Geheimdienste und Überwachung:

Freiheit statt Paranoia

Erst Angst erzeugen, dann zur Sicherheit mehr Überwachung fordern: Mit dieser Methode wird kontinuierlich der Boden für die digitale Bespitzelung der Bürger bereitet und deren Freiheit eingeschränkt.

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Jeder Terroranschlag öffnet ein neues Zeitfenster. Innerhalb dieses Zeitfensters ist es möglich, für unpopuläre Maßnahmen zu werben. Sehr unpopulär ist die totale Überwachung der Bürger. Doch wenn der Terrorismus Angst verbreitet, sind die Menschen bereit, diese Kröte zu schlucken.

So läuft es seit Jahrzehnten. In regelmäßigen Zeitabständen wird der Überwachungsgürtel Stück für Stück enger geschnallt. Bis die Bevölkerung keine Luft mehr bekommt. Dann ist es zu spät, und die Freiheit ist verloren.

Die Anschläge auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ haben ein neues Zeitfenster geöffnet. Sofort wird jene durch die Medien vorangetriebene Verunsicherung ausgenutzt, um für mehr Sicherheitsmaßnahmen, Überwachung und für die Vorratsdatenspeicherung zu werben.

Bereits zwei Tage nach den Anschlägen in Paris kommentierte der Journalist Julian Reichelt in der Bildzeitung: „Warum wir die Überwachung der NSA gegen den Terror brauchen“. Er verwies darauf, dass der Westen sich im Krieg gegen den Terrorismus befände und im Krieg es darauf ankäme, „den Feind so gezielt wie möglich zu töten.“ Und: „Die Methoden in diesem langen Krieg gegen den Terrorismus sind nicht schön, aber notwendig – und geboten“. Whistleblower wie Edward Snowden, so behauptet Reichelt, hätten der Terrorbekämpfung extrem geschadet.

Was Herr Reichelt nicht erwähnt hat: Der französische Auslandsgeheimdienst DGSE hatte bereits alle Telekommunikations- und Datenströme gespeichert, darunter E-Mails, Telefonate und Interneteinträge. Trotzdem ist der Anschlag nicht verhindert worden. Doch die französischen Sicherheitsbehörden wissen nun, wie, über was und mit wem die Franzosen sich den lieben langen Tag austauschen.

Es gibt auch andere Stimmen. Wolfgang Kubicki (FDP) hat in einem Gastkommentar in der Zeitung „Die Welt“ darauf hingewiesen, dass es keine absolute Sicherheit gebe, aber Vorratsdatenspeicherung und mehr Überwachung der Freiheit schaden. Wörtlich kommentierte er: „Was die Terroristen nicht geschafft haben, den Menschen ihre Freiheit und Bürgerrechte zu nehmen, darf der Staat nicht durch die Hintertür besorgen.“

In der Frankfurter Rundschau wurde in einem Leitartikel darauf hingewiesen, wie Bürger sich nicht mehr frei verhalten können, wenn sie das Gefühl haben, überwacht zu werden. Menschen verändern ihr Verhalten und ihre Kommunikation, wenn sie sich beäugt oder belauscht wähnen. Dieser einschüchternde Effekt greift allerdings hauptsächlich beim unbescholtenen Bürger. Terroristen wird er kaum einschüchtern.

Überwachung der Medien durch Geheimdienste

In Großbritannien haben sich inzwischen mehr als hundert führende Vertreter britischer Pressemedien gegen die Überwachung durch die Geheimdienste ausgesprochen. Wie „Die Welt“ berichtete, fordern sie in einem offenen Brief mehr Schutz gegen die staatliche Einflussnahme. So werden beispielsweise E-Mails von Journalisten durch den britischen Geheimdienst GCHQ abgefangen. Kritische und investigativ arbeitende Journalisten sollen bei einer Auflistung von Bedrohungen gleichauf neben Hackern und Terroristen genannt worden sein, berichtete „Die Welt“.

Medienkrieg um kritische Journalisten

Seit vielen Monaten enthüllen Journalisten und Autoren des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ die Aktivitäten der NSA (National Security Agency), des größten US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes, der weltweit die elektronische Kommunikation überwacht. Schlüssel zu diesem Enthüllungsjournalismus sind die Dokumente und Aussagen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden.

