EZB und Schuldenkrise

Das Ende der konventionellen Geldpolitik

Die Finanz- und vor allem die Eurokrise haben das konventionelle geldpolitische Instrumentarium der Europäischen Zentralbank (EZB) an seine Grenzen geführt. Ein Ende dieser Praxis ist nicht in Sicht.

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Die Euro-Zone ist ein Gebilde, das sich aus höchst heterogenen Staaten zusammensetzt. Durch den Euro sind sie in ein gemeinsames Korsett gezwängt. Die EZB als Euro-Notenbank muss für den gesamten Währungsraum die Geldpolitik vorgeben. Dabei musste sie sich seit Ausbruch der Finanz- und später der Euro-Krise zunehmend an den Bedürfnissen der Krisenstaaten orientieren, um dramatische Ereignisse wie Banken- oder Staatsinsolvenzen abzuwenden. Seit 2008 hat die EZB sukzessive die Bahnen der konventionellen Geldpolitik hinter sich gelassen.

Die Instrumente funktionieren nicht mehr

Die EZB verfügt – wie jede Zentralbank – über eine Reihe konventioneller geldpolitischer Maßnahmen. Zu den wichtigsten Instrumenten der Geldpolitik zählen insbesondere die Leitzinsen und die Refinanzierungskredite an Banken. Die Leitzinsen sind die entscheidenden Faktoren am Interbankenmarkt. Dort gleichen Banken kurzfristige Liquiditätsschwankungen aus, indem sie überschüssige Liquidität anlegen oder Kredite aufnehmen, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Die Leitzinsen bestimmen, zu welchem Zinssatz Banken sich Gelder untereinander und bei der EZB leihen können und welche Verzinsung sie für Einlagen bei der EZB erhalten.

Mit dem zweiten Instrument, den Refinanzierungskrediten, werden die Banken mit mittelfristiger Liquidität versorgt. Bis 2008 versteigerte die EZB dabei an die Geschäftsbanken eine vorher festgelegte Menge an Liquidität. Die Laufzeit dieser Kredite lag bei einem bis drei Monaten.

Diese konventionellen Maßnahmen der EZB stießen im Verlauf der Krise jedoch zunehmend an ihre Grenzen. Dies lag vor allem daran, dass wichtige Mechanismen der Geldpolitik im Euroraum gestört waren. In einem normalen Umfeld lassen sich mit den Leitzinsen vor allem die Zinsen von kurzlaufenden Staatsanleihen beeinflussen. Kurz: Sinkt der Leitzins, sinken auch die Zinsen für Staatsanleihen und umgekehrt. Dieser Mechanismus funktionierte nur noch eingeschränkt, da das Vertrauen in die Krisenstaaten zunehmend schwand. Ab 2009 senkte die EZB die Leitzinsen kontinuierlich. Davon profitierten jedoch nur die Schuldnerstaaten mit einer hohen Bonität – also Deutschland, Österreich, Frankreich usw. In den Krisenstaaten kam diese Politik nicht an.

Unternehmen in Krisenländern von Finanzierungen abgeschnitten

Neben dem Instrument Leitzins nimmt die Geldpolitik vor allem über die Liquiditätsversorgung der Banken Einfluss auf die Wirtschaft. Die Banken geben die Liquidität in einem »normalen« Umfeld in Form von Krediten an Unternehmen weiter. Funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, ist dies vor allem für die kleinen und mittelständischen Unternehmen dramatisch, da der Bankkredit für Unternehmen in der Eurozone nach wie vor das wichtigste Finanzierungsinstrument ist. 75 Prozent aller Unternehmensfinanzierungen erfolgen über Bankkredite und nur 25 Prozent direkt über den Kapitalmarkt.

Eine Ursache für das Versagen waren die Staatsanleihe-Bestände der Banken. Die Banken hatten viele Staatspapiere gekauft und mussten Abschreibungen auf diese Positionen vornehmen. Der Grund: Die Kurse der Staatsanleihen von Krisenstaaten sanken zunehmend, was das Eigenkapital der Geldhäuser aufzehrte. Die Banken reagierten darauf mit einer restriktiveren Kreditvergabe, um ihre Bilanzen im Gleichgewicht zu halten.

