Dr. Albert Wunsch Erziehungswissenschaftler, Erziehungs- und Paartherapeut

Bindung ist die Grundlage guter Bildung

Der renommierte Erziehungs- und Paartherapeut Dr. Albert Wunsch war einer der Teilnehmer des ersten "Akademiker-Mariposa", ein Zusammentreffen verschiedener Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft mit Künstlern, Philosophen und Querdenkern auf Teneriffa. FreieWelt.net sprach mit Dr. Wunsch über das Mariposa-Projekt und über den elementaren Zusammenhang zwischen einer fundierten Erziehungs-Beziehung und erfolgreicher Bildung.

Veröffentlicht:
von

FreieWelt.net: Herr Wunsch, Sie kommen voller Eindrücke vom ersten Akademiker-Mariposa auf Teneriffa nach Berlin zum Interview, was soll oder kann sich ein Leser unter diesem Projekt vorstellen. Was ist „Mariposa“?

Dr. Albert Wunsch: Das nach den vielfältigen und umwerfenden Sinnes-Eindrücken in wenige Worte zu fassen, fällt recht schwer. Ich versuche, die mir klar gewordene Botschaft unter zwei Aspekten zu umreißen. Mir hat sich Mariposa als eine Mischung aus Vision von einer besseren Welt und handfestem gesellschafts- bzw. bildungspolitischen Handlungsimpuls offenbart. Die Idee des Galeristen-Ehepaars Müller ist, dass, wenn sich Menschen auf diese Mischung aus Zauber-Garten, Skulpturen-Park, Sinnes-Schule, Ruhe-Refugium in einer bis in Detail liebevoll gestalteten und trotzdem naturbelassenen Hang-Landschaft im Südwesten von Teneriffa für einen Zeitraum von 10 - 15 Tagen einlassen, jeder neue Impulse für seinen beruflichen oder privaten Verantwortungsbereich erhält. Diese sollen sich dann - so die Hoffung - dem im jeweils anderen Alltags-Handeln der Mitwirkenden und über sie hinaus auswirken. Denn so wie der Schmetterling - auf spanisch Mariposa - immer wieder neu zum Hinschauen anregt, wenn er mit leichtem Flügelschlag in seine Umgebung hinwirkt, so soll dieser aktive Auftank-Aufenthalt eine Basis dafür sein, die Botschaft des Gründer-Ehepaares Müller zu verbreiten, mit der uns geschenkten Welt sorgsamer umzugehen.

FreieWelt.net: Was ist denn unter einem Akademiker-Mariposa zu  verstehen?

Dr. Albert Wunsch: Nachdem in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von interessierten Gruppierungen, ein besonderer Schwerpunkt lag auf Oberstufenschülern, dieses Areal genutzt haben, sollen nun im ersten Akademiker-Mariposa für 14 Tage miteinander wegweisende Bildungs-Impulse entwickelt werden. Dazu wurden von den jeweiligen Fachvertretern wichtige Aspekte aus den Bereichen der Bildungsforschung, Psychologie, Soziologie, Kunstpädagogik, Zukunfts- bzw. Friedensforschung, Philosophie und Erziehungswissenschaft vorgetragen und diskutiert. Für jedes Themenfeld stand zur Präsentation ein Vormittag und zur Vertiefung und Diskussion ein Nachmittag zur Verfügung.  So entstanden in einer Mischung aus Denk-Forum und Zukunfts-Werkstatt wichtige Impulse zur Bildungsarbeit und Bildungspolitik, die darauf warten, aufgegriffen zu werden. Ein Ergebnis für mich war, dass wir in der Bildungspraxis wieder viel stärker in den Blick nehmen sollten, dass unsere Schüler nicht per ‚Nürnberger-Trichter’ oder per Megabyte-Datenleitungen Wissen einverleibt werden sollte, sondern dass wir sie viel stärker als Wesen aus Kopf, Herz und Hand ansprechen. Denn Bildung ist nicht machbar bzw. per Lernmethode einbringbar, sondern immer das Ergebnis von guten Voraussetzungen innerhalb positiver Beziehungsmuster in Elternhaus, Kindergarten und Schule.

FreieWelt.net: Von welchem Bildungsverständnis sind Sie denn ausgegangen.

