Paula von Ketteler Projekt 1000plus

"Die meisten Frauen wollen ihr Kind" - Interview mit Paula von Ketteler

Das Projekt "1000plus" hat sich zum Ziel gesetzt, ein Netzwerk aufzubauen, um ungewollt oder ungeplant schwangere Frauen im Konflikt zu beraten.  "Hilfe statt Abtreibung" ist dabei das wichtigste Motto der Initiatoren.  FreieWelt.net sprach mit der für die Informationsarbeit des Projekts zuständigen Diplom-Theologin Paula von Ketteler.

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FreieWelt.net: Was ist 1000plus?

Paula von Ketteler: 1000plus ist ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Schwangerschaftskonfliktberatungen Pro Femina e.V. und Die BIRKE e.V. sowie der STIFTUNG JA ZUM LEBEN, die sich dem Schutz des ungeborenen Lebens verschrieben hat. Gemeinsam wollen wir durch Kooperationen zwischen bereits bestehenden Beratungsstellen und den Aufbau von neuen Beratungsstellen ein deutschlandweites Netzwerk der Beratung und Hilfe für Schwangere in Not aufbauen – ohne Scheinausstellung. Wir wollen jährlich 1000 und mehr Schwangere beraten können. Deswegen heißt das Projekt 1000plus.

FreieWel.net: Wie entstand die Idee zu 1000plus?

Paula von Ketteler: Die Idee zu 1000plus entstand eigentlich aus der Not heraus. Und zwar, weil zu viele Schwangere im Konflikt, d.h. Frauen mit einem dringenden Abtreibungswunsch, bei uns anrufen und von uns beraten werden wollen. Und das, obwohl wir aus Überzeugung keine Scheine ausstellen. Wir haben dieses Projekt entworfen, um allen Schwangeren helfen zu können, die sich bei uns melden.

Wir könnten natürlich einfach auf dem Niveau stehen bleiben, auf dem wir zur Zeit sind. Aber wenn Sie auf der einen Seite sehen, dass die Mehrheit der Schwangeren nach unserer Beratung und Hilfe ihren Abtreibungswunsch fallenlassen, und auf der anderen Seite jedes Jahr weit über 100.000 Abtreibungen vollzogen werden, dann können Sie die Hände nicht in den Schoß legen. Die massenhaften Abtreibungen in Deutschland sind ein Phänomen der massenhaften unterlassenen Hilfeleistung. Das wollen wir ändern, soweit es in unserer Macht steht.

FreieWelt.net: Was für Hilfestellungen benötigen ungewollt oder ungeplant schwangere Frauen in erster Linie?

Paula von Ketteler: Zuallererst braucht eine Frau im Schwangerschaftskonflikt jemanden, der ihr wirklich beisteht. Häufig hat sie in ihrem persönlichen Umfeld niemanden, mit dem sie über ihre überraschende Schwangerschaft reden könnte. Oder sie wird von ihrem Partner so massiv unter Druck gesetzt, dass sie gegen ihren ausdrücklichen Willen einen Abtreibungstermin vereinbart – und auch hingeht. Das erleben wir tagtäglich. Das, was eine Frau in dieser Situation braucht, ist jemand, der ihr in stundenlangen Gesprächen zuhört. Jemand, der sie fragt, was sie wirklich will. Jemand, der mit ihr nach Lösungen für die vielen Probleme sucht, der an ihre Kraft glaubt und ihr hilft, diese Kraft zu mobilisieren. Das nennen wir Beratung und das zieht sich oft über mehrere Wochen. Auch wenn es absurd klingt: Die meisten Frauen wollen ihr Kind. Aber sie wissen nicht, wie es gehen soll. Deshalb brauchen sie jemanden an ihrer Seite, der ihren Kampf mitkämpft.

FreieWelt.net:  Welche Probleme sind dann in dieser Beratung konkret zu lösen?

Paula von Ketteler: Oft ist die Schwangere unter einem ganzen Berg von Problemen begraben, wegen derer sie keinen Ausweg für ein Leben mit ihrem Kind sieht. Deshalb ist es wichtig, für diese Probleme Lösungen zu finden. Vorher ist die Frau gar nicht in der Lage, sich für ihr Baby zu entscheiden. Hier geht es auf der einen Seite um ganz alltäglichen Erfindungsreichtum und Organisationstalent, z.B. wenn es darum geht, einer jungen Mutter durch die Vermittlung eines Kindermädchens den Abschluss ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Oder es geht um die schnelle Zusage von finanzieller Unterstützung, wenn die staatlichen Hilfen nicht ausreichen, wenn aufgrund der Schwangerschaft die Arbeitslosigkeit droht oder die Eltern bei der kaum volljährigen Tochter den Geldhahn zudrehen. Diese können wir nur durch die Großzügigkeit unserer Spender so unbürokratisch leisten – da, wo es nötig ist.
Manchmal kommt es auch vor, dass wir lange nach der Geburt des Kindes wieder zur Hilfe gerufen werden, sei es aufgrund eines eskalierenden Beziehungskonfliktes oder einer neu eintretenden finanziellen Notlage. Wir lassen keine Frau im Stich, für die wir einmal Verantwortung übernommen haben. Erfahrungsgemäß schaffen es diese Mütter aber durch unseren „Anschub“, ihr Leben mutig selbst in die Hand zu nehmen und schicken uns dann regelmäßig fröhliche Grüße und Kinderfotos.

FreieWelt.net: Welche Rolle spielen persönliche Hintergründe, zum Beispiel Religion, Familienstand und kulturelle Prägung, bei der Entscheidung der Frauen?

Paula von Ketteler: Von den persönlichen Hintergründen, die Sie genannt haben: leider eine viel zu geringe Rolle. Wir haben oft Frauen in unserer Beratung, die uns sagen: „Ich bin Christin und ich war immer gegen Abtreibung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal tun muss. Aber jetzt habe ich keine andere Wahl.“ Das zeigt: Die Gründe für einen Abtreibungswunsch sind so massiv, dass sie alle anderen Überzeugungen überdecken. Deshalb geht es in der Beratung zuallererst darum, eine echte Lösung für diese Probleme zu finden. Ethische Diskussionen führen wir nicht.

Religiöse oder ethische Überzeugungen spielen meist mehr bei den Personen aus dem Umfeld der Schwangeren eine Rolle. Und hier zeigt sich tatsächlich, dass viele Menschen einfach keine Meinung zum Thema Abtreibung haben. Das führt dann zu „pragmatischen“ Entscheidungen, die an den eigentlichen Bedürfnissen der Schwangeren vollkommen vorbei gehen und sie unter Druck setzen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Eltern es herzensgut meinen, wenn sie zu ihrer Tochter sagen: „Mach Dir doch nicht Dein Leben kaputt!“ Wir wissen aber aus unserer Beratung unendlich viele Geschichten zu erzählen, dass gerade die Entscheidung für das Kind so manchen verkorksten Lebenslauf endlich auf die richtige Bahn gebracht hat.

FreieWelt.net:  Was sind denn dann die Gründe, die eine Frau für eine Abtreibung anführt?

Paula von Ketteler: Die Gründe für eine Abtreibung setzen sich aus vielen Aspekten der aktuellen Lebenssituation zusammen und sind immer wieder unterschiedlich. Schauen Sie in die Abtreibungsstatistik des Bundesamtes, da sehen Sie: 60% der Frauen, die abtreiben, haben schon mindestens ein Kind. Das gleiche Bild haben wir in unserer Beratung. Viele Frauen sind verheiratet, manche sind frisch liiert, die eine steht vor dem Abitur, bei der anderen sind gerade alle Kinder aus dem Haus. So gesehen sind es immer die persönlichen Hintergründe, die zu einem Abtreibungswunsch führen. Keine Frau treibt ab, weil sie meint, es handele sich bis zur 12. Woche nur um einen Zellhaufen. Sie rechtfertigt sich höchstens damit. Im Innersten leidet sie aber tiefe Trauer um ihr Baby.

FreieWelt.net: Wie ist die bisherige Resonanz?

Paula von Ketteler: Wenn Sie die Resonanz der ungewollt Schwangeren meinen, die bei uns anrufen, so kann ich Ihnen sagen: Sie rennen uns die Bude ein. Durch die Internetarbeit von Pro Femina haben sich die Nachfragen in den letzten drei Jahren verfünffacht. Im vergangenen Jahr haben sich 277 Frauen bei uns gemeldet, die in Not waren und eine Abtreibung zumindest in Erwägung zogen – wenn sie nicht sogar schon den Termin in der Tasche hatten. In diesem Jahr waren es bis Ende September bereits 424 Frauen. Über das Internet knüpfen wir allerdings noch viele weitere Kontakte, die sich teilweise gar nicht eindeutig zählen lassen. Wir wissen nicht, wer die öffentlichen Postings unserer Beraterinnen in den einschlägigen Online-Foren liest. Was wir wissen, ist, dass diese Seiten fast ausschließlich von Schwangeren im Konflikt besucht werden.

Aber die Schwangeren sind ja nicht unsere einzige Zielgruppe. Wir wenden uns auch an viele ehrenamtliche Helfer, die wir Botschafter nennen, und an Spender, die unsere Arbeit zu 100% finanzieren. Unter diesen findet sich ein besonders hoher Prozentsatz von jungen Frauen, die selbst schon einmal ungewollt schwanger waren. Die vehemente Unterstützung durch diese „Expertinnen“ zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

FreieWelt.net: Wie soll 1000plus sich in Zukunft entwickeln?

Paula von Ketteler: Zur Zeit suchen wir dringend weitere Beratungspartner, die wir den Schwangeren als konkrete Beratungsstelle vermitteln können, wenn sie über das Internet zu Pro Femina kommen. Wir stehen hier aktuell in mehreren Gesprächen und hoffen auf den baldigen Abschluss von Kooperationsverträgen. Darüber hinaus plant Pro Femina im nächsten Jahr den Aufbau einer eigenen Beratungsstelle in Dresden. Wir bereiten derzeit eine umfangreiche Spendenkampagne vor Ort vor, um den Aufbau dieser Beratungsstelle, die Gehälter der Mitarbeiter und die zu erwartenden Hilfeleistungen für die Schwangeren zu finanzieren.

www.1000plus.de

Spendenkonto

Pro Femina e.V.

Konto 88 514 00

BLZ 700 205 00

Sozialbank München

Stichwort 1000 plus

 

Das Interview führte Fabian Heinzel

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Meike

@ Ursula: ohne mit Dir streiten zu wollen, ist die Aussageform " ihr Kind" gleichzeitig ein Zeichen das bereits eine Bindung entstanden ist, was für den weiteren weg mit "ihrem Kind " sehr wichtig ist.
Denn aus einem Kind wird " ihr Kind ".
Der Inhalt dieses Interview ist aber noch wichtiger als die Aufschlüsselung von " ihr " und " ein Kind "

Gravatar: Ursula

Korrektur: Es muss nicht heißen: "Die meisten Frauen wollen ihr Kind ..."

sondern doch wohl:

Die meisten (besser viele) Frauen wollen EIN Kind!!

Gravatar: Redaktion

@Susanne: Der Verein Pro Femina und die Initiative 1000plus gehören nicht zu uns.

Gravatar: Susanne

Statt einer Vielzahl von Vereinen und Stiftungen, bei denen niemand mehr durchblickt, wie sie miteinander zusammenhängen, wäre es für Spender transparenter und wirtschaftlicher die Strukturen zusammenzulegen.

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