Martin Hiemesch Gerechtigkeit für Familien

Familiengerechtigkeit ist ein Tabuthema - Interview mit Martin Hiemesch

Mit der Aktion „Gerechtigkeit für Familien“ setzt sich Martin Hiemesch seit vielen Jahren dafür ein, dass die finanziellen Lasten, die durch die Erziehung von Kindern entstehen, auf alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen und gerecht verteilt werden. FreieWelt.net sprach mit Hiemesch über die finanziellen Ungerechtigkeiten gegenüber Familien mit Kindern, über Möglichkeiten, diese zu beseitigen und seine Erfahrungen mit Politikern und Journalisten bei seinem Internetprojekt auf www.Gerechtigkeit-fuer-Familien.de.

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FreieWelt.net: Sie fordern finanzielle Gerechtigkeit für Familien mit Kindern. Inwiefern werden Eltern finanziell ungerecht behandelt?

Martin Hiemesch: Jeder Mensch ist für sein Überleben auf die nachwachsende Generation angewiesen. Solange man selbst als junger Mensch dieser nachwachsenden Generation angehört, ist das weniger ausgeprägt. Wenn man jedoch die Lebensmitte überschritten hat, sind es die jungen Menschen, die das Brot backen, den Strom produzieren, die Busse fahren, in den Banken dafür sorgen, dass das Ersparte zur Verfügung steht. Dabei ist es egal, ob diese jungen Menschen aus Deutschland, der Türkei oder aus China kommen. Man ist immer auf junge Menschen angewiesen. Wenn nun alle davon profitieren, dass es Kinder gibt, wäre es gerecht, wenn sich alle an den finanziellen Belastungen beteiligen, die es mit sich bringt, wenn man Kindern das Aufwachsen ermöglicht. Dass z.B. Schulen von der Gesellschaft finanziert und getragen werden, ist Ausdruck dieser Erkenntnis. Das Existenzminimum von Kindern wird jedoch nach wie vor von den Familien selbst finanziert. Der Staat erkennt im Steuerrecht an, dass den Eltern jedes Jahr 5808 Euro unabweisbare Kosten entstehen, um die bloße Existenz eines Kindes zu sichern. Es ist ungerecht, diese Kosten einseitig nur den Eltern aufzubürden, den finanziellen Nutzen in späteren Jahren hingegen auf die gesamte Gesellschaft zu verteilen. Derzeit hat ein durchschnittlich verdienendes kinderloses Paar im Vergleich zu einem Paar mit zwei Kindern bis zur Rente einen Vermögensvorteil von 1,3 Millionen Euro. Da Kinder mehr Geld als nur das Existenzminimum brauchen, ist der Unterschied in der Realität noch viel höher. Das ist ungerecht.

FreieWelt.net: Für Familien wird doch finanziell eine ganze Menge getan: Wir haben das Kindergeld bzw. den Kinderfreibetrag, das Elterngeld, die Kinderbetreuung wird vom Staat großzügig unterstützt...

Martin Hiemesch: Mit dem Kinderfreibetrag wird dafür gesorgt, dass die Kosten für das Existenzminimum von Kindern durch die Eltern nicht auch noch versteuert werden müssen. Das ist gerecht aber keine Förderung. Das Kindergeld wird mit diesem Kinderfreibetrag verrechnet und ist damit nur zu einem Teil echte Familienförderung. Das Elterngeld geht in die richtige Richtung, ist aber so konstruiert, dass davon solche Eltern profitieren, die vor der Geburt des Kindes gut verdient haben. Verdienen sie wenig oder bleiben sie – z.B. vor der Geburt des zweiten oder dritten Kindes für die Kinderbetreuung – zu Hause, so gehen sie leer aus. Die Großzügigkeit in der staatlichen Unterstützung von Kinderbetreuung ist mir bisher verborgen geblieben. Alle Maßnahmen sind im Grundsatz nicht schlecht. Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus. Ohne sie wäre die Lage lediglich noch weitaus ungerechter. Zuerst muss Gerechtigkeit in dem oben beschriebenen Sinn hergestellt werden. Danach kann man über darüber hinausgehende Familienförderung nachdenken.

FreieWelt.net: Was müsste sich Ihrer Meinung nach konkret ändern, um die Benachteiligung von Familien mit Kindern zu beseitigen?

Martin Hiemesch: Es darf, soweit es die Kosten für die Existenz von Kindern angeht, für niemanden in der Bevölkerung einen Unterschied machen, ob er Kinder hat oder nicht. Es geht mir nicht um den dritten Pelzmantel, den fünften PC oder um den Luxus-Animations-Urlaub für Kinder. Es geht schlicht um das staatlich definierte Existenzminimum. Um das umzusetzen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Einer wäre die sog. Grundsicherung für Kinder. Eltern bekommen jedes Jahr den vom Staat als für die Erhaltung der Existenz von Kindern unvermeidbar anerkannten Geldbetrag erstattet. Damit beteiligen sie sich selbst in demselben Ausmaß an diesen Kosten wie jeder Kinderlose. Ein anderer Weg wäre, die Rente an die Zahl der Kinder zu koppeln. Es gibt mehrere Wege zu demselben Ziel. Das auszugestalten ist Aufgabe der Politik. Das ist aber nur möglich, wenn zuvor in der Gesellschaft allgemein anerkannt ist, dass Kinder kein Privatvergnügen der Eltern sind sondern dass die Kosten dafür von allen getragen werden müssen. Da sehe ich derzeit das größte Problem.

FreieWelt.net: Auf Ihrer Internetseite (www.gerechtigkeit-fuer-familien.de) kann man sich per Mail direkt an die Bundes- und Landtagsabgeordneten wenden und diese zu einer Stellungnahme zu diesem Thema auffordern. Wie ist die bisherige Resonanz auf Ihre Aktion? Welche Reaktionen haben Sie von den angeschriebenen Politikern erhalten?

Martin Hiemesch:  Das ist inzwischen schon ein paar Jahre her. Damals haben 8 Prozent der angeschriebenen Politiker mit inhaltlichen Aussagen geantwortet. Die Reaktionen auf meine verschiedenen Thesen können Sie detailliert auf www.gerechtigkeit-fuer-familien.de/umfrage/auswertung/auswertung.htm nachlesen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass von 682 angeschriebenen Politikern nur eine einzige übrig bleibt, die die Notwendigkeit und die Möglichkeit sieht, die Lage der Familien durch eine gerechte Verteilung der finanziellen Lasten entscheidend zu verbessern. Die Reaktionen der anderen reichen von Ignorieren über Zerreden bis zur offenen Ablehnung. Auch wenn sich manche Politiker zu einzelnen Aspekten positiv äußern, so schafft es doch nur eine einzige Politikerin, die Benachteiligung, die Notwendigkeit der Abhilfe und die praktische Umsetzbarkeit anzuerkennen. Ein trauriges Bild!

Die Reaktion der Presse ist übrigens dieselbe. Ich habe über 200 Redaktionen angeschrieben. Daraus ist genau ein Interview geworden. Dieses hier ist das zweite. Das bestärkt mich in der Wahrnehmung, dass es nicht nur die Politiker sind, die das Thema ignorieren bzw. sogar bekämpfen, sondern dass das in der gesamten Gesellschaft ein Tabuthema ist. Bei Gesprächen in meinem privaten Umfeld bekomme ich regelmäßig vorgehalten, dass meine Kinder mein Privatvergnügen sind.

Wenn ich glaube, welche haben zu wollen, dann soll ich gefälligst auch dafür zahlen und die anderen (Kinderlosen) damit in Ruhe lassen. Familien sehen es nicht so krass, schämen sich aber fast durchgehend, mit ihrem Geld nicht oder nur unzureichend auszukommen und die anderen um Hilfe bitten zu müssen. Dass es hier nicht um Hilfe oder Almosen sondern um gezielte und vorsätzliche Benachteiligung sowie um Gerechtigkeit geht, dazu hat fast niemand einen inneren Zugang. Das zu ändern sehe ich als eine enorm wichtige Aufgabe an. Und hier kann auch jeder in seinem privaten Umfeld tätig werden, ohne sich mit der großen Politik anlegen zu müssen.

FreieWelt.net: Hat es in den vielen Jahren, die Sie sich schon um dieses Thema bemühen, von politischer Seite Ansätze in die richtige Richtung gegeben?

Martin Hiemesch: Ansätze gab es immer wieder. Leider ist es bei Ansätzen geblieben. Außerdem kamen die guten Ansätze, die an der Lage der Familien wirklich etwas ändern würden, immer nur von Randgruppen. Die werden entweder nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen oder, wenn es mal in den großen Parteien vorkommt, anscheinend von den mächtigeren Politikern mundtot gemacht. Statt dessen wird mit immensem publizistischen Aufwand eine Scheinlösung wie das Elterngeld präsentiert. Fragen Sie doch mal in Ihrem privaten Umkreis nach der Familienförderung. Ich bekomme dann zu hören, dass es doch jetzt das Elterngeld gibt. Die Familien haben das Gefühl, dass doch so viel für sie getan wurde und kommen vor lauter schlechtem Gewissen gar nicht auf die Idee, „noch mehr“ zu fordern. Kaum einer wagt es laut auszusprechen, dass von dem heutigen Elterngeld nur die profitieren, die schon vor dem ersten Kind gut verdient haben und außerdem zwischen zwei Kindern ebenfalls mindestens ein Jahr gut verdient haben. Wer wenig verdient und/oder nach dem ersten Kind zu Hause bleibt und vor dem zweiten Kind daher nichts verdient, der geht leer aus. Fatal ist, dass das unterschwellige Gefühl, dass Familien systematisch benachteiligt werden, bei den Familien und den aus ihnen hervorgehenden jungen Menschen trotz aller Schaumschlägerei unverändert bestehen bleibt und dazu führt, dass sich immer weniger junge Menschen trauen, dieses Risiko einzugehen und diese Belastungen auf sich zu nehmen. Dadurch sinkt das Verhältnis von Familien zu Kinderlosen immer weiter, die Benachteiligung wird immer krasser und die Existenz unserer Gesellschaft ernsthaft bedroht. Die Diskussion um den Fachkräftemangel wird zurzeit jeden Tag lauter. Alle Welt redet darüber, ob und wie viel Menschen wir aus dem Ausland „zukaufen“ müssen. Nirgends kann ich Diskussionen oder Ansätze erkennen, den eigenen Familien das Leben nicht länger gezielt schwer zu machen sondern sie gerecht zu behandeln oder sogar zu fördern und auf die Art Nachwuchs zu ermöglichen. Insofern vermisse ich gute und substantielle Ansätze bis heute.

