Martin Kastler Europaabgeordneter (CSU)

Konservative haben handfeste Visionen

Der CSU-Europaabgeordnete Martin Kastler (MdEP) vertritt in Brüssel und Straßburg die Interessen der Europäischen Metropolregion Nürnberg. Darüber hinaus ist er zunehmend Ansprechpartner für solche bürgerlichen Fragestellungen, die es in einem sich zentralisierenden und säkularisierenden Europa immer schwieriger haben. Nathanael Liminski sprach exklusiv für Freie Welt mit dem zweifachen Familienvater aus Schwabach.

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Freie Welt: Herr Kastler, der Lissabon-Vertrag ist beschlossen und besiegelt. Nicht wenige Konservative standen dem Vertragswerk kritisch gegenüber. Worauf gilt es nun in der Umsetzung besonders zu achten?

Martin Kastler: Aus konservativer Sicht weist der Lissabon-Vertrag durchaus positive Seiten auf. So erkennt er die Kirchen erstmals offiziell an und fordert einen "offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog" mit ihnen. Dies darf jedoch keine leere Klausel bleiben, sondern muss  mit Leben erfüllt werden, damit die Kirchen ihre herausgehobene Stellung in der Wertegemeinschaft Europa bewahren. Angriffe aus antikirchlichen und christophoben Kreisen gibt es ja zur Genüge, etwa den Versuch der Liberalen, die Aussagen von Papst Benedikt XVI. zur Aids-Problematik in Afrika im Menschenrechtsbericht 2008 zu verurteilen.
Viele Konservative fürchten durch den Lissabon-Vertrag aber eine zunehmende Vergemeinschaftung und den Verlust der nationalen Identität. Hier ist es wichtig, in den europäischen Dokumenten eine Sprache zu finden, die nicht in Richtung Superstaat geht, sondern klar stellt, dass sich die Nationalstaaten und Europa gegenseitig befruchten können. Der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel hat vor kurzem bei seinem Besuch im Brüsseler Europaparlament zu Recht gefordert, Europa müsse das "Vaterland unserer Vaterländer" sein.

Freie Welt: Seit September hat das neu gewählte Europäische Parlament seine Arbeit aufgenommen. Was sind die aktuellen Herausforderungen?

Martin Kastler: Das Europaparlament hat durch den Lissabon-Vertrag mehr Mitspracherecht erhalten. Es muss jetzt beweisen, dass es in der Lage ist, verantwortlich mit diesem Kompetenzgewinn umzugehen und nicht in blinden Aktionismus zu verfallen. Zwar ist das Europäische Parlament das einzige direkt von den Menschen gewählte Organ der Europäischen Union, eine Wahlbeteiligung von EU-weit nur noch 43,1 Prozent ist jedoch ein Alarmzeichen. Als EU-Parlament müssen wir den Menschen künftig besser vermitteln, warum unsere Arbeit für sie wichtig ist. Wir dürfen als Abgeordnete nicht selbstgefällig unseren Kompetenzgewinn feiern und andererseits riskieren, dass unsere demokratische Legitimation durch eine immer geringere Wahlbeteiligung sinkt. In Deutschland wäre ein erster Schritt zu mehr Transparenz eine Reform des Wahlrechts. Wir sollten unsere Europaabgeordneten wie auch bei der Bundestagswahl in Wahlkreisen statt über eine Landesliste wählen können.

Freie Welt: Viele Bürger wissen nicht mehr, für was nun Kommune, Land, Bund oder Europa zuständig ist. Es braucht Orientierung: Worauf müssen Christen in der europapolitischen Debatte Acht geben?

Martin Kastler: Aus unserer Sicht sollte die Zuständigkeitsfrage in Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip eigentlich klar sein. So viel wie möglich muss von der kleinsten Einheit (Kommune) gelöst werden und so wenig wie nötig darf auf die nächst größere Einheit (Bezirk, Region, Land, Bund, Europa) übertragen werden. Wo dies nicht so ist, muss nachgebessert werden. Einiges ist hier durch den Lissabon-Vertrag bereits geschehen. Was uns Christen anbetrifft: Unabhängig von der Frage, wer für was zuständig ist, müssen wir bereit sein, uns auf allen Ebenen in die Gesellschaft einzubringen. Ein beschauliches Wärmen am Herdfeuer hilft gar nichts. Wir müssen vor Ort sein, auch an den Brennpunkten und Visionen eines christlichen Europas vorleben. An diesem Punkt haben uns die Linken oft etwas voraus. Sie fordern, während wir verteidigen. Wertkonservative haben Visionen - und zwar von einem anderen Europa als es die EU heute ist.

Freie Welt: Ihr Parteifreund Manfred Weber fordert die konservative Erneuerung der CSU. Wie kann man damit heute noch neue und junge Wähler gewinnen?

