Interview mit Micha Brumlik

»Wer die Welt gestalten will, muss Kompromisse machen«

Radikale Kritik der bestehenden Welt durchzieht das gesamte abendländische Denken. Doch Gnostizismus, erklärt Micha Brumlik im Interview mit FreieWelt.net, ist keine Basis für politisches Handeln.

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FreieWelt.net: Was ist das eigentlich: Gnosis?

Micha Brumlik: In der Antike gab es eine Geistesströmung, die die Schöpfung im Ganzen abgelehnt hat. Dieser Typus des Denkens ist im Verlauf der letzten zweitausend Jahre immer wieder aufgetaucht. Zuletzt habe ich ihn in den achtziger Jahren in den sozialen Bewegungen beobachten können, wo dieses Denken zumindest bei einem Teil zu einer radikalen und fundamentalen Ablehnung der gesamten Zivilisation, jedenfalls aller menschlicher Lebenszusammenhänge in den westlichen Gesellschaften geführt hat.

FreieWelt.net: Ist diese Art zu denken eine Reaktion auf den Monotheismus?

Micha Brumlik: So ist es. Die spätantiken Gnostiker – spätestens seit Marcion, also um 130 christlicher Zeitrechnung – zeichneten sich dadurch aus, dass sie die Welt insgesamt für gefallen hielten, dass sie den Gott, der nach Ausweis der Bibel Himmel und Erde geschaffen hat, eher für einen bösen Dämon gehalten haben und sie an einen ganz und gar radikalen, in die weltlichen Belange in keiner Weise mehr eingreifenden Gott appelliert haben.

FreieWelt.net: Worin besteht die Attraktivität gnostischen Denkens – und worin die Abgründe?

Micha Brumlik: Vor allem in einer durch nichts zu überbietenden Radikalität, kurz einer Haltung, bei der sich jene, die ihr anhängen, dessen versichern können, immer und ohne jeden Selbstzweifel auf der richtigen Seite zu stehen. Daraus resultiert dann eine Freund-Feind-Haltung, die tendenziell tödlich und destruktiv sein kann.

FreieWelt.net: Soziale Bewegungen, die auch die gnostischen immer gewesen sind, hatten immer schon ein herrschaftskritisches Potenzial. Die Kirche hingegen, an die sich die Kritik richtete, hat immer Macht ausgeübt – und zugleich auch eine Kontrollfunktion über gewaltsame Ausbrüche, die von unten kamen. Wie sehen Sie dieses Wechselverhältnis zwischen Kontrolle und Emanzipation?

Micha Brumlik: In der mittelalterlichen Volksfrömmigkeit – auch im mönchischen Bereich – war etwa der Antijudaismus oftmals stark ausgeprägt. Die theologisch gebildeteren Bischöfe im Abendland haben dagegen seit dem 11. Jahrhundert häufig, keineswegs immer die Juden vor einem judenfeindlichen, auf Pogrome versessenen Mob geschützt. Schließlich waren die Juden für die katholische Kirche und ihre Lehre wichtige Zeugen des Heilsgeschehens. Jene Basisbewegungen, die im gnostischen Sinne eher judenfeindlich waren, unterschieden sich damit von den Herrschaftsstrukturen der Kirche, die solche militanten Basisbewegungen ohnehin mit Misstrauen betrachtet haben. Andererseits gab es historisch auch durchaus eine Nähe von gnostischen Bewegungen – etwa im südlichen Frankreich des Mittelalters –, wo tolerante Katharer und Juden beide unter dem Druck der katholischen Kirche zu leiden hatten und die Kirche gegen die Katharer einen mörderischen Krieg führte.

FreieWelt.net: Auch innerhalb der katholischen Kirche von heute gibt es eine Strömung, in der sich meines Erachtens gnostisches Gedankengut erkennen lässt: Da wird die »Macht« der Kirche vor einem idealisierten Hintergrund – Kirche, wie sie ursprünglich mal gewesen sein soll – aus kritisiert.

Micha Brumlik: Das Problem, auf das diese Kritik abhebt, gibt es aber tatsächlich. Man hat schon früh gesagt, dass nach Jesu Tod die Menschen die Erlösung und die Wiederkunft Jesu erwarteten, aber nur die Kirche bekommen haben. Das Christentum ist schließlich vor allem durch den Soldatenkaiser Konstantin zur Staatsreligion und damit zur Institution  Kirche geworden, also durch einen Mann, der seine engsten Angehörigen hat ermorden lassen. Man kann von daher nicht glauben, dass diese machtvolle, zweitausend Jahre alte Institution tatsächlich aus moralischen Motiven entstanden ist. Ob aber eine Kritik der katholischen Institutionen anhand moralischer-jesuanischer Kriterien schon gnostisch ist, möchte ich bezweifeln.

FreieWelt.net: Eine der gewalttätigsten Bewegungen war der Nationalsozialismus. Inwieweit war der geprägt von gnostischem Gedankengut?

Micha Brumlik: Zahlreiche nationalsozialistische Denker – das gilt für Martin Heidegger und seine »Schwarzen Hefte« über Hitlers »Mein Kampf« bis zu Vulgärschriftstellern wie Artur Dinter mit seiner »Deutschen Volkskirche« – schrieben alles, was an der Welt als kritikwürdig angesehen wurde – Rasse, Geldwirtschaft und so weiter – den Juden zu, die als Prinzip des Bösen angesehen wurden. So findet sich zum Beispiel bei Hitler die Formulierung »Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn«. Die Juden galten immer als Inbegriff von Weltlichkeit.

FreieWelt.net: Aber nicht alle Gnostiker und Judenfeinde waren Nazis …

Micha Brumlik: Keineswegs! Es gab aber auch Antisemiten, die sich zu einem militanten Katholizismus bekannt haben. Sie waren der Meinung, dass die Welt ohnehin des Teufels ist und dass die Juden das Prinzip der Verfallenheit verkörpern und deswegen kontrolliert und ausgerottet – oder wie bei Carl Schmitt heißt: »aufgehalten« – werden müssen.

Übrigens – und das hat mit Antisemitismus nicht das Geringste zu tun – lassen sich auch in bestimmten Ausdrucksweisen und Texten der frühen Frankfurter Schule gnostische Sätze finden, die eine Radikalkritik an der Welt zum Ausdruck bringen. In Adornos »Minima Moralia« heißt es: »Noch der Baum, der blüht, lügt.« Das ist der gnostischste Satz, den ich mir in der neueren anspruchsvollen philosophischen Literatur vorstellen kann. Mit solchen Haltungen hat er seinerzeit bei vielen jungen Intellektuellen einen vorhandenen Weltschmerz und Weltekel verstärkt.

FreieWelt.net: Wo sehen Sie gnostisches Denken in der Gegenwart?

Micha Brumlik: Hier sind es, wenn überhaupt, eher abgelegene esoterische Blogger und Zirkel. Als gesellschaftlich wirksame Kraft, die Einfluss auf intellektuelle Diskurse nimmt, ist es gegenwärtig nicht vorhanden. Man sieht das auch an den sozialen Bewegungen, die sich auf die Welt, so, wie sie ist, eingelassen haben und sie nicht mehr einer radikalen Kritik unterziehen, die zu kompletter Ablehnung und Askese führt.

Auch die Grünen bringen inzwischen den Willen auf, die Welt selbst zu gestalten, auch wenn sie dabei Kompromisse machen müssen. Aber auch die einstmals radikalen Kritiker der Verhältnisse sind – das ist trivial – älter geworden und haben damit begonnen, das, was sie sich erarbeitet haben, zu schätzen.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

Micha Brumlik ist Autor des Buches »Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen«, Hamburg 2000. Als Buch erschien zuletzt »Messianisches Licht und Menschenwürde. Politische Theorie aus den Quellen jüdischer Tradition«, Berlin 2013.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Na ist denn das...
Das heißt nicht gegen den Strom schwimmen auch wenn uns im Delta nur Mist wartet???
Oder ,,Die Kirche weiß Feste zu Feiern,,(Hexen Verbrennung weil Schönheit des Teufels ist)Ein hässlicher Glaube und das gegen den Strom schwimmen keinen Spaß bringt ist gelogen.

