Lynn Gogolin Mehr Demokratie

"Wir wollen die Demokratie voranbringen" - Interview mit Lynn Gogolin

Der Verein "Mehr Demokratie" setzt sich für die Einführung von Volksentscheiden auf bundesweiter Ebene ein.  Die Mitglieder und Förderer erhoffen sich davon eine Möglichkeit, dem Bürger mehr Gehör zu verschaffen und eine Stärkung der Demokratie.  FreieWelt.net sprach mit der Pressesprecherin von "Mehr Demokratie" Lynn Gogolin, über die konkreten Vorstellungen zur Umsetzung dieser Ziele.

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FreieWelt.net: Der Verein „Mehr Demokratie“ setzt sich für die Einführung bundesweiter Volksentscheide ein. Wie stellen Sie sich die konkrete Umsetzung dieser Forderung vor?

Lynn Gogolin: Jede Bürgerin und jeder Bürger soll das Recht haben, für die eigenen Ideen Unterschriften zu sammeln. Kommen genug Unterstützer zusammen, wird der Vorschlag im Volksentscheid abgestimmt. Mehr Demokratie hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, wie bundesweite Volksabstimmungen konkret geregelt werden können. Das Verfahren lehnt sich an die dreistufige Volksgesetzgebung in den Bundesländern an. Im ersten Schritt, der Volksinitiative, werden 100.000 Unterschriften gesammelt. Ist dies geschafft, wird der Vorschlag im Bundestag behandelt. Der Bundestag kann ihn übernehmen. Auch Kompromisse zwischen Parlament und Initiative sind möglich. Einigen sie sich jedoch nicht, kommt das Volksbegehren, die zweite Stufe. Hier werden eine Million Unterschriften gesammelt (bei Vorschlägen, die die Verfassung ändern wollen, zwei Millionen). Ist das Volksbegehren erfolgreich kann wiederum der Bundestag den Vorschlag übernehmen. Tut er das nicht, kommt es zum Volksentscheid. Hier entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das Parlament hat das Recht, einen Gegenvorschlag mit zur Abstimmung zu stellen.

Im Laufe des Verfahrens gibt es immer wieder Möglichkeiten zum Kompromiss. Insgesamt dauert es ein bis zwei Jahre. Themen können mit viel Zeit ausdiskutiert werden, hitzigen Schnellschuss-Entscheidungen kann man so vorbeugen. Initiativen sollen eine finanzielle Erstattung bekommen, so dass nicht nur finanzstarke Gruppen sich ein Volksbegehren leisten können. Und ganz wichtig: Die Volksgesetzgebung ist genauso an Menschenrechte und Völkerrecht gebunden, wie die Gesetzgebung im Bundestag. Vorschläge, die dagegen verstoßen, sind nicht zulässig.

Die direkte Demokratie ist kein Gegner der repräsentativen Demokratie. Sie dient zu ihrer Ergänzung. Dort, wo gegen die Bedürfnisse der Menschen Politik gemacht wird, haben Bürger die Möglichkeit, selbst Lösungen vorzuschlagen. Das wird nicht dauernd der Fall sein, da ein Volksbegehren ein großer Aufwand ist. Politik würde sich aber allein durch die Möglichkeit des Volksbegehrens wieder stärker an den Interessen der Menschen ausrichten, würde repräsentativer werden.

FreieWelt.net: Wie soll entschieden werden, zu welchen Themen es Volksentscheide geben soll und zu welchen nicht?

Lynn Gogolin: Zu allen Themen, über die der Bundestag entscheiden kann, wären Volksbegehren möglich. Zu welchen Fragen dann tatsächlich Begehren gestartet würden, hängt davon ab, wie wichtig ein Thema den Menschen ist. Nur Themen, die viele Leute Interessieren, würden die Hürden bis zur Volksabstimmung überspringen können. Für Volksentscheide würden die gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten, wie für Gesetze im Parlament, zum Beispiel die Grundrechte und die Europäische Charta der Menschenrechte. 

FreieWelt.net: Inwieweit darf Ihrer Ansicht nach über Volksentscheide in die Freiheits- und Eigentumsrechte von Menschen eingegriffen werden?

