Geldpolitik Frankreichs im 20. Jahrhundert

Die lange Geschichte der Abwertung des Francs

In Frankreich werden die Klagen über den starken Euro immer lauter. Ein Blick in die Geschichte des Francs im 20. Jahrhundert verdeutlicht: Inflationistische Geldpolitik und Abwertungen der Währung ziehen sich wie ein roter Faden durch die französische Geldpolitik – vom ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre hinein.

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Wenn eine Privatperson im Jahr 1914 in Frankreich eine Summe von 20 Francs auf ein Bankkonto einbezahlt hätte, hätte diese Summe im Jahr 2001 – dem letzten Jahr vor der Euro-Einführung – 99,9 Prozent ihrer Kaufkraft von 1914 verloren. Dieser sehr hohe Verlust des inneren Wertes ist das Ergebnis der inflationistischen Politik Frankreichs, die ihren Ausdruck in der wiederholten Abwertung des Franc fand – entweder gegenüber einer Referenzwährung wie dem US-Dollar oder gegenüber dem Gold. Wohlgemerkt: Viele Währungen haben während des 20. Jahrhunderts an Wert verloren – auch das Pfund oder der US-Dollar. Der Wertverlust des Francs war allerdings noch höher. Ein Blick auf die Geschichte des Francs im 20. Jahrhundert zeigt: Wiederholte Abwertungen zogen sich wie ein roter Faden durch die Geldpolitik. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in Frankreich seit mehr als einem Jahr verstärkte Kritik am starken Euro geäußert wird und Maßnahmen zu einer Schwächung des Euros gefordert werden.

Dabei begann die Geschichte des Francs mit einer außergewöhnlich langen Periode der Stabilität. 1803 wurde unter Napoleon das Umtauschverhältnis zu Gold festgesetzt. Papiergeld konnte jederzeit bei der Zentralbank, der Banque de France, in Gold umgetauscht werden. Die Währung blieb trotz aller Kriege, Revolutionen und Regimewechsel während des langen 19. Jahrhunderts stabil. Erst 1914 wurde der Goldstandard aufgegeben, da die Kriegführung zum Teil mit der Notenpresse finanziert werden musste.

1928: Poincaré wertet den Franc um vier Fünftel ab

Es war Raymond Poincaré, Ministerpräsident und gleichzeitig Finanzminister, der 1928 die erste Abwertung des Franc initiierte. Frankreich war nach dem ersten Krieg wieder zum Goldstandard zurückgekehrt. Die wechselhafte Politik der 20er Jahre, in der sich Konsolidierungsphasen und Phasen mit Haushaltsdefiziten abwechselten, führte zu einer für die französische Währung sehr turbulenten Phase von 1926 bis 1928 mit starken Wechselkursschwankungen. Auf eine ausgeprägte Periode der Schwäche des Francs folgte ab 1926 – quasi als Ausgleichsbewegung – ein starkes Ansteigen der französischen Währung. Eine Stabilisierung wollte Poincaré mit einer Abwertung erreichen. Der Staatschef hatte dabei vor allem das fatale englische Beispiel vor Augen: England war unter Churchill 1925 wieder zum Goldstandard zurückgekehrt und hatte seinen Exporten damit sehr geschadet. Poincaré entschied sich daher für eine sehr starke Abwertung: Der Franc wurde gegenüber dem Gold um vier Fünftel abgewertet. Der Finanzminister erwartete von dieser Maßnahme einen doppelten Vorteil: Die französische Wirtschaft sollte deutliche Wettbewerbsvorteile erhalten, ausländisches Kapital sollte nach Frankreich strömen und dort investiert werden.

Obwohl die Abwertung von 1928 ein außerordentlicher Einzelfall bleiben sollte, folgte bereits acht Jahre später eine weitere Abwertung. Der Hintergrund: Im Zuge der Weltwirtschaftskrise waren 1931 das britische Pfund und 1933 der US-Dollar abgewertet worden. Im Gegensatz dazu war der Franc plötzlich stark. Das Handelsbilanzdefizit Frankreichs nahm schnell zu, und Kapital strömte aus dem Land. Die französische Wirtschaft litt unter der Krise. Allerdings zögerte die Regierung Blum die Maßnahme lange hinaus, da eine Abwertung sehr unpopulär war. Als sie schließlich 1936 kam, war es nach fünf Jahren Krise fast zu spät, zudem erwies sich die Abwertung um rund 30 Prozent als nicht ausreichend.

