Parteien zur Europawahl

Auf dass sie alle eins seien

So aktuell können die Briefe des Apostels Paulus sein: Die dezidiert christlichen Parteien graben sich gegenseitig das Wasser ab. Doch Sektierern sollte man nicht seine Stimme geben.

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Schon in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth zeigt sich der Apostel Paulus sichtlich genervt über interne Streitereien unter den Christen. Und das war irgendwann um das Jahr 60 herum. Viel besser ist es knapp zweitausend Jahre später leider immer noch nicht. Die Neigung zur Sektiererei ist dem Menschen offenbar eigen, und auch die Jünger Jesu Christi haben so ihre Probleme mit dem Zusammenhalt. Wie die bevorstehende Europawahl vor Augen führt, gilt das nicht nur in religiösen Fragen, sondern auch in politischen. Und so treten gleich drei christliche Kleinparteien an, die um dasselbe Wählerreservoir buhlen.

Die Partei der Adelgunde Mertensacker selig

Eine gewisse Sonderstellung nimmt dabei die Christliche Mitte ein. Die CM, die sich nach eigenen Worten für ein »Deutschland nach Gottes Geboten« stark macht, interpretiert dabei die Tafeln vom Berg Sinai doch zum Teil recht eigenwillig. Dass der Allmächtige keine anderen Götter neben sich haben will, ist ja durchaus verständlich. Aber daraus einen Auftrag zum Kampf gegen die »Islamisierung Deutschlands« abzuleiten, ist theologisch schon reichlich heterodox. Das sechste und das neunte Gebot haben für das Leben der Christen gewiss eine hohe Bedeutung. Doch wird dadurch die Ablehnung »ungeordneter Sexualität« (Gebot 6) und »ungeordneter sexueller Begierde« (Gebot 9), wie die CM die göttlichen Weisungen verkürzt, wirklich zum Staatsauftrag? Kann man aus dem siebten Gebot, nämlich dem, dass man nicht stehlen soll, tatsächlich ein behördlich-moralisches »Ja zu Sauberkeit« folgern?

Allerdings, meint die Christliche Mitte, denn »wie der einzelne Mensch so ist auch der Staat an die göttlichen Gesetze gebunden, denn sie wurden von Gott öffentlich verkündet«. Und offenbar hat er die einstige Dortmunder Musikprofessorin Adelgunde Mertensacker dazu berufen, eben jene Gesetze in unsere Zeit hinein verbindlich auszulegen, obwohl der oben genannte Paulusbrief eine andere Empfehlung gibt.

Die autoritäre Art der Chefin ist dabei wohl auch ihren Mitstreitern des Öfteren übel aufgestoßen. So trennte sich Mertensacker zunächst Ende der achtziger Jahre mit einer Schar Getreuer von der Zentrumspartei, und seither hat sie auch bei der CM einen erklecklichen Teil ihrer Anhänger verloren. Dazu mögen auch Programmaussagen beigetragen haben, nach denen man die Gefahr des Terrorismus »mit allen Mitteln« bekämpfen will, Muslime unterstützt, die »freiwillig« in ihre »Heimat« zurückkehren, und Juden perfiderweise als bevorzugtes Missionsziel definiert. Weltfremde Ideen zur Wirtschaftspolitik, die den deutschen Arbeitsmarkt »vor der Konkurrenz aus dem Ausland« schützen sollen, sind da bloß eine Beigabe.

Nun ist Adelgunde Mertensacker im vergangenen Herbst verstorben, und mit dem Tod macht man keine Späße. Sie möge in Frieden ruhen. Doch es scheint so, als wolle die CM das nicht zulassen. Die Partei benennt Frau Mertensacker auf ihrer Homepage nach wie vor als ihre Vorsitzende, was man sonst eigentlich nur aus Nordkorea kennt. Und ihr privater Telefonanschluss als einzige angegebene Kontaktmöglichkeit ist verständlicherweise aus dieser Welt heraus nicht zu erreichen beziehungsweise permanent besetzt.

Bei der letzten Europawahl schaffte die Christliche Mitte immerhin knapp 40.000 Stimmen und damit 0,2 Prozent. Wer allerdings 2014 für die CM in die EU-Vertretung einzöge, lässt sich beim besten Willen nicht ermitteln. Der erste, der dem Autor dieser Zeilen den Spitzenkandidaten der Partei benennen kann, kriegt ein Eis. Fest versprochen!

Wenn das Vereinsrecht in den Wahlkampf zwingt

Weniger krude sind dagegen die beiden anderen christlichen Kleinparteien, die sich um Mandate im Europaparlament bewerben: Die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) und die Gruppierung Arbeit, Umwelt und Familie – Christen für Deutschland (AUF). Die pfingstkirchlich geprägten Bibeltreuen und die eher katholisch dominierten AUF‘ler haben bereits im Januar vergangenen Jahres eine Vereinigung beschlossen, jedoch bislang »durch unerwartete Hindernisse« keine Eintragung ins Vereinsregister zustande bekommen.

