Interview mit Nikolai Barekov

»Die EU muss aufhören, Lehrer zu spielen«

Mit seiner BBZ hat Nikolai Barekov die Herzen der Bulgaren erobert. Im Interview erklärt er, wie er die Probleme des Balkanlandes lösen will. Auf EU-Ebene strebt er eine stabile Energieversorgung an.

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FreieWelt.net: Sie haben Anfang 2014 eine neue Partei gegründet, die relativ schnell Zuspruch bei den Wählern bekommen hat. Was waren Ihre Motive, eine neue Partei zu gründen?

Nikolai Barekov: In Bulgarien hat keine andere Partei in nur drei Monaten so große Erfolge erzielt wie »Bulgarien ohne Zensur« (BBZ). Wir gründeten die BBZ im Januar 2014, registrierten sie im März 2014, im Mai hatten wir Europadelegierte und im Oktober eine parlamentarische Gruppe im bulgarischen Parlament. Ich selbst wurde in die Fraktion Europäische Konservative und Reformisten des Europäischen Parlaments aufgenommen und in ihre Leitung gewählt.

Wir gründeten BBZ, weil Bulgarien einen Wandel braucht. Die Stimmung in der Gesellschaft befürwortete einen Wandel des politischen Modells, und dazu bedurfte es einer neuen politischen Formation. Das Problem ist, dass die bulgarische Wirtschaft in den letzten zwei Jahren kollabiert ist. Die Menschen sind arm, demotiviert. Es gibt eine totale Abwertung politischer Ideen. Die Bulgaren lehnen Politiker als positive Helden massiv ab. Sie glauben, die Politik diene der persönlichen Bereicherung, und in der Praxis zeigt sich diese Skepsis der Wähler in den Ergebnissen aller politischen Gruppen bei den Parlamentswahlen. Es gibt keine Partei, die mit ihrem erzielten Wahlergebnis zufrieden ist.

FreieWelt.net: Der Name »Bulgarien ohne Zensur« ist ungewöhnlich, wie ich finde. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Nikolai Barekov: Ich bin ehemaliger Journalist und halte Zensur für schädlich. Es geht um Zensur in allen Erscheinungsformen. Zensur gibt es selbst bei der sozialen Diskriminierung. Wir von der BBZ wollen ein neues Modell für den Umgang von Politikern und Bürgern schaffen, bei dem die Politiker für die Bürger arbeiten, ihre Probleme kennen und sie administrativ lösen.

FreieWelt.net: Wo würden Sie sich im bulgarischen Parteienspektrum verorten? Sind Sie links, rechts, …?

Nikolai Barekov: Wir sind eine Zentrumsformation mit bekannten liberalen Anschauungen, was die Wirtschaft betrifft, jedoch konservativer bei den familiären Traditionen. In Bulgarien gibt es kein politisches Zentrum. Es gibt eine ethnische Partei, die DPS, die hauptsächlich die Stimmen der Türken und Roma auf sich vereint und bisher eine ausgleichende Rolle im bulgarischen Parlament innehatte. Wir bilden ein ausgleichendes Zentrum. Wir besitzen die Unterstützung der Wähler sowohl großer als auch kleiner Städte und verschiedener Ethnien, weil wir eine tolerante Formation sind und die Menschen nicht trennen.

Ich selbst bin gemäßigter Euroskeptiker und wünsche mir Reformen im Europäischen Parlament und in der Europäischen Union. Ich glaube an ein vereintes Europa, halte das Modell jedoch für zu schwerfällig und verbesserungsbedürftig. Der Standard aller Mitgliedstaaten der EU muss angeglichen werden.

»Europa muss mehr tun als tadeln und berichten«

FreieWelt.net: Im Europäischen Parlament haben Sie sich der Fraktion der Konservativen und Reformisten angeschlossen. Was wollen Sie in Brüssel und Straßburg erreichen?

Nikolai Barekov: Es ist sehr schwierig, denn wir sind praktisch in der Opposition, doch wir versuchen unsere Vision und Konzeption für Reformen bei den Abstimmungen im Plenum einzubringen. Ich bin auch in der Fachkommission für Umwelt, Klimawandel und Energie politisch aktiv, außerdem bin ich Mitglied der Freundschaftsgruppe EU-Aserbaidschan sowie in Energieprojekte des Europaparlaments eingebunden. An der Unterzeichnung eines Handelsabkommens mit den USA arbeite ich aktiv mit.

Ich bin der Ansicht, dass Europa hinsichtlich Ölschiefergas und genetisch veränderten Organismen besonders aufmerksam und wachsam sein muss. Meine Bemühungen richten sich auf die Vermeidung einer energetischen Abhängigkeit Europas und Bulgariens von Russland. Für Europa mag sie nicht allzu groß sein, für Bulgarien jedoch sehr. Nach europäischen Vorgaben soll nicht mehr als ein Viertel der Rohstoffe Erdgas oder Erdöl aus einem Land stammen. Bei uns liegt der Anteil Russlands am Gasmarkt bei über 99 Prozent. Für mich bedeutet die Unterzeichnung der internationalen Vereinbarung mit dem Iran zum Atomprogramm eine grundlegende Möglichkeit für Bulgarien und Europa, neue Erdgasquellen zu erschließen. Ich glaube, wir können im Nahen Osten seriöse Partner finden, mit deren Hilfe wir meiner Heimat helfen können, der Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu entkommen.

FreieWelt.net: Es gibt Stimmen, die sagen, dass Bulgarien noch nicht reif für einen EU-Beitritt war. Seitdem wird auch nicht mehr reformiert. Kann die EU beim Reformprozess und beim Kampf gegen die Korruption in irgendeiner Weise behilflich sein, oder werden mit EU-Mitteln lediglich korrupte Eliten weiter gefüttert?

Nikolai Barekov: Die Europäische Union muss aufhören, sich selbst als Lehrerin zu betrachten, die mit dem Finger auf unfolgsame Schüler wie Bulgarien zeigt. Ja, wir wurden unvorbereitet aufgenommen, nicht weil wir arm sind, sondern weil es keine Reformen in den Schlüsselsektoren gab. Bei uns muss es in vielen Bereichen Reformen geben – Gesundheitsversorgung, Energie, Justiz ... Bisher ist Europa nur mit dem Verfassen von Berichten und Tadeln beschäftigt. Das hilft offenbar nicht.

Bulgarien fehlt es grundlegend an fähigen und kompetenten Politikern. Ich kann ein Beispiel aus der neuen Regierung nennen – zwei Drittel der ihr angehörenden Politiker können keine grundlegenden Fachkenntnisse für die ihnen übertragenen Aufgaben vorweisen. Vielleicht interessiert es die deutschen Leser zum Verständnis, dass der Wirtschaftsminister Bulgariens – man mag es kaum glauben – keine ökonomische Ausbildung hat. Man berief ihn auf diesen Posten nur, weil er gern Minister werden wollte und in einem der größten bulgarischen Fernsehsender als Motiv für seinen Wunsch die Tatsache nannte, seine frühere Schwiegermutter habe vor 20 Jahren in diesem Ministerium gearbeitet, weshalb er sich ihm verbunden fühle.

Nichtvorhandene Kompetenz ist für uns ein großes Problem! Das wäre mein Rat an den Premierminister Bojko Borisov – die Auswahl fähigen Personals. Stattdessen zieht er es aber vor, Regierung und Führungskoalition mit einer xenophoben Partei wie der NFSB zu bilden. Sie wurde bekannt durch die Gründung von »Ataka«, und in der letzten Zeit verursachte ihr Bündnis mit der VMRO einen internationalen Skandal durch die Forderung, der Regierung dürften nur Personen mit bulgarischen Namen angehören. Sie möchten den Stellvertreter des Verteidigungsministers absetzen, nur weil er einen türkischen Namen trägt, ungeachtet dessen, dass er Dozent für Militärwesen ist und zwei Diplome als Magister für militärische Fragen besitzt.

FreieWelt.net: Bulgarien wurde vor wenigen Wochen von einer schweren Bankenkrise heimgesucht, die vermutlich noch nicht zu Ende ist. Was ist die Ursache für diese Krise, wo liegt die Lösung?

Nikolai Barekov: In Bulgarien gibt es Reformen weder im Gesundheitswesen noch in der Bildung, der Justiz oder im Bankensektor. Wir haben geglaubt, durch den Währungsrat wäre zumindest der Bankensektor stabil, doch wie sich gezeigt hat, ist der Controller BNB kein von den europäischen Direktiven unabhängiges Organ. Er handelte käuflich und arglistig und ließ zu, dass eine bulgarische Bank von ihren eigenen Aktionären ausgesaugt werden konnte. Das ist absolut unzulässig, und ich empfehle die Einbeziehung der Staatsanwaltschaft, denn im Falle der KTB handelte es sich nicht um einen Fehler, sondern um kriminelles Handeln sowohl in der Bank als auch beim Controller.

FreieWelt.net: Mit dem Beitritt zur EU hat sich Bulgarien verpflichtet, den Euro einzuführen. Wann wird das sein und was versprechen Sie sich davon?

Nikolai Barekov: Bulgarien ist zur Einführung des Euro nicht bereit. Unser Land braucht Reformen, und erst wenn diese umgesetzt sind, können wir uns erlauben, eine gemeinsame europäische Währung einzuführen.

»Deutschland ist ein erstrangiger Partner Bulgariens«

FreieWelt.net: Welche Position vertreten Sie im aktuellen Streit zwischen der EU und Russland?

Nikolai Barekov: Ich bin ein Verteidiger der europäischen Werte. Ich denke, der Präsident Russlands, Vladimir Putin, führt Russland in eine schlechte Zukunft. Die Welt liebt das Berechenbare, und Herr Putin hat nicht gezeigt, dass er ein berechenbarer Politiker ist. Politik ist in hohem Maße Diplomatie und Zukunftsvision.

Wir sind nicht sicher, was Herr Putin in einem Monat tun wird, wir kennen seine langfristigen Pläne nicht. Ich erinnere daran, dass Russland ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist. Wir haben die Situation, dass ein Staat, der Mitglied des UNO-Sicherheitsrates ist, einen anderen Staat annektiert und sich so selbst kaltstellt. Das ist ein rechtliches Absurdum, in das Putin sein Land geführt hat. Ich mag Putin als Politiker deshalb nicht, weil er die Bodenschätze seines Staates dazu nutzt, andere Völker in Abhängigkeit zu halten, und das Geld aus dem Verkauf dieser Ressourcen kommt nicht dem russischen Volk, sondern nur geneigten Oligarchen zugute.

Russland ist ein wichtiger Partner für Bulgarien, doch es muss begreifen, dass wir ein gleichberechtigter Partner sind. Bulgarien ist Teil einer größeren Gemeinschaft, der Europäischen Union, mit einer halben Milliarde europäischer Bürger. Russland muss sich mit der EU arrangieren. Es ist eine gute Sache, dass die EU, wenn auch spät, eine einheitliche Position gegenüber Russland eingenommen hat. Für uns ist Russland ein Partner, doch es muss verstehen, dass eine gegenseitig nützliche Zusammenarbeit für beide Seiten besser ist.

FreieWelt.net: Gerade eben hat sich eine neue Regierung in Bulgarien gebildet. Das verleiht dem Land eine gewisse Stabilität. Wenn aber die Regierung scheitert, könnte es Neuwahlen geben. Haben Sie Ambitionen, ins bulgarische Parlament einzuziehen?

Nikolai Barekov: Meine Partei ist im bulgarischen Parlament. Ich denke, die Regierung könnte stabiler sein, wenn es eine Mitte-Rechts- oder Mitte-Links-Regierung wäre. Jetzt gehören ihr eine linke prorussische Partei – die des früheren Präsidenten Georgi Parvanov – und eine fremdenfeindliche Formation – die Patriotische Front – an. Premier Boijko Borisov steht nun vor dem großen Problem, seinen europäischen Partnern erklären zu müssen, wie er mit Unterstützung einer Formation auf europäische Weise regieren will, die Minister nur wegen ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit angreift. Er muss auch erklären, wie die prorussische Partei von Georgi Parvanov, auf deren Unterstützung er angewiesen ist, den Interessen der EU gegenüber loyal sein kann, wenn sie vom Kreml dirigiert wird.

FreieWelt.net: Was sind, allgemein gefragt, Ihre Vorschläge, mit denen Sie auf nationaler Ebene um Stimmen werben?

Nikolai Barekov: BBZ strebt zwei Dinge an: wirtschaftliches Wachstum und Reformen in Bulgarien. So können neue Arbeitsplätze geschaffen werden, und aus dem bulgarischen Volk werden nicht mehr die meisten Emigranten der Europäischen Union kommen. Dies ist mein Ziel, und ich denke, genau mit dieser Botschaft haben wir die Wähler erreicht und in nur drei Monaten die Stimmen einer halben Million Bulgaren in zwei aufeinanderfolgenden Wahlen gewonnen.

FreieWelt.net: Wie beurteilen Sie die Rolle Deutschlands in der EU?

Nikolai Barekov: Deutschland ist ein erstrangiger Partner Bulgariens im Rahmen der Europäischen Union. Der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft können als Beispiel für die bulgarischen Politiker dienen. Unser Wunsch an die EU ist jedoch, sie möge gerechter sein und allen Staaten den gleichen Zugang zu ihren Märkten und Ressourcen gewähren. Daher trete ich für Reformen in der EU ein. Gegenwärtig scheint Deutschland die EU zu dominieren. Meiner Meinung nach sollte es mehr die Partnerschaft mit der EU suchen und weniger als Leader und Mentor auftreten.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

Nikolai Barekov wurde in Plovdiv geboren. Er studierte Bulgarische Philologie mit der Spezialisierung Fernsehjournalismus. Sieben Jahre lang war er das Gesicht der Morgensendung bei bTV, einem der größten bulgarischen Fernsehsender (2003-2010). Im Jahre 2010 wurde er Direktor für Nachrichten und Aktuelles beim neuen nationalen Fernsehsender TV7, später Geschäftsführer der drei Sender TV7, News7 und Super7. Er spezialisierte sich in England und den USA. Er ist Vorsitzender der Partei »Bulgarien ohne Zensur« (BBZ), Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied des Vorstands der Fraktion Europäische Konservative und Reformisten im Europäischen Parlament.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Die EU kann ruhig Lehrer spielen wenn sie sich die Zeit nehmen kann.
Wichtig ist das die Schüler ihr eigenes Ding machen.

Gravatar: kiril

glauben sie diese mann keine wort

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