Nach dem zweiten Weltkrieg: Finanzierung des Wiederaufbaus über die Druckerpresse

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das so genannte Bretton-Woods-System eingeführt, eine internationale Währungsordnung mit festen Wechselkursbandbreiten. Der US-Dollar diente dabei als Ankerwährung. Die Wechselkurse konnten nur mit strengen Devisenverkehrsbeschränkungen aufrechterhalten werden, die sich nicht nur auf den Kapitalverkehr sondern auch auf den gesamten Außenhandel auswirkten. In der stark inflationistisch geprägten Nachkriegsphase kam es zwischen 1944 und 1957 zu sieben weiteren Abwertungen. Insgesamt verlor der Franc während der Vierten Republik 90 Prozent seines Wertes gegenüber dem US-Dollar. Dies lag im Wesentlichen daran, dass kontinuierlich Geld gedruckt wurde. Der Geldpolitik dieser Jahre lag im Wesentlichen folgendes Prinzip zu Grund: Die Währungsstabilität wurde aufgegeben zugunsten des Wiederaufbaus und der Wiederbelebung der Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg. Die Finanzierung von Investitionen durch die Schaffung von Geld wurde zwar als Übel angesehen – aber eben als ein Notwendiges.

Charles de Gaulle schafft den Nouveau Franc

Die nächste Abwertung kam mit dem Regierungsantritt Charles des Gaulles. Der General plante ein umfassendes Programm zur wirtschaftlichen Stärkung Frankeichs. Dies beinhaltete neben Maßnahmen zur Haushaltssanierung insbesondere das Ende der kontinuierlichen Abwertungen, die die Geldpolitik während der vorangegangenen Periode der Vierten Republik dominiert hatten. Auf eine weitere Abwertung des Franc um 17 Prozent im Juni 1958 folgte die Einführung des „Nouveau Franc“ im Dezember 1958. Ein Nouveau Franc entsprach 100 alten Francs. Der Plan erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen. Die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft wurde gestärkt und über Jahre konnten Außenhandelsüberschüsse erzielt werden. Dies ermöglichte es, die Devisenreserven rasch aufzufüllen. Wieder sollte die Abwertung von 1958 die Letzte sein. Die Stabilisierungsphase dauerte genau so lange wie die Präsidentschaft des Generals. Bis ins Jahr 1969 stand der Dollar stabil bei 4,2 Nouveaux Francs. Der General bescherte den Franzosen damit die längste Periode monetärer Stabilität, die der Franc seit 1914 im Vergleich zum Gold oder zum US-Dollar gesehen hat.

Die Phase der Stabilität endete mit den Unruhen und Streiks des Jahres 1968. Letztere führten unter anderem zu einem Anstieg der Löhne um 9,2 Prozent im zweiten Halbjahr 1968. Dieser „Gehalts-Schock“ verteuerte die Produkte und wirkte sich negativ auf den Außenhandel Frankreichs aus. Während sich die Regierung de Gaulle am Ende ihrer Amtszeit strikt weigerte, den Franc weiter abzuwerten, gab der neu gewählte Präsident Georges Pompidou im August 1969 schließlich dem hohen Druck nach. Die Gründe: Die Devisenreserven, die in den neun Jahren zuvor angesammelt werden konnten, waren innerhalb nur eines Jahres beinahe komplett dahingeschmolzen. Die Kapitalabflüsse hatten sich im Frühjahr 1969 beschleunigt. Die Abwertung selbst fiel mit 11,1 Prozent relativ gering aus. Das Ergebnis war jedoch ähnlich wie 1958: Eine quasi sofortige Verbesserung der Handelsbilanz zusammen mit einem spektakulären Wiederaufbau der Gold- und Devisenreserven und einer beispiellosen Zunahme von Wachstum und Investitionen.

Sozialistische Regierung Mittérrand wertet wiederholt ab

Die nächsten Abwertungen wurden wieder durch einen Regierungswechsel ausgelöst. Im Jahr 1981 kamen mit Francois Mittérrand die Sozialisten an die Macht und begannen ein umfangreiches Reformprogramm, das „programme commun“ zu realisieren: Der Staat schuf 55.000 Stellen, der Mindestlohn wurde um zehn Prozent angehoben, die Mindestalters-, Behinderten-, Familien- und Wohnungsleistungen wurden um 20 bis 25 Prozent angehoben. Insgesamt wurden 10 Milliarden Francs – etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts – in den Wirtschaftskreislauf gepumpt. Das Staatsdefizit stieg stark an, wieder begann die Kapitalflucht und die Preise kletterten in hohem Tempo. Die Inflation erreichte 1981 alarmierende 13,4 Prozent. Die Regierung reagierte darauf sukzessive mit drei kleineren Abwertungen: Im Oktober 1981, im Juni 1982 und im März 1983 wurde der Franc um 3,0 bzw. 5,75 bzw. 2,5 Prozent abgewertet.

Allerdings blieb die Wirkung weitgehend aus. Stärkere Abwertungen wären nötig gewesen. Dies war jedoch nicht möglich, da die Wechselkurse mittlerweile über den Europäischen Wechselkursverbund geregelt wurden und Frankreich dort keine höheren Abwertungen aushandeln konnte. Die Alternative wäre ein Austritt aus dem Wechselkursverbund gewesen. Dies wäre jedoch ein empfindlicher Rückschlag für den europäischen Einigungsprozess gewesen. Daher entschloss sich die sozialistische Regierung 1983 unter dem Druck von Außen, eine rigorose politische Kehrtwende zu vollziehen. Die Konsolidierungspolitik, „la politique de rigueur“, war erfolgreich. Die Inflationsraten fielen von 13,4 Prozent 1981 auf 7,4 Prozent 1984 auf 2,7 Prozent 1986.

