Reiner Holznagel Präsident des Bundes der Steuerzahler e.V.

»Schatten-ESM ist nicht demokratisch legitimiert«

Interview mit Reiner Holznagel

Obwohl die »Rettung« der Euro-Länder immer weiter in die finanzielle Katastrophe führt, errichtet man heimlich eine weitere »Faszilität« für die Länder, die nicht mit dem Euro zahlen. Über diesen »Schatten-ESM« und welche Konsequenzen seine Einführung für die Bevölkerung hat, sprach FreieWelt.net mit dem Präsidenten des Bundes der Steuerzahler Reiner Holznagel.

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FreieWelt.net: Zur Finanzierung klammer Euro-Staaten wurde der ESM eingerichtet, für den Deutschland einstweilen mit 190 Milliarden Euro haftet. Hinzukommen – im besten Fall – Nachforderungspflichten, die allerdings einem Parlamentsvorbehalt unterliegen. Was halten Sie ganz allgemein von diesem Konstrukt?

Reiner Holznagel: Ich halte den ESM für einen Fehler. Mit ihm gehen die Geberländer unüberschaubare Risiken ein, während für die schwächelnden Eurostaaten Fehlanreize gesetzt werden. Denn der ESM ist eine Art Mega-Bank die immer dann einspringt, wenn einzelne Euro-Länder keine anderen Kreditgeber mehr finden. Bei möglichen Verlusten haften dann alle Euro-Länder. Genau hier beginnt das Problem. Deutschland haftet für rund 27 Prozent etwaiger Verluste. Damit tragen die deutschen Steuerzahler das mit Abstand größte Risiko. Die Haftungsanteile schwacher Euro-Staaten (zum Beispiel Griechenland mit 2,8 Prozent) existieren nur auf dem Papier.

Gerade die Spirale in Griechenland hat uns gezeigt, dass ein Rettungspaket oft nicht die Heilung bringt. Es folgen weitere Gelder oder ein Aufweichen von Konditionen. Der ESM betreibt also Schaufensterpolitik. Solange die Geberländer bereitwillig viele Milliarden Euro ins Fenster stellen, darf sich keiner wundern, dass die Schlange der nehmerfreudigen Staaten immer länger wird. Wird also mehr Geld benötigt, kann auch der ESM an seine Grenzen stoßen. Eine dann folgende Aufstockung mit Kapital und entsprechenden Haftungsanteilen ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Genau deshalb hat sich der Bund der Steuerzahler ja auch mit anderen Partnern zusammengeschlossen und Verfassungsbeschwerde gegen den ESM eingelegt. Mit folgendem Ergebnis: Das finanzielle Haftungsrisiko Deutschlands aus dem ESM ist auf 190 Milliarden Euro begrenzt, es sei denn, der Bundestag stimmt einer Aufstockung zu. Damit werden die Gefahren aus dem ESM zumindest etwas für die Steuerzahler begrenzt.

FreieWelt.net: Jetzt arbeitet die EU-Kommission daran, eine Art ESM für Staaten zu etablieren, die nicht der Eurozone angehören. Entstehen hier gerade weitere unkalkulierbare Haftungsrisiken für die deutschen Steuerzahler?

Reiner Holznagel: Zwar ist das System nicht neu, es wurde schon 1972 eingerichtet, doch nun soll es die zweifelhafte Rettungspolitik Europas fortsetzen. Auch hier sehe ich vor allem Risiken für die deutschen Steuerzahler.

So wurde der Kapitalstock im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise bereits von ursprünglich zwölf auf heute 50 Milliarden Euro ausgeweitet. Nicht auszuschließen ist, dass der Bedarf weiter steigt. Deutschland und damit der Steuerzahler haftet mit 20 Prozent für die Kreditlinien des Schatten-ESM. Wenn sich der Trend zur Kapitalaufstockung beim Schatten-ESM weiter fortsetzen sollte, steigt auch die Gefahr, dass die deutschen Steuerzahler zusätzlich zur Kasse gebeten werden – und das in grundsätzlich nach oben nicht begrenztem Umfang.

Zugleich ist der Bundestag nicht an den Entscheidungen über einzelne Unterstützungsmaßnahmen für die Nicht-Euro-Staaten beteiligt, geschweige denn an der Festsetzung der jeweiligen staatlichen Haftungssummen. Selbst das Europäische Parlament nicht. Der Schatten-ESM ist somit nicht einmal demokratisch legitimiert. 

FreieWelt.net: Bis jetzt ist diese neue »Faszilität« nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen, weil die EU-Kommission sie heimlich, still und leise aufbaut. Wie beurteilen Sie diese Vorgehensweise?

Reiner Holznagel: Überrascht Sie das? Die meisten Entscheidungen zur Euro-Rettung wurden bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt, und die Bürger wurden anschließend vor vollendete Tatsachen gestellt. Mit unserer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht konnten wir erreichen, dass zumindest beim ESM der Bundestag mehr Mitspracherechte erhalten hat. Zugleich hat das Verfassungsgericht betont, dass die Bundesregierung ihre Informationspflicht stärker nachkommen muss. Umso bedauerlicher ist es, dass beim Schatten-ESM so wenige kritische Stimmen aus dem Bundestag zu vernehmen sind.

