Schützt vor nichts!

Das Märchen von der »Mittelmeer-Diät«

Die »Mittelmeer-Diät« ist berühmt, sie verheißt ein längeres Leben. Doch diese Behauptung lässt nicht nachweisen. Das zeigt eine Untersuchung, die das Gegenteil herausgefunden haben will.

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Anfang 2014 rauschten die Schlagzeilen zur präventiven Wirkung der Mittelmeerküche durch den Blätterwald: »Mittelmeer-Diät schützt vor Gefäßkrankheiten« oder »Mediterrane Diät verhindert Diabetes« 1, 2. Dabei wurden Risikosenkungen von 30% 3 über 40% 2 bis hin zu 50% 4 bejubelt.

»Diese Studie zeigt den ›Klassiker‹ unter den Blendern der Ernährungsforschung - denn in den Lobeshymnen kolportierten viele Medien die schlagzeilenträchtige, aber irreführende relative Wahrscheinlichkeit" erklärt Udo Pollmer, Wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.), »die tatsächliche, also absolute Verminderung des Risikos liegt nach Studienangaben bei irrelevanten 0,68% bis 1,88%, die sich statistisch kaum absichern lassen. Sollten diese Daten tatsächlich stimmen, dann ist die Mittelmeer-Diät damit erledigt«, so Pollmer. Doch das ist noch nicht alles, denn bei dieser Studie tappten die Forscher in eine wahre Phalanx an Fettnäpfchen. Derzeit gilt die spanische PREDIMED-Studie als kleines Forschungsjuwel, denn sie ist eine der ganz wenigen Interventionsstudien. Im Gegensatz zu den gängigen Beobachtungsstudien, die bekanntermaßen keine Beweise für Ursache-Wirkungs-Beziehungen liefern, könnte diese RCT (randomised clinical trial) ernsthafte Hinweise auf einen...

...ursächlichen Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit liefern. Nach Angaben der Forscher bekam ein Drittel der Teilnehmer Olivenöl, das nächste Drittel täglich eine Handvoll Nüsse, während die Kontrollgruppe, also das letzte Drittel, sich fettarm ernähren sollte.

Harte Nuss: Die Gesamtsterblichkeit

Die guten Nachrichten zuerst: Diese Untersuchung weist den entscheidenden Studienparameter, die Gesamtsterblichkeit aus. Und daraus folgt gleich die zweite entspannende Nachricht: Zwischen der Gruppe mit »Olivenöl«, der Gruppe »mit Nüssen« und der Kontrollgruppe gibt es demnach keinen greifbaren Unterschied in Sachen Sterblichkeit. Für die Lebenserwartung ist es – sofern die Studie korrekt ist – völlig egal, was einer speist.

Eine andere Frage ist es, ob es Verschiebungen bei den Todesursachen gibt. Sollten beispielsweise die in den Medien behaupteten 30% Risikosenkung beim Herzinfarkt stimmen, müssen entsprechend viele Menschen an anderen Krankheiten gestorben sein. Doch dazu fehlen die Daten. Das ist zwar nicht lobenswert, aber egal, denn der Unterschied ist in absoluten Zahlen ziemlich gering. Sowohl die Hauptstudie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch die Subgruppenanalysen zu Diabetes und peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten (pavK) zeigen mehr als deutlich: Die »death from any cause«-Todesfälle waren in der Kontrollgruppe und der Olivenölgruppe gleich (4,65% zu 4,64%) und in der Nussgruppe mit 4,72% am höchsten (Q.5, Table 3). Wer daraus, – wie namhafte deutsche Medien - einen echten Gesundheitsgewinn durch Olivenöl herausliest, hat erkennbar weniger die Studie vor Augen, sondern wohl eher seine Anzeigenkunden«, so Pollmer.

