Die Union und das Christliche: Über Schöpfung und Neuschöpfung

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CDU-Programm unter der Lupe: Christliche Kultur (Teil 4)

In den achtziger Jahren wurde in der Bundesrepublik lebhaft über die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz diskutiert. „Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates“, sollte der neue Artikel 20 a nach den Vorstellungen von CDU und CSU lauten. Diese Formulierung entspreche „der Wertordnung des Grundgesetzes, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht“. Die Verfassung könne die Umwelt „nicht um ihrer selbst willen schützen, weil Mensch, Tier und Pflanze nicht auf einer Stufe stehen“. Der Entwurf verfehlte damals die Zwei-Drittel-Mehrheit. Heute erscheint fraglich, ob er bei den Unionsparteien selbst noch auf Zustimmung träfe.

„Der Mensch ist Teil der Schöpfung. Sie zu schützen ist unser Auftrag." So wird dasselbe Thema im Unionssprech des Jahres 2013 verhandelt. Auf den ersten Blick wirken die beiden Sätze harmlos. Doch hinter der bewusst christlich gestalteten Nomenklatur verbirgt sich ein ganz neuer Inhalt. Zwar wird mit Absicht der Begriff der Schöpfung ins Spiel gebracht. Doch der Mensch ist nach dem nunmehr geltenden Verständnis nur noch ein Teil von ihr. In der Konsequenz gilt denn auch „ihr“ der Schutzauftrag der Politik und nicht mehr „ihm“.

Dieser Paradigmenwechsel zieht sich durch das gesamte Wahlprogramm, obwohl diese Tatsache mit viel Aufwand vernebelt wird. „Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Forschungen, wie die verbrauchende Embryonenforschung, lehnen wir aus ethischen Gründen ab", schreibt die Union. Dabei verdrängt sie, dass der Bundestag mit Unterstützung von CDU-Chefin Merkel den Import embryonaler Stammzellen legalisiert hat, sofern diese vor einem bestimmten, mittlerweile längst verschobenen Stichtag gewonnen wurden. Ferner bleibt unerwähnt, dass die Freigabe der Präimplantationsdiagnostik zur Selektion menschlichen Lebens „mit Gendefekt“ auf einem Parteitag 2010 fast fünfzig Prozent Zustimmung gefunden hat und von siebzig Abgeordneten der Union bei der Schlussabstimmung im Bundestag befürwortet wurde. Die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung nimmt im Programmtext breiten Raum ein und reicht von der Förderung des „barrierefreien Tourismus“ bis hin zur „Inklusion im Sport“. Doch zugleich hat das unionsgeführte Forschungsministerium die Entwicklung eines Bluttests bezuschusst, der bereits im Frühstadium einer Schwangerschaft das Down-Syndrom diagnostizieren kann und so „Entscheidungen“ ermöglicht, die die Inanspruchnahme von Barrierefreiheit und Inklusion bereits vorzeitig und endgültig ausschließen. „CDU und CSU lehnen die aktive Sterbehilfe ab und setzen sich dafür ein, dass die gewerbsmäßige und organisierte Hilfe zur Selbsttötung künftig unter Strafe gestellt wird." Diese scheinbar strikte Positionierung lässt gleichwohl offen, ob die Union dem bereits in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf der Justizministerin letztlich doch noch zustimmen wird, der die nicht gewerbsmäßige und weniger straff organisierte Sterbehilfe von der Strafbarkeit ausnimmt. Von einer vermeintlichen Klarheit politischer Aussagen bleibt also am Ende nicht viel übrig. Nun gut, ein „hohes Tierschutzniveau“ ist für die Union „von zentraler Bedeutung". Wir wollen nicht unfair sein.

Von der christlichen Kultur zum Kulturchristentum

In all den vorgenannten Fragen wird der christliche Hintergrund der Unionsparteien mit keinem Wort erwähnt. Nun könnte man dies positiv interpretieren, ist ja die Achtung vor den Menschenrechten und damit auch vor dem Recht auf Leben keine Sondermoral der Christen, sondern eine Überzeugung, zu der man auch auf anderen Wegen gelangen kann. Doch das ist nicht der Grund, warum die Union hier auf eine Bezugnahme verzichtet. Vielmehr hat es System, dass das „C“ nur dort erscheint, wo es nicht wehtut, wo kein Nagel im Fleisch zu schmerzen droht.

Zunächst ist das Christentum nach dem Verständnis des Wahlprogramms ein Lieferant diffuser Ethik. So setzt sich die Union für eine Beibehaltung des Religionsunterrichts „als eigenständiges Fach an unseren Schulen“ ein, weil seine Abschaffung den „Weg zu einer Aushöhlung der für unsere Gesellschaft prägenden christlichen Werte“ ebnen würde. Konkret benannt werden diese jedoch nicht. Gleiches gilt auch mit Blick auf bürgerschaftliches Engagement: „Die Bereitschaft vieler Menschen in unserem Land, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und Gemeinsinn zu zeigen, gründet in der Orientierung an Werten, die häufig Ausdruck einer persönlichen Glaubensüberzeugung und Weltanschauung sind." Oder halt Ausdruck von irgendetwas anderem.

Ein zweites Feld, auf dem das „C“ zum Einsatz kommt, betrifft den Erhalt der sozialen und kulturellen Infrastruktur. Die Unionsparteien loben die „herausragende Rolle, die die christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände in vielen Bereichen unserer Gesellschaft spielen. Dies gilt nicht zuletzt im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, bei der Betreuung, Pflege und Beratung von Menschen sowie in der Kultur". So wird die Kirche zur systemrelevanten Caritas, mit der Kirchensteuer als Dauerschutzschirm. Wenn man schon sonst nirgendwo mehr konservativ ist, dann doch zumindest noch bei den Strukturen.

Unverfänglich erscheint das Christliche auch dort, wo es um Lippenbekenntnisse geht: „Wir halten an unserem Ziel fest, die im Grundgesetz betonte Verantwortung vor Gott auch im EU-Vertrag deutlich zu machen". Solange das ohne Konsequenzen bleibt, vergibt man sich ja nichts. Gleiches gilt für das Gedenken an Geschehnisse, die lange genug zurückliegen: „Im Jahr 2017 erinnert Deutschland an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren. Hierbei handelt es sich um ein Ereignis von Weltrang, das es uns auch ermöglicht, die christliche Prägung unseres Landes zu verdeutlichen“, so die Union. „Deshalb werden wir das Jubiläum in seiner Vorbereitung und Durchführung unterstützen".

Schließlich darf das „C“ dort eine Rolle spielen, wo es andere Leute betrifft. „Wir treten weltweit für Religionsfreiheit aller Menschen ein. Dazu gehört der beharrliche Einsatz für Christen in über 50 Ländern, die wegen ihres Glaubens bedrängt, verfolgt und vertrieben werden“, erläutern die Unionsparteien. „Die Entwicklungspolitik von CDU und CSU ist wertebestimmt“ und „beruht auf unserem christlichen Bild vom Menschen und der Solidarität mit den Armen und Unterdrückten".

Und so durchzieht das Wahlprogramm der Merkel-Partei ein sprachlicher Christianizismus, während es inhaltlich einer esoterischen New-Age-Religiosität entgegenkommt, die sich den Klimaschutz und die gesunde Nahrung zu Fetischen erwählt hat. Dabei geht die Substanz dessen verloren, was eine christlich geprägte Partei von sämtlichen Ideologien unterscheiden sollte: Die Erkenntnis, das wir nicht die beste aller Welten kreieren, das Paradies auf Erden verwirklichen, den neuen Menschen erschaffen müssen, sondern bei allem ernsthaften Bemühen auch dazu aufgerufen sind, Unvollkommenheiten zu ertragen und Grenzen von Machbarkeit zu akzeptieren. Dies ist zugleich der beste Schutz gegen eine Politik, die jede Ungleichheit wegsteuern und jeden Unterschied einebnen muss und gerade so das Recht des Menschen auf Freiheit missachtet. Und was wäre der Staat noch, nähme man das Recht weg?

Wie Steine vor dem Grab

CDU und CSU profitieren davon, dass sie bis heute von vielen Stammwählern mit „christlicher Politik“ identifiziert werden. Doch müssten die Christen und mit ihnen die Kirchen nicht einen ganz anderen Weg beschreiten? Ohne Ausgleichszahlungen für Enteignungen im 19. Jahrhundert, ohne Theologen im Staatsdienst, ohne den Regierungen „genehme“ Bischöfe, ohne Sonntagsruhe für Langschläfer und ohne gesetzlichen Schutz für bierselige „Vatertags“-Touren? „Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden“, hat ein Gast aus Rom den Christen in Deutschland erklärt. Jetzt müsste man ihn nur noch verstehen wollen.

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