Lynn Gogolin: Da das Volk die gleichen Entscheidungsrechte hätte, wie der Bundestag, gilt dieser als Maßstab. Der grundlegende Rahmen sind die bestehenden Gesetze und das Grundgesetz. Im Zweifel würde das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wie das ja auch heute schon oft der Fall ist. Natürlich darf das Volk nicht jenseits vom bestehenden Rechtsrahmen entscheiden. Genau wie Abgeordnete im Bundestag, müssen sich Bürgerinnen und Bürger an das Grundgesetz und an die Menschenrechte halten. Kämen verfassungswidrige Volksbegehren auf, würden sie vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Vorprüfung für unzulässig erklärt werden. Es gibt außerdem den unveränderlichen Kern des Grundgesetzes, der durch die so genannte Ewigkeitsklausel (Artikel 76) geschützt ist. Die Menschenrechte und das Prinzip von Demokratie und Rechtsstaat (Artikel 1 und 20) können weder vom Parlament noch vom Volk angetastet werden.

FreieWelt.net: Was für Instrumente setzen Sie zur Durchführung Ihrer Kampagne ein?

Lynn Gogolin: Mehr Demokratie ist ein gemeinnütziger Verein. Wir finanzieren uns über unsere Mitglieder und Förderer und erhalten keine staatlichen Gelder. Für Kampagnen nutzen wir Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sprechen mit Politikern, machen Aktionen und sind auf der Straße unterwegs, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und Unterschriften für die Einführung bundesweiter Volksabstimmungen zu sammeln. Häufig initiieren wir auch selbst Volksbegehren, um die Spielregeln der direkten Demokratie in Ländern und Gemeinden zu verbessern. So zum Beispiel 1995 in Bayern: Dort haben wir in einem Bündnis ein Volksbegehren initiiert, das erfolgreich war. Im Volksentscheid, der dadurch möglich wurde, gaben sich Bürgerinnen und Bürger dann selbst das  Recht, in Gemeinden und Städten durch Bürgerentscheide die Kommunalpolitik mitzubestimmen. 

FreieWelt.net: Nur sehr wenige Menschen verstehen wirklich etwas von Kernenergie oder von den Details der Finanzwirtschaft. Wäre es da nicht angebracht, solche Entscheidungen Experten zu überlassen?

Lynn Gogolin: Nur sehr wenige Parlamentarier verstehen etwas von Kernenergie oder von den Details der Finanzwirtschaft. Wäre es da nicht angebracht, das Parlament aufzulösen und Experten entscheiden zu lassen? Oder: Nur sehr wenige Menschen verstehen wirklich etwas von Kernenergie oder von den Details der Finanzwirtschaft. Wäre es da nicht angebracht, Wahlen abzuschaffen und die Entscheidungen Experten zu überlassen? Das Argument, jemand wisse nicht Bescheid, ist schnell ein Argument gegen die Demokratie an sich. Übrigens ein Argument, das auch gegen das allgemeine Wahlrecht und gegen das Frauenwahlrecht vorgebracht wurde.

Die Demokratie basiert auf dem Grundsatz, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, so steht es in Artikel 20 unseres Grundgesetzes. Diese Staatsgewalt wird laut Grundgesetz nicht nur durch Wahlen, sondern auch durch Abstimmungen ausgeübt. Explizit wird das in Artikel 20 festgehalten.

Volksabstimmungen schneiden unter der kritischen Linse des Bescheid-Wissens besser ab als Wahlen. Denn bei der Wahl wähle ich ein ganzes Regierungsprogramm, ein ganzes Paket von politischen Maßnahmen für die kommenden vier oder fünf Jahre. Im Vergleich dazu ist die Entscheidung über eine einzige Sachfrage einfacher. Im Gegensatz zum Parlament stimmen beim Volksentscheid auch meistens nur diejenigen ab, die es interessiert und die sich mit dem Thema eingehend befasst haben. Das ist im Bundestag häufig nicht der Fall, wie Befragungen von Abgeordneten immer wieder zeigen.

Einer Volksabstimmung geht außerdem ein langer und öffentlicher Diskussionsprozess voraus. Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Experten und viele andere Gruppen werden ihre Meinung kundtun und vielleicht sogar das „Ja“ oder „Nein“ beim Volksentscheid empfehlen. An der Expertenmeinung kann sich also auch der abstimmende Bürger orientieren, nicht nur der Parlamentarier. Ein Volksbegehren ist zudem eine riesige Bildungsveranstaltung. Denn die Tatsache, dass man am Ende selbst entscheiden kann, steigert das politische Interesse.

FreieWelt.net: Sie setzen sich nicht nur für eine Einführung von Volksentscheiden ein, sondern auch für andere Ziele wie ein Verbot von Firmenspenden an Parteien. Gefährden Sie durch diesen Einsatz, für Ziele, die eventuell nicht von allen Befürwortern von Volksentscheiden geteilt werden, nicht ihr eigentliches Anliegen?

