Dr. Johannes Bohnen Atlantische Initiative e.V.

Interview mit Dr. Johannes Bohnen

Dr. Johannes Bohnen ist Gründer und Vorstand der Atlantischen Initiative. Der unabhängige und gemeinnützige Verein will zu einer Stärkung der außenpolitischen Kultur und des transatlantischen Verhältnisses beitragen.

Lesen Sie das Exklusiv-Interview mit FreieWelt.Net über den neuen US-Präsidenten und die amerikanische und deutsche Außenpolitik.

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Dr. Johannes Bohnen hat an der Georgetown University studiert und wurde in Oxford in Internationaler Politik promoviert. Er war unter anderm tätig für den amerikanischen Think Tank CSIS, den Deutschen Bundestag und die Bertelsmann Stiftung. Seit Juli 2005 ist er als Berater für Politik und Kommunikation in Berlin selbständig.

FreieWelt.Net: Wie steht es derzeit um das transatlantische Verhältnis? Und wird sich das Verhältnis durch den neuen US-Präsidenten Barack Obama
verändern?

Dr. Johannes Bohnen: Dank der Bereitwilligkeit Obamas, die europäischen Verbündeten stärker zu konsultieren und politische Differenzen kooperativ zu lösen, ist die Sympathie Europas gegenüber der neuen U.S.-Regierung sehr hoch. Ein gutes Beispiel hierfür ist der G20-Gipfel. Die Geste des Präsidenten, die Verantwortung für die Finanzkrise zu übernehmen, symbolisiert ein neues Kapitel in der U.S.-amerikanischen Aussenpolitik. 

FreieWelt.Net: Präsident Obama hat eine atomwaffenfreie Welt gefordert. Gleichzeitig will er eine Reform der NATO hin zu mehr präventivem Engagement. Dazu wünschen sich die USA mehr Unterstützung ihrer Verbündeten in Afghanistan. Erleben wir idealistische Rhetorik und realpolitisches Handeln?

Dr. Johannes Bohnen: Mit der Vision einer atomwaffenfreien Welt steht Obama nicht alleine. Selbst Realpolitiker wie Henry Kissinger fordern seit Jahren, weltweite nukleare Abrüstung zum Ziel der US Aussenpolitik zu erklären. Wie in so vielen Bereichen des Lebens ist auch hier der Weg das Ziel.
Zudem könnte das Eintreten für eine atomwaffenfreie Welt den USA helfen, mehr Verbündete zu finden bei dem Bemühen, das iranische Nuklearprogramm zu beenden.

Präsident Obama hat zwar idealistische Ziele, aber er ist kein Träumer. Anders als sein Vorgänger schätzt er die aussenpolitischen Möglichkeiten der USA und die seiner Verbündeten realistisch ein. Obama wird zwar von Europa ein grösseres Engagement in Afghanistan und bei der Reform der NATO erbitten, aber keine unerfüllbaren Forderungen stellen – und insbesondere nicht von den Deutschen mitten im Wahljahr. Allerdings sollten wir aus eigenem Interesse mehr aussenpolitische Verantwortung übernehmen.

FreieWelt.Net: Beim G20-Gipfel hatte man den Eindruck die Europäer hätten sich mit den Vorschlägen von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy durchgesetzt. Auch die chinesischen Forderungen nach mehr Gewicht für die Schwellenländer auf Kosten der USA wurden erfüllt. Sind die Vereinigten Staaten in einer Phase der Schwäche oder setzt man bewusst auf internationale Kooperation und gleichberechtigte Partnerschaft?

Dr. Johannes Bohnen: Beim G20-Gipfel wurde ein klassischer Kompromiss erzielt, und Obama konnte das Konjunkturpaket vor heimischen Publikum als internationalen Erfolg präsentieren. Ich denke, Obama setzt bewusst auf Kooperation, ohne allerdings dabei den amerikanischen Führungsanspruch aufzugeben. Es war der Schwerpunkt seiner Europareise, das politische Kapital der Vereinigten Staaten und das Vertrauen in ihre Führungskraft wieder aufzubauen.

Die USA sind zwar aufgrund der Krise geschwächt, allerdings sind sie immernoch die größte Volkswirtschaft  und Militärmacht der Welt. Außerdem ist es ein sehr dynamisches Land mit der Fähigkeit sich permanent anzupassen und zu gestalten. Dank ihres grossen Optimismus sehen Amerikaner Krisen auch immer als Herausforderung an und können Reformen und Innovationen oft schneller umsetzen als wir in Europa.

FreieWelt.Net: Welche Wünsche haben Sie für eine zukünftige Politik Deutschlands gegenüber den USA? Wie muss sich die transatlantische Partnerschaft entwickeln?

Dr. Johannes Bohnen: Ich wünsche mir, dass Deutschland  sich stärker aussenpolitisch engagiert. Zusammen mit unseren europäischen Partnern sollten wir Washington neue Vorschläge zur gemeinsamen Lösung der wichtigsten internationalen Herausforderungen unterbreiten. Das ist konstruktiver als die US Politik zu kritisieren und die Unterstützung zu verweigern. Wir nehmen unsere gestalterischen Möglichkeiten immer noch nicht ausreichend wahr.

Damit Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen kann, muss die aussenpolitische Kultur Deutschlands allerdings gestärkt werden. Regierung und Parlament scheuen sich beispielsweise vor einem stärkeren Engagement in Afghanistan, weil die öffentliche Unterstützung für diese NATO Mission so gering ist. Wir brauchen daher mehr öffentliche Debatten über aussenpolitische Strategien, Interessen und Werte. Diese müssen auch mutiger als in der Vergangenheit geführt werden. übertriebene pazifistische Tendenzen lassen sich nur durch offensive Überzeugungsarbeit verändern. Es reicht nicht, wenn nur ein paar Dutzend Experten immer wieder die gleichen Argumente austauschen. Die Bürgergesellschaft sollte aktiv diskutieren. Unser NGO Atlantische Initiative e.V. hat das Motto "Aussenpolitik für alle" und mit unserem Think Tank atlantic-community.org leisten wir einen Beitrag zur Stärkung der aussenpolitischen Kultur. 

FreieWelt.Net: Wie funktioniert dieser virtuelle Think Tank?

Dr. Johannes Bohnen: Über 2.800 Bürger aus Europa und Nordamerika sind Mitglied von atlantic-community.org. Sie haben sich mit ihren spezifischen Profilen wie z.B. Interessenschwerpunkten registriert und diskutieren mit Hilfe von Web 2.0 Technologien über die transatlantische Agenda, die heutzutage global ist. Unsere Redaktion fertigt aus diesen Diskussionen dann Memoranden mit den besten Handlungsempfehlungen an, die wir an Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks schicken. Auf diese Weise erhalten ganz normale Bürger die Möglichkeit politischen Einfluss zu nehmen, wenn ihre Argumente Durchschlagskraft besitzen. Die Bündelung von Kollektiver Intelligenz im aussenpolitischem Bereich wird viele Nachahmer finden, wenn auch nicht unbedingt in dieser Form.

FreieWelt.Net: Gibt es erste Erfolge?

Dr. Johannes Bohnen: Immerhin werden wir mittlerweile von deutlich über 20.000 Nutzern im Monat gelesen und erreichen darüber hinaus ca. 150.000 Leser mit Teilen unserer Inhalte durch virales Marketing und Kooperationen. Innerhalb eines Jahres haben wir drei Auszeichnungen erhalten. U.a. sind wir ein offizieller „Ort im Land der Ideen“ geworden. Seit anderthalb Jahren veröffentlichen wir an jedem Werktag mindestens einen neuen Artikel auf der Website, der im Schnitt von sechs Mitgliedern kommentiert wird. Ende April stellen wir den Think Tank in Washington DC offiziell mit einer Veranstaltung vor. Unser gemeinnütziger Status ist dort mittlerweile anerkannt. Mein Partner Jan Kallmorgen und ich arbeiten ehrenamtlich.

Die Internetseiten atlantische-initiative.org

und atlantic-community.org

Foto: J. Bohnen/Atlantische Initiative e.V.

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