Prof. Dr. Christian Hillgruber Professor für Öffentliches Recht Uni Bonn

"Jedes menschliche Leben ist von Verfassungswegen als solches gleich wertvoll"

Der Bonner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christian Hillgruber leitet seit 2002 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Im Interview mit FreieWelt.net sprach Prof. Hillgruber, der u. a. auch Stellvertretender Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. ist, über den Embryonenschutz in Deutschland und die drei zur Abstimmung im Bundestag vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Präimplantationsdiagnostik.

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FreieWelt.net: Welchen gesetzlichen Schutz genießt der Embryo derzeit?

Prof. Hillgruber: Der menschliche Embryo wird insbesondere durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1990 vor einer ihn verzweckenden, missbräuchlichen Behandlung und Verwendung, die nicht seinem Wohl und Lebensinteresse entspricht, unter Strafandrohung geschützt. So darf ein Embryo künstlich zu keinem anderen Zweck erzeugt werden, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, und er darf weder veräußert noch zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgegeben, erworben oder verwendet werden.

FreieWelt.net: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des BGH vom 6. Juli 2010, die in einem Einzelfall die Anwendung von Präimplantationsdiagnostik (PID) an Embryonen nicht unter Strafe gestellt und damit eine breite Debatte ausgelöst hat?

Prof. Hillgruber: Die Entscheidung des BGH, die eine Strafbarkeit nach dem ESchG verneint hat, vermag nicht zu überzeugen. Der BGH stellt die Durchführung einer PID an den künstlich erzeugten und zur Einpflanzung bestimmten Embryonen in den Gesamtzusammenhang der angestrebten Erfüllung des Kinderwunsches. Dadurch wird die am einzelnen Embryo durchgeführte und im Fall eines positiven Befundes zu dessen Verwerfung führende PID zu einem bloßen Zwischenschritt auf dem Weg zum Wunschkind. Diese vom Gesetz nicht gedeckte Form der Gesamtbetrachtung nimmt nicht mehr jeden einzelnen Embryo als am Leben zu erhaltenden und zu schützenden Menschen wahr. Sie übersieht geflissentlich, dass für die Erreichung des Endziels eines von schwerwiegenden Erbkrankheiten freien Wunschkindes andere sterben müssen. Das aber ist nicht hinnehmbar.

FreieWelt.net: Dem Bundestag liegen neben einem strikten PID-Verbotsantrag zwei Gesetzesentwürfe zur Abstimmung vor, die eine unterschiedlich weitreichende Zulassung der PID vorsehen. Welche Konsequenzen hätte es, wenn der Entwurf von Hintze und Flach Gesetz würde?

Prof. Hillgruber: Nach dem Entwurf von Flach, Hintze u.a. soll PID erlaubt sein, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils für deren Nachkommen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit besteht oder – unabhängig von einer solchen Prädisposition – eine schwerwiegende Schädigung des Embryos festgestellt werden soll, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führt. Als hohe Wahrscheinlichkeit für Tot- oder Fehlgeburt nennt die Entwurfsbegründung bereits ein Risiko von 25-50%.

Der Entwurf lässt bewusst und gewollt zu, dass schwerbehindertes menschliches Leben im embryonalen Stadium seiner Existenz als nicht lebenswert aussortiert wird. Es handelt sich um genetische Frühselektion, die mit der Menschenwürde und dem Lebensrecht unvereinbar sind, auch wenn die PID „fachmännisch“ durchgeführt und ethisch „begleitet“ werden soll.

FreieWelt.net: Wäre dagegen der Röspel-Entwurf das kleinere Übel?

Prof. Hillgruber: Ja, wenn dieser Entwurf Gesetz würde, wäre dies – relativ, d.h. im Vergleich zum Flach/Hintze-Entwurf – das geringere Übel, aber eben immer noch ein Übel. Denn nach diesem Entwurf ist die PID nicht rechtswidrig, wenn bei den Eltern eine genetische oder chromosomale Disposition vorliegt, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des Embryos, Fötus oder Kindes zur Folge hat, die zur Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod im ersten Lebensjahr führen kann. 

Auch diese – begrenztere - Zulassung der PID ist jedoch verfassungswidrig. Das BVerfG hat entschieden: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu.“ Das gilt auch für den Embryo in vitro. Und weil der Würdeanspruch und das Lebensrecht nach der Rechtsprechung des BVerfG „unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens“ bestehen, gilt diese Zusage auch für den Menschen, der voraussichtlich über ein frühes Entwicklungsstadium nicht hinauskommen, der nicht das Licht der Welt erblicken wird, weil es zu einer Fehl- oder Totgeburt kommt oder dem nur ein kurzes nachgeburtliches Leben beschieden ist. Jedes menschliche Leben ist von Verfassungswegen ohne Rücksicht auf seine Lebensfähigkeit und Lebenstüchtigkeit „als solches gleich wertvoll“, und es darf, es soll solange leben, wie es kann.

FreieWelt.net: Einige PID-Befürworter argumentieren aber, ein Verbot der PID sei verfassungsrechtlich sehr schwierig oder wie Hermann Gröhe sich ausdrückte, es gebe „hohe verfassungsrechtliche Hürden“. Wie sehen Sie das?

Prof. Hillgruber: So hoch sind die Hürden nicht. Ein Verbot der PID greift nicht in das Recht der Eltern auf Familiengründung ein. Die Fortpflanzungsfreiheit, auch mit Hilfe künstlicher Befruchtung (IVF); bleibt unberührt. Einen grundrechtlichen Anspruch darauf, nur ein von schwerwiegenden Erbkrankheiten freies Kind zu erhalten, besteht nicht.

Der von vielen in diesem Zusammenhang reklamierte Informationsanspruch der Eltern ist grundrechtlich nicht ohne weiteres ableitbar. Ob das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Eltern bemüht werden kann, um Erbinformtionen über das Kind zu erlangen, weil ihre eigene Befindlichkeit von einer möglichen Erbkrankheit ihres Kindes betroffen ist, erscheint schon zweifelhaft. Aber jedenfalls handelt es sich um höchstpersönliche Daten des Kindes, die der Staat gerade vor der Offenlegung zu schützen hat. Dies gilt auch gegenüber den Eltern, es sei denn diese könnten und wollten aufgrund der Kenntnis von der Erbkrankheit therapeutische Maßnahmen einleiten, die deren Ausbruch verhindern oder die Auswirkungen mildern. Jedenfalls darf der Staat durch ein Verbot der PID den Eltern den Zugang zu dadurch erlangbaren Informationen über genetisch bedingte Krankheiten ihres Kindes vorenthalten, die nicht therapeutisch genutzt, sondern einzig dem Zweck dienen können, einen entsprechend belasteten Embryo abzulehnen und zu „verwerfen“ und damit der bereits begründeten Elternverantwortung für das Wohl des Kindes zuwiderzuhandeln.

FreieWelt.net: Warum sollte man PID verbieten, während Abtreibung und Spätabtreibung unter bestimmten Indikationen in Deutschland straffrei ist?

Prof. Hillgruber: Straffreiheit ist nicht mit Erlaubtsein gleichzusetzen. Die beratenen, nicht indizierten Schwangerschaftsabbrüche sind zwar straflos, aber rechtswidrig, und auch die medizinische Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB rechtfertigt keinen Schwangerschaftsabbruch, weil die postnatale Existenz eines schwer erbkranken Kindes eine unzumutbare Gefahr für das seelische Wohlbefinden der Schwangeren wäre. Das käme einer Wiedereinführung der vom Gesetzgeber gerade abgeschafften embryopathischen Indikation durch die Hintertür gleich, die mit dem gleichen Würdeanspruch und Lebensrecht behinderter Menschen unvereinbar ist: Kein Mensch ist allein aufgrund seiner Existenz, mag sie noch so defizitär sein, für einen anderen Menschen unzumutbar. Vielmehr kommt eine Rechtfertigung nach § 218a Abs. 2 StGB nur in Betracht, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bei Fortsetzung der Schwangerschaft ernsthaft bedroht wäre und diese Lebens- oder Gesundheitsgefahr sich nicht anders abwenden lässt. Ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, ob insbesondere eine mögliche Überforderung durch die elterliche Verantwortung für ein behindertes Kind nicht durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen oder – ultima ratio – durch Abgabe der Elternverantwortung im Wege der Adoptionsfreigabe vermeiden werden könnte, ohne dass ein Schwangerschaftsabbruch dafür notwendig wäre, bedarf im Einzelfall sorgfältiger Prüfung.

FreieWelt.net: Läßt sich der strenge deutsche Embryonenschutz angesichts der liberalen Handhabung in vielen anderen europäischen Ländern überhaupt noch lange aufrechterhalten?

Prof. Hillgruber: Das Wort „liberal“ würde ich in Anführungszeichen setzen, weil „liberal“ für mich bedeutet: leben und leben lassen, und nicht: selbst auf Kosten anderer leben.

Aber davon einmal ganz abgesehen, dürfen wir uns normativ nicht auf eine ethische und rechtliche „Abwärtsspirale“ einlassen. Wir verteidigen im Übrigen auch in vielen anderen Bereichen unsere, höheren Standards und sind zu Recht nicht bereit, uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter handeln zu lassen.

Die Durchführung einer nach dem deutschen Recht strafbewehrt verbotenen PID im Ausland könnte zudem ebenfalls sanktioniert werden, auch wenn hier faktische Ermittlungs- und Verfolgungshindernisse bestehen dürften.

FreieWelt.net: Prof. Hillgruber, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Kerstin Schneider.

Zur Initiative "PID stoppen - Selektion verhindern!" auf AbgeordnetenCheck.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Legolas

Ja absolut! In punkto PID sollte sich Deutschland auf keinen Fall auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einlassen. Dem blinden Folgen der bereits vorhandenen ethischen und rechtlichen "Abwärzspirale" folgt die Barbarei. Abtreibung ist faktisch heute schon straffrei und soll ein "Menschenrecht" werden. Der Lissabon Vertrag der EU öffnet wieder die Tür zur Todesstrafe. Und für alles haben Politiker "gute" Begründungen, und das Volk klatscht Beifall.

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