Lynn Gogolin: Unser Verein heißt nicht „Mehr Volksentscheide“, sondern „Mehr Demokratie“. Unsere Mitglieder und Förderer wollen die Demokratie voranbringen. Neben der direkten Demokratie kümmern wir uns um ein demokratisches Wahlrecht auf allen politischen Ebenen, um die Transparenz von Politik zum Beispiel durch gute Informationsfreiheitsgesetze und um eine Demokratisierung der Europäischen Union. Die direkte Demokratie ist natürlich unser Schwerpunkt.

FreieWelt.net: Frau Gogolin, herzlichen Dank für dieses Interview!

Das Interview führte Fabian Heinzel

www.mehr-demokratie.de

(Foto: Lynn Gogolin)

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: daniel sopris

liebe susanne
das was überflüssig ist, ist dein kommentar!

Gravatar: Susanne

Schön Frau Gogolin, dann stimmen wir doch einmal darüber ab, wie viel Kinder jede Frau gebähren muß, ob Steuern zu zahlen sind, ob Parteieintritte für Bürger nicht zur Pflicht werden sollen, ob der deutsche Verkehrsschilderwald nicht auf ein Drittel reduziert werden muß, ob die Subvention der Photovoltaik aufgehoben werden muß, ob der gesetzliche Mindestlohn eingeführt werden muß, ob die Linkspartei noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf, wie hoch die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen höchstens sein dürfen, ob noch Moscheen gebaut werden dürfen, usw. usw. So lange Sie diese Art von Volksabstimmungen von der "Demokratie" ausschließen, ist Ihr Verein mehr als überflüssig.

Gravatar: Menschenskind

Mitsprache – was heißt das? Wo soll ich denn mitsprechen dürfen? Etwa, wieviel ich von den Früchten meiner eigenen Arbeit behalten sollen darf? Was ich esse, wie und wo ich meine Kinder erziehen will? Womit ich meine Bude heize und in welcher Form ich mein eigenes Haus baue? Wieviel ich arbeite und auf welche Weise ich für Alter und Krankheit vorsorge? Wieso den MITsprechen? Das geht doch niemanden etwas an als mich selbst! Soll ich betreffs meines eigenen Lebens MITsprechen?
Oder soll ich mitsprechen, wieviel mein Nachbar verdienen darf, ob er raucht, trinkt oder zuviel ißt? Wie er seine Kinder erzieht? Und so fort? Das wiederum geht mich nichts an, es ist meines Nachbars ureigenste Angelegenheit.

So jedenfalls sollte es sein.

Aber wir leben ja in einer seltsamen Gesellschaftsordnung, wo jeder meint, bei jedem mitreden zu dürfen und zu sollen. Und wo mittlerweile „der Staat“ im Namen aller in die privatesten Angelegenheiten der Bürger eingreift.
Wir brauchen nicht mehr Demokratie, wir brauchen weniger!
Weniger jedenfalls von jener Art Demokratie, wie sie heute verstanden und praktiziert wird.

Echte Demokratie, das wäre die Option, sich selbst per Votum ausschließen zu dürfen. Mit allen positiven, aber auch negativen Konsequenzen. Selbstverantwortung! Demokratie, das wäre die Möglichkeit des Bürgers, sein Leben auch jenseits von mehrheitlichen Beschlüssen einzurichten, so lange er von der Gemeinschaft seinerseits keine Unterstützung verlangt. Eine demokratische Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle, wäre wie ein Verein, in den man als Pflichtmitglied einen Mindestbetrag, sagen wir den Zehnten, einzahlt. Alle darüber hinausgehenden Einzahlungen (und analog Leistungsansprüche) sind freiwilliger Natur.

Demokratie, wie ich sie NICHT verstehe, ist die Unsitte, die individuellen Eigentums- und Vertragsrechte Dritter aufgrund mehrheitlicher Neid- und Haßdebatten zu beschneiden. Eine Herrschaftsordnung, in der zwei Wölfe und ein Schaf beschließen, was sie als nächstes zu speisen gedenken, ist die Karikatur einer Demokratie.

Zwang zum Mitmachen für alle laut Mehrheitsbeschluß ist nicht demokratisch, sondern totalitär. Das ist, was wir haben. Mehr davon brauchen wir nicht.

Gravatar: xRatio

Fein! Als erstes wäre dann mal über das Verbot verfassungswidriger Parteien und Quotenregelungen abzustimmen.

Würde allen derzeitigen Parteien und Quotenweibern den Garaus machen.

Zu schön um wahr zu sein.

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