Interview mit René Fuchslocher

Bürgerliche Wende: Chile hat die linke pro-Merkel-Regierung abgewählt

Chile hat die linke pro-Merkel-Regierung abgewählt: Nun steht das Land vor einer bürgerlichen Wende. Im Freie-Welt-Interview erklärt der chilenische Anwalt René Fuchslocher die aktuelle Lage im südamerikanischen Land.

René Fuchslocher. Foto: Freie Welt
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Freie Welt: Herr Fuchslocher, am 11. März ist in Chile eine neue Regierung antreten. Ein bürgerlich-konservativer Präsident übernimmt das Ruder. Was wird sich in Chile ändern? Wie wird der weitere Weg Chiles aussehen?


Fuchslocher: Chile gehört aufgrund seines stetigen Wirtschaftswachstums und seiner politischen Stabilität zu den attraktivsten Märkten unter den Schwellenländern, und zwar schon seit einem Jahrzehnt. Doch in der letzten Regierung der Sozialistin Michelle Bachelet, im Bündnis mit den Christdemokraten und den Linken, sank das Wachstum von 5% auf 1,8%, mit einem Haushaltsdefizit von 2,8% des BIP. Das ist das höchste Haushaltsdefizit seit 25 Jahren. Diese Regierung brach eine goldene Regel der vorherigen, indem sie die Ausgaben trotz sinkendem Wachstums steigen ließ. Dieses Ungleichgewicht führte in Chile dazu, dass sich die Schulden in vier Jahren von 32.000 Millionen Dollar auf mehr als 70.000 Millionen zu verdoppelten.


Seit dem Sieg des Mitte-Rechts-Kandidaten Sebastián Piñera, der vor wenigen Tagen die Präsidentschaft übernahm, stiegen die Erwartungen an die Wirtschaft. In einer aktuellen Umfrage glauben 47% der Befragten, dass sich ihre persönliche wirtschaftliche Situation in den nächsten 12 Monaten verbessern wird.


Was jedoch, meiner Meinung nach, für diese letzten Wahlen relevanter ist, ist die Entstehung neuer konservativer Kräfte, die den gesunden Menschenverstand vieler Bürger verkörpern. Sie unterstützten Piñera in der zweiten Runde und waren für ihn entscheidend, um die Wahlen zu gewinnen. Der fortschreitende moralische Niedergang der Gesellschaft hat einen Einschnitt bekommen, und die Menschen haben nach vielen Jahren zum ersten Mal gewagt, nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Dinge wie die Gender-Agenda und die unqualifizierte Einwanderung offen zu kritisieren.


Aus dieser Perspektive können wir die Zukunft von Chile mit Optimismus sehen. Bedenkt man auch, dass Chile ein dünn besiedeltes Land ist – 18.000.000 Menschen leben auf 750.000 Quadratkilometern Fläche – und noch wenige hoch entwickelte Politiker und Unternehmer hat, erlaubt es einem, die Schicksale des Landes direkt zu beeinflussen.


Freie Welt: Sie kommen aus dem Süden von Chile. Was können Sie uns von den Beziehungen Chiles zu Deutschland erzählen?


Fuchslocher: Wie vielleicht bekannt ist, gab es in der Mitte des 19. Jahrhunderts, nach dem Ende der gescheiterten Deutschen Revolution von 1848, eine große Einwanderungswelle von Deutschen, von denen sich rund 20.000 im südlichen Chile ansiedelten.


Dass die chilenische Regierung systematisch erfahrene Fachkräfte aus Deutschland als Einwanderer anwerben ließ, hatte eine guten Grund: Sie sollten das bis dahin weitgehend menschenleere südchilenische Seengebiet bevölkern. Den Siedlern oder „Kolonisten“, wie sie sich selbst nannten, wurde im Gegenzug eine große Chance geboten: eigenes Land, und das in einem Breitengrad (gleichwertig, im Norden, zum Mittelmeer), in dem das Klima warm und der Boden fruchtbar ist.


Die erstem Einwanderer schrieben über ihre neue Heimat zwischen Pazifik und Anden: „vom Strand bis zu den Bergen nichts als Urwald“. Nacheinander gründeten sie dennoch verschiedene Städte: 1853 Puerto Montt, 1854 Puerto Varas, 1856 Frutillar und 1891 Puerto Octay.


Mit der Hilfe der neuen Technologien, die die deutschen Einwanderer brachten, sowie durch ihre Tatkraft und Einsatzbereitschaft, gewann der Süden Chiles landwirtschaftlich, industriell und kulturell erheblich an Bedeutung und leistete damit mehr als nur den Beitrag, den man sich von einer liberalen Kolonisationspolitik versprochen hatte.


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Region rasch. Grund war der Anschluss an das Eisenbahnnetz, wodurch sie mit der Hauptstadt Santiago verbunden wurde, sodass der Hafen von Puerto Montt stark an Bedeutung gewann. 1979 wurde meine Wohnstadt Puerto Montt zur Hauptstadt der Región de los Lagos erklärt und ist damit politisches und verwaltungstechnisches Zentrum der Region. Heute ist Puerto Montt ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und das wichtigste Handels- und Wirtschaftszentrum des Südens.


Bisher wird im Süden Chiles noch vereinzelt deutsch gesprochen, und gibt es mehrere deutsch-chilenische Institutionen, wie Sozial-, Frauen- und Turnvereine; Schulen, Studentenverbindungen, Kirchen, Krankenhäuser, Feuerwehrkompanien, unter anderen.


Freie Welt: Sie haben gesagt, es gab vorletztes Jahrhundert eine deutsche Einwanderungswelle nach Chile. Sind auch später noch Deutsche nach Chile migriert?


Fuchslocher: Von 1882 bis 1890 fand eine multinationale Einwanderung in das Frontera-Gebiet statt, das zwischen Süd- und Zentralchile liegt. Die deutsche Gruppe der Einwanderer stammte hauptsächlich aus Gebieten östlich der Elbe und aus Norddeutschland. Es gab auch andere deutschsprachige Siedler, vor allem Schweizer.


Später, im Jahr 1895, siedelten mehrere europäische Familien im nördlichen Teil der Insel Chiloé an, von denen die meisten Deutsche waren.


Die Einwanderung im 20. Jahrhundert war verhältnismäßig gering verglichen mit jener des 19. Jahrhunderts: Es gab noch vier Kolonisationsprojekte, die von privater Seite organisiert wurden, aber nicht mehr den gleichen Erfolg wie in der Vorzeit hatten: Peñaflor 1929, Puyuhuapi 1935, La Serena 1946 und schließlich 1961 Parral.


In der Zwischenzeit gab es jedoch einen unregelmäßigen Zustrom von privaten Einwanderern, Geschäftsleuten, Fachkräften, Landwirten und Naturliebhabern, besonders in beiden Nachkriegszeiten und in den letzten Jahren.


Freie Welt: Sie sind Rechtsanwalt. In welche Gebiete sind sie tätig?


Fuchslocher: Ich bin Magister in Steuerrecht und auch MBA. Meine Kanzlei ist besonders in Zivil-, Gesellschafts-, Steuer- und Verwaltungsrecht tätig. Zu unseren Mandanten zählen vor allem lokale Unternehmer, insbesondere Agrar- und Immobilienunternehmen, sowie nationale und internationale Banken und Energieerzeugungsunternehmen.


In der letzten Zeit haben wir mehrere Kunden aus Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern betreut, die nach Land suchen, um sich sofort oder später niederzulassen, sowie als Agrar- oder Immobilieninvestition.


Freie Welt: Sie meinen, es wird eine zweite Einwanderungswelle von Deutschland nach Chile geben?


Fuchslocher: Ich bin nicht sicher, ob es eine neue so relevante Einwanderungswelle von Deutschen nach Chile geben wird, aber sie werden sicher weiterhin ankommen.


Da ich von der deutschen Botschaft als vertrauenswürdiger Anwalt in der Region empfohlen bin, habe ich die Anforderungen von immer mehr Familien und Unternehmen aus erster Hand erfahren, die eine Lebens- oder Geschäftsalternative in unserem Land suchen. Politisch korrekt gestellt: Einige von ihnen geben an, dass sie sich Sorgen um die demographische Zukunft Europas machen.


Derzeit ist es nicht notwendig, große Kolonisationsprojekte zu entwickeln, da alle potentiell Zugang zu professionellen Ratschlägen haben, um privat nach Chile auszuwandern; es gibt jedoch auch alle Voraussetzungen, um massive Projekte zu entwickeln.


Freie Welt: Sie sind mehrmals in Deutschland gewesen und kennen die deutsche Lebensform. Wieso sollte Chile eine Alternative für deutsche Auswanderer oder Investoren sein, im Vergleich mit anderen, besser entwickelten Ländern, wie Kanada oder Australien?


Fuchslocher: Seit Anfang 2010 ist Chile Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), was als Anerkennung für den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahrzehnte gewertet werden kann. Chile hat mit 24 Freihandelsverträgen, die 63 Länder einbeziehen, mehr Freihandelsabkommen abgeschlossen als jedes andere Land der Welt. Die wichtigsten Handelspartner sind die Europäische Union, die Vereinigte Staaten, China und Japan. Im Korruptionsindex von Transparency International von 2017 liegt Chile auf Platz 26 von 168, und belegt den ersten Platz des Human Development Index innerhalb Lateinamerikas.