Dr. Albert Wunsch: Bildung ist  für mich das Ergebnis eines durch vielfältige Faktoren grundgelegten Prozesses. Wichtigster Ausgangspunkt ist eine in Verantwortung eingebettete Erziehungs-Beziehung, welche durch Nähe, Wohlwollen, Vorleben, Aufzeigen, Informieren, Einüben und Zutrauen geprägt ist. Einzubringen ist dies in erster Linie durch die natürlichen Eltern. Im weiteren Prozess des Heranwachsens werden Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Berufsausbildungs-Einrichtungen ihren Teil dazu einbringen. 

Mitgeprägt wird dieser Prozess durch den Einfluss von Geschwistern (falls vorhanden); anderen Familienmitgliedern, Gleichaltrigen, den Medien und sonst wie aus dem Umfeld aufgenommenen Einwirkungen

Die Erziehungsverantwortlichen haben dabei die - nicht leichte - Aufgabe, diese Sozialisations-Einwirkungen in ihrem Handeln aufzugreifen, - ob bestätigend oder korrigierend.

Damit soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass sich die nachwachsende Generation in Eigenständigkeit und Selbstverantwortung in der menschlichen Gemeinschaft zurechtfinden kann, um in dieser einen akzeptierten und beitragenden Platz zu erhalten. 

Ziel dabei ist, auf diese Weise zwischen den emotionalen und biologischen Bedingtheiten (Bedürfnisse, Eigenheiten und Begrenzungen) des Einzelnen - kurz: ‚ich will, brauche oder möchte’ und den emotionalen und biologischen Bedürfnissen der Mitmenschen wie: Rücksicht, Kooperation und Akzeptanz sowie der uns umgebenden Schöpfung insgesamt eine lebbare Umgangbasis zu schaffen.

FreieWelt.net: Heute wird häufig von der rundum prägenden Wirkung der Sozialisation ausgegangen. Welche Bedeutung hat dabei für Sie die Erziehung?

Dr. Albert Wunsch: Erziehung ist zum großen Teil eine Reaktion auf die Entfremdung vom Leben. In Naturvölkern ist dies in dieser Intensität nicht notwendig. Aber je weniger das Leben lehrt, umso mehr brauchen wir separate Lern-Räume. „So ist Erziehung als Kerngeschehen Anregung und ermutigende Hilfe für Kinder und Jugendliche durch Eltern und anderen Erziehungskräften. Sie umfasst alle Bestrebungen, die zu einem selbständigen und eigenverantwortlichen Leben in der Gesellschaft führen.“ Somit ist Erziehung als zielgerichtetes Handeln zu definieren. 

In Abgrenzung dazu betrachte ich den Sozialisations-Prozess als all jene Einwirkungen, welche außerhalb dieser Erziehungsfunktion auf die Kinder einwirken, aber durch das erzieherische Handeln  - korrigierend oder bestätigend - aufzugreifen sind.

FreieWelt.net: Welche Folgerungen ergeben sich aus Ihrer Sicht für die Bildungsarbeit?

Dr. Albert Wunsch: Ich verweise hier auf die von mir zum Abschluss meines Beitrags eingebrachten Aspekte:

1. ein viel stärkere Berücksichtung des Aspektes Bindung als Voraussetzung von gelingenden Erziehungs- und Bildungs-Prozessen

2. eine  offensive Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit einer erzieherischen Verantwortung

3. Eltern sind für ihre Erziehungsaufgabe gezielt zu qualifizieren: 

- für den Erziehungsauftrag

- zur Wichtigkeit elterlicher Autorität

- bezogen auf Hilfestellungen zum Umgang mit KiTa und Schule

- durch das Einüben von Konfliktlösungsstrategien

- zur Unterscheidung von Bedürfnis und Bedarf bei Kinder und Jugendlichen

4. Das elterliche Erziehungsverhalten braucht - wie jedes Verhalten – gezielte Rückmeldungen durch Gratifikation bzw. Sanktion 

5. Eltern brauchen förderliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen

flexible Arbeitszeiten, finanzielle Unterstützung, ein gutes Klima

6. Lehrkräfte sind stärker zu qualifizieren und zu  motivieren, sich als Partner der Eltern im Erziehungs- und Bildungsprozess zu sehen und braucht auch gezielte Rückmeldungen durch Gratifikation bzw. Sanktion 

7. Nicht eine Bildung für alle, sonder für alle differenzierte Bildungsansätze

Dies gilt für Bildungsziele wie für ihre Bildungsvermittlungs-Prozesse

8. Ein verändertes Lernverständnis:

- Erlernen des Lernens im Sinne der Aneignung: wieviel Geschick, Anstrengung, Gedächtnisleistung, Übungs-Training, Kreativität, Kombinationsfähigkeit und Zeit ist zur Erreichung des Zieles X oder Y notwendig? 

