Quote auf dem Rücken Unschuldiger

Ins Rampenlicht gezerrt und vorgeführt

Wie der Medienanwalt Christian Schertz ausführt, hat die Zahl der Fälle, in denen Boulevardmedien Persönlichkeitsrechte verletzen, rapide zugenommen. Betroffene werden zu medialem Freiwild und leiden jahrelang. Obwohl einzelne Kritiker den Medien immer wieder Zynismus vorwerfen, die Betroffenen meist erfolgreich auf Schadensersatz klagen: die Gesellschaft hat sich längst an das mediale Mobbing gewöhnt.

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FreieWelt.net: Sie klagen bereits seit Jahren an: Medien und Journalisten dringen skrupellos in die Privatsphären ein, stellen Menschen bloß oder erfinden Storys, um die Auflagen zu steigern. Wie hat sich das Mediengeschäft in den letzten Jahren entwickelt? Was genau ist Rufmord, wann und wo beginnt er?

Thomas Schuler: Zuerst einmal ist Rufmord kein legales Mittel in der publizistischen Auseinandersetzung – und dennoch ist er medialer Alltag. Das Ergebnis: Angegriffene fühlen sich hilflos. Jedes Dementi wird benutzt, um erneut Gerüchte zu publizieren. Betroffene leiden oft jahrelang. Sie fühlen sich verfolgt, ohnmächtig. Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit agieren, werden ins Rampenlicht gezerrt und vorgeführt. Es gibt Journalisten, die tun so, als ob es völlig normal sei, dass Prominente über jede Facette ihres Lebens eine öffentliche Beichte abgeben müssen. Dabei wird nicht immer ganz klar, wer wen benutzt und wer von wem profitiert. Das ist ein perfides Spiel.

FreieWelt.net: In den Medienhauptstädten dieser Welt gilt Rufmord inzwischen als normales Geschäft. Auch in München, Hamburg oder Berlin?

Thomas Schuler: Er ist auch dort Teil des Geschäfts, er wird hin und wieder in Kauf genommen.

FreieWelt.net: „Es ist leichter für ein Kamel, durchs Nadelöhr zu kommen, als für einen Journalisten in den Himmel“ - so die Bischöfin Maria Jepsen in Hamburg. Als das gesagt wurde, war die Erfindung des Internets, der Blogs und der Twitter- und Facebookentwicklung lediglich zu erahnen. Ist der „journalistische Kannibalismus“, wie die Bischöfin diese „Berichterstattung“ nannte, heute, im digitalen Zeitalter, eher ausgestorben oder hat zugenommen?

Thomas Schuler: Weder noch. Es gab ihn immer und es wird ihn weiter geben. Er hat allerdings auch andere Formen angenommen, siehe etwa die Gerüchte über die Frau des ehemaligen Präsidenten, Bettina Wulff, die zunächst im Internet verbreitet wurden und in Andeutungen den Weg zu traditionellen Medien fanden.

FreieWelt.net: Die zentrale Frage: Den Betroffenen stehen Ansprüche auf Unterlassung, Gegendarstellung und Richtigstellung zur Verfügung. Auch sollten sich die Medien bewusst sein, dass die gedruckten Äußerungen bewiesen werden müssen. Aber – warum funktioniert das nicht? Warum gibt es immer wieder „Medienopfer“?

Thomas Schuler: Medienopfer wird es auch geben, wenn zu Recht über Missstände berichtet wird. Wer will entscheiden, wo die Grenzen verlaufen? Eben weil die Opfer Opfer sind und damit auf der schwächeren Seite stehen. Meist haben sie nicht das Geld, um gegen mächtige Unternehmen zu klagen. Schadensersatzansprüche sind über Zivilklagen zu regeln. Der Staat hält sich raus. Also ist es für Betroffene mühsam. Warum gibt es immer wieder Medienopfer? Die wird es geben solange es eine freie Presse gibt. Zynisch gesagt: sie sind das Abfallprodukt unserer freien Mediengesellschaft.

FreieWelt.net: Auch wenn, so schreiben Sie jedenfalls, die Selbstkontrolle der Medien nicht funktioniert, ist das Thema ein rein juristisches? Also höhere Strafen für Falschmeldungen der Boulevardpresse und alles wird gut? Oder ist das auch ein soziologisches Problem? Sind wir ein Volk von Soziopathen, die sich am Unglück anderer, in der Regel völlig unbekannter Menschen, erfreuen? Alles Voyeure?

Thomas Schuler: Selbstkontrolle zeigt ja, dass es kein rein juristisches Problem ist. Theoretisch wäre es denkbar, dass sich die Medien- oder Rundfunkaufsicht in den Ländern oder bei den Anstalten mit Beschwerden befasst. Hin und wieder geschieht das. Aber ich kann nicht erkennen, dass es dazu ernsthafte Versuche oder den politischen Willen gibt.

FreieWelt.net: In Ihrem Kapitel „Bayerns schwarze Schatten“ beschreiben Sie einige Rufmordkampagnen innerhalb und die CSU betreffend. Unter anderem wird hier auch der Verdacht wiederholt, dass Franz Josef Strauß an einem Dreifachmord zumindest tatbeteiligt gewesen sein soll: „Den gewaltigsten Rufmord, den Strauß und die CSU je erlebt hätten -, den gab es nicht.“ Warum nicht?

Thomas Schuler: Der Verdacht beruht lediglich auf einem Hinweis bzw. einer Anfrage eines Journalisten an die CSU, die ich im Nachlass von FJS fand. Ich bin dem Verdacht nachgegangen, habe die Akten des Falles ausfindig gemacht und ausgewertet. In diesen Akten fand sich kein Beleg für diesen Verdacht. Ich habe außerdem Zeitzeugen von damals befragt, auch daraus ergab sich kein Beleg. – Warum hat den Verdacht niemand gegen Strauß veröffentlicht? Wieso sollten Journalisten das tun? Da kann ich nur spekulieren. Die Journalisten, die damals recherchierten, haben vielleicht gemerkt, dass zu viel gegen eine Veröffentlichung spricht und sie keine ausreichenden Belege haben für diesen Vorwurf. Falls das zutrifft, dann wäre das ein Beispiel, wo Journalisten recherchiert haben, einen Verdacht prüften und dann aber nicht berichteten, also keinen Rufmord begingen. Also sollten wir froh sein, dass Journalisten in diesem Fall verantwortlich handelten, oder?

FreieWelt.net: Rufmord und die Boulevardpresse: Wo erhält man Hilfe, wenn man nicht gerade über einen entsprechenden Medienanwalt verfügt?

Thomas Schuler: Indem Opfer sich an Journalisten wenden und Missstände öffentlich machen. Das ist sicher nicht immer die beste Lösung, weil manche Opfer von Medien die Nase voll haben und ihr Vertrauen zu Journalisten gering ist. Im Buch nennen wir Möglichkeiten, etwa eine Veröffentlichung auf den Medienseiten der Presse, auf bildblog oder bei der NDR-Mediensendung Zapp. Möglich ist auch eine Beschwerde beim Presserat.

FreieWelt.net: Danke für das Gespräch.

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