Die Maßnahmen der konventionellen Geldpolitik wirkten also vor allem in den Krisenstaaten nicht mehr. Die Zinsen für Staatsanleihen erreichten ein extrem hohes Niveau, während zahlreiche Unternehmen in diesen Ländern von Bankfinanzierungen abgeschnitten waren. Die EZB sah sich daher gezwungen, sukzessive unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik zu ergreifen.

So viel Liquidität, wie die Banken wollen

Eine wichtige Maßnahme bildeten dabei Änderungen bei den Refinanzierungsgeschäften zwischen Banken und EZB. Die erste Änderung: Während bis 2008 eine feststehende Menge an Krediten von der EZB an die Banken versteigert wurde, erhalten die Banken seit der Lehman-Insolvenz soviel Liquidität, wie sie wollen. Diese »Vollzuteilungspolitik« behält die EZB bis heute bei, da der Interbankenmarkt vor allem in den Krisenländern immer noch gestört ist. Neben der Vollzuteilung wurde auch die Laufzeit der Refinanzierungskredite verändert. Vor der Krise wurden die Refinanzierungskredite von der EZB an die Banken mit einer Laufzeit von einem bis drei Monate vergeben. Die Laufzeiten wurden sukzessive verlängert, bis sie schließlich drei Jahre erreichten. Zwischen Dezember 2011 und Februar 2012 wurden netto 570 Milliarden Euro Zentralbankgeld an die Banken vergeben. Diese Maßnahmen mit dreijähriger Laufzeit – auch als »Dicke Berta« bezeichnet – wurden insbesondere von den Banken der Krisenländer in Anspruch genommen.

Schließlich wurden im Dezember 2011 die Anforderungen an EZB-fähige Wertpapiere gesenkt. Die Banken können sich grundsätzlich nicht einfach bei der EZB refinanzieren, sondern müssen Sicherheiten wie Staatsanleihen oder ABS-Papiere (Asset-Backed-Securities) hinterlegen. Eine Senkung der Anforderungen bedeutet konkret: Die Banken können ABS-Papiere mit schlechteren Ratings bei der EZB hinterlegen. Zudem wurden für die Staatsanleihen einiger Krisenstaaten die Mindest-Rating-Anforderungen ganz aufgehoben. Auch dies war ein Entgegenkommen an die Banken der Krisenstaaten. Diese waren vom Interbankenmarkt abgeschnitten und auf die EZB-Refinanzierung angewiesen. Zudem verfügten sie nicht über genügend »hochwertige« Sicherheiten, die den EZB-Anforderungen genügten.

Neues Terrain: EZB kauft Staatsanleihen

Die stärkste Änderung in der Geldpolitik stellt sicherlich der Ankauf von Staatsanleihen am Zweitmarkt dar – das sogenannte Quantative Easing (QE). Die EZB nimmt nicht mehr nur Anleihen als Sicherheiten für die üblichen Refinanzierungen entgegen, sondern kauft die Staatsanleihen auf dem Zweitmarkt. Dies bedeutet: Die EZB kauft die Anleihen nicht direkt bei der Emission vom jeweiligen Staat. Dieser Primärkauf wird von einem anderen Käufer vorgenommen, welchem die EZB die Anleihe dann abkauft. Anleihekäufe am Primärmarkt – was quasi einer direkten Staatsfinanzierung entspräche – sind der EZB verboten.