- Erlernen des Umgangs im Sinne der Handhabung:  auf welche Weise finde ich was wo und wie funktioniert was?

- Erlernen des Umgangs im Sinne der Wirkung:  was führt zu welchen technischen, ökonomischen, biologischen und psychischen Reaktionen?

- Erlernen des Umgangs im Sinne von Verantwortung:  welche Anwendung bzw. Entscheidung fördert, behindert bzw. verhindert das Zusammenleben?

Das sind die heutigen Herausforderungen für eine zukunftsorientierte Erziehung und Bildung angesichts der auf uns zukommenden Wissensgesellschaft und Globalisierung. Einziger Maßstab ist die Wirksamkeit von eingebrachten Lernimpulsen im Hinblick auf die unterschiedlichsten heutigen und zukünftigen Lebensanforderungen. Denn Wissen und Können offenbart erst in der Anwendung seine wahre Bedeutung, seinen Wert fürs Leben oder gar Überleben, ob im Beruf, dem Leben in einer Partnerschaft oder in andern sozialen Systemen. Dann wird sich zeigen, was taugt und ob es uns vom Heute in die Zukunft trägt.

FreieWelt.net: Wie würden sie ihr persönliches Fazit umreißen?

Dr. Albert Wunsch: Auch wenn sich die Notwendigkeit einer tragfähigen Bildung nicht beschließen, schön reden oder verordnen lässt, so hat dennoch jede Gesellschaft die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass junge Menschen zu solchen Persönlichkeiten heranwachsen, die zwischen gut und schlecht, Recht und Unrecht, Freiheit und Verpflichtung, Egoismus und sozialem Verhalten unterscheiden können und gemäß diesen Erkenntnissen handeln! Denn eine Gesellschaft hat dann eine Werte-Zukunft, wenn nicht Konten sondern Persönlichkeiten wachsen.

Parallel dazu wird mir aber ein Gedanke von Helga Müller im Bewusstsein hängen blieben: Wenn die Menschen in Mariposa ihr Herz berühren lassen, ist ein erster Schritt getan. Selbst wenn die Menschen dann die Welt nicht verändern, können sie aber strahlend auf sie einwirken.  

Vielen Dank für das Gespräch!

Mariposa-Projekt

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Ursula Prasuhn

Danke, Albert Wunsch, für Ihre vielen Veröffentlichungen, die ich zum großen Teil gelesen und gut gefunden habe. Mir hat vor allem gefallen, dass Sie immer wieder vor einer Erziehung warnten, die unter dem Deckmantel „moderne Pädagogik“ schlimme Folgen hatte für Familien und Kinder, aber auch für Schulen.
In Ihrem Interview sagen Sie nun: „Eltern sind für die Erziehungsaufgabe gezielt zu qualifizieren“. Da frage ich mich: Wer macht das oder soll das machen? Mit dieser Frage steht und fällt meiner Meinung nach der Erfolg Ihrer guten Absicht.
Qualifizierung gehört nach allgemeinem Verständnis in die Hände von Experten, aber genau denen gilt mein Misstrauen. Eine Fachwelt, die zum großen Teil versagt hat und noch immer versagt, soll plötzlich die Eltern auf den richtigen Weg zurückführen, nachdem sie diese zuerst gezielt verunsichert und dann ins Abseits geschickt hat?
Die Tatsache, dass Eltern wieder zu dem zu qualifizieren sind, was sie seit Ewigkeiten ohne fremde Hilfe konnten, spricht Bände. Oder glaubt jemand, eine natürliche Fähigkeit ginge innerhalb weniger Jahrzehnte so mir nichts dir nichts von allein verloren?

Gravatar: ich

Die ganze Sache hat einen Haken. Welche Eltern sollen das sein? Unsere Politik versucht doch alles mögliche, den Begriff Eltern zu eliminieren, Familien zu zerstören. Der Feminismus und Gender erledigen dann den Rest. Also kann es ja nur darauf hinauslaufen, dass die Kinder in Erziehungsanstalten (Kitas, Ganztagesschulen usw.) gepfercht werden. Und ohne Gott wird es nie friedlicher werden. Und eine Vergötterung der Natur ist Götzendienst, die Gott auf seine Weise strafen wird. Der Mensch bildet sich so viel ein auf seine tollen Errungenschaften und Erkenntnisse und hat bei alle dem verlernt in Frieden miteinander zu leben. Warum? Weil man es allein und gegen Gottes Willen tun will. Es geht ohne Gott in die Dunkelheit.....

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang