Die Wurzeln von Al-Qaida, ISIS & Co.

Brutstätten des Terrors

Verdeckte Operationen und geheime Außenpolitik haben oft unerwünschte Nachwirkungen, die sich in Gestalt des Terrorismus äußern. Der Vormarsch der ISIS im Irak ist nicht der erste solcher »Blowbacks«.

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»Why do they hate us?«, war die meistgestellte Frage nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Hassen sie uns wegen unserer Freiheit und Demokratie, wie George W. Bush sinngemäß behauptete? Die amerikanische Medienlandschaft hatte damals viele Erklärungen parat. Nur selten drang das Offensichtliche an die Öffentlichkeit: Terrorismus ist Blowback. Meistens zumindest.

Blowback ist ein englischer Begriff, der soviel wie »Rückstoß«, »Rückschlag« oder »Rückwirkung« bedeutet. Ursprünglich im Zusammenhang mit Schusswaffen verwendet, bezeichnet das Wort auch den unbeabsichtigten Bumerangeffekt. Wer auf den Gegner wirft, trifft sich womöglich selbst.

Die Nachwirkungen geheimer Außenpolitik und verdeckter Operationen können von der Öffentlichkeit kaum eingeordnet werden. Denn die offizielle Außenpolitik liefert in solchen Fällen keine schlüssigen Beweggründe. Die journalistische Aufklärung erfolgt meistens zu spät oder gar nicht.

Man bekämpft die Feinde, die man selbst geschaffen hat

Aus der Perspektive der Öffentlichkeit scheinen die Bösewichte aus dem Nichts aufzutauchen: Saddam Hussein, Al-Qaida, Osama Bin Laden, die Taliban – und nun ISIS in Irak und Syrien. Auch die Krisen in der Ukraine und in Libyen können nicht verstanden werden, ohne die geheimen Operationen ausländischer Interessengruppen aufzudecken.

Wer erinnert sich noch daran, dass Osama Bin Laden einst von der CIA ausgebildet und unterstützt wurde, um mit seinen Religionskriegern im Afghanistan der 1980er Jahre gegen die sowjetische Besatzungsmacht zu kämpfen? Damals unterstützten die Amerikaner und Saudis mit mehreren Milliarden US-Dollar die Mudschaheddin, die Krieger des Dschihad. Der Widerstand wurde nicht nur von der afghanischen Bevölkerung getragen. Freiwillige fundamentalistische Gotteskrieger kamen aus der ganzen islamischen Welt, insbesondere aus arabischen Ländern. Als die Sowjets 1989 Afghanistan verließen, suchten sich die islamischen Glaubenskämpfer neue Gegner. Al-Qaida wandte sich gegen den Westen.

Wer Terror sät, wird Terror ernten – oftmals aus überraschender Richtung

Auf Gewalt folgt Gegengewalt. Seit unserer Kindheit werden wir mit Binsenweisheiten gefüttert, die uns zum friedlichen Menschen erziehen sollen. Doch in der internationalen Politik gelten andere Regeln. Denn hier sind die weiteren Auswirkungen des Handelns nicht überschaubar.

Blowback ist kein Pingpong, bei dem der Ball zurückgespielt wird. Blowback kann als Folge externer Effekte aus ungeahnter Richtung erfolgen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Folgen einer militärische Auseinandersetzung, eines Wirtschaftskrieges oder eines geheimen »Regime Change« geht. Es gibt immer Menschen, die davon betroffen sind, ohne an der Auseinandersetzung direkt beteiligt gewesen zu sein. Die Angelsachsen sprechen von »externalities«. Wenn – um ein konkretes Beispiel zu nennen – eine US-Drohne bei der Jagd auf »mutmaßliche« Terroristen im Jemen irrtümlich die friedliche Hochzeitsgesellschaft eines Dorfes zerschießt, muss sich niemand wundern, wenn aus den Angehörigen der Opfer neue Märtyrer und Gotteskrieger hervorgehen.

Klassisches Beispiel für Blowback: »Regime Change« im Iran

Der Begriff Blowback wurde erstmals von Angehörigen der CIA verwendet. Damit wiesen sie auf eventuelle Nachwirkungen des 1953 von Geheimoperationen unterstützen Putsches im Iran hin. Was war damals geschehen?

1951 wurde im Iran unter Premierminister Hossein Ala die anglo-iranische Ölgesellschaft AIOC verstaatlicht. Das Unternehmen war die Vorgängerin von BP (British Petroleum). Es kam zu politischen Verwerfungen zwischen dem Iran und Großbritannien. Unter dem nachfolgenden Premierminister Mohammad Mossadegh verschärfte sich die Krise. Der Iran wurde sanktioniert. Es gab eine britische Seeblockade am Golf.

