Interview mit Saidi Sulilatu

»Prüfen Sie Ihre Lebensversicherung – schnell!«

Im Schweinsgalopp hat der Bundestag eine Reform der Lebensversicherung durchgewinkt. Betroffene sollten jetzt schleunigst ihren Vertrag überprüfen, rät der Versicherungsexperte Saidi Sulilatu.

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FreieWelt.net: Gestern, am Freitag, hat der Bundestag ein Gesetz zur Reform der Lebensversicherung verabschiedet. Zuvor gab es am vorangegangenen Montag im Finanzausschuss in letzter Minute zwei Änderungen. Um was ging es da?

Saidi Sulilatu: Zum einen hat der Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, dass die Provisionen, die ein Versicherungsvermittler bei Abschluss eines Vertrages erzielen darf, in Euro und Cent ausgewiesen werden müssen. Dagegen sind die Berufsverbände Sturm gelaufen, weshalb diese Regelung gestrichen wurde. Stattdessen hat man sich entschlossen, die Kosten eines Vertrages in Prozent darzustellen.

Zweitens hatte man das Gesetz ursprünglich ziemlich ausgewogen gestaltet: Wenn auf der einen Seite den Kunden einer Lebensversicherung das Geld aus der Bewertungsreserve weggenommen wird, darf im Gegenzug die Lebensversicherung keine Dividende an die Aktionäre ausschütten. Inzwischen gilt das aber nur noch innerhalb einer Versicherung, nicht aber wenn die Versicherung zu einem Konzern gehört. Hier dürfen die von den Kunden eingenommenen Gewinne an die Konzernmutter abgeführt werden.

FreieWelt.net: Für die Versicherten spielen die Bewertungsreserven eine große Rolle. Bitte erklären sie, was das ist.

Saidi Sulilatu: Bewertungsreserven entstehen in der jetzigen Zeit dadurch, dass die Zinsen so niedrig sind. Dadurch sind Papiere, die die Lebensversicherer noch aus früherer Zeit halten und hoch verzinst sind, sehr viel wert. Wer diesen Vertrag jetzt beendet, weil er ausläuft oder weil er ihn kündigt, de wird im Moment die Hälfte dieser wertvollen Wertpapiere, die auf den Vertrag entfallen, ausgezahlt. Doch mit dem neuen Gesetz kann die Aufsichtsbehörde das verhindern – und dann wird dem ausscheidenden Kunden die Bewertungsreserve ganz oder teilweise nicht mehr ausgezahlt.

FreieWelt.net: Das ist nicht gerade versichertenfreundlich ...

Saidi Sulilatu: Nein. Man muss aber dazu sagen, dass die Entscheidung über die Kürzung der Bewertungsreserven nicht in der Hand der Versicherer liegt, sondern der der Aufsichtsbehörde, also der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

FreieWelt.net: Welchen Anlass gab es, diese Neuregelung zu treffen?

Saidi Sulilatu: Es geht um geschätzt 200 Millionen Euro pro Monat, die von den Lebensversicherern an ausscheidende Kunden abfließen. Diesem Kapitalabfluss möchte man einen Riegel vorschieben. Eine Neuregelung ist allerdings schon mehrfach diskutiert worden. Letztes Jahr wäre beinahe ein entsprechendes Gesetz verabschiedet worden.

FreieWelt.net: Wird der damit BaFin eine neue Rolle zugewiesen?

Saidi Sulilatu: Nicht wirklich, denn die BaFin ist auch bisher schon die Versicherungsaufsicht. Aber der Prozess, der jetzt hier abläuft, ist tatsächlich neu. Die BaFin stellt fest, ob ein Lebensversicherer auch in Zukunft seinen Kunden die vertraglich garantierten Garantien zusichern kann oder nicht. Und wenn sie meint, dass das nicht der Fall ist, werden den Lebensversicherungskunden die Bewertungsreserven eben nicht ausbezahlt. Damit, hofft die BaFin, können die Versicherer ihre Garantien auch weiterhin einhalten.

FreieWelt.net: Verstehe ich das richtig, dass die aktuelle Änderung zu Lasten der Versicherten geht?

Saidi Sulilatu: Sie geht vor allem zu Lasten der Versicherten, die in den nächsten Jahren ausscheiden. Es profitieren diejenigen, deren Verträge noch viel längere Laufzeiten haben, weil die nicht so stark unter der gegenwärtigen Niedrigzinspolitik der Notenbanken leiden. Der Gesetzgeber nimmt also das Geld von denen, deren Versicherung bald fällig wird, und gibt es denjenigen, die noch länger laufende Verträge haben.