Deshalb treten sie nun beide an, wobei man sich schon fragen muss, warum nicht einfach eine gemeinsame Liste aufgestellt wurde oder die eine Formation zugunsten der anderen verzichtet hat. Denn die PBC vermochte bei der letzten Europawahl immerhin 80.000 Stimmen für sich zu verbuchen, und zusammen mit den Anhängern der AUF könnte man am 25. Mai vielleicht sogar einen Bewerber durchbringen.

Dabei mangelt es im Unterschied zu anderen Kleinparteien nicht einmal an zugkräftigen Namen, die auf die eine oder andere Weise bereits Unterstützung signalisiert haben. Spitzenkandidatin der AUF ist zum Beispiel die Jugendpsychologin und Sachbuchautorin Christa Meves, die mit berechtigtem Stolz auf eine Millionenauflage verweisen kann. Eng verbunden ist der Partei zudem der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Werner Münch. Auch die Buchautorin Eva Herman, der Fernsehjournalist Franz Alt und der Publizist Martin Lohmann haben sich positiv zu einer christlichen Alternative gegenüber CDU und CSU geäußert.

Doch es steht nicht nur attraktives Personal bereit. Auch die Programmaussagen von PBC und AUF erscheinen stimmig. Und sie sind hinreichend klar und zugleich moderat genug formuliert, um einen größeren Kreis von Menschen anzusprechen. So engagieren sich die Parteien für den Lebensschutz von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Sie wollen das Unterhaltsrecht durch die Wiedereinführung des Schuldprinzips bei Ehescheidung modernisieren. Sie bekennen sich zum Elternrecht bei der Kindererziehung, auch mit Blick auf Kindergarten und Schule. Sie machen sich für eine Novelle des Prostitutionsgesetzes stark, um die Betroffenen wirksam vor Ausbeutung zu schützen. Sie wenden sich gegen »Frauen- und Männerquoten in Politik und Wirtschaft« und gegen »die Ideologie des so genannten Gender-Mainstreamings«. Sie fordern, dass der »aufgeblähte Sozialstaat stark reformiert und vereinfacht« wird. Sie warnen vor blindem Vertrauen in die weltliche »Obrigkeit«, denn »Christen glauben an ›Gott, den Vater‹ und nicht an den ›Vater Staat‹«.  Und sie befürworten nicht zuletzt Volksabstimmungen bei wichtigen Fragen zur Zukunft der Europäischen Union, um eine Rückbesinnung auf die »ursprüngliche europäische Idee« zu ermöglichen, die »dem Frieden, der Völkerverständigung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit dient«. Positionen, die man allesamt unterschreiben könnte? In der Tat.

Bockigkeit darf man nie belohnen!

Und doch wäre ein Votum für PBC und AUF eine verlorene Stimme. Denn wer im Jahr 2014 noch meint, man könne nicht nur getrennt beten, sondern auch getrennt schlagen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Daher schadet man der christlichen Sache mehr als man ihr nützt, wenn man Eigenbrötlertum und Sektiererei auch noch unterstützt. Und vielleicht findet man ja mit ein bisschen Überlegung auch noch eine Alternative, wenn man überzeugte Christen nach Europa entsenden will.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: G.P. Herter

Ich kenne das FreieWelt.net nicht. Ich kenne auch den Autor nicht. Aber er trifft die Problematik genau. Die Programmaussagen von AUF-Partei und PBC sind stimmig und auch in einem langen Prozess miteinander abgestimmt. Das Ziel war die Fusion. Die hätte auch längst gelingen können, hätte man sich nicht auf den kompliziertesten Weg verständigt, den es gibt. Ganz einfach wäre es gewesen, sich auf den Verfassungsstatus des Grundgesetzes für Parteien zu berufen. Und auf das Parteiengesetz, das nur 2 Pflichterfordernisse für eine Verschmelzung nennt: Ein Bundesparteitagsbeschluss und ein Urabstimmung. So einfach. Das hätten auch die zuständigen Notare verstanden. Ganz einfach hat die Situation dann auch der PBC-Vorsitzende Ole Steffes bildlich zusammengefasst: Zwei wollten heiraten, doch der eine Partner erscheint nicht auf dem Standesamt! Sei's drum: Der Autor hat recht, wenn er bemängelt, dass nicht einmal eine gemeinsame Liste für die Europawahl angestrebt wurde. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Es würde mich tatsächlich nicht wundern, wenn diese Bockigkeit tatsächlich nicht belohnt werden würde. Schade um eine vertane Chance für unser Volk und Europa!

Gravatar: Georg Alfes

@ Julia: Als ich die Pressemitteilung des Bundeswahlleiters gesehen habe, war ich auch schon versucht, es vorsorglich nachzutragen :-) ... Aber so bleibt es dabei: "Der erste, der dem Autor dieser Zeilen den Spitzenkandidaten der Partei benennen kann, kriegt ein Eis" . Mailen Sie mir doch an georg.alfes@yahoo.de Ihre Postanschrift, dann kriegen wir das geregelt ...

Gravatar: Julia

Also, auf Platz 1 der CM Liste ist der kommisarische Bundesvorsitzende Josef Happel aus Rodgau in Hessen.

Gravatar: UO

Vielen Dank Herr Ragg,
Sie haben mir mit Ihrer Stellungnahme bei meiner Entscheidungsfindung sehr geholfen!
Herzliche Grüße!

Gravatar: Michael Ragg

Die Einheit der Christen, auch in der Politik, ist ein ernstes Anliegen und ein wichtiges Zeugnis. Es ist gut, dass Sie das ansprechen und wir nun darüber diskutieren können - auch wenn manches in Ihrem Beitrag nicht stimmt (die AUF ist nicht "katholisch dominiert", hat mit Lohmann nichts zu tun usw.) und ich Ihre Schlussfolgerungen nicht teilen kann.

Ich kandidiere zusammen mit Christa Meves für die AUF-Partei. Wir sind also in Ihrer Diktion Sektierer und Eigenbrötler. Christa Meves ist parteilos, bei katholischen und evangelischen Christen gleichermaßen geschätzt. Nie hat sie sich bisher parteipolitisch engagiert. Ich selbst bin in der AUF nur aktiv geworden, weil bei ihr das Bemühen um Einheit im Vordergrund stand und alle Verantwortlichen jederzeit bereit waren, sich selbst dafür weitestgehend zurückzunehmen. So haben wir es unter erheblichen zeitlichen Opfern und nicht geringen Schwierigkeiten (gerade wenn Christen sich einigen wollen, steckt der Teufel oft im wahrsten Sinn des Wortes im Detail) geschafft, uns mit der PBC auf ein gemeinsames Programm und eine gemeinsame Satzung zu einigen. Die Fusion konnte nicht rechtzeitig vor der Wahl eingetragen werden, da die zuständige Rechtspflegerin schlicht überfordert war. Es gibt eben für die sehr selten vorkommenden Parteienfusionen keine juristisch "herrschende Meinung". Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, jedenfalls haben wir uns alle mit Herzblut um die Einheit bemüht.

Eine gemeinsame Liste verbietet das Europawahlrecht ebenso wie die Kandidatur von Mitgliedern einer Partei auf der Liste einer anderen.

Die Zentrumspartei, die Sie nicht erwähnt haben, unterstützt bei dieser Wahl die AUF. Mit der CM war eine Einigung nicht möglich, vor allem weil Frau Dr. Mertensacker die Zusammenarbeit mit Teilen der evangelikalen Christen nicht möglich schien.

Wer nun fordert, es müssten sich erst alle alternativen christlichen Parteien einigen, bevor man eine davon wählen soll, gibt es jedem Sektierer in die Hand, die Wahl solcher Parteien zu verhindern. Auch als CDU und CSU gegründet wurden, gab es neben diesen Parteien noch lange andere Parteien mit christlichem Fundament, das ZENTRUM etwa oder die Bayernpartei.

Diese Europawahl bietet eine im doppelten Sinn einmalige Chance, ein Signal für mehr christliche Werte in der Politik zu setzen, ein Signal gerade an die Unionsparteien. Nur bei dieser Wahl gibt es keine Prozenthürde, sicher wird sie danach wieder eingeführt werden.
Wie kann also ein Wähler, der nicht mehr mit ansehen möchte, wie die C-Parteien dem linken Zeitgeist so gut wie keinen Widerstand mehr entgegensetzen, seine Stimme am effektivsten einsetzen? Durch die abermalige Wahl einer C-Partei?

Durch die Wahl der AFD? Sie ist ja, wie man aus dem Verlauf der meist chaotischen Parteitage sieht, geradezu ein Sammelbecken von Sektierern, bei dem niemand weiß, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Glaubwürdige christliche Persönlichkeiten wie Professor Lucke und Frau von Storch werden ohnehin ins EP gewählt, aber welchen Einfluss werden sie gegenüber den liberalen, nationalen und vom Protest motivierten Kräften in ihrer Partei haben? Wer die AUF mit Christa Meves wählt, setzt dagegen ein eindeutiges Signal für mehr christliche Werte in Deutschland und Europa - ein Signal, das nicht überhört werden wird.

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