Sebastian Panknin Bund der Steuerzahler

"Kapitalströme zwischen den Eurostaaten außer Kontrolle"

Interview mit Sebastian Panknin (BdSt):

Das TARGET-II-System bezieht sich auf die Kapitalbilanzen zwischen den Zentralbanken im Eurosystem. Das  Außenhandelsdefizit der Krisenstaaten, günstigen Zinskonditionen für Zentralbankgeld, schwächere Qualitätsanforderungen an die zu hinterlegenden Sicherheiten und ein Vertrauensverlust auf dem Interbankenmarkt haben zu außerordentlich hohen TARGET-II-Forderungen bei der Bundesbank geführt. Sebastian Panknin ist Diplom-Volkswirt und arbeitet als Referent für Haushalts- und Finanzpolitik beim Bund der Steuerzahler e.V. (BdSt). FreieWelt.net sprach mit ihm über das TARGET-II-System, und die daraus resultierenden Milliarden-Forderungen der Bundesbank.

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Bei den TARGET-II-Forderungen handelt es sich um eine statistische Verwerfung in den Bilanzen des europäischen Zentralbankensystems, die bisher als nicht risikorelevant galt. Durch die Eurokrise und die Politik des billigen Geldes, welches fast ohne Sicherheiten ausgegeben wird, entstehen der Bundesbank reale Zinsverluste, erhebliche Risiken und als Resultat ein Kontrollverlust über ihr Risiko- und Anlagemanagement. Die Belastungsgrenzen des Eurosystems werden irgendwann erreicht und einen Königsweg aus dieser Krise gibt es nicht. Der TARGET-II-Bilanz-Überschuss der Bundesbank erhöht sich jedes Mal, wenn Geld, das nicht von der Bundesbank verliehen wurde, nach Deutschland fließt. Treffend wäre das Bild zweier Wanderer, von denen der Schuldner dem Gläubiger immer weitere Lasten auferlegt, um die TARGET-II-Problematik zu skizzieren. Schließlich können die TARGET-II-Forderungen durch eine Übertragung an eine ausländische Bank ausgeglichen werden.

FreieWelt.net: Target-Forderungen der Bundesbank von 728 Milliarden Euro (Stand Juni 2012) haben bisher zu keinem öffentlichen Aufschrei geführt haben.  Könnten Sie unseren Lesern an einem möglichst einfachen Beispiel erläutern, wie eine Target-Forderung entsteht?

Sebastian Panknin: Hinter diesem sehr technischen Begriff steckt eigentlich ein einfaches Prinzip: Der TARGET-II-Bilanz-Überschuss der Bundesbank erhöht sich jedes Mal, wenn Geld, das nicht von der Bundesbank verliehen wurde, nach Deutschland fließt. Ein Beispiel: Ein Spanier leiht sich bei seiner Geschäftsbank 30.000 Euro, welches diese wiederum von der spanischen Zentralbank geliehen hat, und kauft sich ein deutsches Auto. Damit entsteht der Bundesbank ein Target-Saldo von plus 30.000 Euro (Forderung); der spanischen Zentralbank ein Target-Saldo von minus 30.000 Euro (Schuld).

FreieWelt.net: Wie ist die Größenordnung der Target-Forderungen in der Bundesbankbilanz zu erklären? Immerhin handelt es sich hierbei inzwischen um den größten Aktivposten der Bundesbank.

Sebastian Panknin: Das TARGET-II-System bezieht sich allein auf die Kapitalbilanzen zwischen den Zentralbanken im Eurosystem. Seit 2008 sind die Kapitalströme zwischen den Eurostaaten außer Kontrolle geraten. Der volkswirtschaftliche Geldbedarf der Krisenstaaten wird über die nationalen Zentralbanken mittels Zentralbankgeld gedeckt. Dieses wird den einheimischen Banken zur Gewährleistung deren Liquidität zur Verfügung gestellt. Da der Zinssatz der Zentralbank deutlich niedriger ist als jener der Geschäftsbanken und das Vertrauen zwischen den Geschäftsbanken in den Krisenstaaten stark abgenommen hat, leihen sich die Banken lieber von ihrer Zentralbank das Geld statt auf dem Interbankenmarkt. Außerdem konnten die betroffenen Volkswirtschaften seither ihr Außenhandelsdefizit nicht reduzieren, weshalb enorme Geldmengen ins Ausland, vor allem nach Deutschland, geflossen sind. Hinzu kommt die direkte Kapitalflucht aus den Krisenländern in ‚sichere Häfen‘. So erklärt sich diese außerordentlich hohe TARGET-II-Forderung.

FreieWelt.net: Kann man dies so interpretieren, dass die Bundesbank Geld, das Deutschland über Target-II erreicht „vorstreckt“?

Sebastian Panknin: Das Ganze ist wegen der Begrifflichkeiten etwas komplizierter. Ich versuche die Problematik anhand unseres Beispiels zu verdeutlichen. Die Geschichte des Autokaufs geht also weiter: Die Bundesbank informiert die Geschäftsbank des Automobilverkäufers, dass 30.000 Euro auf das Konto eingegangen sind. Damit geht sie die Verpflichtung ein, dieser Bank, bei Bedarf, das Geld zur Verfügung zu stellen. Der positive TARGET-II-Saldo bleibt jedoch bei der Bundesbank bis sich jemand wieder 30.000 Euro bei einer beliebigen deutschen Geschäftsbank leiht, um in Spanien – sagen wir –  Feinkost zu kaufen.

Damit läuft der oben beschriebene Prozess in entgegengesetzter Richtung ab: Die Geschäftsbank verleiht das Geld an ihren deutschen Kunden und nimmt dafür das Zentralbankgeld der Bundesbank in Anspruch. Diese teilt der spanischen Zentralbank via EZB den Übertrag des Geldes mit, die wiederum der spanischen Geschäftsbank ihr Zentralbankgeld gewährt, um es dieser wieder verfügbar zu machen. Das Kuriose an den TARGET-II-Forderungen ist also, dass diese durch eine Übertragung an eine ausländische Bank ausgeglichen werden. Ein treffendes Bild, um die derzeitige TARGET-II-Problematik zu skizzieren, wären vielleicht zwei Wanderer, von denen der Schuldner, dem Gläubiger immer weitere Lasten auferlegt.

FreieWelt.net: Es fließt also mit der Entstehung einer Target-Forderung tatsächlich kein Geld nach Deutschland, sondern erst wenn die Forderung irgendwann beglichen wird? Wer hat das Geld in der Zwischenzeit?

Sebastian Panknin: Es fließt durchaus Geld nach Deutschland. Die beteiligten Geschäftsbanken können, wie bei jeder beliebigen Überweisung, das erhaltene Geld anschließend weiterverleihen. Die TARGET-II-Forderung entsteht dann, wenn sich die ausländische Geschäftsbank das Geld für den Kredit an ihren Kunden bei Ihrer Zentralbank geliehen hat statt auf dem Interbankenmarkt. Wie vorher schon gesagt handelt es sich gegenwärtig eher um eine Lastenübernahme. Das Geld wird, wie beschrieben, den Banken zur Verfügung gestellt.

FreieWelt.net: Die Target-Forderungen werden entsprechend des EZB-Leitzinses verzinst,  also derzeit mit 0,75 Prozent. Entsteht der Bundesbank durch die 728 Milliarden Target-Forderungen in ihrer Bilanz nicht ein gewaltiger Zinsverlust, da sie die entsprechenden Mittel zuvor sehr viel gewinnbringender Einsetzen konnte?

Sebastian Panknin: Es handelt sich ja um einen Schuldschein mit einem Plus davor, nicht um einen klassischen Kredit. Das Geld steht potenziell den Geschäftsbanken in Deutschland zur Verfügung, die damit ganz regulär wirtschaften können. Zinsverluste entstehen allerdings bei der Betrachtung der Realzinsen, die sich aus der Differenz zwischen den Nominalzinsen von 0,75% und der Inflationsrate ergeben, die in 2012 bisher bei 2% liegt. Folglich verlieren die Forderungen, gemessen an den aktuellen Zahlen, jährlich 1,25% ihres tatsächlichen Wertes.

FreieWelt.net: Hat die Bundesbank einen Einfluss auf die Vergabe von Taget-Krediten, oder trifft die von Hans-Werner Sinn vertretene These zu, dass die Geschäftsbanken der Peripherie sich nach eigenem Gusto an ihnen bedienen können, wenn sie entsprechende Sicherheiten hinterlegen?

Sebastian Panknin: Zur Beantwortung dieser Frage muss man einen großen Bogen spannen: Ursprünglich waren im Eurosystem Sicherheiten für die Vergabe von Zentralbankgeld vorgesehen. Die nationalen Zentralbanken mussten, wenn sie Geschäftsbanken Geld liehen Sicherheiten kassieren. Diese grenzten die Vergabe von Zentralbankgeld ein. Seit dem Zusammenbruch des Interbankenmarktes 2008 wurden die Qualitätsanforderungen an diese Sicherheiten jedoch zunehmend aufgeweicht und für die Krisenstaaten letztlich ganz abgeschafft. Diese Tatsache, in Verbindung mit den günstigen Zinskonditionen und dem Vertrauensverlust, verleitet die Geschäftsbanken in den Krisenstaaten dazu, sich Geld statt auf dem Interbankenmarkt bei der nationalen Zentralbank zu leihen. Und davon landet jeder Cent, der ins Ausland fließt – das sind aus den Krisenstaaten riesige Summen, auf den TARGET-II-Salden. Die These Sinns zielt darauf ab, dass die Bundesbank schließlich alle Sicherheiten akzeptieren muss und darunter sind sehr viele Schrottpapiere sowie Notliquiditätshilfen, die fast keiner Sicherheiten bedürfen. Allerdings klammert Sinns Stellungnahme aus, dass letztlich die Bürger, Geschäftsbanken und Unternehmen entscheiden wohin das Geld fließt.

FreieWelt.net: Die Standards für die in diesem Fall hinterlegten Sicherheiten wurden im Zuge der Finanzkrise mehrfach gelockert. Sind die Target-Forderungen noch ausreichend besichert?

Nein, die Bonitätsanforderungen an die Sicherheiten der griechischen, irischen und portugiesischen Zentralbanken wurde vollständig ausgesetzt, die allgemein für den Euroraum gültigen Kriterien deutlich reduziert. Zudem wurde die dauerhafte Möglichkeit von Notliquiditätshilfen geschaffen, über deren Sicherheiten die nationalen Zentralbanken entscheiden dürfen.

FreieWelt.net:  Der Bundesbankpräsident Jens Weidmann schrieb einen Brandbrief an den EZB-Chef Mario Draghi, in dem er Verschärfung der Sicherheitsstandards forderte. Er nannte die Risiken aus den Taget-Salden als Grund. Damit widerspricht er der Position der Bundesbank, nach der es sich bei den Target-Salden um keine eigenständigen Risiken handelt? Hat die Bundesbank die Öffentlichkeit also getäuscht? 

Es stimmt, dass die Risikobewertung der TARGET-II-Salden seitens der Bundesbank im letzten Jahr geändert wurde. Jedoch waren es erst die geänderten Rahmenbedingungen durch die EZB, die eine Neubewertung der TARGET-II-Risiken bedingten. Zuletzt stimmte die Bundesbank gegen die weitere Aufweichung der Bonitätsanforderungen im EZB-Rat, wohlwissend, dass die erhaltenen Sicherheiten nicht mehr wertvoll sind. Auch die Bundesbank befindet sich in einem dauerhaften Ausnahmezustand, ist aber nach wie vor einer der zuverlässigsten Verteidiger deutscher Interessen.

FreieWelt.net: Hans Werner Sinn sagt, dass die Finanzierung der EU-Peripherie an ihr natürliches Ende stößt, „sobald der Bestand an Zentralbankkredit in den Kernländern verbraucht ist.“ Halten Sie dies für möglich und wenn ja, was würde dies für die Bürger Deutschlands bedeuten?

Natürlich gibt es auch für das Eurosystem Belastungsgrenzen. Im angesprochenen Fall hätte die deutsche Volkswirtschaft mittelfristig wohl das Ausscheiden des einen oder anderen Mitgliedsstaates der Eurozone zu verkraften.  Alternativen, um die Finanzierung der Krisenländer dauerhaft zu gewährleisten, wären einerseits die Ausweitung der umlaufenden Geldmenge, was mittelbar zu einer Inflation führen würde und dem EZB-Ziel der Preisstabilität widerspricht. Andererseits würden auch Vermögensverlagerungen und Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft in die Krisenländer Abhilfe schaffen. Dies würde unsere Volkswirtschaft allerdings direkt belasten, da die entsprechenden Investitionen im Inland fehlen würden. Einen angenehmen Weg aus der Krise gibt es auch für uns nicht. Die Grundfesten verantwortungsvoller Geldpolitik dürfen bei dem eingeschlagenen Weg nicht zerstört werden: Vorsorglich muss ein Ausgleichsmechanismus geschaffen werden, der durch die Übertragung von belastbaren Vermögensteilen, wie  Gold- oder Währungsreserven, das Haftungsrisiko für den Steuerzahler begrenzt. Dazu gehört auch ein bevorzugter Gläubigerstatus für den Fall einer Staatspleite, um der Bundesbank den Zugriff auf das Vermögen der Schuldnerstaaten zu erleichtern.  Dabei ist Eile geboten, da die potenzielle Haftung der deutschen Steuerzahler für steigende TARGET-II-Forderungen schleunigst ein Ende finden muss!

 Website vom Bund der Steuerzahler e.V.

Zur Kampagne "Schluss mit schuldenunion raus aus dem ESM zurück zu Demokratie" auf www.Abgeordneten-Check.de

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