Porträt Andrea Nahles

Im Kampf gegen die Macht der Zahlen

Als Abiturientin wollte Andrea Nahles »Hausfrau oder Bundeskanzlerin« werden. Einstweilen ist sie Ministerin für Arbeit und Soziales und plündert die Rentenkasse. Da steht uns ja noch etwas bevor.

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Nein, Andrea Nahles ist nicht Integrationsbeauftragte der Landesregierung von Sachsen-Anhalt geworden. Sie besetzt keinen Lehrstuhl an der Universität Rostock, leitet nicht die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt Dortmund, führt nicht das Denkwerk Demokratie e.V. und arbeitet auch nicht in der Berliner Senatskanzlei. All das überlässt sie ihren Vorgängern und Nachfolgern im Amt der Juso-Bundesvorsitzenden. Andrea Nahles dagegen ist seit Gerhard Schröder die Erste aus der Ahnenreihe der Juso-Chefs, die es in der Politik tatsächlich zu etwas gebracht hat. Und somit die Einzige in mehr als dreißig Jahren.

Dieser Umstand allein sagt schon eine Menge aus über die Frau, die bereits stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei war und Generalsekretärin, und die nun seit Ende 2013 dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorsteht. Dessen Tätigkeit wird von Andrea Nahles bereits seit ihrer erstmaligen Wahl in den Bundestag 1998 parlamentarisch begleitet, und nun leitet sie das kunterbunte Haus endlich selbst: Nahles ist Ministerin für die Rentenversicherung und die Integration von Behinderten, die Arbeitsmarktförderung und die Aus- und Weiterbildung, und auch das weite Feld der europäischen Sozialpolitik gehört zu ihrem Aufgabenbereich. Mehr als 120 Milliarden Euro stehen allein in diesem Jahr unter der Verantwortung der SPD-Politikerin, gut vierzig Prozent des Bundesetats. Zwei beachtliche Zahlen im »Land des entfesselten Marktes«.

Die Plünderung der Rentenkassen

Die Ministerin hat schon in den Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht, dass sie die kommenden Jahre nutzen wird, um den Deutschen ihr Einmaleins zu lehren – ob man sie nun mag oder nicht. Vor allem in der Rentenpolitik kämpft Nahles seit jeher gegen die faktische Macht der Zahlen: So gehörte sie von Anfang an zu den erbitterten Gegnern der »Rente mit 67«, die Kanzler Schröder und ihr eigener Vorgänger Franz Müntefering während ihrer Regierungszeit durchgesetzt haben.

Im Bündnis mit der Union dreht Nahles diese Errungenschaft nun wieder zurück: Ihr Meisterstück aus den Koalitionsgesprächen ist die »Rente mit 63« für jene, die auf fünfundvierzig Beitragsjahre zurückblicken können. In der Vorstellungswelt der Ministerin begünstigt dies vor allem die »Malocher«. Doch mit einem Minijob neben dem Studium kann man die geforderten Beitragsjahre auch herbeiführen, indem man nämlich für die Versicherungspflicht optiert.

Diese und andere »soziale Wohltaten«, die Nahles durchgesetzt hat, werden die Rücklage der Rentenversicherung von derzeit 31 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 vollständig aufzehren. Ein Skandal mit der tausendfachen Sprengkraft des Diözesanzentrums in Limburg – nur leider mit einem Tausendstel der medialen Empörung versehen. Die Planzahlen, mit denen die Ministerin rechnet, gehen im Übrigen davon aus, dass der Bundeszuschuss zur Renten»versicherung« von zuletzt 81,2 Milliarden Euro weiter anwachsen wird und zugleich der Beitragssatz bis 2019 auf 19,7 Prozent steigt.

Auch auf den anderen Politikfeldern, für die Andrea Nahles künftig Verantwortung trägt, ist wenig Gutes von ihr zu erwarten: Unter Arbeitsmarktförderung verstand sie bisher zumeist den Kampf gegen die Befristung des Arbeitslosengeld-I-Bezugs. Ihre Stellungnahmen zu Aus- und Weiterbildung konzentrieren sich auf die Forderung nach höheren Lehrlingsvergütungen, zum Schaden gerade besonders geringqualifizierter Bewerber, die es dadurch auf dem Markt noch schwerer hätten. Und dass sich die Ministerin auch grenzüberschreitend für mehr Dirigismus einzusetzen gedenkt, offenbart schon allein die Berufung des bisherigen EZB-Direktoriumsmitglieds Jörg Asmussen zum neuen Staatssekretär im Andrea-Nahles-Haus.

Daneben zieht auch der Leiter der Abteilung »Politik« in der SPD-Parteizentrale, Thorben Albrecht, mit in die Führungsetage des Arbeitsministeriums ein. Der »studierte Historiker« war zuvor persönlicher Mitarbeiter der Ministerin, genauso wie einst die ehemalige PDS-Abgeordnete Angela Marquardt, was die mangelnde Distanz der neuen Ressortchefin nach Linksaußen unterstreicht.

Eine fromme Sozialdemokratin aus der Eifel

Dabei könnte Andrea Nahles eigentlich ganz anders sein. Denn sie führt exemplarisch vor Augen, wie viel man im Leben erreichen kann, wenn man sich an festen Werten orientiert und man dann, wenn es schwierig wird, auch einmal die Zähne zusammenbeißt. Geboren 1970 im Eifelort Mendig stammt Nahles aus einfachen Verhältnissen. In ihrem 2009 erschienenen Buch »Frau, gläubig, links« geht die Politikerin, die sonst nur allzu oft als Apparatschika erscheint, in sehr persönlichen Worten auf ihre Kindheit ein. Sie schildert ihre Freude am Messdienen und ihre Arbeit in der Jugendgruppe und bekennt, dass ihre politische Aktivität »aus dem Engagement in der katholischen Kirche entstanden« sei. Es habe sie seither immer »irritiert, dass ich als Juso-Vorsitzende nie, nicht ein einziges Mal die Frage zu hören bekam, ob ich gläubig sei oder christliche Wurzeln hätte. Alle haben vorausgesetzt, dass dem nicht so sein kann«. Erst als sie sich 2010 im Bundestag kritisch mit der Frage von Spätabtreibungen auseinandergesetzt habe, sei dieser Umstand erstmals thematisiert worden. Und während andere gerne über die christliche Prägung von Kultur und Gesellschaft sprechen, so als sei der Glaube eine Ideologie, veröffentlicht Andrea Nahles einen Artikel über das Lied »O Jesu, all mein Leben bist Du«, das ihr schon als Kind »sehr zu Herzen gegangen« sei und ihr die Zuversicht vermittele, »dass der Glaube an Jesus Christus stärker ist und trägt«.

Diese Stärke überträgt sich auch auf ihre Persönlichkeit: Während andere eine sorglose Jugend durchleben, muss Nahles einen schweren Autounfall verkraften, deren Konsequenzen sie bis heute spürt. Während andere mit dem Strom schwimmen, gründet Nahles schon als Teenagerin den ersten SPD-Ortsverein in ihrer Heimatgemeinde. Während andere ein Studium von Politik, Philosophie und Germanistik nach zwanzig Semestern längst geschmissen hätten, hält Nahles durch und macht ihren Abschluss schließlich doch noch. Während andere mit dem Aufstieg ihre Wurzeln kappen, kauft Nahles den Bauernhof ihrer Urgroßeltern auf und richtet sich dort eine Heimstätte ein.

Und während andere die Traumkarriere nur ohne Brüche und Rückschläge schaffen und sich von Grenzen eigener Machbarkeit gleich aus der Bahn werfen lassen, verkraftet Nahles sowohl ihre Abwahl aus dem Bundestag nach nur einer Legislaturperiode als auch alle Anfeindungen nach dem Amtsverzicht von Parteichef Müntefering, die viele in der SPD dem Ehrgeiz der linken Frontfrau anlasten. So hatte sich Nahles 2005 gegen den erklärten Favoriten Münteferings die Nominierung zur Generalsekretärin erkämpft, was der gekränkte Altvordere mit einem Verzicht auf eine erneute Kandidatur quittierte. Bis heute erzielt Nahles auf Parteitagen meist mäßige bis schlechte Stimmergebnisse, doch scheint sie das nicht aus der inneren Ruhe zu bringen.

Mit Nervenstärke auf dem Weg nach oben

Nahles ist keine Quertreiberin, aber sie scheut nicht zurück vor dem offenen Wort, sei es mit ihrer Kritik an der »Agenda 2010«, sei es mit ihrer abweichenden Haltung zur Neuwahlentscheidung Gerhard Schröders nach der verlorenen NRW-Abstimmung 2005. Ihre Nervenstärke stellt Nahles gerne auch an Wahlabenden unter Beweis, wenn sie selbst katastrophalste SPD-Ergebnisse wegzulächeln weiß und so die Stimmung in der Partei mehr als einmal vor dem Sturz ins Bodenlose bewahrt hat.

Und so bleibt es letztlich ein Rätsel, warum diese Frau, die doch so anders sein könnte, wie kaum eine andere Politikerin der Sozialdemokraten oft als Inkarnation ideologischer Engstirnigkeit erscheint. Ihr Berufswunsch sei »Hausfrau oder Bundeskanzlerin«, schreibt Nahles in der Abschlusszeitung ihrer Abiturklasse. Andere in der politischen Linken würden darin einen maximalen Gegensatz sehen. Andrea Nahles nimmt man ab, dass ihr beide Rollen liegen würden.

Aus der Reihe: "Merkels neue Minister"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: lastboysscout

Dein Kommentar repräsentiert sicherlich nicht den "Geisteszustand" der AfD. Auf solche Gedanken kommt ein Genie, wenn es bei Aldi an der Kasse sitzt und brüllt: "Holt mich hier raus - ich bin der neue Bundeskanzler!"

Gravatar: Jaques LeMouche

"Während andere ein Studium von Politik, Philosophie und Germanistik nach zwanzig Semestern längst geschmissen hätten, hält Nahles durch und macht ihren Abschluss schließlich doch noch. "

Während man andere nach zwanzig Semestern von Orchideenfächern ewige Studenten nennt, bescheinigt man einem Apparatschik Biss. Geht's noch???

Des weiteren vermisse ich irgendeine berufliche Laufbahn oder überhaupt irgendeine Tätigkeit, z.B. irgendeinen Job, wie bei Aldi an der Kasse sitzen, Fabrikarbeit, Zeitung austragen, also irgendetwas womit sich Frau Nahles ihren Lebensunterhalt verdiente. Für jemand, der sich seiner einfachen Herkunft rühmt, ist es schon seltsam, nie gearbeitet zu haben und nie die Notwendigkeit kennengelernt zu haben, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Sie ist und bleibt ein Apparatschik ohne jegliche Qualifikation, ohne jemals das Leben kennengelernt zu haben und ohne jeglichen sonstigen Kenntnisse, die ihren Aufstieg allein der Parteizugehörigkeit verdankte.

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