FreieWelt.net: Ist das gerecht?

Saidi Sulilatu: Schwer zu sagen. Die Lebensversicherer haben aus meiner Sicht den Fehler gemacht, so hohe Zusagen zu geben. Die Zinsen waren Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre relativ hoch. Aber dann sind sie gefallen – und nun stellen die Versicherer fest, dass sie ihre alten Garantien nicht mehr einlösen können. Als 2008 die Banken ins Trudeln geraten sind, hat man sie auf Kosten des Steuerzahlers gerettet. Jetzt löst man das Problem der Versicherer sozusagen intern, indem man die ausscheidenden Kunden zur Kasse bittet.

FreieWelt.net: Hat der von Ihnen erwähnte Kapitalabfluss etwas mit der gegenwärtigen Euro-, Bank- und Finanzkrise zu tun?

Saidi Sulilatu: Volkswirtschaftlich betrachtet, ja. Denn verursacht durch die Finanzkrise sind die Zinsen durch die Notenbanken sehr stark gesenkt worden, wodurch die Lebensversicherungen in Schwierigkeiten geraten: Sie haben Schwierigkeiten, die vertraglich zugesicherten Garantien einzuhalten. Aus dem selben Grund sind die Bewertungsreserven der alten Verträge so deutlich gestiegen, was dazu führt, dass es für den Versicherten so rentabel ist, wenn der Vertrag jetzt ausläuft.

FreieWelt.net: Lässt sich die Art, mit diesem Problem umzugehen, in ein Muster einordnen?

Saidi Sulilatu: Im Gegenteil, hier handelt es sich um ein Novum. Bei Bankenpleiten ist bislang der Staat als Retter aufgetreten – und damit der Steuerzahler. Jetzt sind es die Kunden des Lebensversicherers, denen zu Gunsten der Versichertengemeinschaft Geld genommen wird, das ihnen vertraglich nicht zusteht, auch wenn es in ihren Verträgen erwähnt wird.

FreieWelt.net: Was raten Sie jetzt Menschen mit Lebensversicherung?

Saidi Sulilatu: Erstens müssen sie jetzt ganz schnell prüfen, ob es sich lohnt, die Lebensversicherung zu kündigen. Außerdem müssen sie herausfinden, ob sie die Möglichkeit haben, ihren Vertrag zum 1. August zu kündigen. In der Regel ist das dann der Fall, wenn sie monatlich Beiträge zu ihrer Lebensversicherung bezahlen, oder der Vertrag ursprünglich an einem 1. August begonnen hat. Leider ist diese Prüfung sehr schwierig und komplex. Aber wir bieten auf unserer Website einen Ratgeber und einen Rechner an, mit denen man diese Prüfung einigermaßen gründlich vornehmen kann. Wenn die Prüfung ergibt, dass es sich lohnt, den Vertrag zu kündigen und dass er bis zum 1. August gekündigt werden kann, dann sollten sie das auch tun.

Gleichzeitig sollten Inhaber von Lebensversicherungen aber unbedingt ihren Versicherer fragen, ob sie diese Kündigung wieder zurückziehen können. Denn es kann sein, dass bei dem Tempo, das die Bundesregierung gerade vorlegt, das Gesetz noch im Juli umgesetzt wird – dann wird das Geld noch im Juli abgezogen. In diesem Fall bringt ihnen die Kündigung zum 1. August natürlich nichts mehr, weshalb sie die Möglichkeit haben sollten, die Kündigung vor dem 1. August wieder zurückziehen.

FreieWelt.net: Sollte man heutzutage überhaupt noch eine Lebensversicherung abschließen?

Saidi Sulilatu: Kapitalbildende Lebensversicherungen, die mit einem Garantiezins versehen sind und die der langfristigen Geldanlage, insbesondere der Altersvorsorge dienen, sind in der Regel schon seit längerem nicht mehr sinnvoll. Da das neue Gesetz vorsieht, dass zum 1. Januar der garantierte Zins von 1,75 auf 1,25 Prozent abgesenkt wird, ist von dieser Form der Lebensversicherung erst recht abzuraten.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview!

Weitere Informationen zum Thema Lebensversicherung und Bewertungsreserven finden Sie auf finanztip.de.

UPDATE: Aktuelle Informationen finden Sie in diesem Artikel von Saidi Sulilatu.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Na ist denn das...
Wir wohnen auf 700 m Höhe über Null und sind gegen Hochwasser versichert,das sollte reichen..

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