Europäisches Asylsystem

Keine Abschiebungen mehr nach Griechenland

Das griechische Asylsystem ist zusammengebrochen. Asylbewerber dürfen nicht mehr dorthin abgeschoben werden. Da Griechenland ein gescheiterter Staat ist, ändert sich die Tektonik des Schengen-Raumes.

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Das jüngst ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Asylrecht (Az. C-4/11) wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die menschenunwürdigen Zustände des griechischen Asylsystems. Es zeigt in eindrücklicher Schärfe die Problematik auf, die damit verbunden ist, dass ein »gescheiterter Staat« – nämlich Griechenland – Mitglied des Staatenverbundes Europäische Union ist.

Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass ein Mitgliedsland die Asylanträge von über einen Drittstaat eingereisten Immigranten bearbeiten darf, aber nicht muss. Wenn es das nicht tut, muss es jedoch herausfinden, welches andere Mitgliedsland für die Bearbeitung des Antrags zuständig ist. Erst wenn diese Suche negativ verläuft, zum Beispiel wegen menschenunwürdiger Zustände, ist das Land, in dem der Antrag zuerst gestellt wurde, für die Bearbeitung des Asylgesuchs zuständig.

Der Fall war den Luxemburger Richtern vom hessischen Verwaltungsgericht vorgelegt worden, weil es sich um ein Verfahren von übergeordneter Bedeutung handelte.

Ein Einzelfall, der zum Präzedenzfall wird

Angestrengt hatte das Verfahren der Iraner P., der 2007 vor den Behörden seines Heimatlandes über die Türkei nach Griechenland geflüchtet war. Sein eigentliches Ziel aber war Deutschland, weil dort, in Frankfurt am Main, Verwandte von ihm wohnten. Am Flughafen fielen seine gefälschten Papiere auf, er beantragte Asyl, doch wurde unter Berufung auf die Dublin-II-Verordnung nach Griechenland abgeschoben. Die besagt: Zuständig für einen Asylantrag ist das EU-Land, das der Asylsuchende zuerst betritt, wenn das Land, in dem der Asylantrag gestellt wird, das Verfahren nicht an sich ziehen will. Doch trotz Hinweisen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, dass es mit dem griechischen Asylwesens nicht zum Besten bestellt ist, wurde P. 2008 abgeschoben.

In Griechenland widerfuhr P. dann eine Behandlung, die auch griechischem Recht widersprach: Die Unterbringung war menschenunwürdig, das Verfahren rechtsstaatswidrig. Was P. über seine Zeit in Athen berichtete, deckt sich mit den Ermittlungen der deutschen Hilfsorganisation Pro Asyl und des UNHCR. Karl Kopp von Pro Asyl sagte schon 2009: »In der Praxis gibt es in Griechenland kein Asylrecht, das den Namen verdient. Die Europäische Kommission hätte schon längst ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten müssen, nachdem Griechenlands rudimentäres Aufnahmesystem völlig zusammengebrochen ist.«

P. war in der glücklichen Lage, in Deutschland über ein Netz von Unterstützern zu verfügen, die es möglich machten, dass er wieder nach Deutschland einreisen durfte. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gab ihm schließlich recht und verurteilte die Bundesrepublik, das Asylgesuch P.s selbst zu bearbeiten; den Ermessensspielraum reduzierte es angesichts der von verschiedenen Seiten bestätigten Zustände in Griechenland auf Null. Auch das Bundesinnenministerium reagierte schließlich, als es 2011 Abschiebungen nach Griechenland aussetzte.

Das gesamte Asylsystem steht zur Diskussion

Nach dem EuGH-Urteil, das auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung beruht, steht das gesamte europäische Asylsystem zur Diskussion. Die Dublin-II-Verordnung wird vor allem von den Staaten aus der europäischen Peripherie kritisiert, weil sie ihnen die ganze Verantwortung für die Bearbeitung der Migration aus Afrika und Asien aufbürdet, wie sie sagen.

Auch Menschenrechtsaktivisten halten das gegenwärtige System für ungerecht. Sie fordern die Verteilung aller Asylsuchenden nach festen Quoten auf alle Mitgliedsstaaten, unabhängig von deren geografischer Lage. Die Vorsitzende der Europäischen Grünen Fraktion im Europäischen Parlament, Rebecca Harms (Grüne), kritisiert allerdings nicht nur Länder wie Deutschland, die an Dublin-II festhalten. Sondern sie sieht auch das Versagen von Ländern wie Griechenland; die hätten »aufgehört, eine ordentliche Asyl- und Flüchtlingspolitik zu machen.«

Das griechische Versagen hat die europäische Politik in ein Dilemma gestürzt: Wie umgehen mit den Asylsuchenden, um die sich Griechenland vertragswidrig nicht mehr kümmert? Vor diesem Hintergrund wächst bei vielen Politikern der Unmut, sie rufen nach bisher undenkbaren Konsequenzen. So sagte der Vorsitzende der französischen Partei UMP Jean-François Copé kürzlich: »Gewisse Länder wie Griechenland schenken der Bewachung der europäischen Grenzen kein besonderes Gewicht, da ihnen bekannt ist, dass die Immigranten nicht dort bleiben, sondern sich in andere europäische Länder begeben wollen. Diese Länder, die ihre Vereinbarungen nicht einhalten können oder nicht in der Lage sind, sie einzuhalten und die europäischen Grenzen zu bewachen, müssen wir bestrafen und sogar ausschließen.«

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Aber bitte! Die Justiz ist bekanntlich auf dem ein(zigen) Auge blind und der Finanzminister ist ein Rechtsanwalt. Der hat´s snicht so mit den Zahlen. Also Irrtümer kann man nie ausschließen, aber grundsätzlich gilt: Niemand hat Schuld und der Deutsche darf´s bezahlen.

Wir werden uns bei dem was diese Regierung hier treibt, bald nicht mehr in unseren europäischen Nachbarländern blicken lassen können.

Gravatar: Helene

So so, menschenunwürdige Zustände in Griechenland? Das kann doch nicht sein, unser lieber und treusorgender Finanzminister hat uns doch immer und immer wieder erklärt, daß "Griechenland auf einem guten Weg" ist.
Ach, der Europäische Gerichtshof hat den Widerspruch noch nicht bemerkt? Ist das bei so klugen Köpfen über haupt möglich?

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