Volkhard Fuchs Bund stalinistisch Verfolgter

Interview: Volkhard Fuchs über neue Stasi-Funde

Wer in der DDR wegen seiner Haltung aus dem Beruf gedrängt wurde, hatten sie bisher schlechte Aussichten auf Entschädigung. Oftmals gab es keine schriftlichen Aufzeichnungen, die die Nötigungen belegten. Nun fand man im Stasi-Archiv eine MfS-Richtlinie, die die Version der aus dem Beruf gedrängten stützt. Freie-Welt.net spricht mit Volkhardt Fuchs, Vize-Vorsitzender beim Bund der stalinistisch Verfolgten, über die Bedeutung der neuen Funde.

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Freiewelt.net: Ihr Verein setzt sich für die Rehabilitierung und Entschädigung von in der DDR politisch Verfolgten ein. Sind Sie mit dem Stand der Aufarbeitung des DDR-Unrechtsregimes zufrieden?

Fuchs: Ein klares „Nein“. Sicher ist schon viel erreicht worden, um Opfer zu entschädigen und zu rehabilitieren. Allerdings gibt es noch sehr viel Unrecht, dass eben nicht aufgearbeitet worden ist. In unserer täglichen Vereinsarbeit erleben wir es sehr oft, dass Betroffene noch keine Opferrente oder Entschädigung erhalten haben. Viele befinden sich schon im fortgeschrittenen Lebensalter, haben nur geringen finanziellen Spielraum oder haben bereits entnervt aufgeben, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Zumal im öffentlichen Diskurs von interessierten Kreisen die Meinung vertreten wird, nach über 20 Jahren müsse ein Schlussstrich gezogen werden. Einen solchen Schlussstrich darf es eben nicht geben. Erst wenn das letzte Opfer rehabilitiert ist und der letzte frühere Stasi-Spitzel aus dem öffentlichen Dienst entfernt ist, kann darüber diskutiert werden. Schergen der DDR-Nomenklatur sitzen fest angestellt in der öffentlichen Verwaltung, in Rundfunkanstalten, beim BKA in Wiesbaden und sogar im Umfeld der Bundeskanzlerin. Noch sind die Stasiakten nicht komplett ausgewertet, die Rosenholzdateien weitgehend unbekannt – da gibt es noch viel Aufklärungsbedarf. Auch die Frage, was ist aus den mehreren tausend MfS-Mitarbeitern geworden, die in der alten BRD „tätig“ waren, ist noch nicht im Ansatz beantwortet. Schauen Sie, wie lange die Aufarbeitung der Folgen der Nazidiktatur in Anspruch genommen hat. Verfolgte der so genannten Diktatur des Proletariats in der DDR dürfen unserer Ansicht nach keine Diktaturopfer zweiter Klasse sein.

Freiewelt.net: Im Stasi-Archiv ist eine MfS-Richtlinie von 1977 aufgetaucht, die belegt: Ausreisewillige wurden zur Kündigung genötigt. Welche Konsequenzen sollte die Politik aus diesem Fund ziehen?

Fuchs: Die Politik sollte als Konsequenz daraus das berufliche Rehabilitierungsgesetz anpassen. Dieser Archivfund könnte die Initialzündung dafür sein, dass nun endlich eine Beweislastumkehr für die Betroffenen im Gesetz verankert wird. Vor allem die ostdeutschen Landesregierungen sehen wir in der Pflicht, sich für eine entsprechende Bundesratsinitiative stark zu machen. Denn durch diesen Aktenfund ist jetzt klar, dass es in der DDR die Anweisung gab, politisch missliebige Personen zur Kündigung ihrer Arbeitsstelle zu bewegen. Das bestätigt unsere Vermutung, die sich seit langer Zeit durch Gespräche mit Opfern in der täglichen Vereinsarbeit heraus kristallisiert hat. Der Psychoterror muss sich bei der heutigen Rehabilitierung auswirken. Durch eine Beweislastumkehr wird es möglich, dass politisch Verfolgte, die früher unter Druck ihre Arbeitsstelle selbst aufgegeben haben, rehabilitiert und entschädigt werden. Das ist wichtig besonders bei der Berechnung von Renten.

Freiewelt.net: Vor allem Lehrer und andere Pädagogen kündigten auf Druck hin und verschwiegen dabei natürlich den Grund ihres Ausscheidens. Dies erschwert eine Aufarbeitung. Die von Ihnen geforderte Beweislastumkehr ist jedoch aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch. Warum halten Sie eine solche dennoch für nötig?

Fuchs: Bislang mussten Betroffene beweisen, dass sie zur Kündigung gedrängt worden sind. Das ist nicht praxistauglich gewesen, zumal es schwer zu beweisen war, dass es Druck seitens des DDR-Regimes gegeben hat, weil die Ausreisewilligen Jahre später keine schriftlichen Beweise vorlegen konnten. Aufgrund des jüngsten Aktenfundes können unsere rechtsstaatlichen Behörden solche Einzelschicksale besser nachvollziehen. Zum Beispiel jenes eines Betroffenen aus Sachsen, den wir kürzlich beraten konnten: Der Mann war bis 1986 im Schuldienst im damaligen Karl-Marx-Stadt tätig. Nach der Stellung des Ausreiseantrages schlug er sich mit Gelegenheitstätigkeiten durch. Sein Antrag auf Rehabilitierung wurde bislang nicht zu seinen Gunsten beschieden, weil er seine Biografie nicht ausreichend glaubhaft machen konnte. Durch die MfS-Richtlinie wird diese aber durchaus verständlich. Ich sehe durch die von uns geforderte Beweislastumkehr keine rechtsstaatlichen Probleme. Im Gegenteil: der Rechtsstaat bekommt hier die Chance, entstandenes Unrecht der DDR zu befrieden und der Demokratie zu dienen, indem er für den gesellschaftlichen Ausgleich sorgt.

Freiewelt.net: Mich als jungen Menschen interessiert, warum sich Ihr Verein nicht Bund der Verfolgten des SED-Regimes nennt. Endete der Stalinismus nicht mit Stalins Tod 1953?

Fuchs: Es wäre schön, wenn es so einfach gewesen wäre: mit dem Tod Stalins hätte augenblicklich der Stalinismus geendet. Dann hätte es Ausprägungen des Stalinismus bzw. Diktaturen wie in Nordkorea, Kambodscha und anderswo nicht gegeben. Auch nach dem Tod Stalins gab es angeordnete kultische Verehrungen von Personen bzw. Diktatoren wie Walter Ulbricht und Erich Honecker. Schauen Sie sich Länder wie Kuba und Venezuela an, dort sind in den Strukturen der kommunistischen Parteien durchaus stalinistische Elemente. Sie fragen, warum wir uns nicht „Bund der Verfolgten des SED-Regimes“ genannt haben. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen würde dieser Name sehr an den ideologisch geprägten DDR-Terminus „Verfolgte/r des Nazi-Regimes“ erinnern. Andererseits hört Stalinismus innerhalb einer Partei nicht damit auf, dass sich die Partei umbenennt in z. B. PDS und mit den SED-Verbrechen nichts mehr zu tun haben will. Wir betrachten Stalinismus als umfassende große Gefahr auch für eine entwickelte Demokratie, denn die Verbrechen der DDR dürfen sich nie wiederholen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Ich glaube nicht, dass man mit Entschädigungszahlungen erlittenes Unrecht irgendwie reparieren kann. Was diese Menschen erleben mussten, ist in ihren Köpfen drin und wird sie das Leben lang begleiten. Ich würde es als sinnvoller erachten, da eine zentrale Gedenkstätte und –veranstaltung einzurichten. Letztlich ist es ja so, dass die Betroffenen irgendwann mal regelrecht aussterben und trotzdem sollte das Gedenken/Mahnung über diese Vorgänge auch danach aufrecht erhalten bleiben.

Ich gebe zusätzlich zu bedenken, dass die Aufarbeitung von Unrecht in der heutigen Gesellschaft, man denke dabei nur an den bekanntesten Fall „Horst Arnold“ (Falschbeschuldigung), in einigen Jahren ebenfalls zu „Entschädigungsforderungen“ und Gedenkveranstaltungen der zahlreich Betroffenen zur Folge haben wird. Insofern kann man sagen, dass aus der zurückliegenden Geschichte keinerlei richtige Schlussfolgerungen gezogen wurden. Schade eigentlich, denn der Zusammenschluss beider deutscher Staaten hätte für beide Teile diese Möglichkeiten geboten.

Gravatar: Horatio Nelson

Ich dachte, daß der Grundsatz "Operativer Vorgang, Zersetzung" schon längst als Alltagstechnik des MfS bekannt ist, oder nicht?
Grüße,
Horatio Nelson.

Gravatar: Freigeist

Erfreulich, erfreulich, diese Funde. Bitte mehr davon.

Gravatar: Zante

so wir ihr die Politisch Verfolgten entschädigen wollt
müsst Ihr den Politisch Begünstigten wieder was wegnehmen
sprich Gauck, Merkel und vielen anderen

Gravatar: mixi

bitte keine Geld für noch so eine Bedürftigen-Gruppe! Wieso soll die BRD und damit der Bürger über Steuern Entschädigungen für Verfolgte der Ex-DDR zahlen? Kann dann in gleicher Weise ein heute 5jähriges Kind in 30 Jahren Entschädigung von Herrn Lengsfeld fordern wegen Vergeudung finanzieller Ressourcen für eine sinnlose persönliche Stasi-Aufarbeitung? Wer soll diesen ganzen Lengsfeld-Schrott noch ernst nehmen?

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