Gastbeitrag von Romano di Pietro

Die Tragik Benedikts XVI. – ein Versuch über die Wirklichkeit

Der Ratzinger-Papst ist schon heute als eine der großen rätselhaften Gestalten in die Geschichte der Päpste eingegangen. Sein Rücktritt wird die Historiker noch in Jahrhunderten beschäftigen.

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Ähnlich wie beim Tode John F. Kennedys oder beim Einschlag der Flugzeuge ins World Trade Center wissen auch heute noch Millionen von Menschen wo sie waren, als sie die Nachricht vom Rücktritt Benedikts XVI. erreichte. Zu sehr war er zum Hoffnungsträger, ja zur beinahe letzten Hoffnung für alle diese Menschen geworden, als dass sie dieses Ereignis nicht instinktiv und unmittelbar als dramatischen Einschnitt, als Zerstörung eben dieser Hoffnungen hätten empfinden müssen, als einen historischen Wendepunkt, der nichts Gutes verheißen konnte.

Gerade weil das Pontifikat Benedikts XVI. kein Pontifikat war wie jedes andere, gerade weil so scheinbar überdeutlich war, dass der Ratzinger-Papst ein ganz besonderes Programm kirchlicher Rückbesinnung auf das Eigene und Eigentliche vertrat, gerade deswegen war es so schier unglaublich, dass er inmitten dieser Arbeit den Pflug aus der Hand legen, diejenigen, die ihm vertraut hatten und gefolgt waren, im Stich lassen sollte. So konnte es nicht ausbleiben, dass Vermutungen und Gerüchte ventiliert wurden, die die Erklärung für das Unfassbare in Intrige, Erpressung und Bedrohung suchten. Tatsächlich gab und gibt es genügend Hinweise dafür, dass all dies eine Rolle gespielt haben wird. Und dennoch liegt die Erklärung für das Scheitern Benedikts XVI. nicht in diesen äußeren Faktoren. Die Gründe dieses Scheitern liegen in ihm selbst verborgen, sind hausgemacht.

Immer liegt der Schlüssel zum Handeln eines Menschen in seiner Persönlichkeit und immer wiederum reichen die Wurzeln dieser Persönlichkeit zurück in die Kindheit – und darüber hinaus. Joseph Ratzinger – das hat er mit vielen Kirchenfürsten des zwanzigsten Jahrhunderts gemein – stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Der Vater war ein Land-Gendarm, war als solcher respektiert, verdiente aber kaum genug, um die Familie zu ernähren. Weiterreichende Ambitionen scheinen die Ratzingers nicht gekannt zu haben. Ansehen und Sicherheit des Staatsdienstes wurden als ausreichend angesehen – „der Rock des Beamten ist kurz aber erwärmt“!

Liege ich völlig falsch, wenn ich bei Joseph Ratzinger eine ähnliche, von Sicherheits- und Statusdenken geprägte Mentalität vermute? Gewiss war Ratzinger immer ehrgeizig – aber er hatte niemals den Ehrgeiz eines Machers. Joseph Ratzinger ist kein Willensmensch, ihm fehlt das Ego, das sich auch gegen Widerstände durchzusetzen sucht. Der Weg des nachmaligen Papstes war immer der einer Suche nach Anerkennung durch Lehrer und Vorgesetzte, die zu Mentoren und Förderern wurden. Wohl kaum etwas in seinem Leben hat ihn so sehr getroffen, wie die Versagung eben dieser so sehr ersehnten Anerkennung durch den Zweitbewerter seiner Habilitationsschrift, den großen Münchener Dogmatiker Michael Schmaus. Dieser Persönlichkeitsstil machte Ratzinger zum geborenen zweiten Mann, zum genialen Denker hinter einer großen Führungspersönlichkeit. Genau das war er bekanntermaßen mehr als zwanzig Jahre lang: Der loyale Diener Johannes Pauls II.

Vieles spricht dafür, dass er trotz dieser langen Vorbereitungszeit im Zentrum der Macht für die letztendliche Übernahme derselben dennoch nicht gerüstet war, dass er vielmehr an ihr zerbrochen ist. Es war nun niemand mehr da, der ihm die notwendige Sicherheit geben, der ihm sagen konnte: „Joseph, das hast Du richtig gemacht“. Und aus dem Gebet, aus sich heraus, hat er diese innere Gewissheit, die jeder braucht, der führen und Letztverantwortung tragen will oder muss, offensichtlich nicht ziehen können. Ich habe kaum einen Zweifel daran, dass Benedikt XVI. Papst werden wollte. Er hat das sicher als die letzte und höchste Ehrung angesehen, die die Institution Kirche zu vergeben hat, als die Krönung seiner mehr als glückhaften Laufbahn. Aber ihm muss auch von Beginn seines Pontifikats an bewusst gewesen sein, dass er ein Amt angenommenen hatte, dem er nicht gewachsen war. „Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe“ – das sind doch ungewöhnlich kleinmütige Worte für die Ansprache anlässlich einer Amtseinführung, wo alles Aufbruch und Zuversicht sein sollte. Prophetischere Worte sind wohl selten gesprochen worden.

Benedikt XVI. wusste als Papst schlicht nicht zu regieren. Er versuchte weiterhin, so weit als möglich ein Gelehrtenleben zu führen und begeisterte die Gläubigen guten Willens durch seine gedanklich geschliffene und sprachlich schöne Lehre. Das Pontifikat Benedikts XVI. war ein Fest für Ästheten. Das von den Mainstreammedien transportierte hyperkritische Bild war immer ein Zerrbild. Aber er verstand es nicht, seinen so anziehenden Gedanken und Vorstellungen auch irreversibel zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn ihm bewusst gewesen sein sollte, dass er tatsächlich die Macht dazu hatte, so fehlte ihm doch der Wille und das Selbstvertrauen, von ihr Gebrauch zu machen. In unverständlicher und für den Betrachter des Geschehens kaum auszuhaltender Weise ließ er seine Gegner und Feinde – nicht zu vergessen die falschen Freunde – gewähren und sah zu, wie sie seine Autorität immer stärker untergruben und schließlich zerstörten. So wurde er von dem Gestalter, der er hätte sein sollen, zu dem Gejagten, der er am Ende war.

So wie das Franziskus-Pontifikat in seinen bewussten Brüskierungen und Regelverstößen an die Regierung des eigentümlich selbstbewussten Roncalli-Papstes Johannes XXIII. erinnert, so erinnert das Pontifikat Benedikts an die letzten bleiernen Jahre Pius XII. Auch der Pacelli-Papst hat in seinen letzten Jahren nur noch resigniert zugesehen, wie die inneren Feinde der Kirche an der Vorbereitung der Roncallisch-Montinischen Revolution arbeiteten, die dann unmittelbar nach seinem Tode stattfand. Von ihm ist der Ausspruch überliefert „Meine Macht endet hier“, wobei er mit der Hand eine Linie entlang der äußeren Kante seines Schreibtisches zog – ein Satz, der natürlich, wie im Falle Ratzingers, mehr über den sagt, der ihn ausspricht, als über die Realität, die ausgesprochen werden soll.

Und auch hierin liegt eine Parallele zwischen Benedikt XVI. und Pius XII.: Wie Pius versagte Benedikt darin, seine Nachfolge so abzusichern, dass die Kontinuität des von ihm eingeschlagenen Kurses gewährleistet war. Vergessen wir nicht, dass ein Papst das Kollegium, das seinen Nachfolger wählt, weitgehend selbst zusammensetzt. Und vergessen wir auch nicht, dass – wie uns Franziskus durch Dritte in Erinnerung hat rufen lassen – Kardinalswürden auch aberkannt werden können. Sicher wäre ein solcher Schritt Ultima Ratio. Doch bisweilen verlangen außergewöhnliche Umstände eben auch außergewöhnliche Maßnahmen. Ein solcher Schritt hätte zum Beispiel gegen den offen gegen den Pontifex intrigierenden Kardinal Kasper unternommen werden können. Stattdessen stieg der in immer einflussreichere Positionen auf.

Worin aber bestand der Kurs der beiden Päpste? Eben dies ist nicht eindeutig zu bestimmen. Gewiss galten beide als konservativ und waren es auch. Beide haben große Akte des Glaubens gesetzt, Pius durch die Enzyklika Mystici Corporis und das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel, Benedikt durch die Erklärung Dominus Iesus und das Motu Proprio Summorum Pontificum. Und trotzdem handelte es sich bei beiden nicht um Männer wie aus einem Guss. Sie trugen ihre Widersprüche mit sich herum, und diese inneren Widersprüche behinderten die Wirksamkeit ihres Programms, eines Programms, das in beiden Fällen wohl im wesentlichen in ihrer Liebe zur Kirche bestand.

Bei Benedikt trat dieser innere Widerspruch in seinem Verhältnis zum zweiten Vatikanischen Konzil zutage, dessen Rolle bei der von ihm so sehr beklagten Zerstörung der Kirche er nie wahrhaben wollte. Der junge Ratzinger war, und hier kehren wir wieder zu seinen Wurzeln zurück, als persönlicher Berater des liberalen Kölner Kardinals Frings ein Jungstar auf diesem Konzil. Von dieser Erfahrung hat er sich niemals emanzipieren können. Noch wenige Tage nach der Ankündigung seiner Abdankung hielt er – noch Papst – beim jährlichen Treffen des Klerus der Diözese Rom mit seinem Bischof eine in freier Rede gehaltene Ansprache von fast einer Stunde, in der er das Konzil verklärte und für die Schäden, die es verursacht hat, die Presse verantwortlich machte, die seine Ergebnisse verfälscht dargestellt habe. Da gab, so hatte man den Eindruck, ein alter aber geistig immer noch zu Höchstleistungen auflaufender Mann Auskunft über eine seiner Lebenslügen.

Und so muss man wohl festhalten, dass das Pontifikat Benedikt XVI., dass doch auch so viel Glanz verbreitet hat, nicht so sehr an seinen Gegnern und Widerständen gescheitert ist, die es immer gibt, sondern an seiner inneren Widersprüchlichkeit und Schwäche. Die Folgen für die Kirche sind schon heute katastrophal. Doch eine ungnädige Zukunft könnte diese Folgen durchaus noch als letal erweisen. Alles hängt davon ab, ob es Bergoglio gelingt, heute schon erfolgreich die Vorkehrungen für die Wahl eines seiner Klone als Nachfolger zu treffen, woran er mit äußerstem Druck arbeitet und was nach menschlichem Ermessen unausweichlich ist, zieht man die Geschwindigkeit in Betracht, mit der er das Kardinalskollegium und den Weltepiskopat nach seinem Ebenbild umgestaltet.

So komme ich nach Jahren des Nachdenkens immer wieder zu demselben Schluss, den auch ein Kardinal einmal in einem persönlichen Gespräch gezogen und geäußert hat: Dieser Rücktritt war unverzeihlich. Es gibt hier keine denkbare Entschuldigung. Jedenfalls nicht solange die Existenz der Kirche auf dem Spiel steht. Und so lange Benedikt nicht noch eindeutigere Schritte unternimmt, sein Versagen zu kompensieren indem er Franziskus bei seinem Zerstörungswerk öffentlich in den Arm fällt. Und sei es noch vom Totenbett oder aus dem Grab heraus.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Donna Fugata

Um es einmal ganz klar zu sagen: Mussolini war nicht H'ler. Was er für Italien getan hat, sein erfolgreicher(!) Kampf gegen die Mafia, seine Maßnahmen zur Arbeiterwohlfahrt, Organisation der Verwaltung, Investitionen in strukturschwachen Gebieten, all das hat Italien erst zu einem modernen Staat gemacht. Der Antisemitismus war in Europa überall latent vorhanden, in Italien gab es jedoch keine Vernichtungslager.
Papst Pius XI hat den Vatikan für verfolgte Juden geöffnet, danach für verfolgte Faschisten und Angehörige der Wehrmacht. Er hat gesehen, daß Mussolini für seine Connazionali, also das italienische Volk, immens viel getan hat, so erklärt sich auch der heute noch unverändert starke rechte Rand in der italienischen Gesellschaft.

Papst Benedict XVI wählte seinen Namen vermutlich deshalb, weil er an das Papsttum von Benedict XV anschließen wollte. Damit hätte er ja indirekt zugegeben, daß das 2. Vatikanische Konzil ein Sargnagel für die römisch-katholische Kirche war, denn die Aufgabe der Kirche ist die des Schützens und Bewahrens. Josef Ratzinger brachte es jedoch nicht über sich, diesen verhängnisvollen Fehler vor sich und der Welt zuzugeben, was wiederum zutiefst menschlich ist.
Dagegen ist der jetzige Papstdarsteller, genau wie unsere Kanzlerdarstellerin, zutiefst korrupt und skrupellos. Intellektuell und moralisch eher am unteren Ende der Skala, aber machtbewußt und daher die ideale Marionette. Wer die Fäden zieht, kann jeder für sich herausfinden. (Kleiner Tip: wer zahlt, bestimmt die Musik).

Gravatar: Lutz Schneller

Untersucht doch auch mal Pius XI. Ich finde den Mann sehr ergibig.
Pius XI. bekam von Mussolini den Vatikanstaat "geschenkt" und 1,7 Mrd. Lire Klimpergeld. Darauf wusch Pius XI. Mussolinis Hand und anerkannte ihn als Staatsoberhaupt Italiens mit einem Lateranvertrag, Mussolini wusch wieder Pius XI. Hand und erhob den Katholizismus zur Staatsreligion.

Pius XI. war auch der erste, der Hitler als Staatsoberhaupt anerkannte und das wie oben mit einem Lateranvertrag.
Lateranverträge und Reichskonkordat findet man im Netz und lesen sich wie die Briefe zwischen ziemlich dicken Freunden.

Es war dann auch die katholische Zentrumspartei, die in Hitler den Mehrwert sah und ihm auf den Stuhl verhalf.

Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein.
Schiller

Gravatar: Aufbruch

"Ich habe kaum einen Zweifel daran, dass Benedikt XVI. Papst werden wollte."
Nein, das wollte er nicht. Er ist gewählt worden. Er hat dieses Amt angenommen in der Hoffnung, dass er es mit göttlichem Beistand auch schaffen würde. Das ging ca. fünf Jahre auch wirklich gut. Durch sein Progrmm kirchlicher Rückbesinnung und seinen Kampf gegen den Relativismus hat er sich in der sich immer mehr verweltlichenden Kirchen-Hierarchie nicht nur Freunde geschaffen. Hinzu kamen Kirchenverfehlungen, die ihm nicht anzulasten waren, die dann auch die Medien gegen ihn aufbrachten.

Benedikt XVI. war ein Kämpfer vor und für Gott. Dem Kampf gegen menschliche Intrigen und Anfeindungen war er in der Tat ncht gewachsen. Dass er der geboren "Zweite" war, ist ihm wohl bewusst gewesen. Er hat das Amt dennoch angenommen. Vom Geist und Intellekt her
hätte er es weiter führen können. Seine physische Kraft ließ wohl derart nach, dass er, nach den Erfahrungen mit Johannes Pau II. in dessen Endphase, aufgegeben hat, um einem gesünderen und dynamischeren Papst Platz zu machen.

Wie er die Entwicklung der Kirche in seiner Klausur erlebt, weiß man nicht. Zufrieden kann er damit eigentlich nicht sein. Ob er hier nochmal eingreifen will, ist kaum zu erwarten. Er fehlt der Kirche.

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