigen mittelständischen Presselandschaft bei«. Und so nimmt die SPD Einfluss auf die Lebendigkeit von Sächsischer Zeitung und Dresdner Morgenpost, Leipziger Volkszeitung und Neuer Westfälischer, Hannoverscher Allgemeiner und jener der Kieler Nachrichten, und auch die Zeitschrift Öko-Test prüft Lebensmittel vor allem im Auftrag des Willy-Brandt-Hauses. All das ist natürlich nur eine Auswahl. Ergänzend sei vielleicht noch erwähnt, dass die SPD auch hinter der Frankfurter Rundschau steht. Aber man weiß halt nicht genau, ob diese noch zu den Lebenden zählt.

Fest steht allerdings, dass die Sozialdemokraten ein solches Imperium wohl kaum einer Genossin anvertrauen würden, die sie bloß als »Proporzfrau aus NRW« verschleißen. Und so liegen auch all jene daneben, die Hendricks‘ Aufstieg ins Bundeskabinett unter diesem Oberbegriff zu fassen versuchen. Die Frauenparität hätte die SPD-Seite problemlos über das Justizministerium herstellen können, und auch die Zugehörigkeit der Ministerin zum größten Landesverband taugt als alleinige Erklärung wenig. Vielmehr verdankt Barbara Hendricks den neuen Posten ihrer eigenen Machtfülle, die sich speist aus einer dichten Vernetzung innerhalb der Partei, großer Entschlossenheit beim Verfolgen der eigenen Ziele und vor allem einem Maß an Durchhaltevermögen, das in der Politik dieser Tage seinesgleichen sucht.

Aus der Reihe: "Merkels neue Minister"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Michael Schneider-Flagmeyer

"Man darf die Sozen nicht ans Geld lassen", soll einer der Gründungsväter der Sozis gesagt haben.
Dieser viel ztierte Spruch wird schon lange Lügen gestraft.
Überzeugend hat der Autor , Dr. Georg Alfes, dargelegt, dass die Genossen ein ausgesprochen enges Verhältnis zum Geld haben, wenn es denn ihnen zugute kommt. Und sie haben ein bewunderswertes Gespür dafür, wo es zu finden ist, sozialdemokratische Prinzipien hin oder her.
Der olle Adenauer hat immer gesagt: "Dat einzige wadde de Sozialdemokraten von Jeld verstehen, is ,wie se et von andere kriejen könne."
Nun denn! Wer Barbara Hendricks für ein unbeschriebenes oder unbedeutendes Blatt gehalten hat, muss sich jetzt eine Brille mit extrastarken Gläsern kaufen oder dringend den grauen (nicht den roten) Star operieren lassen. Anders verhält es sich mit dem "grünen" Star, der ist noch gefährlicher und schwieriger zu kurieren.

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