Abwertung oft der einfachste Ausweg aus einer Krise

Betrachtet man die langfristigen Fundamentaldaten, zeigt sich – vor allem vom Ende des zweiten Weltkriegs bis in die 80er Jahre – dass die französische Wirtschaft inflationistischer als die der meisten anderen Industriestaaten war. Hinzu kamen eine nachlassende Wettbewerbsfähigkeit, teilweise hohe Lohnsteigerungen und wiederholte Phasen von Kapitalabflüssen. Das simpelste Korrektiv in einer solchen Situation war immer die Abwertung. Damit sollte der Inflationsunterschied gegenüber anderen Währungen, der seit der vorangegangenen Abwertung aufgebaut worden war, wieder aufgehoben werden. Dieses Muster zieht sich langfristig durch die französische Geldpolitik. Die Ergebnisse der Abwertungen fielen unterschiedlich aus: Vor allem die Abwertungen von 1958 (de Gaulle) und 1969 (Pompidou) galten als erfolgreich. Sie verschafften der französischen Wirtschaft einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil und verstärkten so das Wirtschaftswachstum. Die drei kleinen Abwertungen der frühen 1980er Jahre gelten im Gegensatz dazu als gescheitert, da sie keine große Wirkung zeigten.

Auf der anderen Seite steht der Schaden, der Teilen der Bevölkerung durch die Abwertungen entstand. Davon betroffen waren alle Sparer und Inhaber von sonstigen Werten oder Ansprüchen, die nur in nominaler Höhe bestanden. Diese Vermögen wurden kontinuierlich entwertet. Neben der Vermögensminderung spielten psychologische Folgen eine Rolle. Auch wenn die Abwertungen wiederholt vorkamen, Sie verloren nie ganz ihren traumatisierenden Charakter. Sie wurden in der öffentlichen Wahrnehmung und der Presse immer als Verarmungsmaßnahme gesehen. Von den jeweiligen Regierungen wurden sie meist als Eingeständnis des Scheiterns wahrgenommen.

Dennoch: In Frankreich hat die Abwertung der Währung eine lange Tradition. Sie öffnete immer wieder einen Ausweg aus einer vermeintlichen Sackgasse. Vor diesem Hintergrund müssen die französischen Klagen über den derzeit starken Euro und die Forderungen nach Maßnahmen zur „Aufweichung“ der Gemeinschaftswährung gesehen werden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans Meier

Danke Herr Sohler.
Sie beschreiben anschaulich französische Währungspolitik.
Die regelmäßigen „Entwertungen“ der Zahlungsmittel förderten natürlich eher eine Wirtschaftskultur auf Kredit in der Gegenwart, weil persönliches Sparen in einer solchen Währung nur Verlustrisiken hat.
Die von relativer Währungsstabilität geprägten DM-Deutschen, erfahren nun wie unbegründet ihr naives Vertrauen in die Gemeinschaftswährung Euro ist, da ihre Anlageverträge durch die Inflationspolitik der EZB stetig entwertet werden.
Die große Zahl der Deutschen mit Riester-Verträge werden noch herbe Enttäuschungen erleben, da in der aufgeblähten Euro-Währung die Kaufkraft permanent verliert und sie vergebens für ihre Altersrenten sparten.
Die Währungsgeschichten der Mittelmeerländer setzen sich nahtlos im Euro fort und sorgen bestimmt nicht für entspannte Nachbarschaftsverhältnisse der gebeutelten Bevölkerungen die sich betrogen fühlen.
Die geringe Wahlbeteiligung und die enormen Gewinne der EU-Kritiker zeigen auch auf, dieses utopische Polit-Experiment einer Euro-Währung für völlig verschiedene Wirtschaften ist der Kern der permanente politischen EU-Krise.
Die EU-Länder mit eigener Währung bleiben da im Interesse ihrer Bevölkerung besser aufgestellt und darum ist eine Austritt aus dem Euro eine Option für Länder, die im Euro jede Souveränität verlieren.
Demokratisch wäre ja, zur Währung die Bevölkerung entscheiden zu lassen, aber dass gibt’s nur in der Schweiz, dem krassen Gegenmodell zum neo-absolutistischen EU-Feudalismus.
Dort wo die Souveränität bei den Landesbewohnern bleibt, wie in der Schweiz, stellt sich eine Politik im Mehrheits-Interesse der Bevölkerung ein und sorgt in allen Belangen für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.

Gravatar: MAX

Eine gute Abhandlung .
Sie zeigt die Wertlosigkeit von Papiergeld , das jederzeit
abgewertet werden kann.
Sachwerte sind dagegen der beste Schutz vor Abwertungen.
Betroffen war immer der Sparer mit Geldvermögen , hätte er
1914 Gold gekauft wäre sein Vermögen beträchtlich gewachsen.

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