Frits Bolkestein EU-Kommissar a.D.

Ex-EU-Kommissar Frits Bolkestein: „Being nice to each other“ ist zu wenig (III)

Ex-EU-Kommissar Frits Bolkestein erklärt im FreieWelt-Interview, warum die Europäische Union ihre Probleme nicht gelöst bekommt - und wie sie wieder handlungsfähig werden kann (Teil III)

Foto: Marcel Oosterwijk / flickr.com / CC BY-SA 2.0 (Ausschnitt)
Veröffentlicht:
von

Interview Teil III:  Zwölf Kommissare sind genug - Wie Brüssel die Gemeinschaftsaufgaben besser subsidiär erfüllen kann

Lesen Sie hier Teil I und hier Teil II des Interviews

FreieWelt.net: Zur Europäischen Union. In diesem Jahr kommt mit Kroatien ein weiteres Land dazu. Wenn man sich die Wirtschaftsdaten dieses Landes ansieht (hohe Arbeitslosenquoten etc.), dann stellt sich schon die Frage nach der „Beitrittsreife“ …

Bolkestein: Es begann mit Bulgarien und Rumänien. Sie wurden 2007 Mitglieder. Warum wurden sie 2007 Mitglieder? Weil es der Europäische Ministerrat so wollte. Das ist der Beweis dafür, dass der Ministerrat nicht weiß, wie Europa funktioniert. Sie verstehen nicht, was die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft sind. Sonst hätten sie nie beschlossen, 2007 Bulgarien und Rumänien aufzunehmen. Diese beiden Länder sind zehn Jahre zu früh Mitglied geworden, und dasselbe gilt leider auch für Kroatien. Und der Grund dafür ist, dass europäische Außenminister nicht mehr in der Lage sind, mit Ministern anderer Länder zu reden und ihnen direkt „Nein“ ins Gesicht zu sagen. Sie haben das zu sagen verlernt. Auswärtige Politik ist zu einer Übung im „Nett-sein-zu-Leuten“ geworden („Foreign affairs have become an exercise in being nice to people“).

FreieWelt.net: Nach den bisherigen Regeln müsste es jetzt für Kroatien einen weiteren Kommissar geben, das wären dann insgesamt 28 …

Bolkestein: Ich bin dagegen. Ich habe gesagt, zwölf Kommissare sind genug, um die europäische Kommission zu leiten. Was ich vorschlage ist Folgendes: Es gibt große und kleine Länder. Es gibt sechs große Länder, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen. Die großen Länder müssen alle ein permanentes Mitglied haben, insgesamt sechs von zwölf Kommissaren. Die anderen sechs müssen unter den kleineren Ländern verteilt werden. Dafür müssen geographische Gruppen gebildet werden. Also zum Beispiel ein Mitglied für Skandinavien und Baltikum, ein Mitglied für die Beneluxländer und so weiter. Und innerhalb der Benelux-Staaten sollte es rotieren, Holland, Belgien, Luxemburg und dann wieder von vorne. Wir haben Erfahrung mit solchen Systemen. Denken sie an den Internationalen Währungsfonds. Im IWF repräsentiert Holland nicht nur sich selbst, sondern auch einige früher zu Russland gehörige Staaten wie Kasachstan. Oder denken sie auch an den UN-Sicherheitsrat. Es gibt Beispiele für solche Differenzierungen zwischen großen und kleineren Ländern. Ich erkläre es am Beispiel der Europäische Investitionsbank: Hier gibt es einen Sitz für die Benelux-Staaten: Fünf Jahre hat ihn Holland inne, dann fünf Jahre Belgien, dann zwei Jahre Luxemburg. Ein ähnliches System sollte für die Europäische Union entwickelt werden. Man kann nicht erwarten, dass die EU funktioniert, wenn Luxemburg und Deutschland dasselbe Gewicht haben. Das ist lächerlich.

FreieWelt.net: Aber Deutschland könnte einen solchen Vorschlag nicht einbringen …

Bolkestein: Ein anderes Land muss das tun. Ich meine, die Niederlande sollten es tun. Die Niederlande sollten es zusammen mit Finnland, Dänemark, Österreich und anderen kleineren Ländern tun. Denn wir können nicht beschuldigt werden, unseren Vorteil zu suchen („feathering our own nest“). Das Problem ist folgendes: Derzeit gibt es zu viele Kommissare. Deshalb haben viele von ihnen wenig zu tun. Aber sie möchten alle berühmt werden. Wie können sie berühmt werden, wenn sie nichts zu tun haben? Sie entwickeln Initiativen, machen Pläne, die oft gegen das Prinzip der Subsidiarität verstoßen. Nehmen sie das Beispiel der Olivenölkaraffen auf Restaurantischen. Völlig lächerlich. Oder die Initiative, dass auch Väter Elternzeit nehmen müssen, wenn ihre Frau es tut. Das mag ja ein guter Vorschlag sein. Aber es nicht Sache der Kommission, das vorzuschreiben. Die Kommission macht immer wieder den folgenden Fehler: Wenn etwas Gutes zu tun ist, meinen sie, es sei ihre Aufgabe, das Gute zu tun. Aber es ist nur ihre Aufgabe, das zu tun, was untere Ebenen nicht mehr schaffen. Das bedeutet „Subsidiarität“.

