Beobachtungsstudien 2.0

Beobachtung von »Ernährungsmustern« schafft Unklarheit

Einzelne Nährstoffe und Lebensmittel zu beobachten, bringt nichts als Verwirrung. Das stellt allenfalls den generellen Nutzen der Ernährungsforschung in Frage. Man sollte solche Studien ignorieren.

Veröffentlicht:
von

Ende 2013 gab das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE bekannt: »Wer wenig Softdrinks, Fleischprodukte und Weißbrot konsumiert, hat ein geringeres Diabetesrisiko.«1 Diese Erkenntnis resultiert auf der Beobachtung von Ernährungsmustern, d.h. man kombinierte bestimmte Lebensmittel zu Gruppen. »Einzelne Nährstoffe und Lebensmittel zu beobachten, das hat sich als Irrweg gezeigt, der außer Verwirrung nichts brachte und den generellen Nutzen der Ernährungsforschung in Frage stellte. Nun verstecken sich die Ernährungsbeobachter hinter willkürlich kombinierten Ernährungsmustern, die statt Antworten noch mehr Unklarheit bringen«, erklärt Udo Pollmer, Wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.), »denn mit einer Gruppe von Lebensmitteln ist der potenzielle Einfluss einzelner Lebensmittel nicht mehr ansatzweise nachvollziehbar, geschweige denn lässt sich irgendeine alltagsrelevante Erkenntnis daraus ableiten.«

Unabhängig von der »Trendwende« in der Ernährungswissenschaft gilt auch bei der aktuellen DIfE-Auswertung des »Beobachtungsflagschiffs« EPIC: Außer einem willkürlich konstruierten statistischen Zusammenhang liefert diese Studie kein wissenschaftlich relevantes Ergebnis. Es ist dem DIfE sogar gelungen, dass erschreckend niedrige Niveau der bisher üblichen Beobachtungsstudien nochmals zu unterbieten. Denn um etwas statistisch Nutzbares zu generieren, wurden die einzelnen – und letztlich beliebig zusammengestellten - Ernährungsmuster mit einem willkürlichen Punktesystem »bewertet«. Mittels derartiger Statistikspielereien Kausalzusammenhänge zu suggerieren, das bedarf schon einer gewissen Chuzpé. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass EPIC-Publikationen derzeit als der »heilige Gral« der Ernährungsforschung gelten.

Ernährungsmuster - die neue Nebelkerze zum »Medienblenden«?

Der Grund für die neuen »Beobachtungsstudien 2.0« mit Ernährungsmustern statt Lebensmittelfokussierung erscheint hingegen zeitgemäß: »Die Glaubwürdigkeit der Ernährungsforschung befindet sich im Sinkflug, da in den meisten Redaktionen inzwischen klar ist: PR-Meldungen wie ›Wurst erhöht das Diabetesrisiko‹ entbehren jeglicher Grundlage. Mit der Gruppierung mehrerer, als ›böse Buben‹ gebrandmarkte Lebensmittel will man nun retten, was noch zu retten ist, indem man sich immer tiefer in den statistischen Morast hineinwühlt. Denn ein vermeintlich ungesundes Ernährungsmuster als krankheitsfördernd zu positionieren, das erscheint auf den ersten Blick plausibler«, so Pollmer, »doch ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Autoren selbst nicht daran glauben: Denn der Effekt des ›Ernährungsmusters‹ war so gering, dass er dem Zufall zuzuordnen ist, umso mehr als das Konfidenzintervall – das Maß für die Zuverlässigkeit – bei einer der drei Kalkulationen die Zahl 1* miteinschließt: beim Modell, das auf dem Nutzen von Obst basierte.«

Immer das Gleiche: die Gesamtmortalität fehlt

Die Auswertungen nach Ländern zeigen, dass der Effekt der ›gesunden Ernährung‹ rein rechnerisch in einigen Regionen nutzt, in anderen jedoch schadet. So sinkt das Diabetesrisiko in Norfolk (UK) mit einem der Muster um ein Drittel, während sich in Oxford mit dem gleichen Muster das Risiko um ein gutes Drittel erhöht. Nur am Rande vermerkt: Als negativ wurden Diätlimos eingestuft – in der Öffentlichkeit wird aber so getan, als ginge es primär um Zuckerlimos.

Wie immer entlarvend: Auch in dieser DIfE-Meldung fehlt wie bei den meisten Ernährungsstudien der aussagekräftigste und entscheidende Studienendpunkt: die Gesamtsterblichkeit. »Allein diese Tatsache macht klar und deutlich: Journalisten sollten derartige Pressemeldungen milde lächelnd ignorieren, denn deren Inhalte sind nichtssagend«, empfiehlt Pollmer.

BMJ - auch eine weitere Million Beobachtungsstudien bringt der Ernährungsforschung nichts!

Passend zu DIfE-PR brachte in der November-Ausgabe 2013 des British Medical Journal BMJ der US-Medizinprofessor John Ioannidis, Stanford University, das Dilemma der Ernährungswissenschaften auf den Punkt: Viele Studienergebnisse seien »völlig unglaubwürdig« – und auch eine »weitere Million Beobachtungsstudien« würde keine endgültigen Lösungen liefern2. Insbesondere für den härtesten Studienendpunkt, die Gesamtsterblichkeit, seien die Effekte einzelner Nährstoffe »gleich Null«. Die Forschung in diesem Bereich »erscheint hoffnungslos«. Die BMJ-Publikation untermauert damit Aussagen des deutschen Cochrane-Direktors, Professor Gerd Antes: »Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage.«3

* Das Konfidenzintervall, kurz »CI / KI«, zeigt an, wie vertrauenswürdig ein statistisches Ergebnis ist. Wenn das CI den Wert von 1,00 einschließt, dann heißt das: Das Ergebnis ist nicht verwertbar. Und genau das ist hier der Fall (wie so oft bei Ernährungsbeoachtungen).

Literatur

1. Wer wenig Softdrinks, Fleischprodukte und Weißbrot konsumiert, hat ein geringeres Diabetesrisiko, DIfE-PR-Meldung, 05.11.2013  - Originalarbeit: InterAct Consortium: Adherence to predefined dietary patterns and incident type 2 diabetes in European populations: EPIC-InterAct Study. Diabetologia 2014; 57: 321-333 doi 10.1007/s00125-013-3092-9

2. www.bmj.com/content/347/bmj.f6698">Implausible results in human nutrition research – Definitive solutions won't come from another million observational papers or small randomized trials, BMJ 2013; 347

3. »Fleisch rot, Mensch tot«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 1.4.12, S. 57 / »Nahrung als Heilmittel – Falsche Früchtchen«, SZsueddeutsche online, 14.4.11

Quelle: euleev.de

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang