Vera Lengsfeld DDR-Bürgerrechtlerin und Politikerin

"Parteien zu überzeugenden Angeboten zwingen" - Interview mit Vera Lengsfeld

Die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld wurde zu DDR-Zeiten zunächst zu einer Haftstrafe verurteilt und dann in den Westen abgeschoben. Später saß sie zuerst für Bündnis 90/Die Grünen, später für die CDU im Bundestag. Heute tritt die Politikerin und Autorin für eine Reform des Wahlrechts ein, bei der die Anzahl der Mandate von der Wahlbeteiligung abhängen würde. FreieWelt.net sprach mit Lengsfeld über den Hintergrund dieser Idee. 

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Sie haben vorgeschlagen, die Anzahl der Mandate in den Landtagen und im Bundestag von der tatsächlichen Wahlbeteiligung der Wahlberechtigten abhängig zu machen.  Wie würde dieses Modell konkret aussehen?

Das Modell ist ganz einfach. Hundert Prozent der Wählerstimmen entsprechen 100% der zu gewinnenden Mandate. Wenn nur 58% der Wähler überzeugt werden können zur Wahlurne zu gehen, können die Parteien nur 58% der Mandate gewinnen. Genauso sollte die Wahlkampfrückerstattung nur danach berechnet werden, wie viel Prozent der Stimmen eine Partei in Bezug auf die Gesamtwählerschaft erringen konnte. Bisher tangiert die Parteien die geringer werdende Wahlbeteiligung nicht wirklich, weil am Ende sogar mehr Mandate zur Verfügung stehen können, wegen der Überhangs-, und Ausgleichsmandate, die zunehmen, je weniger eindeutig das Wahlergebnis wird.

Was versprechen Sie sich von dieser Idee?

Die Parteien wären so gezwungen, wirklich um Wähler zu werben, denn nur wenn sie überzeugende Angebote vorlegen, wird sich der Trend zum Nichtwählen umkehren. Wenn sie mehr Mandate und mehr Geld bekommen wollen, müssen sie sich wirklich anstrengen.

Wäre das nicht das Ende der kleineren Parteien?

Nein, die Parlamente werden dann zwar kleiner, aber das muss kein Nachteil sein. Der Bundestag ist sowieso viel zu groß. Er hat mehr Abgeordnete als der Amerikanische Kongress, obwohl Deutschland deutlich kleiner ist. Bisher sind alle Bemühungen, die Größe zu reduzieren, gescheitert, weil die Politiker wenig Lust haben, ihre Möglichkeiten zu beschränken.

Würde es nicht populistische Forderungen – insbesondere solche, die zu Lasten von Minderheiten gehen, die selbst keine Mehrheiten erzielen können - begünstigen?

Nein, im Gegenteil. Im Augenblick verfügen Minderheiten über eine Machtfülle, die ihren Wähleranteil bei weitem übersteigt. Nehmen wir die Wahl in Bremen: Die SPD hat, legt man die Zahl der Wahlberechtigten zugrunde, nur etwa 21% erzielt, die zum Wahlsieger erklärten grünen, konnten gerade mal 12% der Wähler überzeugen, ihr Kreuz bei ihnen zu machen. Die Rot-grüne Regierung vertritt gerade mal ein Drittel der Wähler. Mehrheiten sehen anders aus.

Ist dieses oder ein ähnliches Modell schon einmal in einem anderen Land ausprobiert worden?

Ja, im Kaliningrader Gebiet wird ein ähnliches Modell praktiziert. Als letzte Position steht auf dem Wahlzettel: Gegen alle: Wenn 50% und mehr diese Position ankreuzen, muss die Wahl wiederholt werden.

In welcher Form könnte man auf eine Umsetzung dieser Idee hinarbeiten?

Man muss diese Idee propagieren und dann per Volksentscheid zur Abstimmung stellen. Von der Politik wäre eine solche Änderung nicht zu erwarten.

Frau Lengsfeld, herzlichen Dank für dieses Interview!

Das Interview führte Fabian Heinzel

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Rudi Gems

Das Problem sind die Parteien selber. Insbesondere durch das Auswahlsystem der Kandidaten, kommen fast ausschließlich nur aalglatte Abgeordnete in die Parlamente. Jeder Abgeordnete muss es erstmal schaffen, eine möglichst hohe Zahl von Anhängern, in seinem Umfeld zu begeistern, sonst scheidet er im Vorfeld schon aus.

Dieses Problem, durch eine Wahländerung, zu beeinflussen, so wie es im Eingangstext vorgeschlagen wurde, halte ich für kaum machbar.

Wesentlich höhere Chancen, würde ich hier dem Internet einräumen. Wahlprogramme, Satzungen und Grundsatzprogramme, könnte man im Internet, in Foren oder Blogs, diskutieren. Dafür, brauchte man auf Parteitagen, keine Zeit zu verschwenden. Auf Parteitagen, sollte man gute Redner, zu aktuellen oder grundsätzlichen Fragen, zu Wort kommen lassen, und dann, anhand der Redebeiträge, beurteilen, ob der Redner, auch ein brauchbarer Kandidat sein könnte. Nur wenn die Parlamente, voll von brauchbaren Rednern sind, hat man die Garantie, das um den besten oder wenigstens um den optimalsten, Weg gestritten wird.

Auch die Ausschüsse, für Gesetze oder Probleme, wobei heute, die meiste Zeit der Abgeordneten verschwendet wird, könnte man wesentlich sinnvoller und effektiver, über das Internet, gestalten, bzw. unterstützen.

Grüße, Rudi Gems

Gravatar: Crono

Das "predige" ich schon seit Jahrzehten! Aber wer möchte es hören; obwohl diese Angelegenheit ein Kindergartenhirn begreifen kann.

Gravatar: Klimax

Das ist natürlich eine gute Idee. Setzte sie sich durch, würde indes schnurstraks Wahlpflicht eingeführt und die Idee wäre obsolet.

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