Erneuter Versuch der Anti-Zucker-Propaganda

Freispruch für Süßes

Zu viel Zucker macht weder dick noch krank – da hilft alle Propaganda nichts. Die jüngste entsprechende Beobachtungsstudie offenbart katastrophale methodische Fehler. War das etwa Absicht?

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Im Februar 2014 schlug mal wieder die Anti-Zucker-Propaganda zu: »Zucker erhöht Herzerkrankungs-Gefahr« oder »Zu viel Zucker geht aufs Herz«, lauteten die Schlagzeilen [1] [2]. Basis dieser Angstmachermeldungen war eine Beobachtungsstudie, die von der US-Gesundheitsbehörde CDC [3] lanciert worden war.

»Man mag es kaum glauben, dass aus dubiosen Beobachtungsstudien noch immer Ernährungstipps destilliert werden«, wundert sich Udo Pollmer, Wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.). »Denn mehr als vage Vermutungen liefert diese Ernährungsforschung nicht. Aus gutem Grund warnt gerade eine aktuelle Publikation in einem Journal der American Society of Nutrition vor der Überinterpretation derartiger Ergebnisse und daraus resultierender Empfehlungen.« [4]

Doch der von Pollmer angesprochene Umstand ist bei dieser Studie nicht der einzige Trugschluss – denn hier wird zusätzlich die komplette Klaviatur statistischer Täuschungsmanöver abgespielt, um das gewünschte Ergebnis zu lancieren. Oder, wie Pollmer formuliert: »Diese Studie ist eine Schweinerei!« Beobachtungsstudien könnten keine Beweise für Ursache-Wirkungs-Beziehungen liefern, was, wie er meint, inzwischen jeder Wissenschaftsredakteur wissen sollte. Doch die Verlockung einer Schlagzeile scheint oftmals größer zu sein als der journalistische Auftrag, saubere Arbeit abzuliefern. »Anders ist solcher Unsinn wie ›Zu viel Zucker macht dick & krank‹ [5] nicht zu erklären«, meint Pollmer.

Paradebeispiel zurechtgebogener Ernährungspropaganda

Die Kernbotschaft der Studienautoren lautet: Wer viel zugesetzten Zucker konsumiert, der hat ein drastisch erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen und stirbt früher. Zu diesem »Urteil« kamen die Forscher, nachdem sie das gemacht haben, was in der Ernährungsforschung üblich ist: Sie korrelierten das Ernährungsverhalten verschiedener, willkürlich zusammengerechneter Studiengruppen mit Krankheit und Tod. Dabei konstruierten die US-Forscher besagten Zucker-Herztod-Zusammenhang.

Das Ergebnis kann trotzdem nicht überzeugen. Pollmer: »Selbst wenn diese epidemiologische Studie wissenschaftlich korrekt wäre, so könnte man daraus nicht mehr als eine Hypothese generieren, die in klinischen Studien zu überprüfen wäre – was praktisch überhaupt nicht möglich ist. Aber das Feuerwerk, das in dieser JAMA-Studie an Täuschungsmanövern abgefackelt wird, das schlägt dem Fass den Boden aus. Die Ernährungsforschung verspielt mit solchen Studien ihren letzten Rest an Glaubwürdigkeit.«

Welche Schweinerei hätten‘s gern?

Zum einen stellt sich die – hier unbeantwortete – Gretchenfrage zum Unterschied zwischen dem in Nahrungsmitteln natürlicherweise enthaltenen und dem »zugesetztem« Zucker – und wie man letzteren, also den »Bösewicht« unter den Zuckerarten, exakt bestimmt. Warum nur, fragt sich deshalb Pollmer, haben die Autoren auf die Angabe des Gesamtzuckers verzichtet? »Die in dieser Publikation herangezogenen Nährwerttabellen lassen eine Bestimmung des ›added sugar‹ überhaupt nicht zu«, erklärt er. »Teilweise wird der Zucker durch eine enzymatische Behandlung erst im Lebensmittel erzeugt. Der Willkür ist hier Tür und Tor geöffnet.«

Doch offenbar reichte das diesmal nicht. »Erhobene Daten und Befragungen, die offenkundig nicht zum avisierten Ergebnis passten, wurden einfach unter den Tisch gekehrt«, kritisiert Pollmer. Seine Schlussfolgerung: »Die Studie offenbart eklatante Ungereimtheiten bei den herangezogenen Studiengruppen, bei der Auswertung der Mortalität, bei der Kommunikation von relativen statt absoluten Risiken sowie bei der Frage, ob hier nicht eher Süßstoffe statt Zucker die Gefahr darstellen!«

Schützt ungesunde Ernährung vor dem Zuckertod?