Nun zum heiteren Teil dieser Studie - dazu ist es sinnvoll sich die Methodik ein wenig genauer zur Brust zu nehmen: In der Hauptstudie wurden 7.447 ältere Spanier (durchschnittlich 67 Jahre), die an Bluthochdruck und teilweise an Diabetes litten, in drei Gruppen unterteilt: »Mediterrane Diät" plus Extra-Olivenöl, »mediterrane Diät« plus täglich 30 Gramm Nüsse und als Kontrollgruppe dienten die alten Esser, die sich an eine »fettarme mediterrane Diät« halten sollten. Im Durchschnitt wurden sie knapp 5 Jahre beobachtet.

Die erste Frage lautet: Was wird hier unter Mittelmeerdiät verstanden? Eigentlich ist es ja naheliegend: Ältere Spanier kennen ihre landestypische Küche und haben sie von Kindesbeinen an genossen. Doch das ist hier ein großer Irrtum. Die spanischen Senioren wurden vermutlich von deutlich jüngeren Ernährungsberaterinnen über die »typische Mittelmeerkost« des Spaniers aufgeklärt: sie enthält jetzt viel Vollkorn, kaum »rotes« Fleisch, kaum Süßes, möglichst wenig Alkohol, dafür aber Rohkost und statt der berühmten spanischen Wurstwaren lieber etwas Pute, aber ohne Haut. Keine Butter, keine Sahne und keine Pommes. Normalerweise aber essen die Südländer sogar mehr »rotes« und verarbeitetes Fleisch als die Deutschen, sie lieben seit jeher Weißbrot und trinken gerne Wein. Oft schwimmt das Essen im Fett. Das wäre echte Mittelmeerkost!

Fragebögen statt harter Daten

Die zweite Frage lautet: Haben sich die 65-80 jährigen spanischen Studien-Rentner an diese Ernährungspläne gehalten und das über fast 5 Jahre lang? Wohl kaum. Ältere Menschen essen gewöhnlich das, was sie immer gegessen haben. Die Methode, mit der die Forscher gezeigt haben wollen, dass sich ihre Kundschaft an die Empfehlungen hält, ist rein zufälligerweise so gestaltet, dass sich auch wirklich niemand dran halten muss. Denn die »Compliance« wurde per Fragebogen ermittelt. Die Teilnehmer wurden geschult, wie sie die Fragebögen auszufüllen hätten. Dafür bekamen sie als Belohnung beispielsweise eine Kochschürze. Nicht umsonst sind die Daten dieser Fragebögen nicht verfügbar. Warum auch diesen Unfug noch extra auswerten?

Immerhin hat man im Blut und im Urin der Teilnehmer nach jeweils einem »Marker« gesucht, ob sie auch das empfohlene Olivenöl konsumiert und ihre Nüsse gegessen haben. Die Untersuchungen zum Olivenöl (Marker: Hydroxytyrosol im Urin) fanden nach einem Jahr kaum einen Unterschied zum Ausgangswert – ein deutlicher Hinweis, dass den Teilnehmern die Ernährungstipps piepegal geblieben sind. Nach weiteren zwei Jahren fiel der Wert hingegen höher aus. Diesmal wussten die Teilnehmer offenbar, dass sie vor dem Gang zum Labor einen Schuss Olivenöl zu konsumieren hätten. Bei der nächsten Untersuchung nach weiteren zwei Jahren sank der Wert wieder – denn jetzt war die Studie zu Ende und den Teilnehmern die erhobenen Zeigefinger der Ernährungsberater gleichgültig. Die »Nuss-Teilnehmer« hielten es offenbar ähnlich – alle ein bis zwei Jahre ein Handvoll Nüsse und das Ergebnis passt. So entsteht in der Ernährungsmedizin eine echte »Spitzenstudie«.

Olivenöl – 7 x 50 ml = 1 Liter?

Wie gleichgültig die Ernährung den Forschern war, zeigt ein Detail: Laut einer der Publikationen konsumierten die Teilnehmer einen ganzen Liter Olivenöl pro Woche 5, laut der nächsten Auswertung waren es nur noch 50 Milliliter am Tag (0,35 Liter pro Woche) – also nur ein gutes Drittel 6. Überprüft hat es niemand. Auch interessant: Bei Weinkonsum gab es keine einheitlichen Vorgaben, hier »erlaubte« man aber »heavy drinkers« beim Essen zu trinken.

Nicht zu vernachlässigen ist weiterhin, dass im wirtschaftlich gebeutelten Spanien die Teilnehmer aufgefordert wurden, sich tendenziell teurere Nahrungsmittel zu kaufen. Im Gegenzug bekamen sie Olivenöl oder pro Tag 30 Gramm Nüsse. »Es ist anzunehmen, dass die Teilnehmer die milden Gaben mit nach Hause nahmen und sie dort an Interessierte weitergaben. Im Übrigen haben sie wahrscheinlich das gekauft, was sie immer kaufen und was sie sich leisten konnten. Denn hier wurden alte kranke Spanier dazu angehalten, ihre bewährte traditionelle Ernährung auf eine schwer bekömmliche ›Mumpitz-Kost‹ umzustellen. Allein die ganz banale Tatsache, dass sich Senioren, die oftmals mit schlechten oder dritten Zähnen gesegnet sind, hüten werden, das Vollkorn, die Rohkost und die Extra-Nüsse zu mummeln, spricht dafür, dass die Studie wohl gar nicht ernst gemeint war«, vermutet Pollmer.

Ein klein wenig Statistik

Versetzt man sich in die Lage eines Redakteurs, der dem Glauben anheim fiel, die Zahlen der Studie seien echt, so ergibt sich folgendes Szenario: Das Gesamtrisiko für Herzinfarkt und Schlaganfall lag in der Hauptstudie mit 7447 Teilnehmern bei 3,87%. In den Medien liest sich das so: »Eine mediterrane Ernährung senkt das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen um 30%.« Betrachtet man die absoluten Risiken der einzelnen Gruppen, so zeigt die fettarme Kost ein 1,07% höheres KHK-Risiko als die Nussgruppe und nur ein 0,68% höheres Risiko als die Olivenölgruppe 5. Anders formuliert: »Das Risiko für ein KHK-Ereignis bleibt in der Olivenölgruppe zu 99,32% bestehen – also völlig irrelevant«, so Pollmer.

Betrachtet man nun noch die beiden Subgruppenanalysen zu Diabetes und pavK, so ergibt sich ein vergleichbares Bild wie in der Hauptstudie: Absolute Risikosenkung bei Diabetes von 1,88% in der Olivenölgruppe und 1,40% in der Nussgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe 6. »Wenn man dann in führenden deutschen Medien von Risikosenkungen zwischen 30 und 40% liest, wird klar, dass es hier nur um die übliche autistische Ernährungspropaganda geht«, so Pollmer, »aber nicht um Fakten zur Aufklärung.« Genau das gilt auch für die pavK-Daten: Bei einem Gesamtrisiko von 1,19% (89 Fälle bei 7453 Probanden) lag die Quote in der Olivenölgruppe um 1,13% niedriger und in der Nussgruppe um 0,78% niedriger als in der Kontrollgruppe 7. »Allein diese nichtigen Risikoreduktionen bei unveränderter Gesamtsterblichkeit entlarven diese ›Spitzenstudie‹ als Rohrkrepierer de luxe«, resümiert Pollmer. Aber nicht mal diese Zahlen sind echt: In der Kontrollgruppe waren mehr Kranke als in den beiden anderen Gruppen 8. Daher rühren erkennbar die minimalen Unterschiede. Die drei Gruppen wurden demnach nicht korrekt randomisiert.

Unter Berücksichtigung dieser Fakten muss die Frage erlaubt sein, ob der Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung, Prof. Hans-Georg Joost die Studie gelesen und korrekt erfasst hat – denn für ihn ist PREDIMED die »erste Studie, die eine ursächlichen Zusammenhang beweist«, dass mediterrane Ernährung das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen senkt 9.

Fazit: Ohne Erfassung der Ernährung keine Ernährungsstudie!