Gravatar: Hoover

Der seit etwa 20 Jahren in die gesamte Breite des Mainstreams einziehende Postmodernismus mit seinen Denkfiguren der radikalen Ablehnung von Wirklichkeit und Wahrheit, die letztere zu bloßen Konstrukten der menschlichen Vorstellungskraft reduzieren will, wird von Brumlik mit keiner Silbe erwähnt - dabei ist der Postmodernismus diejenige geistige Kraft, die hinter der zunehmenden Ablehnung von Technik und westlich geprägter Zivilisation steckt. Es ist aber durchaus berechtigt, Parallelen zwischen Postmodernismus und Gnosis zu ziehen hinsichtlich der Aspekte, die Brumlik bei der Gnosis herausgestellt hat, denn das postmodernistische Denken ist heute die Basis für alle Versuche, "nervige" Fakten insbesondere hinsichtlich schöpfungsgemäß-stofflicher Begrenzungen der menschlichen Existenz (Geschlecht, Fähigkeiten, Dispositionen usw.), welche aus ideologisch-traumtänzerischen Gründen nicht akzeptiert und als "böse" deklariert werden, aus dem Feld zu räumen.

Gravatar: Jörg

Die "Frankfurter Schule" der gescheiterten Marxisten ist ist von Anfang an von weltfremdem Nihilismus geprägt gewesen. Das offen eingestandene Ziel besteht darin die Gesellschaft von innen her zu zerstören um sie eines Tages reif für die Machtübernahme der Marxisten zu machen. Irgendeinen Gnostizismus als Erklärung braucht man dazu jedenfalls nicht, es reicht Marx, Lenin oder Trotzki zu lesen. Die Vermischung des persönlichen Welverhältnisses mit politischen Zielen ist dann nur Methode auf dem Weg zur Macht. Mit dem Satz: "das private ist politisch" hat sich die Bewegung ohnehin schon früh als totalitär offenbart. Ob die Grünen jetzt den antideutschen Nihilismus ihres eigenen Nachwuchses in den Griff bekommen um "das was sie sich erarbeitet haben" (Steuergeld, Parteispenden von Winradbetreibern und co, Staassäkretärs und Ministerposten ....) weiter geniessen zu können ist mir jedenfalls ziemlich egal. Die ökomarxistische Umgestaltung haben die anderen Parteien ja schon fleissig mitübernommen.

Gravatar: P.Feldmann

Zuvorderst: ein interessantes Gespräch (für mich allerdings nur bis zu dem Punkt als Herr Brumlik Heidegger und Hitler in eine Reihe stellt- das ist eine intellektuelle Disqualifikation, die sich der Sprecher damit zufügt, die in meinen Augen durch nichts als Opportunismus zu "rechtfertigen" ist!).
Historisch ist die Gnosis primär ein spätantikes Phänomen, eine Esoterik, die von christlicher Seite als häretisch verworfen wurde. Den Mechanismus der Gnosis als unberührbares astrales Wissen als Mechanismus von totalitärem Denken zu sehen erscheint sinnvoll.
Ob es allerdings sinnvoll ist, diesen Totalitarismus 1:1 mit "Antijudaismus sive Antisemitismus" gleichzusetzen, ist zumindest fraglich, denn der Antisemitismus ist zuvorderst ein Rassismus, der als Basis auch ein totalitäres Denken haben kann- aber nicht muss.
Und in dieser Gleichsetzung verliert das Gesagte seine intellektuelle Strahlkraft. Dass dem dann noch die Analogsetzung Hitlers (als "Denker" - haha!) mit Heidegger (als "Antisemit"- haha!) folgt, scheint doch eher einem zeitgeistigen Opportunismus des Ruddels zu folgen als wirklichem Denken zu entspringen. Herr Brumlik verwechselt konsistent seine Situierung in der judäischen Tradition und daraus resultierende Befindlichkeit mit einer europäischen Ideengeschichte. Das ist der fahle Geschmack, der leider zurückbleibt!

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