Dann rief Großbritannien die Amerikaner auf den Plan. Winston Churchill konnte den US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower von der angeblichen Gefahr überzeugen, dass der Iran kommunistisch werden und ein Bündnis mit der Sowjetunion eingehen könnte.

Es folgte die Geheimoperation Ajax, eine Kooperation der amerikanischen CIA und des britischen MI6. Als Folge dieser Geheimoperation wurde Mossadegh gestürzt und die Position des US-freundlichen Schahs Mohammed Reza Pahlavi gefestigt. Mit amerikanischer Hilfe wurde der Iran militärisch aufgerüstet. Der neue iranische Geheimdienst SAVAK begann, die iranische Opposition zu unterdrücken. Iran wurde zur Marionette der USA.

Schließlich kam der Blowback. 1979 stürzte die islamische Revolution den Schah. Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini erklärte die USA zum Reich des Bösen. Es folgte die Geiselnahme, bei der 52 US-Diplomaten in Teheran festgehalten wurden. Der Iran und die USA sind bis heute verfeindete Staaten und geostrategische Gegner.

Aktuelles Beispiel für Blowback: ISIS in Syrien und im Irak

Zurzeit marschiert im Irak das sunnitische Bündnis ISIS (»Islamic State in Iraq and Syria«, auch ISIL – »Islamic State in Iraq and the Levant« genannt) auf Bagdad zu. Dort wiederum versammelt sich die schiitische Mahdi-Armee zum Widerstand. Es droht eine Eskalation. Kurden, Türken und der Iran sind alarmiert. Auch Jordanien hat seine Armee in Alarmbereitschaft versetzt. Die USA haben einen Flottenverband in Richtung Golf geschickt.

Doch woher kommen die ISIS-Truppen? In Syrien kämpfen sie zugleich gegen das Assad-Regime und gegen die Freie Syrische Armee. Ihre Anhänger rekrutieren sich aus ehemaligen Al-Qaida-Kämpfern, Assad-Gegnern und übergelaufenen Militärs – sowohl aus der irakischen als auch syrischen Armee, darunter auch ehemalige Anhänger Saddam Husseins. Das Zweckbündnis kämpft zurzeit einen Mehrfrontenkrieg gegen alle anderen Kräfte in Syrien und Irak. Ihr Ziel ist ein radikal-sunnitischer Gottesstaat.

Der Irak – von Anfang an chancenlos auf eigenständige Entwicklung

Die jüngere Geschichte des Irak ist eine Ansammlung von Blowbacks. Was aktuell jedoch hervorbricht, ist eine alte Wunde, die ihre Ursprünge in der Nahostpolitik des Ersten Weltkrieges hat. Damals war das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich zerfallen. Mit dem Sykes-Picot-Abkommen von 1916 teilten sich die Briten und Franzosen den Nahen Osten auf. Frankreich erhielt die Mandatsherrschaft über Syrien und den Libanon, Großbritannien über den Irak, Jordanien und Palästina.

1920 schuf die britische Kolonialverwaltung den heutigen Staat Irak. Dabei wurden die ehemaligen osmanischen Provinzen Bagdad (mehrheitlich sunnitische Araber), Mossul (mehrheitlich Kurden) und Basra (mehrheitlich schiitische Araber) künstlich zusammengeführt. Verantwortlich für die Grenzziehungen war der damalige britische Kolonialminister – Sir Winston Churchill.

Aufstände wurden niedergeschlagen. Als Herrscher setzten die Briten König Feisal ein, der aus dem Hedschas (im Osten des heutigen Saudi-Arabien) stammte. Es war jener Feisal, der mit T.E. Lawrence (bekannt als Lawrence von Arabien) gegen die Türken gekämpft hatte – eine Marionette der Briten.

Nach dem Sturz der Königsdynastie folgten Regierungen, die eine eigenständige Politik verfolgten, die Ölquellen verstaatlichten und somit auf der Terrorliste der USA standen. Gemeint sind die Regierungen von Abd al-Karim Qasim und später Saddam Hussein. In beiden Fällen wurden die Machthaber letztlich mit amerikanischer Hilfe gestürzt.

Über Jahrzehnte hatten sich die USA bemüht, den Irak zu schwächen, indem sie die kurdischen Minderheiten im Norden und die Schiiten im Süden gegen die Regierung in Bagdad aufwiegelten.

Nun geht die Saat ungewollt auf. Das Kunstgebilde Irak hatte nie die Chance, als souveräner und homogener Staat zusammenzuwachsen. Jetzt spaltet sich das Land in seine drei alten Teile: Kurdistan im Norden, die sunnitische Region um Bagdad und die schiitische Region um Basra – wie vor hundert Jahren.

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