Ukrainekrise

Frieden am seidenen Faden

Der Kompromiss von Minsk verspricht eine fragile Hoffnung auf Frieden. Doch der Geist des Misstrauens überdeckt die Friedensdiplomatie. Bereits das alte Minsker Abkommen war nicht eingehalten worden.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat viel zu tun in diesen Tagen. EU-Gipfel in Brüssel zum Schuldenstreit mit Griechenland, Besuch beim US-Präsidenten Barack Obama in Washington, Verhandlungen im weißrussischen Minsk. Doch niemand weiß wirklich, wie sehr sie eine souveräne Akteurin oder die Getriebene ist. Die Zahl und Bedeutung der verschiedenen Brennpunktthemen wirkt jedenfalls bedrohlich.

Gipfel einigt sich auf Friedensplan

Wie drängend die Probleme sind, hat sich bei den langen und beschwerlichen Verhandlungen beim Gipfel von Minsk gezeigt. 16 Stunden – den ganzen Tag und nahezu die ganze Nacht haben die Verhandlungsteilnehmer um Details gefeilscht: die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der französische Präsident François Hollande und sein Außenminister Laurent Fabius, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, der russische Präsident Wladimir Putin und sein Außenminister Sergei Lawrow. Gastgeber war der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko. Am Ende kommentierte Putin, man habe sich trotz aller Schwierigkeiten auf die wichtigen Dinge einigen können.

Man hat einen 13-Punkte-Plan erarbeitet. Demnach soll ab Mitternacht vom Samstag auf Sonntag eine neue Waffenruhe gelten. Die schweren Waffen sollen sich hinter die Frontlinien zurückziehen. Dabei soll die OSZE den Prozess überwachen.

Dann soll über Wahlen in Donezk und Lugansk gesprochen werden. Die Menschen sollen in den Krisenprovinzen temporär mehr Autonomie zugestanden bekommen. Den Kämpfern soll Amnestie angeboten werden und die Gefangenen freigelassen werden. Zugleich soll humanitären Hilfeleistungen der Zugang in die Region ermöglicht und die soziale Infrastruktur wieder aufgebaut werden.

Schwierig wird es bei folgenden Punkten: Die Ukraine soll die Kontrolle an der ukrainisch-russischen Grenze zurückbekommen. Alle ausländischen Söldner sollen die Region verlassen. Das wird nicht leicht zu bewerkstelligen sein. Anvisiert werden eine neue ukrainische Verfassung, eine Dezentralisierung der Ukraine und ein Sonderstatus für Lugansk und Donezk. Eine internationale Kontaktgruppe und die OSZE sollen das Ganze beaufsichtigen.

Eigentlich wurde alles angesprochen, was lange zuvor die weltweiten Friedensaktivisten gefordert hatten. Da zeigt sich wieder einmal, dass sich die Politiker nach dem Säbelrasseln auf die Realität der Kompromissebene zurückbesinnen müssen, wenn sie es nicht zur völligen Eskalation kommen lassen wollen.

Wird der Waffenstillstand diesmal halten?

Die Kommentare in den Zeitungen und Gazetten überschlagen sich mit Wertungen und Mutmaßungen. Doch das Spiel hinter der Politikkulisse bleibt verborgen. Wir wissen nicht, welche Pläne Poroschenko wirklich verfolgt, welche Agenda Jazenjuk hat, wie sehr die Amerikaner im Schatten die Fäden ziehen, wie souverän Angela Merkel verhandeln durfte, wie groß der Handlungsspielraum von Wladimir Putin tatsächlich ist.

Insbesondere aus den USA und Großbritannien kommen skeptische Töne zum Minsker Abkommen. Liegt das daran, dass sie an den Verhandlungen nicht direkt teilgenommen haben? Jedenfalls sieht man in Washington nun Putin in der Pflicht, klare Schritte im Sinne der Waffenruhe zu unternehmen. Auch aus London kommen verhaltene Töne. Der britische Premierminister David Cameron erwartet von Moskau, dass den Worten Taten folgen.

Realist zu sein, heißt Pessimist zu sein

Die vorherige Einigung von Minsk hatte in der Realität nicht lange gehalten. Was am Verhandlungstisch ausgemacht wurde, muss noch lange nicht an der Front von den einzelnen Betroffenen korrekt umgesetzt werden. Und diese Umsetzungsfehler und Verzögerungen können zu gegenseitigen Vorwürfen und neuer Hetzpropaganda führen.

Nicht am Verhandlungstisch saßen die US-Amerikaner, die mächtigen ukrainischen Oligarchen, die westlichen Großinvestoren und die ostukrainischen Separatisten. Wenn einzelne Interessengruppen mit den Verhandlungsergebnissen nicht einverstanden sein sollten, könnten sie den Vorgang vor Ort leicht torpedieren und die Schuld anderen in die Schuhe schieben. Und schon wäre erneut alle Diplomatie umsonst gewesen.

Doch die Brisanz der Situation lässt keine Wahl. Man muss immer wieder mit Nachdruck verhandeln und Rückschläge hinnehmen. Eine Eskalation wäre aus europäischer Perspektive eine Katastrophe.

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