Pollmer zieht Bilanz: »Wir wissen bei diesen Ergebnissen natürlich nicht, ob eine Ernährung, wie sie in Mittelmeeranrainern üblich ist, irgendwelche gesundheitlichen Folgen hat. Denn die Ernährung wurde ja gerade nicht untersucht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum keine greifbaren Unterschiede herauskamen.« Eins aber, so Pollmer, beweise die Studie: »Entweder nehmen manche Medien irgendwelche Studien zum Anlass, um – egal was im Original drinstand – immer den gleichen Ernährungs-Unsinn zu verbreiten oder die Redaktionen sind schlicht überfordert mit der Lektüre einer Ernährungsstudie.«

Literatur

1 Mittelmeer-Diät schützt vor Gefäßkrankheiten; Spiegel online, 21.01.2014

2 Mediterrane Diät verhindert Diabetes, Deutsches Ärzteblatt online, 14.01.2014

3 Mittelmeer-Diät senkt das Diabetesrisiko; Spiegel online, 08.01.2014

4 Mediterrane Diät beugt pavK vor, Deutsches Ärzteblatt online, 22.01.2014

5 Estruch R. et al.: Primary Prevention of Cardiovascular Disease with a Mediterranean Diet. N Engl J Med, 2013; 368: 1279-1290

6 Salas-Salvado J. et al.: Prevention of Diabetes with Mediterranean Diets. Annals of Internal Medicine 2014; 160: 1-10

7 Ruiz-Canela M. et al.: Association of Mediterranean Diet with Peripheral Artery Disease. JAMA 2014; 311: 415-417

8 Kopel E. et al.: Mediterranean Diet for Primary Prevention of Cardiovascular Disease; N Engl J Med 2013; 369: 672

9 Die drei gesündesten Vorsätze fürs neue Jahr, Spiegel online, 04.01.2014

Für Statistikinteressierte nachfolgend die absoluten Risiken im Überblick:

- KHK-Fälle gesamt 288 (3,87%, N=7447): Olivenölgruppe 96 (3,77%, N=2543) / Nussgruppe 83 (3,38%, N=2454) / fettarme Kontrollgruppe 109 (4,45%; N=2450 )

- Diabetes-Fälle gesamt 273 (7,71%, N=3541): Olivenölgruppe 80 (6,93% N=1154) / Nussgruppe 92 (7,41%, N=1240) / fettarme Kontrollgruppe 101 (8,81%, N=1147)

- pavK-Fälle gesamt 89 (1,20%, N=7453): Olivenölgruppe 18 (0,71 %, N=2539) / Nussgruppe 26 (1,06%, N=2452) / fettarme Kontrollgruppe 45 (1,84% N=2444)

Quelle: euleev.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Michael Pitten

Dieser Artikel ist aber nicht das was ich bei Euch sonst gewohnt bin. Er wirkt unsachlich, subjektiv und gar bitter. Er liest sich bald wie eine persönliche Vendetta.
Tierisches Fett und Burger sind doch sicher gesünder als Olivenöl und Salat.
Es geht doch nie um einzelne Lebensmittel sondern eine ganzheitliche Ernährung und Bewegung.
Es ist sicherlich richtig, dass die von Euch kritisierten Studien sehr einseitig sind. Euer Artikel war es aber genauso.

Gravatar: Adorján Kovács

Man kann aus dieser Studie nicht herauslesen, dass Mittelmeerkost irgendeinen nachweisbaren Sinn hat. Man kann aber auch nicht behaupten, dass diese Kost keinen nachweisbaren Sinn hat. Man weiss es einfach nicht. Dazu müsste man Menschen schon von Kindesbeinen an ernährungsmässig so überwachen, dass es ethisch problematisch würde. Es sei daran erinnert, wie lange es gebraucht hat, um einen negativen Einfluss des Kettenrauchens nachzuweisen, nämlich Jahrzehnte.
Umgekehrt wussten schon die antiken Ärzte, dass Ernährung sehr wohl eine Rolle spielt. Nur mit dem Beweisen ist es eben schwierig, wenn man wissenschaftlich bleiben will. Aber nicht immer, auch das ist zu bedenken, kann und muss bewiesen werden, was sowieso klar ist. Starkes Übergewicht, Einseitigkeit bei der Kost, Exzesse sind schädlich; für diese Erkenntnis braucht man aber eigentlich keine Studie.

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