Dominik Geppert Professor an der Universität Bonn

»Eine extrem mutige und polarisierende Politikerin«

Interview mit Professor Dominik Geppert

Von 1979 bis 1990 war Margaret Thatcher britische Premierministerin. In dieser Zeit krempelte sie ihr Land um wie keiner ihrer Vorgänger. Das machte sie zu einer der bedeutendsten Politikerinnen des Jahrhunderts, zu einer Frau, die verehrt und gehasst wurde. FreieWelt.net sprach mit Dominik Geppert, dem Autor mehrerer Bücher über sie, über Thatchers Vermächtnis.

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FreieWelt.net: Margaret Thatcher war offensichtlich eine ganz außergewöhnlich Frau mit einer sehr starken Persönlichkeit. Gibt es Hinweise darauf, dass ihr Elternhaus oder andere prägende Erfahrungen in ihrer Kindheit oder Jugend sie dazu gemacht haben?

Dominik Geppert: Margaret Thatcher hat immer betont, wie wichtig die Erfahrungen im Krämerladen ihres Vaters für sie gewesen seien. Das habe sie die Tugenden von Selbstdisziplin, Fleiß und Sparsamkeit gelehrt. Wichtig war sicher auch ihr konfessioneller Hintergrund im Methodismus. Sie gehörte bis zu ihrer Heirat nicht der anglikanischen Staatskirche an, war damit im britischen Establishment eine Außenseiterin. Dieses Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, gegen überkommene und überlebte Traditionen ankämpfen zu müssen, war sicher eine der wichtigsten Prägungen für ihre Politik. Zugleich muss man aber auch sagen, dass nichts darauf hindeutet, dass sie ihrer Jugend in der mittelenglischen Provinz viele Tränen nachgeweint hätte. Nachdem sie ihre Geburtsstadt Grantham einmal in Richtung Oxford verlassen hatte, kehrte sie nur noch selten dorthin zurück. Sie war nicht nur eine Außenseiterin, sondern auch eine Aufsteigerin, die auf ihren Aufstieg stolz war.

FreieWelt.net: Thatcher kämpfte gegen die Gewerkschaften, verteidigte zäh die Interessen Großbritanniens in Europa und bot der Sowjetunion die Stirn. War sie eine »Kommunistenfresserin« und eine Europafeindin? Oder trügt das Bild?

Dominik Geppert: Eine Kommunistenfresserin war sie sicher insoweit, als sie den Kommunismus in der Sowjetunion und den Sozialismus im eigenen Lande lediglich für unterschiedlich stark negativ ausgeprägte Spielarten desselben Übels hielt, das es zu bekämpfen galt. Sie tendierte dazu, die Welt in Gut und Böse einzuteilen; das erleichterte ihr die Orientierung in unübersichtlichen Zeiten. Gleichzeitig aber war sie Pragmatikerin genug, um beispielsweise als eine der ersten auf Gorbatschow zu setzen. Das sei ein Kommunist, mit dem man ins Geschäft kommen könne, sagte sie nach der ersten Begegnung mit ihm.

In ihrer Europapolitik war Thatcher eine Verfechterin des Nationalstaatsprinzips. Sie hielt es mit de Gaulles Europa der Vaterländer. Alles andere hielt sie für unpraktikabel und potenziell gefährlich. Trotzdem war sie nicht durchgängig die Europafeindin, als die sie mitunter dargestellt wird. Man darf nicht vergessen, dass die britischen Konservativen über weite Strecken ihrer Amtszeit die europafreundlichere der beiden britischen Volksparteien waren. Thatcher selbst gehörte zu den Wegbereiterinnen des europäischen Binnenmarktes. Erst ihre Enttäuschung darüber, dass die Dynamik nicht auf den Freihandel beschränkt blieb, sondern zunehmend auch andere Bereiche, etwa den Sozialstaat, vor allem aber die Währung erfasste, führte zur Wendung gegen die europäische Integration.

FreieWelt.net: Soweit ich weiß, hat Thatcher die Wiedervereinigung Deutschlands nicht gutgeheißen. Sollten die Deutschen ihr deshalb grollen?

Dominik Geppert: Deutschland war so etwas wie Thatchers blinder Fleck. Sie war, wie gesagt, eine Verfechterin des Nationalstaatsprinzips und machte sich gerade mit Blick auf Ostmitteleuropa für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen stark. Zugleich aber war sie vom Zweiten Weltkrieg geprägt und hatte von daher ein, gelinde gesagt, negatives Deutschlandbild. Sie befürchtete, ein wiedervereinigtes Deutschland würde bald den Kontinent erneut dominieren. Deswegen versuchte sie die Wiedervereinigung zu verzögern, zu erschweren, wenn möglich zu hintertreiben. Zuerst versuchte sie es mit Hilfe der Amerikaner, später mit den Franzosen und den Russen. Das führte aber zu nichts, weil der amerikanische Präsident den deutschen Bundeskanzler unterstützte. Thatcher, Mitterrand und Gorbatschow konnten dagegen nichts ausrichten. Zum Schluss stand die Premierministerin ziemlich isoliert da. Nicht nur auf der internationalen Bühne, sondern auch in der eigenen Regierung. Das britische Außenministerium zum Beispiel hatte deutlich weniger Bedenken als 10 Downing Street.

FreieWelt.net: Kann man aus diesen – und anderen – einzelnen Entscheidungen eine Summe ziehen, die ihre Persönlichkeit oder ihr politisches Wirken zusammenfassend beschreibt?

Dominik Geppert: Sie war eine extrem mutige und zugleich extrem polarisierende Politikerin. Sie hatte als eine der ersten erkannt, dass die Verhältnisse in Großbritannien nicht nur kleinerer Schönheitskorrekturen bedurften, sondern eine grundsätzliche Umorientierung notwendig machten. Diese Umorientierung in der Wirtschaftspolitik, mit Abstrichen auch in der Sozialpolitik trieb sie entschieden, mitunter radikal voran. Einer Minderheit ging es nach ihrer Amtszeit schlechter als vorher, aber die Mehrheit der Briten profitierte davon.

FreieWelt.net: Ich habe in Erinnerung, dass Margaret Thatcher in Deutschland immer eine schlechte Presse hatte. Wurde ihr während ihrer Amtszeit durch die deutschen Medien Unrecht getan?

Dominik Geppert: Auch in Deutschland polarisierte Thatcher. Helmut Schmidt nannte sie ein Rhinozeros. Rudolf Augstein titulierte sie als selbstgerechte Hausfrau. Peter Glotz meinte, sie habe England zum Flugzeugträger der Japaner gemacht. Insgesamt dachte man in Deutschland lange Zeit, so eine Politikerin wie Thatcher hätten wir hierzulande zum Glück nicht nötig. Das änderte sich um die Jahrtausendwende, als die Zweifel am Modell Deutschland größer wurden. Zu dieser Zeit stieg die Wertschätzung für Thatcher zwischenzeitlich auch bei uns an. Mittlerweile tendieren wir wieder zu einem größeren Selbstbewusstsein und glauben, Thatcher habe gleichsam im Alleingang die Entindustrialisierung Großbritanniens betrieben und sei maßgeblich für das Übergewicht des Finanzdienstleistungssektors auf den britischen Inseln verantwortlich. Dabei hatte sie zu Börsen und Banken ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Sie weigerte sich lange Zeit, eine Kreditkarte zu benutzen, weil sie Leben auf Pump verabscheute. Gern zitierte sie ihren Vater, der Börsenspekulation als Zockerei abgelehnt hatte.

FreieWelt.net: Worin besteht rückblickend gesagt Thatchers größte politische Leistung? Wo ist sie gescheitert beziehungsweise wo hat sie nicht zum Besten gewirkt?

Dominik Geppert: Sie hat bewiesen, dass man mit starkem Willen den Kurs eines Landes ändern kann und dass Marktkräfte Erneuerungspotenzial freisetzen. Die Paradoxie von Thatchers Wirken besteht darin, dass die von ihr propagierte Vision einer moralisch erneuerten Nation hart arbeitender Sparer und eigenständiger Familien mithalf, kommerzialisierte und zur sozialen Atomisierung neigende Gesellschaften herbeizuführen, in denen Glücksspiel an der Börse prämiert wurde und private Haushalte Rekordschulden aufhäuften. Aber wenn man einen erfolgreichen Politiker daran erkennt, dass er seinen Nachfolgern andere Probleme hinterlässt als er selbst vorgefunden hat, dann war Margaret Thatcher eine sehr erfolgreiche Politikerin.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gladstone

Ist es nicht die Linke, die sich bis heute über Thatchers Verhältnis zu Pinochet aufregt, aber kein Problem mit Mao, der Sowjet- und der DDR-Diktatur hatte?

Gravatar: A.H.Dören

War es nicht Thatcher, die den katholisch-faschistischen Diktator Pinochet einen lupenreinen Demokraten nannte und Aufnahm, als dessen Schreckensherrschaft zerbrach und dieser keine Lust verspürte seine gerechte Strafe zu bekommen, aber zu feige war sich selbst zu richten? War es nicht Thatcher, die Anlass für den Comic "V for Vendetta" gab, die Idee Aids-Kranke in Lager zu internieren, geisterte durch Thatchers Partei. Die Komplexität der Welt durch einen simplen Dualismus zu ersetzen ist ein Zeichen von Feigheit, Dummheit und Ignoranz. Jemand, der zu diesen Mitteln greift, verdient nichts als Verachtung und keine euphemistische Verklärung dieser geistigen Barbarei und Beweihräucherung. Ist es nicht ein Zeichen von Verkommenheit und Verlogenheit gegen die SU zu hetzen und gleichzeitig mit Diktatoren zu paktieren und die Verbrechen dieser Barbaren unter den Teppich zu kehren, zu unterstützen und zu fördern? Es ist wider dem Liberalismus, dem Humanismus, der Vernunft und der Menschlichkeit, Barbarei, Unmenschlichkeit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ignorieren, solange eine Diktatur brav den Vasallen spielt und das passende Feindbild pflegt.

Gravatar: Michael Ragg

Grüß Gott, Herr Gehlen,

Sie haben ganz recht: Mit Appeasement ist den Christen nicht geholfen und Christen müssen wieder lernen, dass "gesunde Härte" im Christentum durchaus ihren Platz hat (vgl. Joh 2, 13-22).

Beim Kongress von KIRCHE IN NOT habe ich - unter Polizeischutz und falschem Namen - muslimische Konvertiten sprechen lassen. Dazu braucht man heute schon Mut - mitten in Deutschland ...

Gruß Michael Ragg

Gravatar: Lars-Michael Lehmann

Danke für diesen Beitrag! Es spricht mir aus den Herzen...

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