Prof. Dr. Norbert Berthold Volkswirt in Würzburg

Der ESM ist alles andere als alternativlos

Der Würzburger Volkswirt Prof. Dr. Berthold geht im Interview auf die Folgen für die nationalen Volkswirtschaften bei den vorgesehenen Rettungsmaßnahmen für die EU-Krisenstaaten ein und skizziert Alternativen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

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FreieWelt.net: Was genau ist diese ESM-Behörde und womit ist zu vergleichen?

Prof. Dr. Berthold: Der geplante ESM ist eine Mischung aus Europäischem Währungsfonds und einer Agentur zur Vergemeinschaftung der Staatsschulden in Europa. Als Währungsfonds gewährt er, wie der IWF auch, notleidend gewordenen Ländern finanzielle Hilfen, die an mehr oder weniger strenge Auflagen gebunden sind. Als Schuldenvergemeinschaftungsagentur organisiert er den Bail-Out von Mitgliedsländern, die insolvent werden. Er fungiert als Inkasso-Institution der Schuldner-Länder. Die beiden Ziele stehen allerdings in einem Konflikt zueinander. Bail-Out (d.h. Rettungsplan) und schmerzhafte reale Anpassungen sind wie Feuer und Wasser. Europa ist dabei, währungspolitisch mal wieder Murks zu machen.

FreieWelt.net: Wo ist hier eine demokratische Legitimation?

Prof. Dr. Berthold: Die Mitgliedsländer des ESM schließen einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, dem die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Ein Gouverneursrat, in den die Mitgliedsländer ihre Vertreter entsenden, führt die Geschäfte. Die Stimmen entsprechen den Anteilen der Länder im ESM. Bei wichtigen Fragen, wie etwa die Gewährung von Finanzhilfen, der Änderung des Grundkapitals, der Aktualisierung des Schlüssels u.a. ist Einstimmigkeit notwendig. Damit haben die Geberländer ein Vetorecht. Was es tatsächlich Wert ist, muss sich allerdings erst noch zeigen. Leidvolle Erfahrungen in Europa haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, auch Einstimmigkeit schützt nicht vor Torheit.

FreieWelt.net: Was sind die Folgen für die nationalen Volkswirtschaften?

Prof. Dr. Berthold: Die Einrichtung des ESM löst das Schuldenproblem in der EWU nicht, er verschärft es vielmehr noch. Der ESM wird erst tätig, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Auflagen für die Problemländer kommen nicht nur zu spät. Sie verstärken auch die Anreize, mit dem bisherigen Schlendrian fortzufahren. Die Mentalität, auf Kosten der Anderen zu leben, wird verstärkt, wenn die Auflagen laxer ausfallen. Und das werden sie, wenn sich immer mehr und immer größere Länder mit dem Gedanken tragen, auf die Hilfen des ESM zurückzugreifen. Dann gerät Europa endgültig auf die schiefe Bahn, wirtschaftlich und politisch.

FreieWelt.net: Welche ökonomischen Auswirkungen sehen Sie für den Bürger?

Prof. Dr. Berthold: Mit dem ESM erhält der Bail-Out in der EWU ein Gesicht. Die Bürger der Geberländer finanzieren den Schlendrian in den Nehmerländern. Die Erfahrungen mit dem deutschen Länderfinanzausgleich zeigen, dass sowohl in den Geber- als auch Nehmerländer das wirtschaftliche Wachstum leidet. Notwendige schmerzhafte reale Anpassungen in den Problemländern werden weiter auf die lange Bank geschoben. Dringend notwendige Reformen unterbleiben, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die Staatsfinanzen zerrütten weiter, die Schuldenberge steigen. Den Ländern der EWU droht eine „Entlastung“ über Inflation. Die Transfer- und Schuldenunion degeneriert zu einer Inflationsunion.

FreieWelt.net: Gibt es Alternativen zum ESM?

Prof. Dr. Berthold: Der ESM ist alles andere als alternativlos. Die Leitlinie muss sein, dass Handlung und Haftung wieder übereinstimmen. Das macht es erforderlich, das Prinzip des No-Bail-Out wieder in Kraft zu setzen. Es muss endlich Schluss sein mit den Rechtsbrüchen, wie dem Bruch des Vertrages von Maastricht und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Notwendig sind zwei wichtige Ergänzungen: Zum einen muss dafür Sorge getragen werden, dass die Staaten nicht mehr vom Finanzsektor in Geiselhaft genommen werden können. Es muss möglich sein, dass Banken pleite gehen können, ohne das Finanzsystem zu gefährden. Zum anderen braucht die EWU dringend eine Insolvenzordnung für Staaten. Deshalb müssen auch Staaten pleitegehen können, ohne andere mit in den finanziellen Abgrund zu reißen. Von beidem ist allerdings gegenwärtig nicht mehr die Rede.

