Fabian Heinzels neues Buch "Erinnerung, Emotion, Illusion"

Fabian Heinzels neues Buch "Erinnerung, Emotion, Illusion" ist ab sofort erhältlich. Der Autor verknüpft geschickt die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Gedächtnis mit den teils faszinierenden, teils erschreckenden Schicksalen von Menschen, in deren Leben Erinnerungen eine ganz besonders große Rolle spielen. Der Leser erfährt, was es mit dem Mozart-Effekt auf sich hat, weshalb der Verlauf des Vietnamkriegs maßgeblich durch Pressebilder beeinflusst wurde, wie sich Werbestrategen dies heute zu Nutze machen und was das alles mit dem Geruchssinn eines Igels zu tun hat. FreieWelt.net präsentiert an dieser Stelle den ersten Auszug aus dem Heinzels Buch, der 50 Cent vom Erlös jedes verkauften Exemplares der Alzheimer-Forschung spendet: 

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"Stell Dir vor, Dich an jeden Streit erinnern zu können, den Du je mit einem Freund hattest; an jedes Mal, als dich jemand enttäuschte; an all die Fehler, die Du gemacht hast; an die gemeinsten, verletzendsten Dinge, die Du jemandem gesagt hast und die je jemand zu Dir gesagt hat. Und nun stell Dir vor, das alles nicht aus Deinem Kopf zu bekommen, so sehr Du es auch versuchst."

Jill Price ist die Frau mit dem perfekten Gedächtnis. Sie wurde am 30. Dezember 1965 in New Jersey, USA geboren. Seit dem 5. Februar 1980 erinnert sie sich lückenlos an jede noch so kleine Begebenheit ihres Lebens. Sie weiß von jedem einzelnen Tag, was sie gegessen hat, welche Kleidung sie trug, was für Gespräche sie geführt und was sie im Fernsehen gesehen hat.

Wenn jemand Jill Price fragt, was sie am 30. April 1990 gemacht hat, kann sie nicht nur sofort aufzählen, was an diesem Tag in ihrem Leben vorgefallen ist. Sie weiß auch, dass es ein Montag war. Im Gespräch mit einer Journalistin erwähnt sie beiläufig, dass das Restaurant, in dem die beiden gerade sitzen, seit über 20 Jahren eines ihrer Lieblingslokale sei:  Genauer gesagt seit dem 20. September 1985, einem Freitag: "Da saß ich mit meinem Vater an dem Tisch dort drüben und aß Huhn mit Knoblauch. Und ich hatte einen großen Hut auf."

Es war kein isoliertes, plötzliches Ereignis, dass Jill Price in die „Frau, die nicht vergessen kann“ verwandelt hätte. Ab ihrem neunten Lebensjahr begann ihr Erinnerungsvermögen, sich zu verändern. Da war ihre Familie gerade von der Ostküste nach Los Angeles umgezogen. Einige Ärzte glauben, dass die Achtjährige diesen Umzug als traumatisch erlebt hat. Doch mit Sicherheit kann niemand sagen, wie ihr perfektes Gedächtnis zu Stande gekommen ist.

Sie ist keine Gedächtniskünstlerin, sie benutzt keine der als Mnemotechniken bezeichneten Merkhilfen, die jene Gedächtnisathleten, die an Gedächtnisolympiaden teilnehmen oder in Shows auftreten zu ihrer Klasse verhelfen. Es hat auch keinen Zweck, ihr Zahlenreihen oder Telefonbücher zum Auswendiglernen vorzulegen.  Das perfekte Gedächtnis der Jill Price ist nur in Bezug auf ihr eigenes Erleben perfekt. Da aber ist es von einer so außergewöhnlichen Präzision, dass die Wissenschaftler der Universität von Kalifornien, die Jill Price über Jahre beobachteten, für ihren Zustand eigens einen neuen Namen erfinden mussten:  Jill Price ist der erste bekannt gewordene Fall eines Menschen mit dem „Hyperthymestischen Syndrom“.  Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und lässt sich am besten mit „Syndrom des exzessiven Erinnerns“ übersetzen.