Das Ziel dieser Maßnahme: Die Kurse der Anleihen sollen stabilisiert werden, um die Banken in den Krisenstaaten vor weiteren Abschreibungen auf die Staatsanleihen in ihren Büchern zu schützen. Das erste Anleihekaufprogramm, das Securities Markets Programme (SMP), begann im Mai 2010. Zunächst kaufte die EZB vor allem griechische, portugiesische und irische Anleihen. Als die Krise im Juli 2011 auf Spanien und Italien übersprang, sprang die EZB auch hier in die Bresche und kaufte italienische und spanische Titel. Insgesamt erreichte der Staatsanleihebestand der EZB den Höchststand von rund 220 Milliarden Euro im Januar 2012. Im Juli 2012 spitzte sich die Krise um Italien und Spanien erneut zu, sodass sich EZB-Präsident Mario Draghi veranlasst sah, in seiner berühmten »whatever it takes-Rede« am 26. Juli 2012 ein Programm zum unbegrenzten Staatsanleiheankauf zu verkünden. Das so genannte OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) ist seitdem in Kraft. Bislang hat allein die Verkündung des Programms gewirkt. Offenbar schuf diese Maßnahme genügend Vertrauen, um Investoren wieder zu Käufen von italienischen und spanischen Anleihen zu bewegen. Denn Ankäufe von Staatsanleihen hat die EZB unter dem OMT-Programm noch keine getätigt.

Risiken: Zombie-Banken, erlahmender Reformwille …

Die EZB konnte mit ihrer unkonventionellen Geldpolitik die Krise zunächst wieder in den Griff bekommen. Dies gilt insbesondere für die Situation in Italien und Spanien. Der Euro-Rettungsschirm wäre für diese beiden Staaten zu klein. Die EZB blieb die einzige Institution, die die Lage stabilisieren konnte. Das Handeln der EZB bringt jedoch Risiken mit sich: Durch die Zinserleichterungen für die Krisenstaaten wird der Reformdruck auf diese Länder gemindert, was den Reformwillen schließlich gänzlich zum erlahmen bringen könnte. Zudem bringt die erweiterte Liquiditätspolitik das Risiko, dass eigentlich insolvente Banken – so genannte Zombie-Banken – dadurch am Leben erhalten werden. Schließlich kam es durch den Kauf von Staatsanleihen faktisch zu einer Vergemeinschaftung von Risiken, da hauptsächlich Anleihen der Krisenstaaten erworben wurden. Diese Risiken liegen jetzt in der Bilanz der EZB. An der EZB sind alle Euro-Staaten bekanntermaßen anteilig beteiligt.

Insgesamt hat sich die EZB kontinuierlich weiter von der regulären Geldpolitik entfernt. Ein Zurück scheint immer unmöglicher. Das Ausmaß der Abkehr zeigen die Äußerungen Draghis Anfang April 2014: Die EZB denkt über ein Anleihekaufprogramm von einer Billion Euro pro Jahr nach. Dies würde alles bisher Dagewesene übertreffen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: reiner tiroch

gnadenlos verschwiegen wird, dass die Banken von Juli 2007 bis heute mit 5,5 Billionen € gerettet wurden, um erneut Pleite zu sein. warum? in der Zeit haben sich die Schulden verdoppelt! aber Schäuble zaubert schwarze Nullen, und lässt den BIP auf 71% runtergehen, obwohl der gesamt BIP aller Schulden bei 450% liegt, so wie in der gesamten EU! darüber lauern für Europa faule Derivate von ca. 500 BILLIONEN $. deswegen wird Gr am laufendem Band gerettet, weil dort bei einer Pleite 24 Billionen Derivate zu bedienen sind. lol. so entlarft man die dreckigen Lügen der Banker und Politiker.

Gravatar: Norbert

Klarer Beitrag. Kann man so als Infotext verteilen, wenn es erlaubt wäre. Vielleicht kommt in Kürze ein Beitrag zum "Haftungspegel" und evtl. zu den Kosten des Ausstiegs aus dem Euro. Wens interessiert, dem sei das Gutachten von Prof. Sinn zur ESM-Klage empfohlen, der sog. erste "Basistext" auf der Site von CESifo. Was ich als echten Mangel sehe: Die AfD macht sich das nicht zu Eigen, rechnet das mal durch, a) Ende mit Schrecken und b) Schrecken ohne (?) Ende. b) bedeutet eigentlich die Wertnichtung aller Rücklagen in Euro. Was das bedeutet, so sei ein Blick auf Argentenien erlaubt: Verarmung der älteren Generation - Mittelschicht - Abstieg in die objektive Armut. Das dürfte vielen in letzter Konsequenz nicht klar sein. Hier ist mehr Aufklärung nötig. Die "Freie Welt" hätte hier noch ein "Rollfeld" zu bearbeiten.

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