Martin Kastler: Manfred Weber hat recht und wir werden gemeinsam dafür werben. Wir beklagen einerseits immer die angebliche Politikmüdigkeit der Jugendlichen, verlangen andererseits aber das Eintauchen aller Parteien in eine kaum mehr programmatisch fassbare "Mitte". Dabei suchen gerade junge Menschen nach klaren Orientierungs- und Fixpunkten. Durch die 68er ist versucht worden, sinnstiftende Werte wie Heimat, Familie oder Religion systematisch zu durchlöchern. Die Sehnsucht der jungen Menschen nach Orientierung ist jedoch geblieben. Auf Sehnsucht können wir als Politiker nur antworten, wenn wir klar machen, wofür wir stehen  und diese Standpunkte auch in konkrete Politik umsetzen. Wir müssen klar eintreten für ein Ja zu unserer christlich-abendländischen Kultur, zur klassisch-bürgerlichen Familie aus Mann, Frau und Kindern, für den Lebensschutz von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, für ein klares und unmissverständliches Nein zu Frauenunterdrückung, Ehrenmorden und Versuchen, die Scharia in unseren europäischen Staaten einzuführen, für die Soziale Marktwirtschaft und für den besonderen Schutz von Kindern, Alten, Schwachen, Arbeitslosen oder Menschen mit Behinderungen.

Freie Welt: In Berlin koaliert die CSU mit den Liberalen. Sind Sie mit Blick auf Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit zufrieden mit dem Berliner Koalitionsvertrag?

Martin Kastler: CSU, CDU und FDP bekennen sich im Koalitionspapier zu einer "generationengerechten Finanzpolitik" und wollen den "Weg in den Verschuldungsstaat" stoppen. Abgesehen von der Tatsache, dass wir uns bereits mitten im Verschuldungsstaat befinden, ist das sicherlich ein gutes Ansinnen. Das Wort "Nachhaltigkeit" wird in seinen verschiedenen Schattierungen rund 70 Mal im Vertragstext erwähnt. Dem müssen jetzt Taten folgen. Allerdings sollte man den Koalitionsvertrag nicht überbewerten: Beim Abschluss des Koalitionsvertrages zwischen CSU, CDU und SPD im Jahr 2005 konnte auch niemand die Weltwirtschaftskrise voraussehen. Diese hat das gesamte schwarz-rote haushaltspolitische Konzept kräftig durcheinandergewirbelt. Eins ist jedoch klar: Wir müssen in der Koalition klar machen, wo wir uns von der FDP unterscheiden und uns bei Kernthemen wie Familienpolitik und Lebensschutz auch durchsetzen. Schließlich sind wir als C-Parteien der deutlich wichtigere Teil der Koalition.

Freie Welt: In der FDP-Bundestagsfraktion formiert sich eine Gruppe der Christen innerhalb der FDP. Wird die FDP der Union langsam ernsthaft gefährlich als „kleine Volkspartei“?

Martin Kastler: Ganz klar nein. Mancher Stammwähler von CSU und CDU hat die FDP entweder gewählt, um eine bürgerliche Koalition zu sichern oder einfach aus Protest gegen die mangelnde Profilschärfe der C-Parteien. Guido Westerwelle hat sich mit Aussagen zu Themen, die FDP und CDU/CSU unterscheiden, im Wahlkampf bewusst zurückgehalten, um diesen Wählerstamm nicht zu gefährden. Dabei hat manch einer wohl nicht genau hingeschaut, wofür die FDP eigentlich steht. Die FDP ist weder eine "reinere" Variante von CSU und CDU noch ist sie konservativer als wir. Ganz im Gegenteil: Mit Konservatismus oder gar Wertkonservatismus hat die FDP nichts zu tun. An der Personalie Erika Steinbach beginnen dies endlich einige zu merken. Und der konservative Aufschrei über die FDP wird noch größer werden, wenn Themen wie der EU-Beitritt der Türkei oder die Bioethik auf die Agenda kommen. Die abgewanderten FDP-Wähler werden aber nur dann wieder zu uns zurückkehren, wenn wir klare Angebote an sie machen. Im Europaparlament gibt sich die FDP längst als offen linksliberale Partei. So stürmt sie beim Thema Antidiskriminierung genauso voran, wie bei der bereits erwähnten misslungenen parlamentarischen Papst-Schelte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich immer mehr christliche FDP-Mitglieder zu Wort melden. Sollte es diesen gelingen, die FDP langsam mit christlichem Geist zu durchsetzen, würde mich dies natürlich freuen. Derzeit sehe ich jedoch gerade im Wertebereich oft mehr Berührungspunkte mit den Grünen als mit der FDP.

Freie Welt: Die Staatsgläubigkeit nimmt auch im bürgerlichen Lager zu. Das widerspricht liberalen und konservativen Grundwerten. Was kann man dagegen tun?

Martin Kastler: Die von Ihnen konstatierte Zunahme der Staatsgläubigkeit hat vor allem mit Angst zu tun. Gerade in der Krise haben die Menschen viele existenzielle Ängste. Da rufen dieselben nach "Vater Staat", die noch vor wenigen Jahren die totale Privatisierung aller Lebensbereiche gefordert haben. Aber statt dieser beiden Extrempositionen brauchen wir auf der Basis des christlichen Menschenbildes einen Mittelweg. Nichts anderes beinhaltet die Forderung der "Solidarischen Leistungsgesellschaft". Auf der Basis der Sozialen Marktwirtschaft gibt sie dem Menschen unternehmerische Freiheit, begrenzt diese jedoch durch klare Regeln und durch eine soziale Grundsicherung. Auch die Rückbesinnung auf diese Grundwerte kann uns helfen, unseren Markenkern als C-Parteien künftig wieder besser herauszustellen.


Das Interview führte Nathanel Liminski

(Foto: Martin Kastler.de)

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