EZB und Schuldenkrise

Gigantische Gedankenspiele

Die EZB erwägt den Ankauf von Staatsanleihen in einer Höhe von bis zu einer Billion Euro pro Jahr. Dieses Staatsanleiheankaufsprogramm stellt die beiden Vorgänger weit in den Schatten.

Foto: tausend und eins, fotographik / flickr.com / CC BY 2.0
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Während der Eurokrise wurde lange das Schreckgespenst der Inflation an die Wand gemalt. Derzeit peinigt allerdings das andere Extrem die Währungshüter: die Deflation. Sie soll mit allen Mitteln verhindert werden. Die EZB ist in allererster Linie der Preisstabilität verpflichtet. Dies bedeutet keine zu hohen Inflationsraten, aber auch keine zu niedrige oder gar negative Inflation. EZB Präsident Mario Draghi sprach Anfang April von der Bereitschaft der EZB, zu »unkonventionellen Instrumenten« zu greifen, sollte die Inflation zu lange zu niedrig bleiben. Derzeit liegt die Rate bei 0,5 Prozent – einem Viertel des EZB-Ziels von knapp zwei Prozent. Die Gedankenspiele der EZB haben gigantische Ausmaße: Ein potenzielles Ankaufsvolumen von einer Billion Euro, also 1.000 Milliarden Euro pro Jahr, hat die EZB jüngst im Rahmen einer Simulation durchgerechnet. Damit soll die Inflation um 0,2 bis 0,8 Prozentpunkte in die Höhe getrieben werden.

Bei den Gedankenspielen handelt es sich nicht um die ersten Staatsanleihekauf-Programme der EZB. Sollte das Eine-Billion-Euro-Programm umgesetzt werden, wäre es bereits die dritte derartige Maßnahme der EZB. Allerdings war das erste Programm deutlich kleiner. Das zweite war zwar im Volumen unbegrenzt, wurde aber nicht umgesetzt.

Erstes Ankaufsprogramm für Griechenland, Portugal und Irland

Rückblick: Das erste Staatsanleihekaufprogramm der EZB, das Securities Marktes Programme (SMP), begann am 10. Mai 2010. Damals begann sich die Schuldenkrise in Griechenland, Portugal und Irland zuzuspitzen. Allein im Mai 2010 kaufte die EZB Titel der drei Staaten im Umfang von 55 Milliarden Euro. Allerdings konnte die EZB nicht verhindern, dass nach Griechenland auch Portugal und Irland unter dem Euro-Rettungsschirm Zuflucht suchen mussten. Damit schien die Schuldenkrise zunächst eingedämmt, und die EZB ließ das SMP-Programm ab März 2011 ruhen.

Allerdings erreichte die Krise im Juli 2011 Spanien und Italien und führte zu einem gefährlichen Zinsanstieg der jeweiligen Staatsanleihen. Die beiden Staaten drohten in eine Negativ-Spirale aus immer höheren Zinsen und steigender Verschuldung zu geraten. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone erschien wahrscheinlich. In dieser Situation musste die EZB das SMP wieder aufnehmen. Ab August kaufte die EZB spanische und italienische Anleihen in einem deutlich größeren Volumen. Der Gesamtbestand der EZB erreichte sehr schnell ein Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro. Allerdings dämmte dies die Krise nicht ein. Zwischen Ende Oktober und Ende November 2011 stiegen die Zinsen von zweijährigen italienischen Anleihen von 4,5 Prozent auf 7,6 Prozent – trotz der Käufe aus dem SMP. Staatsanleihekäufe allein reichten also nicht mehr. In dieser dramatischen Stunde ergriff die EZB weitere Maßnahmen. Sie öffnete die Liquiditätsschleusen und gewährte den Banken erstmals dreijährige Refinanzierungskredite. Zudem lockerte sie die Sicherheitsanforderungen an EZB-fähige Wertpapiere deutlich. Diese geldpolitischen Maßnahmen führten zusammen mit weiteren Ereignissen – dem Rücktritt der Regierung Berlusconi in Italien und der Einführung des Fiskalpakts mit den nationalen Schuldenbremsen – zu einer Beruhigung der Situation. Insofern ist die Bilanz des SMP gemischt. Zwar konnten die Anleihekäufe im August 2011 die Lage kurzzeitig beruhigen. Als sich die Situation im November 2011 erneut zuspitzte, half das SMP alleine jedoch nicht.

Draghi verspricht »whatever it takes« zu unternehmen

Im Sommer 2012 flammte die Krise erneut auf. Wieder stiegen die Zinsen für zweijährige Anleihen Spaniens und Italiens stark an. Innerhalb von acht Tagen kletterten sie im Juli für spanische Anleihen um zwei Prozentpunkte, für italienische Anleihen um 1,5 Prozentpunkte. Da die beiden Staaten für den Rettungsschirm zu groß sind, blieb wieder nur die EZB als Krisenhelferin. Am 26. Juli 2012 hielt EZB-Präsident Mario Draghi in London seine berühmt-berüchtigte Rede, die sich mit folgendem Zitat zusammenfassen lässt: »Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.« Im September 2012 wurden die Details des neuen Staatsanleihe-Ankaufsprogramms verkündet.