Nachdem die Öffentlichkeit von Price Gabe erfuhr, behaupteten über 200 Personen, bei ihnen würden die gleichen Symptome auftreten. Davon gelten drei als glaubhaft. Einer von ihnen ist der aus dem amerikanischen Bundesstaat Wisconsin stammende Brad Williams. Nachdem Williams Bruder ihn auf einen Artikel über Jill Price aufmerksam gemacht hatte, meldete er sich selbst bei den kalifornischen Forschern.  Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm gar nicht klar gewesen, wie außergewöhnlich sein Erinnerungsvermögen ist. Als man ihm ein altes Familienfotoalbum vorlegte, erinnerte er sich an die kleinsten Details, die in Zusammenhang mit den Bildern standen. So wusste er von einem Foto aufgenommen in den Badlands von South Dakota noch genau, wann und wie es entstanden war: Am Dienstag, dem 28. Juli 1964 bei einem Ausflug zum Mount Rushmore.  Die Temperatur stieg an diesem Tag bis auf 100 Grad Fahrenheit (37,8 Grad Celsius) und Williams und seine Familie versuchten, hinten im Auto Getränke mit Hilfe einer Isolierkanne kühl zu halten.

Gedächtnisforscher setzen große Hoffnungen in die Untersuchungen, die sie mit Menschen wie Brad Williams und Jill Price durchführen. Denn davon, unser Gedächtnis, seine Entstehung, seinen Aufbau und seine Funktionsweise im Detail zu verstehen, sind wir noch weit entfernt. Zwar ist unser Wissen über das menschliche Gehirn im Vergleich zu früheren Jahrhunderten  enorm, dennoch ist dieses Wissen bisher bestenfalls bruchstückhaft. Wir wissen zwar, dass unser Nervensystem in der Lage ist, Informationen aufzunehmen, zu behalten, zu ordnen und wieder abzurufen, dass diese Informationen in den Verbindungen der Nervenzellen, den Synapsen, niedergelegt sind, dass sie das Ergebnis von bewussten und unbewussten Lernprozessen sind, dass es Menschen gibt, die mehr als 2.000 Ziffern der unendlichen Zahl Pi kennen und welche, die sich voller Überzeugung an Ereignisse erinnern, die nie passiert sind.

Wissenschaftler haben menschliche Gehirne scheibchenweise zerlegt, in entsprechenden Geräten Bilder davon erstellt, Hirnkarten gezeichnet, Erinnerungen von Fliegen und von Menschen manipuliert, Versuchspersonen Magnetspulen angelegt, Versuchstieren Kokain verabreicht und Tausende von Tests durchgeführt. Ca. 35.000 Veröffentlichungen erscheinen jedes Jahr auf dem Gebiet der sich mit dem Gehirn befassenden Wissenschaften, der Neurowissenschaften. Wie genau eine Information ins Gehirn gelangt, ist trotzdem nach wie vor unbekannt.  

Fabian Heinzel

Erinnerung, Emotion, Illusion

Das Gedächtnis und seine Folgen

Books on Demand
ISBN 978-3-8423-5971-0, Paperback, 416 Seiten

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Kontakt zum Autor

Vom Erlös jedes verkauften Exemplars werden 50 Cent der "Alzheimer Forschung Initiative e.V." gespendet, dem derzeit größten privaten Förderer der Alzheimer-Forschung in Deutschland.

Quellen dieses Abschnitts

 

www.welt.de/wams_print/article2006561/Die_Frau_die_nichts_vergisst.html

www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,590935,00.html

www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2010/0316/004_erinnerung.jsp

www.universityofcalifornia.edu/news/article/7952

www.cnn.com/2008/HEALTH/conditions/05/07/miraculous.memory/

MARKOWITSCH; . Hans (2009): Das Gedächtnis – Entwicklung, Funktionen, Störungen. München. C.H. Beck

 

 

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