Dem Tod ein Schnippchen schlagen durch Ernährung?

Ewiges Leben – verzweifelt gesucht

Länger leben durch gesunde Ernährung? Auch wenn das immer wieder behauptet wird: Der Nachweis konnte noch nicht erbracht werden. Auch durch eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums nicht.

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Mitten ins Sommerloch kolportierte eine Pressemeldung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) bekannte Ernährungsmythen: Wer viel Obst und Gemüse isst und wenig rotes Fleisch und Wurst verzehrt, der lebt angeblich länger1. Doch es fehlen die nötigen Details, um die »lebensverlängernde« Wirkung von Obst und Gemüse bestätigen zu können. Ebenfalls verzichtet wurde auf den Hinweis, dass es sich bei dieser EPIC-Analyse – wie fast immer in der Ernährungsforschung – um eine Beobachtungsstudie handelt, die keine Ursache-Wirkungs-Beziehung erlaubt. »Schaut man sich die Originalstudie en détail an, dann sieht man, dass auch dieses Paper erneut nur blutleeren, willkürlich konstruierten Ernährungsunsinn liefert«, erklärt Ernährungswissenschaftler Uwe Knop.

Passendes Ergebnis nicht konstruierbar

Es ist wohl kein Zufall, dass Obst und Gemüse nicht im Abstract erwähnt werden: In der Studie wurden die Obst- und Gemüse-Esser nur in zwei Gruppen eingeteilt – hoher Verzehr (mehr als 200 Gramm am Tag) und niedriger Verzehr (unter 200 Gramm am Tag)2. Diese Einteilung erlaubt jedoch keine differenzierte Aussage. »Offenbar passten die Korrelationen irgendwie nicht«, vermutet Udo Pollmer, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.), »denn die beiden ›Gruppen‹ sind nicht nachvollziehbar: Schließlich sind 200 Gramm aus der Sicht der Ernährungsfunktionäre alles andere als ein hoher Konsum: Sie fordern einen Mindestverzehr von 400 Gramm (WHO) oder gar 650 Gramm (DGE).«

Hinzu kommt: In der Gesamt-EPIC-Studie3 4 steigt die Sterblichkeit mit zunehmendem Obst- und Gemüsekonsum in den deutschen Kohorten zunächst an. In der Gruppe mit dem zweithöchsten Konsum etwa liegt sie fast ein Viertel höher als in der Gruppe mit dem niedrigsten Konsum. Betrachtet man die Lage in manch anderen Ländern, so sterben der Studie zufolge dort die Obst- und Gemüseliebhaber tendenziell sogar früher. Nun ist es aber ein Grundprinzip der Epidemiologie, dass ein solches Ergebnis nur dann als wissenschaftlich glaubwürdig angesehen werden kann, wenn es in mehreren Kohorten in verschiedenen Ländern reproduzierbar ist. Dies ist hier nicht der Fall.

Trotz dieser seltsamen Datenakrobatik ließ sich für Frauen auch mit 200 Gramm kein lebensverlängernder Zusammenhang konstruieren. Nur Männer, die sich täglich 200 Gramm Obst und Gemüse gönnen, gewinnen durch diesen »gesunden Lebensstil« etwas mehr Lebenszeit – natürlich nur rein statistisch. Doch was sind 200 Gramm? Aus der Studie geht nicht hervor, was unter Obst und Gemüse zu verstehen ist. Vermutlich wird das Kriterium des »hohen Konsums« schon mit einem Gläschen Orangensaft (0,2 l) zum Frühstück erreicht. Hinzu kommt: Der Verzehr von viel Obst und Gemüse weist Rudolf Kaaks vom DKFZ zufolge »Nullkommanull, keinerlei Beziehung« zu Krebs auf5. »Insbesondere für Frauen wird gesunde Ernährung anscheinend immer mehr zur Farce«, so Knop.

Fleisch & Wurst – Datengehacktes

Bei rotem und verarbeitetem Fleisch wurden die Probanden ebenfalls in zwei Gruppen eingeteilt: Vielesser mit mehr als 120 Gramm am Tag und Niedrigkonsumenten mit weniger als 120 Gramm täglich. Diese Einteilung ist genauso kurios wie beim Obst. Denn der reale Verzehr an Fleisch – also inklusive »weißen« Fleischs – liegt laut der Nationalen Verzehrstudie in Deutschland pro Kopf bei etwa 45 Kilogramm. In der Öffentlichkeit werden meist weit höhere Zahlen kolportiert, doch das sind »Verbrauchszahlen« und nicht »Verzehrzahlen«. Der Unterschied ist folgender: Verzehr ist das, was tatsächlich gegessen wird. Verbrauch ist das, was sich im Handel befindet, darunter sind je nach Statistik neben Exporten auch Hundefutter oder Reste in der Biotonne subsummiert. Wer also beispielsweise 115 Gramm Wurst, Schinken und Steaks am Tag verzehrt, ist kein Niedrigkonsument sondern liegt bereits über dem Durchschnitt (115 Gramm x 365 Tage = circa 42 Kilogramm pro Jahr ohne weißes Fleisch, das demnach noch hinzukommt).

Wenig verwunderlich ist, dass die Gesamt-EPIC-Studie zu Fleischkonsum und Gesamtsterblichkeit zu deutlich anderen Ergebnissen kommt6. Der Konsum »roten« Fleisches führte zu keiner statisch signifikant höheren Sterblichkeit. Nicht viel anders bei »verarbeitetem Fleisch«, also Wurst: Bei Frauen waren die Ergebnisse statistisch nicht signifikant – und Männer, die weitestgehend auf Wurst verzichteten, lebten ebenfalls nicht länger. Obendrein werden die Ergebnisse durch die Anwendung unterschiedlicher Berechnungsmethoden nicht gerade glaubwürdiger.

Das Geständnis: »kein starker Effekt«

Das treffende Fazit stammt aus einem Interview von Studienleiter Kaaks vom DKFZ selbst: »Die Ernährungsgewohnheiten scheinen keinen starken Effekt auf die Lebenserwartung zu haben«7. In der PR-Meldung des DKFZ1 liest man davon jedoch nichts …

Hinzu kommt – die Studie ist in vielerlei Hinsicht handwerklich unsauber: Die Kategorien für den so genannten Body-Mass-Index (BMI) folgen nicht den Vorgaben der WHO. So wurde das »Normalgewicht« als BMI von 22,5 bis 24,9 definiert – statt 18,5. Offensichtlich wurde hier verschämt dem Umstand Rechnung getragen, dass die Sterblichkeit bei den Schlanken am höchsten ist. Außerdem wurden Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen per Eigeneinschätzung der Teilnehmer ermittelt.

Die Autoren haben die sogenannten »Risikofaktoren« wie Rauchen, Gewicht, Fleischverzehr, Obst- und Gemüsekonsum sowie Bewegung nicht sinnvoll differenziert. So wurden etwa die Alkoholiker den »moderaten« Alkoholkonsumenten zugeschlagen. Dies suggeriert dem Leser, das Sterberisiko würde beispielsweise bei Männern bereits bei mehr als einem alkoholischen Getränk pro Tag je nach statistischer Bereinigung um rund 50 bis 100 Prozent ansteigen.

Zahlreiche Konfidenzintervalle schließen »1« mit ein. Damit sind die Ergebnisse wertlos. Dies gilt etwa für Übergewicht, Bewegungsmenge, Getreide-, Fisch und Milchkonsum sowie mäßigen Alkoholkonsum von Frauen. Wobei die Verfasser der Studie hier noch »Glück« haben, sonst müssten sie erklären, warum die Sterblichkeit von Frauen, die mäßig trinken – nämlich zwischen 0,6 und einem alkoholischen Getränk pro Tag –, niedriger liegt als bei den hochgelobten Alkoholverächterinnen.

Der Studie ist nicht zu entnehmen, was sie unter »rotem Fleisch« versteht. Hier lässt sich bei Studien nach Bedarf Kalbfleisch als »weiß« definieren oder dem »roten« Rindfleisch zuordnen. Auch Pute und Schwein werden manchmal als »rot« gewertet und manchmal als »weiß«.

Eine spezielle Technik der statistischen »Verschönerung« wird sichtbar, wenn man einen Blick in die Gesamt-EPIC-Studie wirft. Dort lässt sich klar erkennen, dass Alkoholiker dazu benutzt wurden, um Obst und Gemüse eine lebensverlängernde Wirkung zuzuschreiben: Da Alkoholiker früher sterben und meist Obst und Gemüse meiden, lässt sich damit zeigen, dass der Verzicht auf Äpfel und Gurken die Lebenserwartung senkt.

Quellen

1. Was uns Lebensjahre raubt, DKFZ-PR-Meldung, 12. August 2014

2. Kuanrong Li, Anika Hüsing und Rudolf Kaaks: Lifestyle risk factors and residual life expectancy at age 40: a German cohort study. BMC Medicine 2014

3 Leenders M et al: Fruit and Vegetable Consumption and Mortality European Prospective Investigation Into Cancer and Nutrition. American Journal of Epidemiology 2013; 178: 590-602

4. aje.oxfordjournals.org/content/178/4/590/suppl/DC1

5. Krebs und Ernährung, sueddeutsche online, 23. Januar 2014

6. Rohrmann S et al: Meat consumption and mortality - results fromthe European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. BMC Medicine 2013, 11: e63

7. Rauchen und Übergewicht kosten am meisten Lebenszeit, Helmholtz-Gesellschaft, 14. August 2014

Quelle: EU.L.E. e.V.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: kassandro

Vor kurzem wurde hier wahrscheinlich vom selben Autor behauptet, daß moderater Alkoholkonsum sich nicht negativ auf die Lebenserwartungen. Jetzt verwendet er die Korrelation zwischen schlechter Ernährung und Alkoholkonsum, um zu widerlegen, daß gesunde Ernährung sich positiv auf die Lebenserwartung auswirke.

Es ist sicherlich korrekt zu sagen, daß Menschen , die sich gesund ernähren , länger leben, aber das heißt eben nicht, daß dafür die gesunde Ernährung verantwortlich ist. Ebenso lässt es sich belegen, daß die Konsumenten teurer Rotweine länger leben, aber das heißt eben nicht , daß teurer Rotwein ein Gesundwein. Beeindruckend ist die Lebenserwartung von Mathematikern und bemerkenswert schlecht ist die Lebenserwartung von Ärzten. Akademische Berufsgruppen lassen sich sehr gut miteinander, da alle von derselben Altersstruktur ausgehen. Kein Mensch käme jedoch auf die Idee, daß sich die Mathematik als solche lebensverlängernd und die Medizin als solche lebensverkürzend auswirken würden. Es liegt vielmehr daran , daß durch verschiedene Wissensgebiete auch in ihrem sonstigen Verhalten ziemlich verschiedene Menschengruppen aus der Gesamtheit herausgefiltert werden. Genauso ist es wahrscheinlich auch bei der gesunden Ernährung und dem teuren Rotwein. Da blinde Tests nicht möglich sind, können solche Dinge einfach nicht statistisch bewiesen werden. Hinzu kommt das "publish or perish", dem heutzutage unsere Forscher ausgesetzt. Sie müssen halt irgendetwas als Ergebnis ihrer Arbeit präsentieren und meistens kommt dann eben nur akademischer Müll heraus.

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