FreieWelt.net: Könnte die häufige Missachtung des Subsidiaritätsprinzips vielleicht auch etwas mit einer französisch-zentralistischen Prägung der Kommission zu tun haben?

Bolkestein: Ja, das ist richtig. Die Europäische Kommission macht zu viel. („The European commission does too much“). Aber einem Politiker zu sagen, dass er weniger tun soll … Das können sie ihm zwar erzählen, aber es wird nichts ausrichten. Politiker denken, dass Aktivität dasselbe ist wie Handeln (“They think, that activity is the same as action”). Aber das ist nicht der Fall.

FreieWelt.net: Also Subsidiarität, das ist Ihre These, lässt sich nur verwirklichen, wenn es weniger Kommissare gibt, die mit ihren Aufgaben ausgelastet sind, die sich beschränken sollen auf …

Bolkestein: Die europäische Kommission hat drei Aufgaben:

Erstens internationale wirtschaftliche Probleme zu beseitigen, d. h. Blockaden, wirtschaftliche Obstruktion zwischen den Mitgliedsstaaten zu bekämpfen.

Zweitens „common problems“ (grenzübergreifende Probleme) zu bekämpfen, wie beispielsweise Frauenhandel oder Drogenhandel.

Drittens „economies of scale“ zu nutzen, wie die auswärtige Politik. Das hat zwar nicht so viel Erfolg, aber im Prinzip ist das eine Aufgabe, der die Europäische Kommission ihre Aufmerksamkeit widmen sollte.

FreieWelt.net: In Deutschland wünschen sich viele, auch ich, mehr gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union.

Bolkestein: Ob es um den Irakkrieg ging – Großbritannien war dafür, Deutschland und Frankreich dagegen; ob es um Libyen ging oder im Moment um Syrien – da ist nicht viel von einer europäischen Außenpolitik zu sehen. Ich bin da skeptisch, es gibt zu viel Nationalismus für eine wahre, europäische Außenpolitik.

FreieWelt.net: Neben dem Binnenmarkt und dem Euro ist der „Schengen-Raum“ das dritte große Projekt der Europäischen Union. In Deutschland gibt es in Großstädten Schwierigkeiten mit einer Armutsimmigration aus Südosteuropa. Der deutsche Innenminister Friedrich möchte deshalb die Freizügigkeit einschränken, konkret die Visafreiheit für Länder wie Serbien wieder aufheben.

Bolkestein: Friedrich hat Recht. Wir können nicht das Territorium der Europäischen Union ausdehnen und den Schengen-Raum so lassen, wie er ist - wenn man sieht, was in Griechenland passiert mit dem dauernden Einströmen von Menschen aus dem Mittleren Osten, die über die türkisch-griechische Grenze kommen. Wir können sie hier nicht herholen. Daher müssen wir tun, was Friedrich vorschlägt.

FreieWelt.net: Sollten wir etwa auch für Griechenland wieder eine Visa-Pflicht einführen?

Bolkestein: Wir können den dauernden Zustrom von Menschen aus dem Mittleren Osten nicht zulassen, sie müssen gestoppt werden.

FreieWelt.net: Warum?

Bolkestein: Weil das niederländische Volk sie nicht akzeptieren wird. Sehen sie was in Schweden passiert mit den Somaliern.

FreieWelt.net: Aber werden nicht Zuwanderer benötigt? In Deutschland wird viel vom Fachkräftemangel gesprochen …

Bolkestein: Nur wenn sie gut ausgebildet sind, nicht, wenn sie unausgebildet sind. Manche Zuwanderer sind gut qualifiziert, aber nicht alle. Und für Länder wie zum Beispiel Bulgarien ist es ein Problem, dass medizinisches Fachpersonal das Land verlassen will, um in Deutschland oder Großbritannien zu arbeiten. Das ist ein Brain Drain, der für Bulgarien sehr schlecht ist. Und das ist innerhalb Europas. Die Flüchtlinge in Griechenland kommen aber aus dem mittleren Osten.

FreieWelt.net: Sie meinen, dass die Integration dieser Flüchtlinge Gesellschaften wie die niederländische oder die deutsche überfordern könnte?

Bolkestein: Ja. Wir können das nicht verkraften.

Frits Bolkestein war in der Zeit der Präsidentschaft Romano Prodis (1999-2004) EU-Kommissar für Binnenmarkt, Steuern und Zollunion. In den Niederlanden war er über viele Jahre der führende Politiker der liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VDD). Seine Stellungnahmen finden Gehör, nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in der angelsächsischen Welt. FreieWelt.net besuchte ihn im Hochsommer in Amsterdam. Er empfängt den Besuch in seinem privaten Lesezimmer. Das Interieur ist schlicht, es besteht vor allem aus Bücherschränken – das Ambiente ist klassisch-bildungsbürgerlich. Dem Interviewer aus Deutschland begegnet Bolkestein freundlich-interessiert, auf seine Fragen antwortet er ohne Umschweife – klar, präzise und schnörkellos. Die Fragen in Deutsch – die Antworten sind aus dem Englischen übersetzt und von Prof. Bolkestein beglaubigt – mit englischem O-Ton zu einigen lapidaren Aussagen.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang