Martin Kastler Mitglied des Europaparlamentes (CSU)

"In der Krise braucht Europa mehr, nicht weniger Bürgerbeteiligung!" - Interview mit Martin Kastler

Als einziges Mitglied der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament spricht sich der Nürnberger Europaabgeordnete Martin Kastler für den Vorschlag von CSU-Chef Seehofer aus, zu zentralen Fragen Europas in Deutschland Volksentscheide durchzuführen. Im Interview mit Freie Welt erläutert er, warum.

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Herr Kastler, Horst Seehofer hat mit seinem Vorstoß für Volksentscheide zu zentralen Fragen der Europapolitik für Wirbel in der CSU gesorgt. Eine dumme Frage zu Beginn: Warum stößt die Forderung nach Bürgerbeteiligung unter Demokraten auf Widerstand?

Kastler: Das müssen Sie diejenigen Kollegen Abgeordneten fragen, die sich gegen mehr direkte Bürgerbeteiligung wehren. Ich halte den Vorschlag, zu zentralen Fragen Europas Volksentscheide abzuhalten, für vollkommen richtig. Und er kommt zur rechten Zeit. Denn es geht bei der aktuellen Krise doch längst um mehr als nur den Euro. Europa steckt in einer Vertrauenskrise. Diese Vertrauenskrise hat auch die europäischen Institutionen und auch die europapolitischen Akteure erfasst. Das nun als ungerecht oder unvernünftig zu beklagen, wird weder zu einer Lösung noch zu mehr Vertrauen beitragen. Wir brauchen gerade in der Krise einen starken politischen Zusammenhalt zwischen den Bürgern Europas, ihren politischen Vertretern und den politischen Institutionen der Europäischen Union. In der Krise braucht Europa mehr, nicht weniger Bürgerbeteiligung! Volksentscheide sind dafür der richtige Weg.

Kritiker befürchten, dass bei Volksentscheiden über alles abgestimmt werde, nur nicht die Frage des Volksentscheids selbst.

Wir fordern mehr Vertrauen in Europa. Deshalb sollten wir unseren Bürgern auch mehr Vertrauen entgegenbringen und sie einzubeziehen – so wie es auch unser Grundgesetz in Artikel 20 vorsieht. Gerade die junge Generation wächst heute in einem Umfeld auf, das von Interaktion und Mitbestimmung geprägt ist. Da dürfen wir uns als Politik nicht ausnehmen, auch nicht mit noch so geistreichen Ausreden. Auch parlamentarische Macht braucht Kontrolle. Volksentscheide sind ein Weg, um Transparenz zu schaffen und eine stärkere Identifikation des Einzelnen mit Europa zu ermöglichen. Wir beschwören in vielen Reden den freien und verantwortungsbewussten Bürger. Ich setze auf diesen Bürger, auch und gerade bei Volksentscheiden.

Brauchte es erst eine Krise, um darauf zu kommen, für grundsätzliche Entscheidungen die Bürger direkt zu befragen?

Sie haben Recht. Vielleicht hätte man schon zur Einführung des Euro damit beginnen sollen. Seit ich politische Verantwortung trage, spreche ich mich für mehr direkte Demokratie in Deutschland und Europa aus. Volksabstimmungen sind ein wertvolles Instrument, um die Bürger in politische Entscheidungen einzubinden statt sie nur alle vier oder fünf Jahre an die Urnen zu bitten. Ich kann Ihre Frage verstehen. Es kann schon sein, dass manch anderem europapolitischen Akteur erst in diesen Monaten der Krise aufgegangen ist, wie weit sich das Berufseuropäertum in Brüssel von der Lebenswirklichkeit der Bürger in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entfernt hat.

Trifft das nicht auch auf Sie als Mitglied des Europäischen Parlaments zu?

Ich glaube nicht. Niemand in Brüssel oder Straßburg hat so viel Kontakt zu den Menschen in den verschiedenen Regionen Europas wie die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Es prägt das Selbstverständnis, wenn der Fixpunkt der eigenen Berufstätigkeit nicht Brüssel oder Straßburg, sondern die Anliegen der Menschen im anvertrauten Wahlbezirk sind. Europaabgeordnete fungieren sicherlich auch als Botschafter Europas in ihrer Heimat. In erster Linie aber sind sie Volksvertreter. Sie vertreten die Bürger ihrer Heimat bei den Institutionen der Europäischen Union in Brüssel und Straßburg. Das macht die Abgeordneten zu einem zentralen Bindeglied zwischen Europa-Politik und Europa-Bürgern. Deshalb ist meine feste Überzeugung: Direktere demokratische Legitimation europapolitischer Entscheidungen und mehr Nähe zum Bürger in der Europapolitik sind langfristig nur mit dem Europäischen Parlament machbar.

Eine solche direkte demokratische Legitimation der Europäischen Union sieht das Bundesverfassungsgericht aber gerade nicht gegeben. In ihrem Urteil zum Lissabon-Vertrag bemängeln die Richter eine fehlende zusammenhängende „europäische Öffentlichkeit“, ein bisher nur imaginär bestehendes „europäisches Volk“. Wird dieser Mangel je zu beheben sein?

Eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit muss wachsen und das braucht Zeit. Als Historiker warne ich davor, von den Menschen in Europa zu schnell zu viel zu erwarten. Und ich warne davor, das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum Hindernis für mehr Europa zu erklären. Ein starkes Europa braucht starke Nationen und – als CSU-Abgeordneter darf ich das hinzufügen – starke Regionen. Mittelfristig ist das Ziel der Europapolitik nicht die Auflösung der europäischen Nationen, sondern ihr starker und enger Zusammenschluss. Nur so können wir Grenzen überwinden ohne unsere Geschichte, unser Brauchtum, unsere Traditionen und unsere regionalen und nationalen Eigenheiten unbedacht über Bord zu werfen. Als Europaabgeordnete tragen wir schon heute mit unserer täglichen Arbeit zur politischen Willensbildung über die nationalen Grenzen hinaus bei. Ohne grenzüberschreitende politische Diskussionen wird es nie einen gemeinsamen europaweiten „Politik-Raum“ geben. Dazu gehören auch europaweit agierende Parteien oder Partei-Zusammenschlüsse. Vor diesem Hintergrund begrüße ich das Engagement der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel im Wahlkampf ihres französischen Parteigängers Nicolas Sarkozy.

Mit ihrer Online-Kampagne zum europaweiten Schutz des arbeitsfreien Sonntages haben Sie auch bereits Grenzen überschritten. Welche Erfahrungen machen Sie damit? Werden Sie als Pionier geschätzt oder als Nestbeschmutzer vergrätzt?

Es waren die Institutionen der Europäischen Union selbst, die mit dem Vertrag von Lissabon einen ersten mutigen Schritt in Richtung mehr direkte Demokratie getan haben, indem sie mit der Europäischen Bürgerinitiative erstmals ein plebiszitäres Instrument für Europa geschaffen haben. Mit meiner Online-Kampagne zum europaweiten Schutz des arbeitsfreien Sonntages will ich zum einen dafür sorgen, dass am Sonntag weiterhin Mama und Papa den Kindern gehören und zum anderen einen Beweis dafür liefern, dass wir uns vor mehr direkter Mitbestimmung der Bürger in Europa nicht fürchten müssen – im Gegenteil.

Herr Kastler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

 

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