Das Outright Monetary Transactions (OMT) unterschied sich in einigen entscheidenden Punkten vom Vorgänger SMP. So sind die Ankäufe am Sekundärmarkt im Rahmen des OMT grundsätzlich unbeschränkt, während beim SMP ein festgelegter Umfang bestand. Zudem sind die Akquisitionen nach dem OMT an bestimmte Bedingungen gebunden. Die EZB kauft nur Anleihen eines Staates, der am vollen Anpassungs- und Hilfsprogramm des ESM teilnimmt und die Reformbedingungen auch einhält. Durch das OMT würde eine Menge an Liquidität geschaffen. Das Programm sieht jedoch explizit eine entsprechende Schrumpfung der Geldmange (Sterilisierung) durch andere geldpolitische Maßnahmen vor.

Das Bemerkenswerte am OMT: Seine bloße Ankündigung hat die Märkte ausreichend beruhigt. Bis heute wurden keine Staatsanleihen im Rahmen des OMT angekauft. Insofern kann das OMT als Erfolg gewertet werden, das dazu beigetragen hat, die schwierige Situation des Jahres 2012 zu entspannen.

Bundesverfassungsgericht hat massive Bedenken

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht massive Bedenken geltend gemacht. In seinem Urteil vom 18. März 2014 verkündet das Gericht, dass der OMT-Beschluss nach seiner Auffassung über das Mandat der europäischen Zentralbank hinausgeht. Damit greife die EZB in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ein. Zudem verstoße sie gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung. Diese Fragen hat das Verfassungsgericht jedoch nicht entschieden, sondern an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung weiter gereicht. Das ist übrigens das erste Mal in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, dass die Karlsruher Richter den EuGH anrufen.

Zu klären ist einer der strittigsten Punkte: Betreibt die EZB mit den Staatsanleihekäufen verbotene Staatsfinanzierung? Die EZB darf Staatsanleihen grundsätzlich nur auf dem Sekundärmarkt kaufen. Das heißt, erst muss ein anderer Käufer – bspw. eine Bank – die Anleihen kaufen und dann wieder veräußern. Der Effekt der EZB-Aktion ist also im Wesentlichen eine Steigerung der Anleihekurse auf dem Zweitmarkt. Kritiker sehen eine gefährliche Nähe zur unmittelbaren Staatsfinanzierung, wenn Investoren eine Anleihe am Primärmarkt kaufen und diese innerhalb kurzer Zeit – quasi mit Sicherheit – an die EZB weiterverkaufen können. Die EZB hält derzeit eine Frist von einigen Tagen zwischen Anleiheemission und Ankauf auf dem Zweitmarkt ein. Diese Frist ist nach Expertenmeinungen zu kurz. Wichtig sei eine größere Zeitspanne, um die freie Bildung eines Marktpreises zu ermöglichen.

EZB will »verlorenes Jahrzehnt« vermeiden

Das neu von der EZB avisierte Eine-Billion-Euro-Programm unterscheidet sich deutlich von den beiden Vorgängerprogrammen. Die bisherige Zielsetzung war es, in Krisensituationen, die Märkte zu beruhigen und die Zinsen von Staatsanleihen der Krisenstaaten zu senken. Die Deflationsbekämpfung ist ein ganz anderes Ziel. Damit will die EZB ihrem wichtigsten Ziel, einer avisierten Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent nahekommen. Die Inflation in der Eurozone ist derzeit auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahren. Mit 0,5 Prozent liegt sie bei einem Viertel des Inflationsziels und damit nahe an der Deflation.

Die EZB will ein Szenario wie in Japan der 1990er Jahre, das gemeinhin als »lost decade« gilt, vermeiden. Diese Zeit war in Japan von Deflation, Nullwachstum und einem starken Ansteigen der Staatschulden geprägt. Der japanische Staat hat damals mit Konjunkturprogrammen reagiert, die wirkungslos verpufft sind. Die EZB schlägt jetzt einen anderen Weg ein. Dies liegt auch daran, dass andere Möglichkeiten einer expansiven Geldpolitik – wie etwa Zinssenkungen – bereits weitgehend ausgeschöpft sind. Die Ankündigung, für eine Billion Euro Staatsanleihen zu kaufen birgt allerdings große Risiken – nämlich die Vergemeinschaftung der Schulden. Ob die Risiken, die eine Deflation mit sich bringt, wirklich größer sind ist fraglich.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: reiner tiroch

verwunderlich ist die Tatsache, dass noch immer keiner kapiert hat, dass das Finanzsystem fertig hat. sie werden uns kaltlächelnd alles nehmen. dann bin ich gespannt was da so für blöde berichte daher kommen, gell?

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