Doch auch die Öffentlichkeit sollte sich nicht von den Aussagen, die Euro-Krise sei überwunden, einlullen lassen. Sie ist noch lange nicht vorbei. Deshalb wird der Bund der Steuerzahler immer genau hinsehen, was im Rahmen der Rettungspolitik auf die deutschen Steuerzahler zukommen könnte. Wir werden auch weiterhin den Finger in die Wunde legen und die Politik zur Transparenz zwingen.

FreieWelt.net: Das Kapital des »Schatten-ESM« ist auf 50 Milliarden Euro begrenzt, soll aber ohne Parlamentsbeteiligung erhöht werden können. Werden hier noch grundlegende kaufmännische Grundsätze eingehalten?

Reiner Holznagel: Kaufmännische Grundsätze sind leider nicht der vorrangige Ansatz der Politik. Vielmehr sind die politischen Leitlinien ideologisch motiviert oder folgen dem Prinzip »Augen-zu-und-durch«. Dabei kann die Krise nur gelöst werden, wenn die Grundprinzipien des Wirtschaftens wieder in den Vordergrund rücken. Seit der Staatsschuldenkrise sind Risiko und Haftung für eine fatale Politik von einander losgekoppelt. Bisher bestand Europa aus einem gemeinschaftlichen Miteinander individuell verantwortlicher Einzelstaaten. Nun scheint es, als mutiere Europa zum Selbstbedienungsladen. Dieser Tendenz ist Einhalt zu gebieten.

FreieWelt.net: Dass diese immer höheren Haftungsverpflichtungen fatale Folgen haben können, spürt jeder. Aus der Perspektive eines Experten gesehen: Was ist der bestmögliche Ausgang aus diesen Operationen, was der schlechteste?

Reiner Holznagel: Ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland unter Beteiligung der öffentlichen Gläubiger ist bereits beschlossene Sache. Die Abschreibungen der staatlichen Abwicklungsgesellschaften von WestLB und HRE aus dem ersten griechischen Schuldenschnitt sind in deren Bilanzen schon verbucht. Die Kreditkonditionen für Griechenland wurden mehrfach aufgeweicht.

Bei dieser Ausgangslage kostet die Eurorettung den deutschen Steuerzahler – im günstigsten Fall – rund 50 Milliarden Euro. Dafür müssten die Krisenstaaten ihre Haushalte allerdings dauerhaft unter Kontrolle bringen. Noch sind zahlreiche Unsicherheiten in Europa (Stichworte Italien und Zypern) sowie potenziell negative externe Effekte, etwa die Schuldenentwicklung in den Vereinigten Staaten, vorhanden. Nach unseren Schätzungen könnten sich die möglichen Verluste für die deutschen Steuerzahler – im schlimmsten Fall – auf rund 510 Milliarden Euro summieren. Hinzu kommen nicht kalkulierbare Haftungsrisiken über die Verrechnungssysteme der EZB in Höhe von maximal 650 Milliarden Euro. Dieses Szenario ist nur zustande gekommen, da viele Euro-Staaten weit über ihre Verhältnisse gelebt haben. Daher muss das Grundübel der Krise umfassend und überall angegangen werden: Die öffentlichen Haushalte müssen saniert und Haushaltsdisziplin durchgesetzt werden.

Deutschland hat hierbei die richtigen Lehren gezogen und war zu Recht die treibende Kraft für den europäischen Fiskalpakt. Und selbstverständlich muss Deutschland dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Umso mehr ärgert mich das Verhalten des Bundesrats. Die geplante und notwendige Umsetzung des europäischen Fiskalpakt in Deutschland als Anlass zu nehmen, einen hohen Kostenausgleich vom Bund einzufordern, lässt nicht nur mangelnden Konsolidierungswillen bei den Ländern erkennen. Vielmehr torpediert der Bundesrat damit einen wichtigen Grundfeiler der europäischen Rettungspolitik.

Diese Bundesratsblockade ist das völlig falsche Signal an die EU-Partner, welches die deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommen könnte. Denn Opfer einer unsoliden Haushaltsführung sind letztlich immer die Steuerzahler, die für Haushaltslöcher geradestehen müssen.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Durchblicker

Das Signal ist RICHTIG! Es gäbe nur ein besseres Signal: Schluss mit EU und Schluss mit dem EURO!
Die EU entzweit die Völker Europas und schafft Unfrieden statt den Frieden zu stabilisieren. Und mit ESM werden verzockte Banken gerettet, aber kein einziges Land. Denn den Ländern geht es seit den Zahlungen nciht besser sondern immer ncoh schlechter. Und das nächste ganz große "Sorgenkind" zeichnet sich ja bereits ab: Frankreich!
Der Euro war ein totgeborenes Kind, und man sollte endlich einsehen das man ihn begraben muss. Italien hat gezeigt was es davon hält, und man sollte dies nicht ignorieren

Gravatar: reiner tiroch

dem Volk erzählt man was von nachhaltiger rettungsroutine, aber der Gau kommt nach der Wahl.

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