In einer neuen Spiegelreportage wird berichtet, wie die NSA sich für globale Cyber-Feldzüge rüstet. Ziel der Planungen seien die Vorbereitungen für „Schlachten im Internet, um Computernetzwerke lahm legen zu können – und damit potenziell alles, was die steuern: Strom- und Wasserversorgung, Fabriken, Flughäfen oder Zahlungsverkehr.“ Die Journalisten untermauern ihre Beobachtungen mit zahlreichen Dokumenten.

Es handelt sich hierbei um knallharte digitale Waffen, kurz: D-Waffen, die einen großen Schaden an der Infrastruktur eines Landes anrichten können. Eigentlich gehören solche Waffen ebenso geächtet wie die ABC-Waffen, die uns das 20. Jahrhundert vererbt hat, finden die Spiegel-Autoren. Doch gibt es hierzu keine internationale Konvention.

Nun wird offenbar seitens der Bildzeitung versucht, gegen die Spiegel-Autoren vorzugehen. Nachdem, wie oben bereits geschildert, die Bildzeitung bereits kräftig die Werbetrommel für die NSA geschlagen hatte, werden nun die kritischen Spiegel-Journalisten aufs Korn genommen. So äußert die Bildzeitung „Zweifel an Unabhängigkeit der NSA-Autoren“ des „Spiegels“. Von den neun Autoren des Spiegel-Artikels seien sechs Aktivisten, die sich emphatisch gegen die US-Geheimdienstaktivitäten ausgesprochen haben. So sind Jacob Applebaum und Aaron Gibson Internetspezialisten, die auch für den anonymisierenden Internetbrowser „Tor“ arbeiten würden, kritisiert die Bildzeitung. Und Andy Müller-Maghun sei ein Hacker aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC). Auch der prominente, mehrfach ausgezeichnete US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der bei der Veröffentlichung der Snowden-Artikel eine maßgebliche Rolle spielt, wurde von der Bildzeitung angegriffen. „Der Spiegel“ hat sich inzwischen in einem Artikel zur Kampagne der Bildzeitung geäußert und darauf hingewiesen, dass am Hintergrund der Autoren nichts verwerflich sei und dass die meisten Snowden-Dokumente nicht von Greenwald dem „Spiegel“ zur Verfügung gestellt wurden.

Die Tendenz der Berichterstattung in zahlreichen Zeitungen wie beispielsweise der Bildzeitung zeigt, wie der Versuch unternommen wird, die Enthüllungen von Edward Snowden und die Berichterstattung darüber zu diskreditieren, gleichzeitig jedoch auf die Notwendigkeit der NSA und anderer Geheimdienste hinzuweisen. Angesichts der technischen Möglichkeiten, die heutigen Geheimdiensten zur Verfügung stehen und des massiven Drucks, der auf Gegenstimmen ausgeübt wird, sollten sich die Bürger mehr denn je Gedanken darüber machen, wo und wie die Grenzen zu ziehen sind.

Transparenter Staat oder transparente Bürger?

Es ist ein Dilemma. Je mehr uns „Vater Staat“ überwacht, vorgeblich um unsere Freiheit zu schützen, desto mehr wird unsere Freiheit eingeschränkt. Wenn der Staat deutlicher zu Ausdruck bringen könnte, inwieweit er tatsächlich die Zivilgesellschaft repräsentiert, dann hätten wir auch mehr Freiheit, selbst zu entscheiden, wie viel Überwachung wir für nötig halten oder nicht.

Die Idee der Transparenzbewegung war schließlich, für eine größere Transparenz der Machtstrukturen zu sorgen. Stattdessen wird nur das Leben der Bürger transparenter. Die Machtstrukturen bleiben vernebelt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: a riesener

Bundesregierung setzt Orwells "1984" auf den Index

Gravatar: a riesener

Wir haben eine andere Situation als in Orwell`s 1984 - dort muss der Staat manuell und aktiv kontrollieren und zeigt sich von seiner hässlichen Seite. Heute liefern wir Bürger via schickem Interface von Facebook, Google und Co. alle Daten bereits digitalisiert und damit schon aufbereitet für die Filter-mechanismen von PRISM/BND/TEMPORA etc. Es ist eher die 10 Stufen, die Noam Chomsky so vortrefflich aufgelistet hat...jeder einzelne Punkt stimmt... Wir sind es selber in Schuld ich scheiss auf i phone und Co

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