FreieWelt.net: Wie geht es mit dem Euro weiter?

Prof. Dr. Berthold: Der Euro wird in der gegenwärtigen Form keinen Bestand haben. Es rächt sich, dass auch Länder aufgenommen wurden, für die es ohne finanzielle Hilfe der anderen lebensbedrohlich ist, unter einer einheitlichen Währung zu agieren. Diese Länder müssen aus dem Euro ausscheiden. Es ist weder ökonomisch noch politisch sinnvoll, sie mit finanziellen Transfers über Wasser zu halten. Ökonomisch führt diese Umverteilung zu Verlusten an wirtschaftlicher Effizienz, die uns alle ärmer machen. Politisch akzeptieren die Bürger der Geberländer immer weniger, dass ihr sauer verdientes Geld zwangsweise in den Süden transferiert wird, in ein Fass ohne Boden. Die Entwicklung europafeindlicher Parteien, wie die „Wahren Finnen“ zeigt, dass eine Schuldenunion den Bestand der Europäischen Union ernsthaft in Frage stellt. Eine kleinere, homogenere EWU ist eine Voraussetzung, dass auch die unabdingbar notwendige EU mit offenen Märkten stabil bleibt.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Berthold, vielen Dank für das Gespräch.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Horatio Nelson

"Eine kleinere, homogenere EWU ist eine Voraussetzung, dass auch die unabdingbar notwendige EU mit offenen Märkten stabil bleibt."

Es tut mir Leid aber die Logik bzw. die Grundlage dieser Aussage kann ich schlicht und einfach nicht nachvollziehen. Auch jetzt, schon vor der Einrichtung eines ESM, besteht die unausweichliche Tatsache, der gegenseitigen finanziellen Unterstützung zwischen allen Teilnehmern einer EWU. Gar auch Nicht-Mitglieder der EWU, wie Großbritannien z.B., zahlen kräftig mit. Und zwar findet diese Unterstützung nicht nur im Finanzbereich, sondern auch bei den Staatsschulden, Renten und sonstigen Sozialleistungen. "Schuldenexport" bzw. „Schuldenimport“ wird dies genannt. Wenn andere Mitgliedsländer (und deren Protektoraten) früher in Rente gehen oder sich wie z.B. Frankreich (auf jeden Fall früher) den Luxus verbeamteter Putzkolonnen in Schulen leisten, ist man entweder selbst schuld als „Finanzierer“ oder auf Selbstprofilierung aus, wenn man mitmacht.

Dr. Berthold hat es nämlich bestätigt. Ein prächtiges Beispiel gestaltet sich hierzulande. Der Länderfinanzausgleich funktioniert derart, daß die unfreiwilligen "Spenderländer" in Deutschland eine Art Dolce Vita der "ärmeren" Bundesländern finanzieren. Denn, in den letzten zehn Jahren hat sich die Lage hierzulande verschärft. Damals waren es sechs "Geberbundesländer", nun sind es nur drei. Beispiele der Auswirkung: ein Bundesland mit 70% der durchschnittlichen Finanzkraft wird auf 97,5% gehoben. Eines bereits bei 80% erreicht 98%. Bei Ausgang 90%, auf 98,5%. Umgekehrt, ein Land, das zunächst bei einer Finanzkraft von 130% aufbringt, wird effektiv auf 109% herabgestuft. Es liegt doch auf der Hand. Es geht hier um die menschliche Natur einer großen Mehrheit der Menschen: lieber das Süße als das Hart-Erarbeitete.

Daß, die Nettozahler der EU so weiter machen, bedeutet entweder, daß sie nicht ganz bei der Sache sind (sozusagen) oder, was wahrscheinlicher ist, daß sie dunkle Beweggründen wie eine Transferunion oder gar die „Vereinigten Staaten von Europa“ hegen. Gott behüte!

Im Gegensatz hierzu, funktionierten und gediehen die Märkte des noch freien, noch von „Brüssel“ unbeschwerten Europa der 60er und 70er Jahre. Jetzt, wie auch damals, benötigen wir Freiheit, Flexibilität und Bewegungsraum für die gute Gesundheit unseres Wirtschaftssystems. Nicht die unerträgliche Last des „Brüsseler“ (weißen) Elefanten.

Grüße,
Horatio Nelson.

Gravatar: dieter

Wie heißt es immer so schön? "Es kann ja nichts passieren, da alles gesetzlich geregelt ist". So hat man immer geredet und uns auch den Euro schmackhaft gemacht. Da war die besagte 3% Hürde wegen der selbst Deutschland Probleme bekam. Aber mit Gestzen ist es, dass der, der dreist genug ist zu versuchen es zu umgehen, meist gewinnt. Zumindest wenn man einen Namen hat, in der Politik tätig und in einem Aufsichtsrat sitzt....

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