Wenn man sich die zahlreichen Tabellen und Grafiken der Orginalstudie und vor allem des »Supplementary Online Content« zu Gemüte führt, so folgt eine Ungereimtheit auf die nächste: Afroamerikaner leben umso länger, je mehr Zucker sie konsumieren. Wer sich »ungesund« ernährt, kann mehr Zucker konsumieren als Gesundesser, denn die sterben eher am »zuckerinduzierten Herztod«. Und besonders spannend: Zuckerliebhaber, die sich viel bewegen, haben ein doppelt so hohes Risiko (112 Prozent), an Herz-Kreislauferkrankungen zu sterben, als Zuckeresser, die sich lieber in den Fernsehsessel lümmeln (54 Prozent).

Doch davon liest man im Studientext kein Wort. »Die Studienautoren haben bewusst verschleiert, Daten massiert und getrickst, um die Redaktionen zu ihren Handlagern zu machen – die Medien sollen die derzeit populäre Zuckerangst in der Bevölkerung weiter schüren«, bemängelt Pollmer.

Übrigens: Daten zum Süßstoffverzehr fehlen, sie müssen aber aus methodischen Gründen mit erhoben worden sein. Die wären aber wichtig, weil viele Süßgetränke sowohl Zucker als auch künstliche Süßstoffe enthalten. Die Effekte müssen angesichts der Popularität der künstlichen Süßungsmittel in den USA untersucht und von pflanzlichem Zucker unterschieden werden. Es steht zu befürchten, dass die Ergebnisse für die Süßstoffe nicht ins Bild gepasst haben und in die »Zuckereffekte« hineingerechnet wurden.

Weiterführende Informationen:

Für tiefer Interessierte hat das EULE-Team eine ausführliche Analyse dieses Paradebeispiels einer Täuschungsstudie in einem PDF zusammengestellt: Analyse Zuckerstudie von Nikolai Ott.

Literatur

     

  1. »Zucker erhöht Herzerkrankungs-Gefahr«, bild online, 5. Februar 2014
  2. »Zu viel Zucker geht aufs Herz«, t-online/dpa, 5. Februar 2014 
  3. Added Sugar Intake and Cardiovascular Diseases Mortality Among US Adults, JAMA Intern Med. Published online Febr. 03, 2014, doi:10.1001/jamainternmed.2013.13563
  4. Limitations of Observational Evidence: Implications for Evidence-Based Dietary Recommendations; American Society for Nutrition. Adv. Nutr. 5: 7-15, 2014 
  5. »Zu viel Zucker macht dick & krank«, welt online/AP, 4. Februar 2014
  6.  

Quelle: EU.L.E. e.V.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jochen Reimar

"Menschen, die zuviel Zucker zu sich nehmen werden krank."
Die Behauptung ist leider kein Beweis. Abgesehen davon sind solche Erkenntnisse, die schon Paracelsus trefflich zu formulieren wußte, in dem Zusammenhang wenig hilfreich.

Gravatar: Gerd Müller

"denn hier wird zusätzlich die komplette Klaviatur statistischer Täuschungsmanöver abgespielt..."

Nur beim Zucker ?????????

Gravatar: Juergen Brandauer

Den ohne Autorennamen veröffentlichten Artikel enthält irreführende Annahmen. Erstens: Epedemiologische Studien können Zusammenhänge wissenschaftlich aufzeigen, ohne das dies in klinischen Studien nochmals ausgeforscht werden muß.
Zweitens (Gretchenfrage): Zucker, der zugesetzt wird (Beispiel Zusatz von Haushaltszucker zu Wein um ihn süßer zu machen) läßt sich durch eine Isotopenanalyse nachweisen.
Drittens: Der Artikel liest sich so, als wäre er von der Zuckerlobby geschrieben. Menschen, die zuviel Zucker zu sich nehmen werden krank.

Gravatar: pelageja

Liebe Redaktion,

Es ist sehr lobenswert, daß Sie zeigen, wie mangelhaft angelegte und schlecht bearbeitete Studien zu völlig unbrauchbaren Schlussfolgerungen/Empfehlungen führen.

Ihre Behauptung, der Zucker an sich sei als Nahrungsmittel rehabilitiert, ist allerdings durch nichts zu belegen!- wir brauchen zu diesem Thema wissenschaftlich einwandfreie Studien!

Vielleicht ist dann irgendwann eine Überschrift wie "Freispruch für Süßes" gerechtfertigt.

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