Das Interview führte Kerstin Schneider

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Friedemann

Sehr Herr Hiemesch
ich stimme Ihrem Beitrag absolut zu, kann mir aber die Zahl 1,3 Millionen Euro für 2 Kinder nicht erklären. Könnten sie diese Zahl bitte einmal näher erläutern.

Gravatar: Dr. Dorothea Böhm

Familiäre Kindererziehung ist die einzige harte Arbeit, die gratis verrichtet wird und deren finanzielles Produkt vor allem anderen zugute kommt.

Gravatar: Gertrud Martin

Na ja, die eine Wahrheit hebelt die andere nicht aus! Während ich hier schreibe,höre ich nebenbei in den Nachrichten das durch Zahlen belegte Lamento über die künftig dramatisch schwindende Nachwuchsgeneration. Eine wesentliche weitere Begründung dafür ist die Art und Weise wie hierzulande mit den Müttern umgesprungen wird: nachdem die Frauen fast alle endlich begriffen haben, dass ihnen zuhause bei Herd und Kindern "die Decke auf den Kopf fällt" und dass eine "Nur"-Mutter keine Existenzberechtigung hat, dass eine Unterhaltsrechtsreform sie noch weiter als bisher ins Aus drängt, dass das sogenannte Elterngeld sich nicht an der an eigenen Kindern erbrachten Erziehungsleistung misst, sondern quasi ein Schadensersatz (Lohnersatzleistung) wegen Geburt eines Kindes ist, wären sie doch bescheuert, sich auf Kinder einzulassen. Hinder der Fassade des Geredes von Vereinbarkeit und familienfreundlichen Arbeitsplätzen verbirgt sich die schlichte Tatsache, dass ein Teil-Arbeitsplatz eben auch nur einen Teil-Lohn einbringt. Die Familienarbeit muss in der verbliebenen Teilzeit unentgeltlich geleistet werden, egal, ob von Mutter oder Vater. Neben dem Familien-Budget schwindet dadurch der Rentenanspruch. Die Kinder werden später vorzugsweise die Renten derer zu zahlen haben, die keine Ausfallzeiten wegen Kindererziehung hatten. Fazit: Eine Gesellschaft, die eigentlich keine Mütter will, wird auch keine Kinder haben!

Gravatar: Johannes Resch

Herr Hiemesch beschreibt die bestehenden Verhältnisse sehr wirklichkeitsnah. Eine wesentliche Ergänzung erscheint mir aber angezeigt:
Erst durch unser Sozialsystem und besonders seit der Rentenreform Adenauers 1957 wurde Kindererziehung zu einer Leistung für die Gesamtgesellschaft. Vorher blieb der „Ertrag“ der Investition in Kinder fast ausschließlich innerhalb der Familie in Form der Altersversorgung der Eltern. Wer keine Kinder hatte, musste fürs Alter selbst vorsorgen und damit einen vergleichbaren Verzicht leisten wie die Eltern. Erst Adenauers Rentenreform schanzte Kinderlosen einen größeren Anteil des Ertrags der Erziehungsleistung zu als den Eltern, während die Kosten bei den Eltern verblieben.

Diese Enteignung der Eltern hat der Familie die wirtschaftliche Lebensfähigkeit entzogen. Damit wurden auch die Grundlagen der Wertvorstellungen zerstört, die seit alters her bis dahin mit „Familie“ verbunden waren, auch wenn die ideellen Auswirkungen erst von der nachfolgenden Generation, also mit etwa 20-30-jähriger Verzögerung vollständig verinnerlicht wurden.

Heute wird die Zerstörung familiärer Wertvorstellungen oft „linken Ideologien“ angelastet. Übersehen wird dabei, dass diese Ideologien erst durch die von der Adenauer-Regierung eingeleitete Abwertung der Erziehungsleistung eine „Bestätigung“ fanden und erst damit Überzeugungskraft gewonnen haben.

Es bleibt, immer wieder zu betonen, dass zumindest in Deutschland die bereits weit fortgeschrittene Zerstörung der Institution Familie vor allem ein Ergebnis vorgeblich „konservativer“ und „christlicher“ Politik ist. Allerdings haben die „linken Ideologien“ davon profitiert.

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