Neuer EU-Kommissionschef

Ernennung Junckers rückt näher

Angela Merkel will noch im Juni die Ernennung Jean-Claude Junckers zum EU-Kommissionschef durchdrücken. Britische Diplomaten warnen vor einer »institutionellen Krise« in Europa.

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Die Frage, wer der nächste Chef der EU-Kommission werden soll, könnte einem Bericht des britischen Telegraph zufolge demnächst beantwortet werden. »In Berlin sind die Würfel gefallen«, heißt es dort unter Berufung auf einen geheimen Bericht über die Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem mit der Suche nach einem neuen Kommissionschef beauftragten Herman Van Rompuy und dem britischen Ministerpräsident David Cameron letzte Woche.

»Wie es im Moment aussieht, sieht Van Rompuy keine Alternative zur Ernennung von Juncker«, heißt es in dem Bericht. Merkel habe entschieden, das Verfahren der Ernennung Junckers »so schnell wie möglich« voranzutreiben – und einen schweren Konflikt mit Cameron zu riskieren, wenn dem bei der nächsten Sitzung der Staats- und Regierungschefs am 27. Juni eine demütigende Niederlage beigebracht wird. Cameron hat sich mehrfach öffentlich gegen die Ernennung Junckers ausgesprochen.

Würde Juncker tatsächlich ernannt werden, stünde die britische Regierung unter extremem Handlungsdruck, allein um nicht unglaubwürdig zu erscheinen. Doch ihre Argumente stehen auch für sich. So hat Ivan Rogers, der britische Gesandte bei der EU, letzte Woche davor gewarnt, die institutionellen Grundlagen der EU unterderhand zu verändern, wie diplomatische Kreise verlautet haben. Eine derartige Entscheidung wäre politisches »Dynamit«, und Europa würde »schlafwandelnd in eine institutionelle Krise« geraten.

Die diplomatische Quelle referiert Rogers Aussagen folgendermaßen: »Er warnte, dass die Ernennung Junckers ein britisches Referendum über den Austritt aus der EU beschleunigen und die politische Landschaft Europas komplett verändern könnte.« Außerdem »warnte er, dass die Ernennung im Juli zu dramatischen Entwicklungen führen könnte, dass es jedoch die vordringliche Aufgabe der EU sei, einen derartigen Zusammenstoß zu vermeiden.«

Dass es zu einem großen Knall kommen könnte, ist angesichts der verhärteten Fronten nicht ausgeschlossen. Auf höchster diplomatischer Ebene versuchen die Briten, den »spitzenkandidaten« Juncker zu verhindern. Sie weisen darauf hin, dass eigentlich alle britischen Parteien gegen ihn sind und warnen davor, dass allein Nigel Farage und seine UKIP von seiner Ernennung profitieren würden. Doch maßgebliche Mitglieder der Fraktion der Europäischen Volkspartei, die Juncker zum »Spitzenkandidaten« ausgerufen hatte, beharren auf dieser Personalie.

Für Merkel ist inzwischen der Zeitpunkt gekommen, dass eine Entscheidung fallen muss. Sie sieht, den ungenannten diplomatischen Quellen zufolge, durch das Tauziehen zwischen ihr und Cameron negative Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis heraufkommen. Ein Diplomat sagte: »Sie fürchtet sich vor einem hässlichen und vergifteten Konflikt zwischen Großbritannien und Deutschland, je länger die Debatte andauert. Das heißt, dass Merkel Juncker jetzt zeitnah ernennen will, und zwar spätestens auf der Sitzung des Europäischen Rates Ende Juni. Das hat sie Cameron auch gesagt.«

Ein Indiz, dass diese Auskunft zutreffend ist, ist der vorsichtige Rückzug eines von wenigen Veründeten Camerons, des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. »Ich kann mir vorstellen, dass es Juncker wird,« sagte er am Montag, »auch wenn wir noch nicht soweit sind.«

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Sie gehen immer noch davon aus, dass dieser EU-Unfug auf Dauer besteht. Mit diesem Gedanken habe ich mich nie getragen, denn dazu fehlt einfach der Rückenhalt in der nie dazu befragten Bevölkerung. Die Politik hat etwas auf die beine gehievt, was auf Grund von Osteoporose nie selbständig stehen kann. Juncker, Merkel & Co haben ein Indoor-Projekt mit Mikroklima geschaffen, dass mit viel Geld diese Biosphäre erhalten soll. Der subjektive Faktor, also der Bürger, hat bei der Planung dieses Irrsinns in den Köpfen dieser Fanatiker nie eine Rolle gespielt. Von mir aus sollen sie den Juncker da reinhieven, der Laden ist in absehbarer Zeit sowieso dicht.

Das deutsch-britische Verhältnis wird dadurch nicht tangiert. Vergleichen Sie das ruhig einmal mit der Ukraine-Politik der Bundesregierung. Die vertreten eine vollkommen andere Politik als die Meinung weite Teile der Bevölkerung. Ich persönlich habe mit den Engländern kein Problem, ganz im Gegenteil: Respekt, wie die ihre Interessen durchsetzen!

Gravatar: P.Feldmann

"Angst vor einer empfindlichen Abkühlung der Britisch-Deutschen Beziehung"

Zu Recht. Leider muss man feststellen, dass Deutschland damit den letzten ernstzunehmenden Partner im EU-Projekt verliert.

Falls all dies stimmt, fahren Merkel und Schäuble einen desaströsen Kurs für Deutschland und für ein funktionsfähiges subsidiäres Europa.

Gravatar: Stephan Achner

Wenn diese Informationen stimmen und Frau Merkel den abgewirtschafteten Herrn Juncker als EU-Kommissionspräsidenten durchdrücken will, dann wird dies weitere Dynamik gegen die Brüsseler EU entfalten und den sichtbaren Verfallsprozess beschleunigen. Etwas Besseres kann Frau Le Pen, Herrn Nigel Farage etc. doch gar nicht passieren.

Gravatar: Karin Weber

Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies kein gutes Ende nehmen wird. Wenn uns einer erzählt, dass der Frieden durch/mit der EU in Europa sicher ist, den bezeichne ich einfach als Spinner. Das Ding wird eines Tages genauso auseinanderplatzen wie die Ex-UdSSR und -Jugoslawien. Für den Niedergang sorgen dann ganz andere Allianzen, die gerade im Entstehen sind. Man schaue nur in die Türkei oder nach Russland/China. Die deutsche Bildungspolitik sorgt parallel dafür, dass wir auch als einzelnes Land nach dem Zusammenbruch gewaltige Probleme haben werden. Wurden früher ausländische Bildungsabschlüsse hier nicht anerkannt, werden die anderen Länder mit den deutschen Abschlüssen dann ein Problem haben.

Juncker ist nur eine Marionette. Egal ob und wer den "ernennt", es wird keine Auswirkungen auf den Ausgang des europäischen Experimentes haben.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

"die institutionellen Grundlagen der EU unterderhand zu verändern" : genau das ist doch, was Juncker und offenbar auch seine Unterstützer wollen. Er hat es ja selber gesagt: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“

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