Chile bietet im Vergleich zu anderen Ländern sehr viele Vorteile für ausländische Investoren. Zum einen ist die in diesem Land herrschende offene und liberale Wirtschaftsordnung von behördlichen Eingriffen relativ frei. Zum anderen wurden durch die chilenische Gesetzgebung günstige Voraussetzungen für Investitionen geschaffen, zum Beispiel, Immobilien zu erwerben ist für Ausländer kein Problem in Chile, selbst mit einem Touristenvisum.


Mitteleuropäische Staatsbürger reisen mit gültigen Reisepass für 90 Tage als Touristen ein und benötigen kein konsularisches Visum. Danach ist es erfahrungsgemäß relativ unbürokratisch, vor Ort Arbeitserlaubnis und Visum zu erhalten.


Für Naturliebhaber und Menschen, die ein gesundes und mildes Klima (im Durchschnitt 25 Grad Celsius maximale Temperatur im Sommer und 3 Grad Celsius minimale Temperatur im Winter) zu schätzen wissen, ist der Süden Chiles sehr zu empfehlen. Und aufgrund der guten Erfahrungen der Vergangenheit gibt es auch eine hervorragende Einstellung gegenüber den Deutschen, die eine schnelle Integration in die lokale Gesellschaft ermöglicht.


René Fuchslocher wuchs in Osorno auf, wo er auch die Deutschen Schule besuchte. Anschließend studierte er an der Universidad Católica de Chile Jura und machte sein Magister in Steuerecht an der Universidad Adolfo Ibáñez. Seit elf Jahren wohnt er in Puerto Montt, wo er mit seinem Geschäftspartner die Kanzlei Fuchslocher, Bogdanic & Asociados gegründet hat. Dazu ist der 40-Jährige Mitglied in verschiedenen Institutionen der deutsch-chilenischen Gemeinschaft: als Erster Vorsitzender des Deutschen Vereins zu Puerto Montt und Vorstandmitglied der Corporación de Beneficencia Osorno (Deutsche Klinik in Osorno) sowie von Agrollanquihue A.G. (Verband der Landwirte der Provinz Llanquihue). René Fuchslocher ist mit Ana María Rojas verheiratet, das Paar hat mit Emilia (10) und René (8) zwei Kinder.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Rita Hander

wenn ich jünger wäre hätte ich schon die Reise gemacht, nur dieses Kontinent hat eine Zukunft, vor allem wenn man etwas darauf hat und normal leben will, herzliche Grüße
und dank an die Chilenen.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

… „Der fortschreitende moralische Niedergang der Gesellschaft hat einen Einschnitt bekommen, und die Menschen haben nach vielen Jahren zum ersten Mal gewagt, nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Dinge wie die Gender-Agenda und die unqualifizierte Einwanderung offen zu kritisieren.“ …

Sollte das ´gesamte deutsche Volk` diesem Beispiel nicht sofort folgen???

Gravatar: Tom

Na, wenigstens etwas. Also wird die Merkel´n wohl im Falle eines Falles nicht nach Chile flüchten wie damals die Lila-Honecker-Hexe. Wo könnte sie aber sonst noch hin ? So richtig beliebt ist sie ja nicht wirklich. Bleibt nur noch ein Bunker und ein kleines Glasröhrchen...

Gravatar: …und überhaupt…

@Ulrich: ein Großonkel meines Mannes wanderte nach dem ersten Weltkrieg nach Chile aus, um als Ingenieur im Norden in einer Salpeter-Mine zu arbeiten. Wir haben noch heute intensiven Kontakt zu diesem chilenischen Familienzweig und besuchen uns gegenseitig. Aus eigener Erfahrung muss ich jedoch darauf hinweisen, dass es z.B. in Santiago, aber nicht nur dort, durchaus hin und wieder zu einem Erdbeben kommt. Meistens bleibt es bei Sachschäden. Dennoch ist es ärgerlich, wenn in einer Arztpraxis die empfindlichen medizinischen Geräte Schaden nehmen und Zeit- und Kostenintensiv aus den USA Ersatz herbeigeschafft werden muss .Die Ärzte in unserer dortigen Familie hatten folglich bereits den einen oder anderen Stress deshalb.

Gravatar: Ulrich

Chile! Wenn es in Europa und in den USA den Bach runter geht... Dann wäre das tatsächlich eine Alternative. Irgendwo muss es ja einen Ort geben, zu den man fliehen kann, wenn es hier den Bach runter geht.

Gravatar: Klingler

Interessanter Artikel - wäre eine Option für die Zukunft, die man im Auge behalten sollte, denn mal ehrlich, meine persönliche Zukunftsprognose für Deutschland sieht sehr, sehr, sehr düster aus.

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